Materialien 1977

Prozess gegen Todesschützen der Polizei

Am 12.12.1977 fand in München der Prozess gegen den Polizisten Klaus Hanisch statt, der im Som-
mer bei einer Verkehrskontrolle den türkischen Jugendlichen Sedat Kirmizi erschossen hatte. Während in Fällen, in denen Polizisten erschossen werden, die kleinste Bewegung des Todesschüt-
zen ausreicht, um ihn lebenslänglich hinter Gitter zu bringen, endete dieser Prozess mit 8 Monaten auf Bewährung für K. Hanisch.

Das Gericht widersprach dessen Angaben über den Todesschuss nicht. Hanisch hatte ausgeführt, Kirmizi, der von ihm vorher schon nach Waffen durchsucht worden war, sei von ihm mit der Pisto-
le im Anschlag von der Autobahn zur Leitplanke dirigiert worden. Er wollte ihn dort noch mal gründlicher untersuchen. Kirmizi jedoch sei bei der Leitplanke gestolpert, nach vorne gefallen und hätte dabei mit den Händen nach hinten (!) gegriffen, anscheinend, um Halt zu suchen. Dabei sei er – oh Wunder – versehentlich mit den Fingern gegen den Abzug der Pistole geraten, wodurch sich der tödliche Schuss gelöst habe.

Diese Ausführung des Polizisten wurde vom Gericht akzeptiert – in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten!

Nun weiß aber jedes Kind, dass man normalerweise, fällt man nach vorne, auch die Hände nach vorne streckt, um den Sturz aufzuhalten, und auch, dass der Abzug einer Pistole nach rückwärts geschoben werden muss, um einen Schuss zu lösen. Wird der Hebel nach vorne geschoben, ist es schlechterdings unmöglich zu schießen.

Es würde sicherlich unter „böswillige Verächtlichmachung der BRD und ihrer verfassungsmäßigen Organe“ fallen, würde man diesem Gericht unterstellen, es wüsste das nicht. Nimmt man jedoch an, dass dem Gericht dies klar ist, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass hier nicht etwa „im Zweifel für den Angeklagten“ „Recht“ gesprochen wurde, sondern „ohne Zweifel für den Polizei-
staat“.

Der Verteidiger des Todesschützen, Brandl, hatte dieses Klima auch sofort richtig eingeschätzt und entsprechend plädiert. So ging er darauf ein, dass man Schluss machen müsse, Verkehrsdelikte zu verharmlosen. Schließlich würden ja nicht nur einfache Bürger die Autobahnen und Straßen be-
nutzen, sondern auch Terroristen. Und ein Polizist kann nur dann sicher sein, keinen Terroristen (die schon viele wehrlose Polizisten mit MP‘s niedergeknallt hätten) vor sich zu haben, wenn er den Betreffenden völlig überprüft habe. Zudem ist von höchster Stelle dem Polizisten eine Anweisung erteilt worden, bei Verkehrskontrollen die Waffen zu zücken. Man könne dem Angeklagten auch nicht vorwerfen, dass er – was der Nebenkläger im Gegensatz zum Todesschützer behauptet hatte – die Pistole gespannt getragen habe. Denn mittlerweile würden zunehmend Polizeiwaffen ohne Sicherungshebel an die Beamten ausgegeben. Denn in kritischen Situationen entscheidet oft ein Bruchteil einer Sekunde!

Das sah dann auch das Gericht ein. Aber sicherlich auch in Anbetracht der zahlreich erschienenen Presse, auch der türkischen, erging ein Urteil über 8 Monate … Grund: Hanisch hätte – nachdem er Kirmizi durchsucht hat – nicht mehr die Waffe ziehen müssen. Er hätte sein Opfer auch anders zur Leitplanke verbringen können. Darin habe die Fahrlässigkeit der Tötung bestanden.

Mit unglaublichem Zynismus und Menschenverachtung ist dieser Prozess von Verteidigung und Gericht durchgezogen worden. Besonders der Verteidiger erging sich in Lobesreden über den Po-
lizisten, der ja so unglaublich um das Wohl Kirmizis bedacht gewesen sei, ihn sogar zur Leitplanke verbracht habe, um ihn vor dem fließenden Verkehr zu schützen. Dieser Todesschuss sei ein tragi-
scher Unglücksfall gewesen, zu dem beide (!), der Polizist und der Türke, beigetragen hätten. Schuld daran hätte aber keiner von beiden, schon gar nicht der Todesschütze!

Mit Urteilen dieser Art wird die Schwelle, die einen Polizisten noch hindern mag abzudrücken, immer mehr reduziert. Durch Anweisungen von oben, selbst bei normalen Verkehrskontrollen die Waffe zu ziehen, die Ausgabe von Pistolen ohne Sicherungshebel – damit wird die ständig wach-
sende Zahl der von Polizisten erschossenen Bürger geradezu vorprogrammiert. In diesem Zusam-
menhang kommt besonders dem Kampf gegen das geplante einheitliche Polizeigesetz besondere Bedeutung zu.

Rote Hilfe e.V., München


Künstlergemeinschaft Erich Mühsam (Hg.), Entwicklungen, München 1978, 125 ff.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Bürgerrechte