Flusslandschaft 2019

Bundeswehr

„Was wir gerade erleben, ist für mich der Hirntod der NATO“, sagt am 7. November der französi-
sche Präsident Macron in einem Interview mit dem englischen Magazin The Economist wenige Wochen vor dem Nato-Gipfel zum siebzigjährigen Jubiläum der Allianz. Bundesverteidigungsmi-
nisterin Kramp-Karrenbauer spricht am selben Tag vor 500 Angehörigen der Universität der Bun-
deswehr
. Sie meint angesichts der vielen globalen Verwerfungen: „Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen.“1 Ulrich Gellermann schreibt dazu in der rationalgalerie.de am 11. November: „Hirntod: Jüngst stand die Rüstungsministerin in München vor rund 500 Angehörigen der Universität der Bundes-
wehr und schrillte in die Luft: ‚Wir erleben autoritäre Herausforderungen gegenüber unserer offe-
nen Gesellschaft.‘ Gemeint waren Russland und China. Und um Missverständnisse zu vermeiden: ‚Wir sind zum Beispiel der zweitgrößte Truppensteller bei der Mission in Afghanistan.‘ Und weiter: ‚Denn natürlich hat Deutschland wie jeder Staat der Welt eigene strategische Interessen. Zum Bei-
spiel als global vernetzte Handelsnation im Herzen Europas.‘ – So ist das bei Zombies: Der Mund redet noch, die Gehirnfunktion ist längst weg. Kein gesunder Mensch würde die Offiziere der eige-
nen Armee zur Gefolgschaft mit den USA im Kampf gegen Russland und China aufrufen. Kein funktionierendes Gehirn würde den Gedanken an einen Handelskrieg an der Seite der USA den-
ken: Den Krieg mit dem Iran zum Beispiel, der in Vorbereitung ist. Der Krieg um die Straße von Hormus. – Doch der deutsche Zombie, angesteckt von den USA, geht weiter: ‚Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität.‘ Kramp-Karrenbauer hetzt die Offiziere auf, den Machtanspruch der USA im Pazifi-
schen Raum mit ‚Solidarität‘ zu begleiten. Mit jener Solidarität, die Leib und Leben kostet. Mit jener Solidarität, die in Afghanistan längst zu Tode geritten ist und bei der Ministerin immer noch einen kranken Stolz auf den ‚zweitgrößten Truppensteller‘ auslöst. Die NATO ist der höchste Aus-
druck des sterbenden Kapitalismus, eines Systems, dass seine Profite mit Krieg und Kriegsandro-
hung erzielt. Ein System, das seine Staaten bei lebendigem Leib auffrisst. Ein System, dass die ato-
mare Vernichtung der Erde riskiert, um die eigene Herrschaft bis zum Ende des kapitalistischen Horrorfilms zu zementieren.“2


Die Erhöhung der Rüstungsausgaben und die weltweiten Einsätze der Bundeswehr (Mali, Afgha-
nistan u.a.) werden von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung abgelehnt. Um die öffentliche Meinung zu drehen, werden also wieder einmal Ehrenkreuze verliehen, Heldenge­denk­feiern und öffentliche Bundeswehr-Propagandashows veranstaltet. Dabei würde die Zer­schla­gung der rechten Netzwerke innerhalb der Armee mit Sicherheit eher dafür sorgen, dass die Soldaten auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, als wenn man sie einen öffentlichen Eid aufsagen lässt. Das öffentliche Militärspektakel im Hofgarten verdient weder Beifall noch schweigende Zustimmung, sondern den lautstarken Protest der Münchner Bevölkerung:
- keine öffentlichen Militärzeremonien! Kein Werben fürs Töten und Sterben!
- Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr! Stopp aller Rüstungsexporte!
- Zerschlagung der rechten Netzwerke in der Bundeswehr!
- Sozialleistungen erhöhen, Militärausgaben reduzieren!
Bei der Protestkundgebung am Montag, 18. November, um 17 Uhr auf dem Odeonsplatz sind einige Hundert versammelt. Beim Haupteingang zum Hofgarten kontrolliert die Militärpolizei die Einla-
dungen derer, die am Gelöbnis teilnehmen. Schon bald entdecken einige Demonstranten, dass sie wenige Meter nördlich des Eingangs unter den wachsamen Augen von Polizisten ebenfalls in den Hofgarten gelangen. Hier ist weiträumig abgesperrt. Wer eingeladen ist, steht nahe bei der ange-
tretenen Militärformation, dann, um einiges weiter entfernt, können auch Nichteingeladene ste-
hen. Hier wimmelt es allerdings von Polizisten in Zivil und in Uniform. Manchmal artikuliert sich Protest. Einige singen bei getragenen Weisen der Militärkapelle „Ein Prosit, ein Prosit der Gemüt-
lichkeit“. Ansprachen werden von Zwischenrufen unterbrochen. Etwa 100 Menschen protestieren. Schwarz Uniformierte versuchen die Störenfriede einzukreisen. Eine Taktik der Polizeibeamten ist, die Zwischenrufer in Gespräche zu verwickeln. Ein Polizist des „Kommunikationsteams“ meint zu einer jungen Frau, ob sie nicht auch tolerieren könnte, dass Leute da wären, die die Feier schön fänden. Die Frau antwortet, die Bundeswehr, die Regierung und die Veranstalter hätten Geld und Macht und damit die Infrastruktur, ihre Propaganda überall zu verbreiten, sie sei da und habe nur ihre Stimme. Berittene Polizei beobachtet und filmt. Kommandos ertönen, die bei Demonstranten johlendes Gelächter auslösen. Als Ministerpräsident Söder von der friedenstiftenden Rolle der Bundeswehr und von der unverbrüchlichen Freundschaft zu den Vereinigten Staaten spricht, ruft ein Demonstrant laut dazwischen. Der vor ihm stehende Polizist dreht sich um und schnarrt, er wolle nicht, dass man ihm ins Ohr brülle. Beide starren sich an, dann dreht sich der Polizist wieder um. Ganz offensichtlich haben die demonstrierenden Frauen und Männer unter den Augen der massenhaft vertretenen Staatsmacht den Bogen nicht überspannt, aber alle Möglichkeiten zum Protest ausgeschöpft. Insgesamt sind rund 400 Polizisten im Einsatz.3

CSU-Generalsekretär Markus Blume kritisiert den Protest gegen das Gelöbnis. Konstantin Wecker antwortet: „Nach mehr als zehn Jahren haben nun in München erstmals wieder Bundeswehrsolda-
ten ein öffentliches Gelöbnis abgelegt. Alles, was den Militarismus wieder in den Vordergrund rückt und salonfähig macht, ist mir suspekt, denn, wie Kurt Tucholsky so treffend formuliert hat: ‚Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg.‘ Meine Stellungnah-
me gegen dieses militärische Schauspiel gefiel dem CSU-Generalsekretär Markus Blume wohl nicht: ‚Die Diskreditierung unserer Soldatinnen und Soldaten, die für unsere Werte den Kopf hin-
halten, ist unerträglich … Wer ein offizielles Gelöbnis mit neuem Militarismus in Verbindung bringt, dem scheint es die Sinne vernebelt zu haben.‘ Nun erlaube ich mir, mich zu fragen, wem was denn nun die Sinne vernebelt? Immer wieder versuche ich darauf hinzuweisen, dass wir die Deutungshoheit der Worte nicht den Herrschenden überlassen dürfen. Seit Jahrhunderten ver-
suchen sie uns einzutrichtern, dass Waffen Frieden schaffen und Militarismus und der dazu gehö-
rige bedingungslose Gehorsam notwendig sei für eine friedliche Welt. Wie ‚friedlich‘ die Welt ist, können ist wir ja sehen, wenn wir es wagen, nur ein bisschen über unseren Tellerrand zu blicken. Wie viele großartige DenkerInnen und DichterInnen haben uns spätestens nach dem Ersten Weltkrieg nicht davor gewarnt uns die Sinne von diesen angeblich so klar denkenden, ach so ver-
nünftigen Politikern und Generälen vernebeln zu lassen? Die Gelöbnisse sollen dazu dienen, in der Bevölkerung Verständnis für die Kriegseinsätze der Bundeswehr zu erzeugen. Ich möchte aber ge-
nau das Gegenteil erreichen. Die Rekruten geloben ‚das Recht und die Freiheit des deutschen Vol-
kes tapfer zu verteidigen‘. Das ist schon lange nichts anderes als reine Propaganda. Die aktuellen Kriege werden alle aus wirtschaftlichen Interessen und um die militärische Sicherung von Ressour-
cen geführt. In dieser Zeit müssen wir alle unsere Stimme erheben, gegen den Wahn, Kriege zu führen, Menschen zu töten und ganze Regionen zu verwüsten. Die Antwort auf Krieg kann nur die Gewaltlosigkeit sein und schon gar keine Verherrlichung des Militärs, der Institution, deren vor-
rangiges Ziel die Entmenschlichung des Menschen ist!“4

Manfred Ach: „Die Werbung für Waschmittel ist ehrlicher als die für den Weltfrieden.“5

(zuletzt geändert am 27.11.2019)


1 https://www.bmvg.de/de/aktuelles/rede-der-ministerin-an-der-universitaet-der-bundeswehr-muenchen-146670

2 Zit. in: Das Krokodil. Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens, bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch 31 vom Dezember 2019, Köln, 26 f.

3 Siehe die Fotos vom „gelöbnix_1“ von Peter Brüning und vom „gelöbnix_2“ von Franz Gans. Siehe dazu auch:
https://www.tz.de/muenchen/muenchen-hofgarten-geloebnis-protest-bundeswehr-konstantin-wecker-zr-13226835.html
https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigung-muenchen-bundeswehr-geloebnis-in-muenchen-und-friedlicher-protest-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191118-99-784133
https://www.jungewelt.de/artikel/367493.m%C3%BCnchen-protest-gegen-milit%C3%A4rschauspiel.html

4 https://wecker.de/de/weckers-welt/item/823-Die-Antwort-auf-Krieg.html

5 Zorn 2/2019, 6, Hambach.

Überraschung

Jahr: 2019
Bereich: Bundeswehr