Materialien 2006

Unser Gegner ist die bayerische Staatsregierung!

Nicht die Uni, nicht „mein“ Institut.

Gedanken einer Beschäftigten an der LMU zu unserer tariflosen Situation
von Luise Wagensohn-Krojer

Ich bin in der erfreulichen Situation, dass mir meine Arbeit in der Regel Spaß macht und dass ich meist selbstbestimmt arbeiten kann – allerdings auch mit einer Menge Verantwortung. Wie vielen anderen ist es mir wichtig, meine Arbeit gut zu machen, so dass ich dahinter stehen kann. Ich habe wegen Kindererziehung auf halbtags reduziert, lege aber bei Bedarf meist noch Überstunden zu, damit der Laden läuft.

Ob meine Bezahlung noch übereinstimmt mit meinen tatsächlichen Aufgaben, frage ich mich manchmal schon. Wie alle anderen mit „alten“ Verträgen muss ich außerdem damit rechnen, dass nach den Plänen von Herrn Stoiber bald 42 Stunden Wochenarbeitszeit für uns alle gelten, und dass das Urlaubs- und Weihnachtsgeld weg sein wird. Abgesehen davon, dass unser Gehalt seit 2 Jahren nicht einmal im Rahmen eines Inflationsausgleiches erhöht wurde. Oder ist es Entschädi-
gung genug, dass ich täglich gerne zur Arbeit gehe, freundliche KollegInnen und Vorgesetzte und einen festen Arbeitsvertrag habe?

VERNÜNFTIG BETRACHTET kann das doch so nicht aufgerechnet werden, oder?

Gottseidank muss ich mit meinem Verdienst nicht mich und den Sohn alleine durchbringen. Mit den vielen Überstunden bin ich in der Lage, mir immer wieder Freizeitausgleich zu nehmen. Gott-
seidank habe ich im Moment noch einen Vertrag auf der Basis von 38,5 Stunden mit dem alten Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Aber was machen dann die KollegInnen, die nach den neuen tariflosen Bedingungen arbeiten? Die Arbeitsverträge mit 42-Stunden in der Woche haben? Die in den ganz niedrigen Gehaltsgruppen sind? Ohne Urlaubs-, ohne Weihnachtsgeld? Und Mütter, die Ihr Kind allein erziehen?

Jede/r hat andere Bedingungen, andere Vorteile oder schon schlimme Nachteile. SO SIND WIR vereinzelt und gespalten.

Vor kurzem haben auf dem Marienplatz die Ärzte demonstriert – ob’s denen wirklich schlechter geht als uns, weiß ich nicht – aber was die können, können wir doch auch, oder? – Die Ärzte haben eine Standesorganisation, den Marburger-Bund. Wir hätten die Gewerkschaft VER.DI, das sollten wir sehen und nutzen!

Es sollte uns allen klar sein: die Erhöhung der Arbeitszeit hat immer schon zu Stellenstreichungen geführt. Die zusätzlichen 3 Stunden werden prozentual umgerechnet und die entsprechende An-
zahl von KollegInnen wird an der Uni dann eingespart. Die Arbeit dieser KollegInnen wird verteilt. Der Stress und der Druck, den wir abkriegen, wird noch größer. Leider ist nur allzu oft zu erleben, dass dieser Druck untereinander weitergegeben wird, dass Angst und Misstrauen oder Beschuldi-
gungen gegen andere Abteilungen die Reaktion sind. In der Hoffnung, ihre noch guten Bedingun-
gen zu retten, versuchen manche, einzeln ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen.

ABER: Es soll sogar Professoren geben, die es gut finden, wenn wir uns wehren und streiken. Ich frage mich: Ob „meine“ Professoren das auch denken? Auch wenn dann irgendetwas nicht so funktioniert, wie sie es gewöhnt sind? Und meine KollegInnen? Ob die auch streiken?

Sollte es zu Arbeitsniederlegungen kommen, ist das Ziel, auf unsere Situation aufmerksam zu ma-
chen. Es geht darum, unsere Position bei den anstehenden Tarifverhandlungen zu stärken. Wie immer sitzen sich zwei Verhandlungspartner gegenüber: Die Gewerkschaft VER.DI und die Regie-
rungen der Länder. Wenn wirklich viele KollegInnen mitmachen, können wir etwas erreichen. Die Reaktion des Ministeriums auf die Warnstreiks letztes Jahr hat gezeigt, dass auf die Uni geschaut wird; dass es durchaus von Belang ist, wie hoch die Beteiligung ist; ob wir in diesen Fragen zusam-
menhalten – oder ob wir vereinzelt bleiben.

Bei all meinem Abwägen wird mir ein wichtiger Punkt klar:

DER GEGNER in dieser Auseinandersetzung ist nicht die Uni, nicht unsere direkten Vorgesetzten – unser Gegner ist die bayerische Staatsregierung.

Ich frage mich, ob die Professoren und die KollegInnen das auch so sehen. Oder ob sie auf die Stimmen hören, die z.B. sogar behaupten, es führe zu Stellenabbau, wenn wir uns wehren.

Es ist wenig bekannt, dass jeder Bürger das Recht hat, sich an Arbeitskämpfen zu beteiligen, wenn von der verhandlungsführenden Gewerkschaft dazu aufgerufen wird. Dieses Recht ist im Grundge-
setz verankert. (Artikel 9, Absatz 3)

Was mich ärgert ist,

∆ dass wir uns seit 2 Jahren in einem tariflosen Zustand befinden und viele KollegInnen schon auf der Basis von 42-Stunden Vollarbeitszeit ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld arbeiten,

∆ dass die Arbeitsbedingungen der studentischen Hilfskräfte ungerecht geregelt sind und dort vor 2 Jahren sogar Stundenlohn reduziert wurde (eine Erhöhung hatte es schon seit 1993 nicht mehr gegeben),

∆ dass viele Wissenschaftler mit Halbtagsverträgen eingestellt werden; in der Realität viel mehr arbeiten und diese Zeit nicht bezahlt bekommen. Hinzu kommt, dass Zeitverträge einen unsiche-
ren Status darstellen, bei dem sich keiner traut, sich zu wehren,

∆ dass den Beschäftigten im öffentlichen Dienst erklärt wird, es sei zu wenig Geld da, und Sparen verordnet wird, obwohl gleichzeitig im Jahr 2005 die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 32 Milliarden Euro gestiegen sind.

Ich für meinen Teil halte etwas von diesem alten Spruch:
WER KÄMPFT, kann verlieren –
WER NICHT KÄMPFT, hat schon verloren.

Wir sollten Herrn Stoiber unsere bisherigen Errungenschaften wie die 38,5-Stundenwoche, Ur-
laubs- und Weihnachtsgeld nicht einfach überlassen!!!


Personalratsinformationen der LMU München, Februar 2006, in: Zeitendiebe und Lohnräuber. Ausgewählte Texte zum VER.DI-Streik 2006, München 2006, 7 ff.