Materialien 2007

Über die bayrische Polizei und Mittenwald

… Wenden wir uns einmal unseren ständigen ungebetenen BegleiterInnen zu – der bayrischen Polizei.

Es ist ja so: Immer wieder, wenn mensch in politischen Angelegenheiten nach Bayern kommt, ist mensch schockiert, wie SCHLECHT die „OrdnungshüterInnen“ hier ausgebildet zu sein scheinen. Sie missachten Grundrechte, halten sich nicht an Gesetze und pfeifen auf Gerichtsurteile – oder kennen diese nicht einmal. Darum hier zu Beginn eine kleine Rechtsbelehrung für die uniformier-
ten Demo-Rand-Erscheinungen. Jawohl, Polizistinnen und Polizistren, sperren Sie ruhig die Ohren auf!

1. Die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz) ist eine der höchsten Freiheiten. Im Versamm-
lungsGESETZ ist niedergelegt, wie diese Freiheit ausgestaltet wird. Darin ist z.B: festgelegt, dass PolizistInnen sich auf Demonstrationen ZU ERKENNEN GEBEN MÜSSEN! (§12 Versg) Folge-
rung: Zivis raus! LKA und Staatsanwaltschaft RAUS aus der Demo!

Zudem ist festgehalten und durch das sogenannte „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungs-
gerichts ausdrücklich bekräftigt worden, dass es GANZ und GAR nicht geht, dass eine Versamm-
lung dauerhaft mit Film, Foto oder Tonaufnahmen überwacht wird, sondern §12a des Versamm-
lungsgesetzes sagt:

„Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öf-
fentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn TATSÄCHLICHE Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen ERHEBLICHE Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen.“

Das Bundesverfassungsgericht fügt hinzu: „Es sind strenge Anforderungen an die anzustellende Gefahrenprognose zu erfüllen. Verdacht oder Vermutungen reichen NICHT aus, vielmehr muss die Prognose auf KONKRETEN Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten beruhen."

Der Datenschutzbeauftragte Bayerns kommt zu dem Schluss: „Es dürfen also z.B. nicht der Ge-
samtverlauf oder friedliche Abschnitte einer Demonstration nur deshalb festgehalten werden, um etwa das Einsatzkonzept der Polizei oder die allgemeine Situation und Entwicklung des Aufzuges zu belegen. „Also: Kameras weg!“

Dass die Randbegrünung hier den Aufforderungen und der eindeutigen Gesetzeslage NICHT nachkommt, zeigt, wie weit sich diese bewaffneten Einheiten schon von der Grundlage dessen entfernt haben, was sie zu vertreten vorgeben: dem Gesetz …

2. Versammlungsrecht BRICHT Polizeirecht. Es steht höher als das PolizeiAufgabenGesetz (PAG). Das bedeutet zum Beispiel, dass es NICHT möglich ist, jemandem auf dem Weg zu einer Ver-
sammlung oder als TeilnehmerIn einer solchen einen Platzverweis zu erteilen.

Es geht auch NICHT, eine Versammlung zu kesseln, denn davor muss sie aufgelöst werden UND der freie Abzug der TeilnehmerInnen MUSS gewährleistet sein. Dies gilt auch dann, wenn die Versammlung VERBOTEN war (AG Dannenberg). Schließhch ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Oberlandesgerichts Celle (NJW 1992 2163, 17 W 40/02) eine Kesselung eine willkürliche Ingewahrsamnahme und damit Freiheitsentziehung, welche einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellt. Daher muss, unerheblich von der Dauer dieses Grundrechtseingriffs, eine richterliche Entscheidung zur Zulässigkeit herbeigeführt werden." AG Dannenberg, (Aktz. 39 XIV 525/02L, 21.05.04) Weitere Urteile, in denen Polizeikessel und In-
gewahrsamnahmen als rechtswidrig verurteilt wurden, finden sich Hunderte, z.B.: OLG Braun-
schweig Oktober 2006, VG Köln 2006 (Grenzcamp Urteil), OVG Münster, VG Hamburg 2442/86 1986, LG München 1994. Das Verwaltungsgericht Köln stellte dabei ausdrücklich fest, dass eine Ingewahrsamnahme rechtswidrig ist, wenn die Identität vor Ort mit Hilfe des Personalausweises festgestellt werden kann!

Also: Schluss mit dem ständigen Verschleppen auf Polizeirwachen!

Außerdem gehört zum Betreten und Verlassen einer Versammlung unter freiem Himmel, dass mensch sie 1. jederzeit betreten und 2. jederzeit verlassen können muss – und zwar ANONYM! Dieses Recht verwirkt mensch erst dann, wenn mensch stört oder „gewalttätig wird“, sprich: WIR ALLE hatten heute das eindeutige Recht, ob mit abweichender oder gleicher Meinung, an der Versammlung oder dem Gottesdienst auf dem Hohen Brendten teilzunehmen – solange bis es einen handfesten GRUND gibt, uns auszuschließen!

Einen Zwang, an einer Versammlung teilzunehmen. gibt es übrigens nicht.

Das Versammlungsrecht ist keine Erfindung, um PolizistInnen zu nerven, sondern eine zentrale Grundfreiheit.

VersammlungsteilnehmerInnen sind keine Störer, Chaoten, Krawallmacher, Berufsdemonstranten oder sonst was, sondern VersammlungsteilnehmerInnen. Menschen, die ein Grundrecht wahrneh-
men. Entsprechend hat sich der Staat zu gebärden. Nämlich: Sich zurücknehmen, den Verkehr re-
geln und ansonsten die Fresse halten.

Soweit die kleine Rechtsschule für uniformierte StaatsdienerInnen.

Schauen wir uns mal genauer an, mit wem wir es zu tun haben. Nehmen wir zum Beispiel das USK Dachau, das hier regelmäßig anzutreffen ist. Aufstandsbekämpfungs-Sondereinheit, 22. Hundert-
schaft der Bereitschaftspolizei Bayern – oder wie die das genau in ihrem militaristischen Jargon nennen. Diese 22. Hundertschaft ist in Dachau ansässig.

Dachau, diesen Ort kennen wir woanders her. Es ist der Ort, an dem die Rote Armee der bayri-
schen Räterepublik 1919 einen Sieg gegen die faschistischen weißen Truppen erringen konnte . Das haben die Faschisten nie vergessen und so errichteten sie schon am 22. März 1933, keine 2 Monate nach der Machtergreifung Hitlers, dort das allererste KZ. Aus Rache für 1919, erzählt mensch sich in München. Die Häftlinge dieses KZs wurden bekanntlich kurz vor Kriegsende noch auf jenen To-
desmarsch geschickt, der nirgendwo anders als HIER in Mittenwald endete. Heute ist ein Teil dieses KZs eine Gedenkstätte.

Nur der Häftlingsbereich: die Baracken, die Strafzellen, der Appellplatz, das Krematorium, all das, so wie es war, steht da, ist eine Gedenkstätte. Große Teile des Bereiches, wo die Zwangsarbeiten etc stattfanden, sind heute Wiesen, Felder, bebaut etc. Fehlt noch der Bereich, in dem die SS-Lager-
kommandantur gewohnt und gewaltet hat. Auch diese Gebäude gibt es noch, sie sind sogar in einem exzellenten Zustand!

Und darin ist seit 1965 niemand anderes untergebracht als die sechste Abteilung der bayrischen Beeitschaftspolizei und das USK Dachau. Sie schlafen in den SS-Häusern, sie stellen ihre Autos in die SS-Garagen und jeden Morgen, wenn sie aufwachen, schauen sie auf das KZ. Und seitdem das USK nicht mehr grün gewandet ist, sondern schwarz (angeblich handelt es sich um ein sehr dunk-
les Blau, weil Schwarz geschichtlich so vorbelastet sei …), seitdem haben sie auch die „richrigen“ Klamotten für den Ort.

Und dann fahren sie hier her, um die Geschichte zu wiederholen als Farce, stellen sich hier auf, schwarz gekleidet und in Waffen, und beschützen die Täter von damals als Verbündete von heute, drangsalieren die Überlebenden von damals und ihre Verbündeten von heute – uns …

Die bayrische Polizei, und mit ihr LandrätInnen, Verwaltung, PolitikerInnen, gibt sich alle Mühe, diesen antifaschistischen Protest zu behindern, wo es nur geht.

Einige Beispiele. Zum Beispiel klingelte neulich beim Provider der Mittenwald-Mobilisierungs-Homepage das Telefon. Dran war irgendwer von irgendeiner Polizeidienststelle, der sagte, auf Grund „eventuell strafrechtlich relevanter Inhalte“ müsse die Mittenwald-Seite gesperrt werden. Genaueres wurde nicht genannt. Aus Angst davor, dass die Polizei ihm seine Server klaut, tat der Provider wie ihm geheißen. Anruf genügt wohl heutzutage. Einen schriftlichen Bescheid gibt es bis heute nicht.

Anlass für diese Internet-Zensur war ein Artikel über ein Strafverfahren wegen „Verunglimpfung des Staates“. Die Parole „BRD Bullenstaat, wir haben Dich zum Kotzen satt“ hatte vor 2 Jahren hier in Mittenwald den völlig überzogenen und schikanösen Tageseinsatz der Polizei quittiert. Diese konnte das nicht auf sich sitzen lassen, einige Leute wurden festgenommen (vom USK Dachau übrigens), manchen sogar die Fingerabdrücke genommen (wegen einer Parole!) und Strafverfahren eröffnet, Strafbefehle erlassen. Eines dieser Verfahren befindet sich momentan auf dem Weg durch alle Instanzen, in der Hoffnung, dass die Justiz jenseits des Weisswurstäquators mit mehr Verstand gesegnet ist als die im schönen Bayernland.

Es geht immer so weiter, es gibt solch absurde Beispiele von Repression in Mittenwald wie Sand am mehr: Menschen bekommen nicht nur Platz-, sondern „Bergverweise“, öffentliche Straßen werden zu „Privatstraßen des Bundes“ (-hä?) erklärt, Kundgebungen mit Flatterband umzäunt etc etc etc.

Ein letztes Beispiel. Letztes Jahr wird ein Mensch hier in Mittenwald von der Polizei durchsucht. Bei sich trägt er Flugblätter für eine Lesung. Das Buch, das gelesen werden soll, handelt von Pa-
rallelen zwischen national-sozialistischer und islamistischer Ideologie. Auf dem Cover des Buches befindet sich ein Bild von Islamisten, die den Arm zum Hitlergruß ausstrecken. Weil das Buch, so wie es überall frei erhältlich ist, auch auf den Flugblättern abgebildet war, erhält der Genosse eine Anzeige wegen der Verwendung verfassungswidriger Zeichen.

Gut, dass manche uniformierte Staatsdiener nicht mit allzuviel Denkvermögen ausgezeichnet sind, ist nirgendwo auf der Welt eine große Neuigkeit. Aber dass ein Richter, immerhin jemand, dem man allgemeine juristische Kenntnisse zutraut, den Betroffenen tatsächlich verurteilt, ist nur mit Dummheit nicht zu erklären.

Das alles passiert ja nicht im luftleeren Raum.

Es ist der autoritäre und staatsfetischistische Charakter deutscher Beamter und anderer Unterta-
nen, der kein Abweichen von der Norm erlaubt und jede Verletzung einer Vorschrift, und sei sie noch so klein und nichtig, ahnden muss. Dahinter steckt der unbedingte Wille einer zutiefst rechtskonservativen, patriarchalen, autoritären und kleinkarierten, ekligen deutschen Gesellschaft, politisch Andersdenkende zu verfolgen, zu kriminalisieren und einzuschüchtern. Eine Gesellschaft, die sich nie wirklich von ihren faschistischen Wurzeln emanzipiert hat, eine Gesellschaft, in der überzeugte Nazis nach dem Krieg noch einmal Karriere machten und Kriegsverbrecher bis heute offen und unbestraft herumlaufen und sogar noch staatlich hofiert werden …

Wir fordern ein verpflichtendes Praktikum beim Bundesverfassungsgericht für alle bayrischen PolizeibeamtInnen! …

Rehzi


Münchner Lokalberichte 1213 vom 20. Juni 2007, 8 f.

Überraschung

Jahr: 2007
Bereich: Bundeswehr