Materialien 2006

18 Minuten. Am Theater wird gestreikt

Rede auf der Protestkundgebung gegen Stoiber am 17.2.2006 auf dem Rosenkavalierplatz in München von Franz Xaver Kroetz

Streiken? Ja gut. Die Müllabfuhr, Verkehrspolizisten, Räumdienste, Busfahrer, Krankenschwe-
stern, Totengräber.

Aber streiken an einem hochsubventionierten Staatstheater, das zwanzig oder dreißig Millionen Zuschuss hat? Aufführungen verhindern, die vor ausverkauftem Haus stattfinden könnten und 10
bis 15.000 Euro Kasseneinnahmen gebracht hätten?

Da wird die Sache schwierig. Streiken auf einer Insel der Seligen? Denn dass die Arbeitsbedingun-
gen an den großen Theatern seligmachend sind gegenüber der Müllabfuhr, weiß jeder.

18 Minuten pro Tag mehr arbeiten im Theater? Zyniker sagen, das heißt für die Theaterleute 18 Minuten am Tag länger in der Kantine sitzen. Aber der Zynismus führt nicht weiter. Er verhärtet und verbittert. Trotzdem fand ich’s recht komisch, als zu Beginn des Streiks in den Nachrichten kam: Bestreikt werden die Unikliniken, Straßenmeistereien und die Staatstheater. Mannomann, müssen wir wichtig sein, dachte ich, ohne uns geht es nicht.

Ich glaube inzwischen, wir sind wichtig, und wir sollten alles daransetzen, dass es ohne uns wirk-
lich nicht geht in dieser an allen Ecken und Enden auseinanderbrechenden Republik.

Stoiber und Co. schwadronieren von ihren „neuen Eliten“; die mit den roten Pullis, roten Schals und roten Socken treiben fröhliche Unzucht mit der schwarzen Mehrheit und sind längst keine Garanten mehr für die Besitzstandswahrung geschweige – mehrung der arbeitenden Menschen. Im Gegenteil; alle zusammen sind für die globalisierte Besitzstandsminderung. In solcher Zeit ist es wichtig, dass sich die Theater nicht abkoppeln und in den elfenbeinernen Kulissenturm zurück-
ziehen, sondern die unterstützen, die endlich mal wieder „nein“ sagen, „uns langt’s“ sagen, „bis hierher und nicht weiter“ sagen.

Wir vom Theater waren immer dann am besten, wenn wir eine moralische Schlagseite gehabt haben, von „Wilhelm Tell“ bis zum „Stellvertreter“, von Peter Weiss bis zu Dario Fo.

Wir wissen, dass der Mensch seine Würde nicht durch Nicken und Schwanzeinziehen, sondern durch aufrechten Gang und Widerstand verteidigt. Dafür machen wir doch letztlich unser Theater. Dafür kriegen wir unsere Subventionen. „Ästhetik ist Widerstand“, sagte mal ein kluger Kopf. Und wenn der ästhetische Widerstand den tatsächlichen unterstützt, kann das nicht falsch sein in dieser rauhen, schlampigen Zeit, in der die Aktienkurse steigen, wenn die Mitarbeiter fliegen.

Ich finde es falsch, meinen Kollegen vom Theater einreden zu wollen, dass Verzichten geil ist.

Wir Künstler brauchen ihre Arbeit, sonst gibt es die unsere nicht. Und wir brauchen auch ein gutes Klima, kreativ kann man nur sein, wenn die „Chemie“ stimmt zwischen Kunst und Technik.

Bevor der meschugge Dänenprinz auf die Bühne kann, müssen auf dieser Bühne und dahinter Bühnentechniker, Requisiteure, Beleuchter, Inspizienten viel tun. Und ob ich irgendein Riesen-
dekorationsstück schleppe oder eine Aschentonne, Gewicht ist Gewicht, Arbeit ist Arbeit, nur dass Theater fast immer „innen“ spielt, also der Arbeitsplatz witterungsunabhängig ist.

Wer zukünftig ohne Urlaubsgeld, ohne Weihnachtsgeld, mit Überstundenbergen, die über Arbeits-
zeitverlängerung „abgebaut“ werden sollen, und in unterbesetzten Sparschichten schuften muss, der fühlt sich in den Hintern getreten. Egal ob Großklinikum oder „Hamlet“.

In den letzten Jahren ist die Lohnsumme um zehn Prozent zurückgegangen. Das war ein Tritt ins Volk. Wenn da VER.DI endlich mal zurücktritt, find ich das richtig. Das kann ja auch zu ungeahn-
ten Einsichten bei unseren „Eliten“ führen, und seien sie so banal wie: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Wer weiter spart und streicht, der spart und streicht auch Demokratie.

Ich glaube, 18 Minuten pro Tag wären in einer guten Zeit kein Problem. Aber in diesen rauhen Zeiten, wo jeden Tag eine neue Demütigung aus dem Wahlbetrugszylinder gekramt wird (25jährige zurück an den elterlichen Herd …!), wären 18 Minuten länger 18 Jas zu weiteren Zumutungen.

Ich glaube, dass wir derzeit 18 NEINS brauchen gegen Besitzstandsklau und globalisiertes Ab-
zocken. Kurz gesagt: NEIN ist geil.

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Wie recht Franz Xaver Kroetz hat, sieht man auch daran, dass es sogar 42 NEINS sind, denn in Bayern beträgt die geforderte tägliche Mehrarbeit 42 Minuten.


Zeitendiebe und Lohnräuber. Ausgewählte Texte zum VER.DI-Streik 2006, München 2006, 21 ff.