Materialien 1965

Alma maters Widerstand

Seit dem 19. Februar 1965 dürfen wir stolz sein. Wir – die Studenten der Universität München.

Viele wären berufen gewesen, wenige waren auserwählt, die Geburtsstunde unseres neuen Bewußt-
seins mitzuerleben. Ob es am nahen Semesterende lag oder daran, daß es im Lichthof der Universi-
tät immer etwas fußkalt ist – nur etwa 250 von 21.000 Studenten und vielleicht 10 von rd. 400 o., ao., ap. und Honorarprofessoren hatten sich versammelt; man feierte das Andenken der Geschwi-
ster Scholl, Studenten der Universität München, wegen Widerstandstätigkeit 1943 verhaftet, ver-
urteilt, geköpft.

Nur das Collegium musicum vocale war vollzählig da und sang sogleich einen schönen Psalm. Da-
rauf traten zwei Kommilitonen von der Studentenbühne ins Rund und verlassen einige Abschnitte aus den Flugblättern der „Weißen Rose“. Der eine von ihnen mußte wohl erst kürzlich zur Kunst gestoßen oder sehr scheu gewesen sein. Oder er sprach nur für die Professoren, die ja ganz in der Nähe saßen. Einmal schob man ihm ein Mikrophon zu aber verständlicher wurde er dadurch auch nicht, denn das Mikrophon war vom Studentenfunk, der bekanntlich nur fürs Archiv arbeitet.

So konnte einem erst bei der Ansprache von Magnifizenz Weber so recht warm ums Herz werden. Er zitierte nämlich einen holländischen Professor, der bei einem Besuch in München gesagt hatte, München sei ja sehr weit weg von Holland, aber da die Münchner Universität am Geschwister-Scholl-Platz läge, sei sie den Holländern doch sehr nahe … So hätten wir dem Kreis der „Weißen Rose“ zu verdanken, daß in der Geschichte des Widerstandes gegen das Hitler-Regime auch die Universität München ihren Platz gefunden habe.

Nun wußten wir: unsere Universität München war inmitten der braunen Wogen ein Hort des Widerstands gewesen.

Nach Magnifizenz sollte unser 1. AStA-Vorsitzender zu Wort kommen. Er kam aber nicht. Ein Kommilitone erzählte, wie es dazu gekommen sei. Der Herr Rottach hätte gerade angerufen, und nun läge eine technische Panne vor, denn unser 1. AstA-Vorsitzender sei im Schnee stecken geblie-
ben. Weil die Feierstundenteilnehmer nach diesen Worten etwas unruhig wurden, formierte sich ganz schnell unser verdienstvoller Chor und hub an, den abschließenden Psalm zu singen. Als einem gerade wieder etwas feierlicher zumute werden konnte, segelten plötzlich von der obersten Lichthof-Empore – gerad wie vor 22 Jahren – viele, viele Flugblätter auf die sitzenden Professoren und die herumstehenden Studenten und ein paar auch auf das Collegium musicum vocale herab. Da wurde es natürlich wieder unruhig. Alles bückte sich, und sogar ein paar Professoren konnten nicht Ruhe und Ordnung bewahren und bückten sich und lasen auch.

Sie lasen, daß „in dieser Feierstunde nicht das Wesentliche gesagt worden (sei)“. Und Zitate der „Weißen Rose“, die vorher nicht verlesen worden waren:

„Für Hitler und seine Anhänger gibt er auf dieser Erde keine Strafe, die ihren Taten gerecht wäre.
Es soll ihnen nicht gelingen, in letzter Minute nach diesen Scheußlichkeiten die Fahne zu wechseln und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre.“

Die Flugblattautoren aber meinten:

„Es ist ihnen mehr gelungen: sie sind wieder in Amt und Würden, sie haben die Lehrstühle okku-
piert, sie leihen dieser Feier den Glanz ihrer unerschütterlichen Autorität, als ob nichts gewesen wäre.“

Und sie nannten Namen:

„Mediziner Max Mikorey, „Theoretiker“ einer Nazi-Psychiatrie, schrieb „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“, „Das Judentum in der Kriminalpsychologie“

Völkerrechtler Friedrich Berber, NSDAP, Ribbentrop-Freund und Berater, bewies die Kriegs-
schuld Englands und des Judentums

Theologe Michael Schmaus, rechtfertigte den Nazi-Terror katholisch-theologisch („Begegnung zwischen katholischem Christentum und Nationalsozialismus“ u.a.)

Strafrechtler Reinhart Maurach, NSDAP, Spezialist für Rechtsfragen bei der Unterjochung der Ostvölker, Leiter der Ostrechtsinstituts („Russische Judenpolitik“ u.a.)

ferner Jurist Larenz, Jurist Maunz, Mediziner Herrmann …“

So feierte die Universität nicht nur ihre Vergangenheit.

Die Herren von der Presse konnten es natürlich nicht lassen, den Vorfall am nächsten Tag zu be-
richten, trieben es aber nicht so weit, etwa die Namen der als bräunlich apostrophierten Forscher zu nennen.

Unsere Universität aber war durch Attacken auf läppische 12 Jahre ihrer bald 500 Jahre alten Ge-
schichte natürlich nicht zu erschüttern. Des Schweigens und Vergessens wäre kein Ende gewesen, wenn nicht ein kleiner Lehrbeauftragter sich bemüßigt gefühlt hätte, nicht nur den Flugblattwer-
fern, sondern auch unserem Rektor per Leserbrief (Süddeutsche Zeitung Nr. 64/1965) Mißbrauch mit dem Andenken der Opfer der „Weißen Rose“ vorzuwerfen.

Darauf tat Magnifizenz auch der nicht-akademischen Öffentlichkeit kund (SZ vom 30.3.65), daß „im In- und Ausland weithin anerkannt (sei), daß die Universität München durch das von hohem sittlichen Verantwortungsbewußtsein getragenen Handeln der „Weißen Rose“ in der Geschichte des Widerstandes gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime ihren Platz gefunden hat.“ Damit war unversehens aus der persönlichen Integrität der Münchner Studenten Scholl und ihrer Freunde (und übrigens auch des Prof. Weber selbst) die Integrität der Alma mater geworden.

Einer recht abstrakten Alma mater, könnte man meinen. Denn schließlich ist doch bekannt gewor-
den, daß ein Münchner Professorenkollegium dem Prof. Huber die Doktorwürde aberkannt hat und daß – kaum flatterten die Flugblätter der „Weißen Rose“ von der Empore – sogleich die Uni-
versitätsverwaltung in der Person des Pedellen gegen die Widerständler in den eigenen Reihen eingeschritten ist.

Aber spricht aus solcher Besserwisserei nicht die eitle Verblendung der Nachgeborenen? Kann man es denn der Universität vorwerfen, daß es dem braunen Plebs gelungen war, einige seiner Elemente in die unbeeinflußt und unverdrossen weiterforschende Universität einzuschmuggeln?

Wir, die wir nicht dabei gewesen sind, sollten endlich von unsubstantiierter Kritik ablassen. Wir sollten voll Stolz erkennen, daß wir Studenten einer Widerstandsuniversität sind.

al


Profil 2 vom April/Juni 1965

Überraschung

Jahr: 1965
Bereich: Gedenken