Materialien 2019

Die trübe Quelle

Stellungnahme zur einzigen Entscheidungsgrundlage des FA Berlin: der Nennung des bayrischen Landesverbandes der VVN-BdA im bayrischen Landesverfassungsschutzbericht und deren Bestä-
tigung durch die 22. Kammer des Verwaltungsgerichts München und die Nichtzulassung einer Berufung durch den 10. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes.

Nachdem das Finanzamt Berlin der VVN-BdA den Entzug der steuerlichen Gemeinnützigkeit an-
gekündigt hatte, wurde ich gebeten, eine Inhaltsanalyse der Münchner Entscheidungen abzugeben, die in der Bundesrepublik allein stehen und auf die sich das FA Berlin allein beruft.

Ich hatte seit 1972 die durch ihre VVN-Mitgliedschaft „belasteten“ Berufsverbotsbetroffenen an-
waltlich mit politisch-historischen Argumenten erfolgreich vertreten. Im Verfahren des bayrischen Landesverbandes der VVN war ich nicht mandatiert. Die folgende Einschätzung beruht auf der Einsicht in die Urteile und sonstigen Prozessmaterialien und Rücksprache mit den Prozessanwäl-
ten.

Sie befasst sich nicht mit den (vorhandenen) Verstößen gegen geltendes Verwaltungsverfahrens- und -prozessrecht, sondern den entscheidungsbegründenden politischen Ideologemen und deren rechtslastiger Ausprägung.

Zum „verfassungsfeindlichen Antifaschismus“ der VVN-BdA

Die vermeintliche Kernthese der VVN, dass alle nicht-marxistischen, auch parlamentarischen Sy-
steme als potentiell faschistisch zu bekämpfen seien, leitet das bayrische Verfassungsschutzamt – und das ist ein Alleinstellungsmerkmal: Kein anderes Verfassungsschutzamt in Bund und Ländern diskriminiert derzeit die VVN! – keineswegs schöpfend aus eigenen Ermittlungen oder Unterlagen und Äußerungen der VVN, sondern es nutzt ausschließlich die in der Natur der historischen Sache liegenden Tatsache, dass Kommunisten mit einem 30 % Anteil dort im Vergleich zur Durch-
schnittsbevölkerung überrepräsentiert sind und diese, keineswegs die zahlreichen SPD-Abgeord-
neten und Christen, dort angeblich eine derartige Überzeugung einbrächten.

Das bayrische Verfassungsschutzamt treibt damit dieses Mal seine bekannte Parteinahme für die „Geschichtsrevisionisten“ ins Absurde und Makabre. Kurz gesagt: Wer diesen der VVN unterstell-
ten Standpunkt, der Faschismus sei letztlich nur durch die soziale Revolution zu besiegen, noch nach dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale einnahm oder zuvor in heraus-
gehobener Position eingenommen hatte, wurde von Stalin ermordet; und eben dies ist umgekehrt den stalinistischen Verbrechen zuzuordnen. Zwei nach Moskau geflüchtete Reichstagsabgeordnete (Neumann u. Remmele) und viele andere fielen dem zum Opfer.

Der VII. Weltkongress der kommunistischen Internationale vom Juli 1935 hat vielmehr die Linie vertreten, es bedürfe zur Abwehr des Faschismus einer linken Einheitsfront, der Aktionseinheit aller sozialistischen und demokratischen Parteien und der Unterstützung der Bildung von Regie-
rungen dieser Einheitsfront. Dies wurde in der Folge auch in die Tat umgesetzt.

Zum Beispiel schildern alle ernstzunehmenden Werke über den spanischen Bürgerkrieg (auch der anschauliche Film von Ken Loach), dass die vom bayrischen Verfassungsschutz der VVN unter-
schobene Gegenposition – angeblich notwendiger Einheit von sozialer Revolution gegen Groß-
grundbesitz/Kirche/Militär und Kampf gegen die faschistischen Putschisten und deutsch/italie-
nische Interventionstruppen – zwar bei syndikalistischen, anarchistischen, POUM-Kräften, Trotzkisten vertreten wurden (sogar durch desaströse Meutereien hinter der Front, so im einge-
schlossenen Barcelona), dass sie insoweit aber erbittert von den Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerlichen Demokraten bekämpft wurden. Diese kämpften Seit‘ an Seit‘ sowohl in der lega-
len republikanischen Armee wie in den Internationalen Brigaden gegen den faschistischen Franco-Putsch.

Manche nehmen an, dass diese Beschränkung der Kommunisten auf die ausschließliche Unter-
stützung der gewählten, verfassungsmäßigen bürgerlich-sozialdemokratischen Koalitionsregierung „taktische“ Gründe hatte: nämlich aus Furcht vor den bevorstehenden Hitler-Aggressionen auf keinen Fall die westlichen Regierungen zu verschrecken und in falsche Koalitionen zu treiben. Tatsächlich aber wurde es zum tragfähigen Kerngedanken des Antifaschismus, dass die richtigen Verbündeten nicht die bürgerliche Demokratie und der Faschismus seien (so vertreten von der „Abendländischen Akademie“, anderen rechtsradikalen Organisationen, den „Geschichtsrevi-
sionisten“ Ernst Nolte und seinem Veldensteiner Kreis, dem Verfassungsschutzbehörden ihr „Jahrbuch des Extremismus“ überantworteten, und vor allem der NS-verstrickten Gründergene-
ration unserer Geheimdienste), sondern dies seien die bürgerliche Demokratie und der Sozialis-
mus, wie vor allem die Anti-Hitler-Koalition bewiesen habe. Roosevelt erklärte seinen New Deal zum bürgerlichen „nicht-faschistischen Weg der Bewältigung der schwersten Krise unserer Wirt-
schaft (our business system) und Gesellschaft“, was Sozialisten/Kommunisten hochschätzten. Ge-
rade der vom Verfassungsschutz herangezogene Hauptanklagepunkt, die Dimitroff-Rede auf dem VII. EKKI-Kongress von 1935, präzisiert die von ihm so genannte „winzig schmale Machtbasis des Faschismus“, als den chauvinistischen, aggressivsten etc. Flügel des Finanzkapitals. Andere mehr-
heitliche Kräfte innerhalb des Kapitalismus stünden jedoch interessenmäßig und objektiv ge-
winnbar auf einer anderen (somit nicht faschistischen) Seite.

Der VVN-BdA eine Überzeugung oder auch nur Tendenz zu unterstellen, sie bekämpfe die parla-
mentarische Demokratie, hielte den Faschismus für eine notwendige Folge aller nicht-marxisti-
schen Systeme, in Sonderheit des Kapitalismus, der nur durch eine soziale Revolution besiegt, verhindert und wirksam bekämpft werden könne, geht an der Geschichte des Antifaschismus, am Statut, den Dokumenten, dem Auftreten der VVN-BdA, vor allem auch der Mentalität der aller-
meisten Mitglieder vorbei.

Die VVN-BdA hat sich immer für die parlamentarische Demokratie eingesetzt. Es gibt nicht den leisesten substanzielle oder historische Ansatz dafür, dass der Antifaschismus der VVN nicht die parlamentarische Demokratie in ihrem Eigenwert und ihrem prinzipiellen Gegensatz zu faschi-
stischen Herrschaftsform verfochten hätte.

Schwerpunkt der VVN-BdA ist derzeit die von zahlreichen Parteien (SPD, Grüne/Bündnis 90, Die Linke, DKP) und zivilgesellschaftlichen Verbänden mitgetragene oder unterstützte Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“. Dabei wird ihr von „links“ der Vorwurf gemacht, sich damit gegen die „armen Teufel“ mißleiteter Opfer des Monopolkapitals anstatt erstrangig gegen diesen selbst als interessengeleiteten Urheber von Massenverarmung und Demagogie zu wenden.

Auch die bekanntesten VVN-kritischen wissenschaftlichen Untersuchungen unter dem Sammelti-
tel „Antifa heißt Luftangriff“ (Susann Witt-Stahl & Michael Sommer (Hrsg.) 2014 macht der VVN diesen Vorwurf, darüber hinaus: die VVN-BdA verlasse sich ganz auf staatliche Kräfte zur Bekämp-
fung der Nazis und vergesse die notwendige sozioökonomische Revolution.

Dass die VVN eine solche Position mit Nachdruck ablehnt, bedeutet jedoch nicht, dass sie die „ge-
schichtsrevisionistische“ Prämisse das bayrischen Verfassungsschutzamtes teilt, die Darstellung eines spezifischen Zusammenhangs bestimmter Formen und Entwicklungen des Kapitalismus mit dem Faschismus sei verfassungsfeindlich und negiere die parlamentarische Demokratie. Es ist eine extreme, wissenschaftlich bestenfalls randständige Position.

Hohe Anerkennung genießt heute noch die politologische Basisschrift des im übrigen marxismus-
kritischen Prof. Wolfgang-Fritz Haug „Der hilflose Antifaschismus“ von 1967 (d.h. der Antifaschis-
mus sei hilflos, weil er sich in den fünfziger Jahren nicht getraut habe, sich geistig der sozioökono-
mischen Grundlage, dem Kapitalismus bzw. Imperialismus zu widmen), die sich als Gegenentwurf gegen den anthropologisch-psychoanalytischen Ansatz der – ebenfalls links stehenden – Alexander und Margarete Mitscherlich in „Die Unfähigkeit zu trauern“ (1964) versteht.

Die VVN hat sich immer dahin positioniert, die Auseinandersetzung für wissenschaftlich etabliert und verfassungspolitisch hochwertig zu halten.

Es gibt keine sozialdemokratische Faschismusanalyse oder -theorie, die den Faschismus nicht ausdrücklich aus dem Kapitalismus herleitet. Selbst solche auf die Novemberrevolution speziali-sierten sozialdemokratischen Historiker, wie namentlich Eberhard Kolb, Reinhard Rürup, Peter von Oertzen und zuvor Helga Grebing, die das damalige Bündnis der SPD-Führung mit den rechten Machteliten nicht verurteilen wollen und damit auf Kritik stoßen, sehen ausdrücklich das „Mitverschulden” der SPD am Sieg des Nationalsozialsmus darin, dass sie die „Gestaltungsmög-lichkeiten der Weimarer Verfassung” nicht zur Änderung der „sozialökonomischen Grundlagen” genutzt haben. Schon diese, die „politische Mitte” für sich reklamierende Darstellung bewegt sich mithin hart am staatlichen Ächtungsverdikt, das Verfassungsschutz und Verwaltungsgerichte in München hier beanspruchen.

Die Rückführung des Faschismus auf eine spezifische Konstellation des Kapitalismus durch die Faschismusspezialisten Wolfgang Abendrot und Reinhard Kühnl hat Professor Hans Buchheim (CDU und Zentralkomitee deutscher Katholiken) vor der Hanns-Seidel-Stiftung als „zu pauschal, aber wissenschaftlich keinesfalls einfach ablehnungswürdig” anerkannt. Schon dies schließt die hoheitliche Ächtung einer Wissenschaftsrichtung aus, da ansonsten die beiden als „Verfassungs-
feinde” ja niemals zu Ordinarien hätten berufen werden dürfen.

Im SPIEGEL online vom 26.1.2017 schreibt der Augstein-Sohn Jakob Augstein: „… Es ist ein Be-
weis für ein trauriges Gesetz: In seiner Krise gebiert der Kapitalismus den Faschismus.” Dieses in einem Artikel mit dem Titel „Selbstgerechter Protest. Die Vertrumpung der Welt”. Keiner der Juristen-Leserbriefe widersprach. Alle verfassungsfeindlich?

Die „Theoriepäpste” der fünfziger und sechziger Jahre Horkheimer und Adorno wurden wegen ihres zentralen Diktums „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen“ nie der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigt und hatten damit enormen Einflusses auf Studenten, Intellektuelle und Gewerkschafter. Albert Einstein und Thomas Mann maßen dem Kapitalismus wieder und wieder den entscheidenden Schuldanteil am Faschismus zu, und wenn die Konservati-
ve Hannah Arendt den Faschismus als „Bündnis von Kapital und Mob“ definiert, tut sie immer noch dasselbe.

Der erste, umfangreichste und bedeutendste Klassiker „Behemoth“ (1941, USA) des emigrierten Sozialdemokraten Franz L. Neumann mit seiner selbstverständlichen Herleitung des Faschismus aus dem Kapitalismus, gilt in der angelsächsischen Wissenschaft immer noch als weitgehend ver-
bindlich. Siehe auch das dortige Standardwerk des gemäßigten US-Konservativen George W. Hallgarten „Hitler, Reichswehr und die Industrie“. Selbst der einzige angesehene US-Wissen-
schaftler, der den Systemzusammenhang leugnet, Henry Asby Turner zählt umso fleißiger all die Großkapitalisten auf, die die Faschisten hochgebracht haben – gewissermaßen als Phänomen „persönlicher Schuld” – und kommt dem in München geleugneten Systemzusammenhang damit verteufelt nahe.

Schon bei den Berufsverboten wurde in der Sickerschicht subalterner Prozesse, in denen kleine Lehramtsanwärter und Friedhofsgärtner um ihre Existenz ringen mussten, die Historikerdebatte ab 1986, Ernst Nolte und der Veldensteiner Kreis schon vorweggenommen: der Faschismus und seine Kriege als legitime Notwehr gegen eine Revolution, die ihrerseits keine Notwehr der Völker gegen kriegerisches und kolonialistisches Gemetzel war, sondern als terroristische Utopie fru-
strierter Bohemiens vom Himmel geschneit sei.

Antifaschismus war wegen der maßgeblichen Beteiligung prokommunistischer Ideen und Opfer-
gruppen „prinzipiell verfassungsfeindlich“ – denn der Faschismus war unbestreitbar die konse-
quenteste Gegenbewegung gegen die marxistische Gefahr.

In Abkehr von der früheren Strategie, den 20.Juli und den Klerikalismus zum eigentlich und einzig legitimen Widerstand zu erklären, erkennen der bayrische Verfassungsschutz und das Verwal-
tungsgericht München den Hauptanteil der Marxisten am Widerstand heute durchaus an und argumentieren gerade umgekehrt: gerade WEIL es wegen des Hauptanteils der Marxisten an Widerstand und Verfolgung „in der Natur der (historischen) Sache“ liege, dass diese in der VVN überrepräsentiert waren und sind, ergäbe sich eben auch quasi-naturwüchsig, dass dort eben die linken Extremisten überrepräsentiert sind, worauf allein es ankomme. Ihr – wenn man so will – historisches Verdienst müsse ihnen halt heute zum Nachteil gereichen.

Schon in den bayrischen „Berufsverbot“-Verfahren wurden Kinder von Naziopfern, die im Spa-
nienkrieg gekämpft hatten, genötigt, den Franco-Putsch gegen die „bolschewistische“ – gemeint war die verfassungsmäßig gewählte linksbürgerliche – Regierung als Befreiungstat zu loben. Zu dem Großtransparent der von Guido Knopp gezeigten Reichsparteitage: „Macht Deutschland vom Marxismus frei!“ sollten sie bekennen: „Insoweit hatten die Nazis ja recht!“ (Siehe die Festschrift des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Hauptartikel von Eckart Jesse: „Vergangenheits-
bewältigung –eine Delegitimierungsstrategie der Linken“. Hier im Verlag des Verfassungschutzes „Antifaschismus als innen- und außenpolitisches Kampfmittel“ von Horst Helmut Knütter und anderen rechtsradikalen Autoren. Hier die Habilitationsschrift der Verfassungsschutzdirektorin Bettina Blank „Deutschland – einig Antifa ?“, die selbst die FAZ als „Blickverzerrung mit Rechts-
drall“ verrissen hat. Das ist keine „bedauerlicherweise in NSU-Verbrechen verwickelte Sicherheits-
behörde“, sondern von vorne herein eine als Behörde getarnte Anti-Antifa-Organisation mit erheb-
lichen Schnittmengen mit Rechtsradikalen.)

Die zu Professoren hochgehievten Verfassungsschutz- und „Hanns-Seidel-Stiftung“-Autoren geben offenherzig zu erkennen, dass ihr eklatantes wissenschaftliches Defizit durch repressive „Sicher-
heitspolitik“ ausbalanciert werden soll.

Hier liegt auch ein eklatanter verwaltungsrechtlicher Grundfehler dieser Verfahren:

Es geht nicht an, dass in der bayrischen Verwaltungsrechtsprechung die radikalen Positionen des Verfassungsschutzes „Meinungsfreiheit“ wie jede andere Meinung genießen und damit den stren-
gen Maßstäben eines belastenden Verwaltungsaktes entzogen und dann gleichzeitig abgesegnet werden als „Präjudiz“, d.h. letztgültiges und existenzvernichtendes Verdikt im angeblich „unüber-
prüfbaren Ermessensspielraum“ einer angeblichen Fachbehörde für Verfassungsfeindliches, als welche sie gesetzwidrig das Bundesverfassungsgericht abgelöst hat.

Wenn dort der Kapitalismus schlicht in Demokratie umgetauft und jeder Bedingungszusam-
menhang von Kapitalismus und Faschismus zur staatsfeindlichen Lüge erklärt wird, so würden sich dem 90 Prozent aller potentiellen Sachverständigen aus Gesellschaftswissenschaft, Historie und Demokratietheorie widersetzen, seien es sozialliberale Professoren wie W. Wippermann, W. Benz und N. Frei, seien es regierungsnahe Konservative wie H.A. Winkler, wie es ja nicht zuletzt auch pikanterweise gerade die richterlichen Verfasser des KPD-Verbots Martin Drath und Konrad Zweigert in ihren eigens dazu hinterlassenen Gutachten getan haben.

Nein, die immer noch etablierte wissenschaftliche Mehrheitsmeinung, die eben nicht als randstän-
dige Schutzbehauptung toleranzheischender Opfer gedemütigt und bestraft werden darf, muss endlich sichtbar gegen den schleichenden Siegeszug nach wie vor anrüchiger repressiver Minder-
meinungen in Front gebracht werden; denn dort spielt leider die Musik.

Aber vor allem in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit sind es die wenigen, aber lautstarken an-
deren, auch heute noch wenig angesehene Minderheitspositionen. Diese Diskrepanz zum nach wie vor herrschenden wissenschaftlichen Mainstream muss aufbereitet und genutzt werden.

… Dem bayrischen Verfassungsschutz folgend, urteilte das Verwaltungsgericht München 2014, dass ihr auch ohne entsprechende Verbandsdokumente allein durch die Überrepräsentation von Linken – und gerade weil sie eben durchaus in der historisch Sache liege! – ein marxistisches Faschismus-Verständnis zuzurechnen ist, das Faschismus und Kapitalismus in einen Bedin-
gungszusammenhang bringt, womit die Verfassungsordnung bereits in Frage gestellt sei.

Denn im Schwur der Häftlinge von Buchenwald soll ja der „Faschismus mit seinen Wurzeln“ be-
seitigt werde. Mit „Wurzeln“ sei in verfassungsfeindlicher Weise der Kapitalismus gemeint. Alle Demos gegen Pegida und SS-Traditionstreffen, zu denen die VVN mitaufgerufen habe, seien ex-
tremistisch, selbst wenn es keine Demonstrationsdelikte gab.

Denn die Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ richte sich gegen die Meinungsfreiheit der Verfassung. Die bedauerliche Teilnahme des Bundestagspräsidenten Thierse an Blockaden und Kanzler Schröders Ermutigung zum „Aufstand der Anständigen“ sei dieser ge-
fährlichen Sogwirkung des VVN–Antifaschismus geschuldet.

Die in ihr tonangebenden linken Antifaschisten behaupteten, so heißt es, nämlich zweierlei „Grundwidersprüche“: 1. zwischen Kapital und Arbeit, 2. zwischen Produktivkräften und Produk-
tionsverhältnissen. Das allein genüge, um darin den Marxismus-Leninismus zu erkennen, den das KPD-Verbotsurteil angeblich verboten habe.

Seit der Globalisierung, Entstaatlichung, Finanzmarktkrise, Bankendominanz, Deregulierung, Pri-
vatisierung werden wir von hochrangigen Werken überschwemmt, die den Kapitalismus auch als System in Frage stellen und zwar gerade wegen der Aushebelung der Demokratie, auch von promi-
nenten Kapital-Insidern wie dem langjährigen Chefökonom der Weltbank und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz.

Dann wären also weit über die Hälfte westlicher Sozialwissenschaftler „Marxisten-Leninisten“. Im übrigen haben gerade die beiden Verfasser des KPD-Verbots Bundesverfassungsrichter Prof. Mar-
tin Drath und Konrad Zweigert gegutachtet, dass ihr Urteil keineswegs die marxistisch-leninisti-
sche Lehre und jede Art von Kommunismus aus dem Verfassungsbogen entfernen wollte.

Was aber sagen 90 Prozent der Wissenschaft, ob links oder konservativ: Selbstverständlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus! Thomas Mann und Albert Ein-
stein haben ihn leidenschaftlich – wie gesagt – angeklagt. Es existiert keine sozialdemokratische Faschismusanalyse, die das nicht getan hätte. Auch die Konservative Hannah Arendt tut das glei-che, wenn sie den Faschismus als „Bündnis von Kapital und Mob“ definiert. Es sei hier nochmals wiederholt: Die „Theoriepäpste” Adorno und Horkheimer sagen: „Wer vom Kapitalismus nicht sprechen will, soll vom Faschismus schweigen!“

Wenn dort von bayrischen Verfassungsschutz und Münchner Verwaltungsgericht „Kapitalismus“ schlicht in „Demokratie“ umgetauft wird, erhebt dagegen die mehrheitliche Sozialwissenschaft und Demokratietheorie die Anerkennung der Spannung zwischen beiden geradezu zur Voraussetzung demokratischer Gesinnung.

Inzwischen handelt es sich nicht mehr um einen Anti-Antifa-Vorstoß aus der „Ordnungszelle Bay-
ern“ heraus, sondern um eine bundesweit koordinierte Crash-Offensive gegen den Antifaschismus. Dem VVN-Bundesvorstand wurde jetzt vom Familienministerium eine Inanspruchnahme des Frei-
willigendienstgesetzes mit der lapidaren Begründung versagt: „Nach Auskunft der Sicherheitsbe-
hörden erkennt die VVN die rechtsstaatliche Ordnung nicht an“. Punkt! Einbürgerungsbewerbern wird die ihnen bisher unbekannte „Dimitroff- Formel“ vorgelegt, wonach „der Faschismus an der Macht die Herrschaft der aggressivsten Kreise des Finanzkapitals“ bedeute, die sie dann glaubhaft verabscheuen müssen.

Der Verfassungsschutz und seine Autoren, die Eckard Jesse, Bettina Blank, Rudolf van Hüllen usw. geraten außer Rand und Band. Inzwischen aber sind die Organisationen selbst immer öfter Pro-
zessparteien, nicht kleine existenzbedrohte Individuen.

Diese an sich traurige Konstellation birgt aber immerhin auch Chancen für einen Paradigmen-
wechsel: Da steht nicht eine die Mehrheit autoritativ vertretende Fachbehörde für staatspolitisches Selbstverständnis gegen kleine toleranzheischende Außenseiter, sondern umgekehrt die immer noch herrschende Wissenschaft gegen anrüchige, NSU-verstrickte Spitzel.

Verfassungsschutzämter und folgsame Gerichte meiden bisher mit Grund die Auseinandersetzung mit der etablierten Wissenschaft wie der Teufel das Weihwasser. Für den Selbstschutz der Antifa-
schisten aber ist dies der geeignete strategische Einstieg.

In einem VVN- oder sonstigen Antifa-Verfahren sollten hochrangige Politologen und Historiker mit Antifa-Sympathien wie die Professoren Wolfgang Wippermann, Wolfgang Benz oder Norbert Frei oder Konservative wie Heinrich August Winkler und, und, und … als Sachverständige zur öffentlichen Verhandlung geladen werden. Dann sei das Beweisthema nicht die „Richtigkeit“ der kapitalismuskritischen Faschismustheorien, sondern wertungsfrei der Rang und Stellenwert wissenschaftlicher Auffassungen in der deutschen und internationalen scientific community, die den Faschismus maßgeblich von Triebkräften, realen Machtstrukturen, Erscheinungsformen und Konstellationen des Kapitalismus herleiten.

Das genügt vollkommen.

Sollten die Gerichte dann ausschließlich Verfassungsschutz-Hausautoren zu praeceptores Germa-
niae hochhieven, z B. wie das BVerfG im NPD-Verfahren den Geschichtsrevisionisten Eckard Jes-
se, der die Harmlosigkeit der NPD erfolgreich begutachtete, dann wird eine solche antiwissen-
schaftliche Provokation wohl zu einer nachhaltigen Auseinandersetzung in der scientific commu-
nity führen.

Losung sei: Kein Gewaltmonopol für Geschichtsrevisionisten!

Der spannungsreiche und ambivalente Zusammenhang zwischen der monopolkapitalistisch-ge-
sellschaftlichen Grundlage und dem faschistischen Herrschaftssystem bleibt genetisch und funk-
tional ein politikwissenschaftliches Dauerthema und hat dann schon als solches Einfluss auf po-
litische Haltungen. Von der Sache her ergibt sich wohl schon hieraus eine oppositionelle Haltung gegenüber einem quasitotalitären Antikommunismus als alles überformende Staatsideologie …

Dr. Jürgen Zarusky vom Münchner Institut für Zeitgeschichte hat eine Microfiche-Belegedition erstellt, wonach 85 Prozent der NS-Gerichtsverfahren und –morde Kommunisten galten und die anderen 15 Prozent (z.B. Christen) zu 90 Prozent insofern betroffen waren, als sie wirklich oder angeblich mit den Kommunisten gemeinsame Sache gemacht hatten.

Die Kommunisten hatten sich aus heutiger Sicht zu „Rechtsstaat“ und „Demokratie“ in vielem geirrt, waren aber meist sehr viel demokratischer gesinnt als die „Männer des 20.Juli“, die aber von der VVN ebenfalls geehrt werden (bis in die 50-er so gut wie nur durch sie). Sie will freilich, dass auch diese ermordeten Kommunisten als Bestandteil der heimischen Demokratietradition gelten.

Sie mussten allerdings häufig nach 1945 und der Begründung der Bundesrepublik feststellen, dass der „Antikommunismus” unverändert auch nach dem Untergang des Faschismus in der jetzigen Republik als Art Staatsdoktrin fröhlich weiter existierte und dem folgend Kommunisten, die nach Haft, KZ-Unterbringung, Misshandlung etc. in der Zeit des NS-Regimes nunmehr durch die Justiz auch dieses Staates erneuter Verfolgung ausgesetzt waren. Zu ihrem ungläubigen Erstaunen muss-
ten sie bei den weder anstehenden Gerichtsverfahren nicht selten wahrnehmen, dass sie dieselben Richter gegenüberstanden wie zu N.S.-Zeiten, nur dass diese Richter das damals getragene Ho-
heitszeichen – Adler mit Hakenkreuz – dezent von ihren Roben entfernt hatten.

Der historischen Gerechtigkeit halber sei anschließend zu dem angeblichen Marxismus-Leninis-
mus (ML) noch nachfolgendes festgestellt:

Wollte man überhaupt der französische Resistance, der italienischen Resistenza und überhaupt dem weltweiten antifaschistischen Widerstand diese Kräfte streichen, bliebe von diesem wenig übrig und wäre sein Sieg massivst in Frage gestellt.

Der ML ist vor allem im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg und seiner langen Vor- und Nach-Geschichte zu werten. Schon das konservative Gründungsmitglied des Bundesverfassungsgerichts Prof. Gerhard Leibholz verkürzte drastisch: „Ohne Stalingrad kein Grundgesetz!“ Schon von daher eignet sich der ML umgekehrt auch nicht zum zentralen Negativ-Bezugspunkt der „verfassungs-
mäßigen Werteordnung“.

Zur Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Begriffs gibt es hier und in den USA, auch außer-
halb der Linken, weitausgreifende Forschungen. Streit herrscht über seinen quantitativen und qualitativen Anteil und Einfluss bei den stalinistischen Verbrechen, aber nicht darüber, dass dieser erheblich war. Im Verständnis der meisten VVN-Mitglieder diente der Begriff bei den Kriegs- und Nachkriegskommunisten vor allem außerhalb der UdSSR als unbekümmerte Sammelbezeichnung für den damals „politikfähigen“ Marxismus; das lag der VVN als Verband immer ferne, schon we-
gen seiner Konnotation in der Realgeschichte und im öffentlichen Verständnis. Nebenbei: die Ab-
lehnung des „Marxismus-Leninismus“, Stalinismus und rückwärtsgewandten dogmatischen Theo-
rie- und Parteiverständnis ist auch bei den meisten Kommunisten, gerade dem südbayrischen DKP-Bezirk seit langem beschlussverbindlich. In Geschichte, Theorie und Praxis der VVN findet sich derlei ohnehin nicht.

Da das bayrische Landesamt für Verfassungsschutz allerdings seit Jahrzehnten eine traditionell- sozialistischen Kernforderung, namentlich die Sozialisierung strukturbestimmender Produktions-
mittel und tendenziell jegliche grundsätzliche Kapitalkritik, als „Marxismus-Leninismus“ und diesen als „vom KPD-Verbotsurteil von 1956 als verfassungswidrig festgestellt“ diskriminiert, möchte ich mich auf einige Anlage-Dokumente beziehen dürfen:

Mit Verve zurückgewiesen wird dies nämlich ausgerechnet von den beiden Autoren des Verbotsur-
teils, den „berichterstattenden“ Bundesverfassungsrichtern Prof. Dr. Martin Drath und Prof. Dr. Konrad Zweigert in gutachtlichen Schreiben vom 10.11.1975 bzw. 31.3.1976 zur Vorlage im Verfah-
ren Inge Bierlein ./. FS Bayern BayVGH AZ: 106 III 74 zu Verwaltungsgericht München AZ: M 200 V 73 wg. Zulassung zum Lehramtsreferendariat („Berufsverbot“), deren Urschriften mit den Ge-
richtsakten schon im bayrischen Hauptstaatsarchiv liegen. Ein Zeugnis von höherer Authentizität ist wohl kaum denkbar.

Die DKP-angehörige Junglehrerin Bierlein hatte ausdrücklich auf Basis des „Mannheimer Pro-
gramms der DKP“ (1978) eine Selbstdarstellung ihres Verständnisses der vom BVerfG entwickelten Elemente der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ (fdGO) verfasst. Zu deren Verfassungs-
treue, inhaltlichen Qualität und Glaubwürdigkeit haben die 4 Überlebenden der am KPD-Verbot beteiligten Bundesverfassungsrichter gegutachtet: neben den Berichterstatter Draht und Zweigert auch Prof. Erwin Stein (ehem. CDU-Kultusminister), Dr. Herbert Scholtissek; daneben weitere 18 z.T. sehr prominente Ordinarien von Iring Fetscher über Kurt Sontheimer bis Jürgen Habermas (insgesamt ein repräsentativer Querschnitt mit 4 CDU-Mitgliedern).

Alle positiv. Keiner sieht die vom Amt z.T. primitiv-fehlerhaft wiedergegebene Teilstücke der ML-Lehre als solche vom Verbotsurteil diskriminiert: Viele fordern gar die Anerkennung eines grund-
legenden „Spannungsverhältnisses“ zwischen Kapitalismus und Demokratie als Voraussetzung de-
mokratischer Gesinnung. Am klarsten und eindringlichsten legen dies gerade die beiden Urteils-
verfasser Draht und Zweigert dar. Der SPIEGEL zitierte deren nachträgliche authentische „Erläu-
terung, dass das Verbotsurteil weder die Theorie des Marxismus-Leninismus noch den Kommun-
ismus schlechthin für verfassungswidrig erklärt“ und ähnliche Kernpassagen im Artikel „Bayern: Außer Betracht“ 16/1982 v. 19.4.1982, S.60 f. zur „spektakulären Radikalenentscheidung des baye-
rischen Verwaltungsgerichtshofs gegen das Votum der Verfassungsrichter“. In den Leserbriefen hierzu wagte sich kein Jurist, dem irgendwie zu widersprechen.

Diese Dokumentation ist im Internet unter http://berufsverbote.de/index.php/Geschichte.html aufrufbar. Alles Extremisten? Alles Verfassungsfeinde?

Das BVerfG hat verschiedentlich festgestellt, dass sich das Grundgesetz nicht auf eine bestimmte Wirtschafts- und Sozialordnung festgelegt habe, die „soziale Marktwirtschaft“ möglich, aber nicht verbindlich und ein qualitativ anderes und bestimmendes Maß an Staatsintervention in die wirt-schaftliche und soziale Entwicklung möglich sei, z.B. in Leitsatz 6 zum Urteil über das Investiti-
onshilfegesetz v. 20.7.1954 BVerfGE 4, 7ff. NJW 1954, 1235 ff. und zum Mitbestimmungsgesetz v. 1.3.1979 BVerfGE 50, 290 ff. NJW 1979, 699 ff.

Verfassungspolitische Lehrer und Ideengeber der VVN waren vor allem der Sozialist Prof. Dr. Wolfgang Abendroth und der betont bürgerliche Demokrat Prof. Dr. Helmut Ridder. Letzterer insbesondere durch sein Hauptwerk: „Die soziale Ordnung des Grundgesetzes“. Das GG sei für struktur- und machtverändernde, auch planwirtschaftliche Staatsinterventionen und Vergesell-
schaftungen in Richtung Sozialismus „offen“, heischt allerdings keineswegs diesen als „Erfüllung der Demokratie“, wie das die linksradikalen (dennoch in ihrer Verfassungstreue nie angefochte-
nen) Professoren Ulrich K. Preuss und G. Stuby meinten (Ridder: „larmoyante Story“). Er greift also die Tradition eines der wenigen republiktreuen Weimarer Staatsrechtler, des Carl-Schmitt-Gegners Hermann Heller auf. (Diese Schrift wurde 2015 mit rühmender Einführung von seinen ehemaligen Oberassistenten und jetzigen Staatsoberhaupt, Herrn Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier neu herausgegeben).

Sachverständigengutachten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und des Bundesver-
bandes der Deutschen Arbeitgeberverbände dazu, ob eine weitergehende Umsetzung des Soziali-
sierungsartikels 15 GG in die Praxis „Revolution“ bedeuten würde, ergäben sicher, dass dies der Fall sei. Er bleibt aber eben Bestandteil der Verfassung. In der 14. WP des Bundestages hat die FDP-Fraktion die Aufhebung des Art 15 beantragt, da er „sozialistischem Gedankengut entspringt“ und daher „verfassungsfeindlich“ sei. (BT-Drs. 14/6962). Der Antrag wurde nicht einmal an den Ausschuss verwiesen.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte für die geistige Entwicklung der VVN auch der Vortrag des prominenten CDU-Juristen Prof. Hans-Peter Ipsen von 1952 „Enteignung und Sozialisierung“ auf der 10.Tagung der „Vereinigung deutscher Staatsrechtlehrer“. Er war einer der wenigen nicht-nazibelasteten CDU-Staatsrechtler und konnte sich mit seiner Verteidigung der Grundgesetzkon-
formität einer sozialistischen Nationalisierung der strukturbestimmenden Produktionsmittel ge-
gen die Mehrheit der wutentbrannten Carl-Schmitt-Protagonisten immerhin „auf Augenhöhe“ be-
haupten, da er eben bisher nicht als linkslastig galt und dies als Konsequenz aus vergangenen, ge-
meinsamen unheilträchtigen Irrtümern der Konservativen ausgab, anders als der damalige marxi-
stische Chefökonom des DGB Dr.Viktor Agartz mit seiner ähnlichen wirtschaftstheoretischen Ab-
wägung von Kapitalismus und Sozialismus im Grundsatzreferat auf dem spektakulären Bundes-
delegiertenkongress des DGB von 1954. Agartz war auch Mitglied und Leumundgeber der VVN.

Es war und ist auch nicht zu übersehen, dass wir seit Jahren im Zusammenhang mit der Globali-
sierung, Entstaatlichung, Finanzmarktkrise, Bankendominanz, Deregulierung, Privatisierung wieder von hochrangigen Auseinandersetzungen überschwemmt werden, die den Kapitalismus auch systemisch in Frage stellen und zwar gerade wegen der ihm angelasteten Aushebelung der Demokratie. Professoren haben angeboten, hierfür umfängliche Literatur und Quellenbelege an-
zufertigen. Solche aber wollte die Münchner Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht.

Sonstiges zum Urteil des Verwaltungsgerichts München 2014 gegen die VVN-BdS LV Bayern

Die 22. Kammer des Verwaltungsgerichts München hat keine Berufung zugelassen, weil sie den gesetzlichen Grund des § 124 Abs. 2 VwGO „die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache“ nicht anerkennen wollte.

Eben dabei – „keine grundsätzliche Bedeutung“(!) – ist es in der abweisenden Beschwerdeent-
scheidung des 10. Senates des bayrischen Verwaltungsgerichtshofes auch geblieben, obwohl klar war, dass es nun, gemäß dem nach den Wünschen Volker Bouffiers neu gefassten § 51 III Abgaben-
ordnung (AO), zu einem Tsunami gegen die VVN auch außerhalb Bayerns kommen würde. (FA Kiel soll z.B. allein wegen Erwähnung beim bayrischen Verfassungsschutz der schleswig-holstei-
nischen VVN die Gemeinnützigkeit entziehen.)

Inhaltlich bekennt sich das Verwaltungsgericht München offenherzig als einseitig rechtskonserva-
tiver Meinungsträger mit deutlichem Bedauern, noch nicht den wissenschaftlichen und politischen Mainstream erobert zu haben. (Die „Ordnungszelle Bayern“ musste eben schon in Weimar der forerunner sein). Jedenfalls sei dem bayrischen Landesamt für Verfassungsschutz ein gleich hohes Maß an „Meinungsfreiheit“ zuzubilligen, ganz gleich ob das die Münchner Finanzbehörde in der Frage der steuerlichen Gemeinnützigkeit beeinflusse oder nicht. Die diskriminierende Einordnung der VVN unter die „extremistisch beeinflussten Organisationen“ im bayrischen Landesverfassungs-
schutzbericht unterstützte die Kammer in der mündlichen Verhandlung sowie in der Urteilsbe-
gründung also vornehmlich damit,

˃ dass „Antifaschismus“ ein kommunistischer und damit verfassungsfeindlicher Kampfbegriff immer war und blieb; er war kein realer und schützenswerter Ordnungsfaktor mit irgendwelchen Verdiensten, sondern immer offener oder latenter Ordnungsfeind,

˃ hilfsweise: dass nur ein „Antifaschismus“, der von Kräften einer „Klassenkampf“-Linken, insbe-
sondere Marxisten und Kommunisten nachweislich gereinigt sei, eine Rest-Legitimation für sich beanspruchen dürfe; 30 Prozent der VVN-BdA Funktionäre seien aber DKP-Mitglieder, insbe-
sondere Ernst Grube. Anders als im handelsrechtlichen Gesellschaftsrecht, könne man politisch durchaus schon mit 30 Prozent ein „beherrschendes Unternehmen“ sein. Außerdem seien in der VVN bekannte Mitglieder der DKP und der Partei „Die Linke“ anzutreffen, die ebenfalls im bayri-
schen Verfassungsschutzbericht wegen verfassungsfeindlicher Tendenzen aufgeführt sei,

˃ dass die Tatsache, dass der Faschismus sich als „konsequente Gegenbewegung gegen den Marxismus“ definierte und allein der strafrechtlich erfasste Anti-Hitler-Widerstand zu 85 Prozent aus Kommunisten und 10 Prozent anderen Klassenkampf-Linken bestand (Dr. Jürgen Zarusky, Institut für Zeitgeschichte. Microfiche -Sammlung) und die SPD nie eine andere Faschismus-Theorie als eine aus dem Kapitalismus hergeleitete entwickelt hat, heute keine entlastende Rolle mehr spielen dürfe,

˃ dass die VVN zwar als Verband nie zum Klassenkampf aufgerufen habe, dass sie aber Mitglieder und Funktionäre habe, die Parteien und Verbänden angehören, die ihrerseits, wenn auch unab-
hängig von der VVN, die Lehre vom „Klassenkampf“ vertreten, das heißt: die Begriffe „Wider-
spruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“ benutze und einen nur durch Kampf zu lösenden „Gegensatz von Kapital und Arbeit“ postuliere. Das sei Marxismus-Leninismus im Sinne des KPD-Verbotsurteils und damit verfassungswidrig,

˃ dass das KPD-Verbot von 1956 immer noch gelte, auch wenn es Recht und Politik seit Jahrzehn-
ten ins Abseits gestellt hätten. Der Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung werde eigentlich vom zwingenden Legalitätsgrundsatz nicht getragen. „Anwendbar“ seien seine tragenden Gedanken aber immer noch, insbesondere zum „Klassenkampf“, allerlei Gewerkschaftsrhetorik hin oder her. „Tragende Gründe“ blieben aber erhalten, auch wenn diese längst kein Urteil mehr „tragen“. So sei es auch unbehelflich, dass Gerhard Schröder als amtierender Bundeskanzler auf der Feierstunde in Buchenwald zum sechzigjährigen Gedenken am 10. April 2005 den vom CDU-Mitgründer Eugen Kogon mitverfassten „Schwur von Buchenwald“ einschließlich der tragenden Forderung, den Fa-
schismus „mit seinen Wurzeln auszurotten“, als eines der „Basisdokumente unserer Demokratie“ rühmte. Mit „Wurzeln” sei – dem Herrn Bundeskanzler vielleicht nicht bewusst – auch unsere Freie Wirtschaftsordnung gemeint. Fachlich komme es da eben auch nicht auf Herrn Präsidenten Walter Steinmeier, sondern auf Herrn Präsidenten Hans-Georg Maaßen an,

˃ dass zwar nicht zu bestreiten sei, dass sich das Bundesverwaltungsgericht sogar auf dem Höhe-
punkt des Kalten Krieges aus einem außenpolitisch motivierten „Sühnegedanken“ heraus gewei-
gert habe, die VVN als verfassungsfeindlich zu verurteilen (Beschluss vom 5.12.1962, DÖV 1963, 321 ff.). Derlei sei heute aber schlicht zu ignorieren (tatsächlich taucht das in der schriftlichen Begründung nicht mehr auf),

˃ dass der ehemalige VVN-Vorsitzende und Theologe Prof. Fink sich in einem Gespräch einer Ju-
gendgruppe geöffnet hatte, die der VVN nach Art des Straßenkämpfers und nachmaligen Außen-
ministers Josef Fischer den verfassungsfeindlichen Vorwurf gemacht hatte, sie würde sich beim Kampf gegen neonazistische Kräfte ausschließlich auf den Staat und etablierte politische Institu-
tionen verlassen. Nicht, dass die VVN sich in bestimmten Kreisen diesen Ruf erworben habe, sei von Bedeutung, sondern dass Prof. Fink – ob aus geistlich-jugendpflegerischen Gründen oder nicht – dem mit höchst unzureichender Schärfe entgegengetreten sei; er habe vielmehr die eigen-
ständigen Aktivitäten und Kampfformen hervorgehoben, ohne die Grenzen des Demonstrations-
rechts zum Maßstab zu nehmen. Auf Äußerungen des Hl. Vaters dürfe er sich da nicht berufen, auch wenn er Geistlicher sei. Außerdem habe er „Stasi-Kontakte“ gehabt; dass ein anderer Amts-
bruder und Präsident namens Joachim Gauck „IM Larve“ gewesen sei (LG Rostock), falle nicht ins Gewicht, da letzterer später als Leiter der nach ihm benannten „Gauck-Behörde“ mit der Abwick-
lung dieser Dinge betraut worden sei, während Fink sich ohne sichtbare Reue der VVN mit ihrem höchst fragwürdigen „Antifaschismus“ zugewandt habe. Es geben keinen Stasi-Fall „Fink-Gauck“, sondern nur den „Fall Fink“; alles andere sei eine Beschädigung des Hohen Amtes des Bundes-
präsidenten,

˃ dass die von der VVN verantwortete Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbre-
chen!“ bereits ein klarer Aufruf zu verfassungswidriger Gewalt sei. In der Folge sei es in Dresden zur Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Demonstrationsfreiheit der VVN nicht genehmer Gruppen, darunter der NPD, gekommen, nämlich zur Gewalt in Form von „Blok-
kaden“. Nicht zuletzt der VVN sei es also zuzuschreiben, wenn der Bundestagspräsident Thierse und der heutige Ministerpräsident Ramelow und viele Prominente blockiert hätten, was das „un-
parteiische“ Gericht sichtlich verärgerte. Auch die eingestellten Ermittlungsverfahren wegen evtl. Demonstrationsdelikte müsse sich die VVN erschwerend zurechnen lassen. Den bedenklichen Aufruf des Bundeskanzlers Gerhard Schröder zum „Aufstand der Anständigen!“ habe die VVN mit antifaschistisch-verfassungsfeindlicher Tendenz zu nutzen gewusst. Ein Bundeskanzler, ein Parla-
ments- und ein Ministerpräsident sollten vorsichtiger sein,

˃ dass dies auch für die Gegendemonstration gegen das Traditionstreffen der Gebirgsjäger gelte, die gegen griechische Partisanenrefugien eingesetzt waren, auf der Brenten bei Mittenwald, da die VVN sie zumindest in Wort und Schrift unterstützt habe. Wenn ein Verein der Nazi-Verfolgten und ihrer Sympathisanten dasselbe Steuerprivileg genieße wie ein soldatischer Traditionsverband, der nie Anlass zu Ermittlungsverfahren geboten hat, dann hat dies der Verfassungsschutz seit der ent-
sprechenden Neufassung des § 51 Abgabenordnung mit seinen nachrichtendienstlichen Mitteln zu unterbinden, also das Steuerprivileg zu entziehen,

˃ dass es in diesem Verfahren nicht um den Nachweis gehe, dass der Verfassungsschutz erheblich mehr „Schnittstellen“ mit dem Rechtsradikalismus aufzuweisen habe als etwa die VVN-BdA mit dem Linksradikalismus, und dass in der Publizistik des Verfassungsschutzes zum Antifaschismus ausschließlich Vertreter des „Geschichtsrevisionismus“ zu Wort kämen. Im rein wissenschaftlichen und politischen Meinungsstreit mögen VVN und Verfassungsschutz gleichberechtigt sein. Hier aber sei die Meinung des Verfassungsschutzes eben „amtlich“, da er zu einer Art „Fachbehörde für Verfassungsfeindliches“ geworden sei. Niemand denke mehr an sein angeblich „tiefbraunes“ Grün-
dungspersonal,

˃ dass sich inzwischen zwar Ministerien, Fakultäten aller Fachrichtungen, Fach- und Berufsver-
bände und fast alle Großfirmen einer Anstrengung befleißigten, die früher über Jahrzehnte nur die VVN gefordert und z.T. durchgeführt habe: nämlich die NS-Vergangenheit dieser Institutionen und Konzerne aufzuarbeiten. Aber die VVN habe das getan, als das noch als verfassungsfeindlich galt, was zeige, dass die VVN selbst unter Verfolgungsdruck keinerlei Respekt vor herrschenden Verfassungsgrundsätzen gehabt habe. Rudolf van Hüllen, der sich den Kampf gegen die „Vergan-
genheitsbewältigung als Strategie linker Verfassungsfeinde“ im Allgemeinen und gegen die VVN-BdA im Besonderen zur Lebensaufgabe gemacht hat, bedauert seit Jahren, dass der bayrische Landesverfassungsschutzbericht mit seiner Denunzierung der VVN-BdA „bisher allein geblieben“ ist, und erhoffte sich in Bayern – offenbar in Anlehnung an die „Ordnungszelle Bayern“ der Zwi-
schenkriegszeit – einen „Durchbruch“. Mit seinen Hasstexten, die z.T. wörtlich im vorliegenden Urteil aufscheinen, konnte er einen Mosaikstein für seine Sache verbuchen.

Das Konzept, mit dem der neue § 51 III AO, mit dem nach Benennung irgendeines Verfassungs-
schutzamtes jedes Finanzamt einem linken Verband die Gemeinnützigkeit zu entziehen hat, ist uralt: eine ursprünglich antifaschistische Bemühung wird zum Schaden des Antifaschismus in ihr Gegenteil verkehrt. Im vorliegenden Fall wurde die VVN-Kampagne zum Verbot der NPD vom „Verfassungsschutz“ sabotiert, indem er dort gesinnungsnahe Rechtsradikale als V-Leute einsetzte und die Parteikasse mit deren „Agentenlohn“ füllte, d.h. als „staatsnah“ immunisierte und finan-
zierte. Die von der Innenministerkonferenz unter Volker Bouffier beschlossene „Ersatzlösung für ein NPD-Verbot“, die „finanzielle Austrocknung“ von vom Verfassungsschutz benannten „extremi-
stischen Vereinen“ durch Entzug der steuerlichen Gemeinnützigkeit trifft nun zu allererst die füh-
rende und traditionsreichste antifaschistische Vereinigung. Zum anderen führen die aufgedeckten Verstrickungen des „Verfassungsschutzes“ in die Verbrechen des sog. „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) nicht zu seiner Beschränkung und Kontrolle, sondern zur seit langem bean-
spruchten Hochrüstung seiner Bespitzelungsmöglichkeiten – gegen die politische Linke.

Der „Verfassungsschutz“ ist nach Herkunft und bisherigem Wirken keine objektive Beurteilungs-
instanz, sondern würde ohne das Signum „Behörde“ weithin unter die Aktivistenbewegungen am rechten Rande eingeordnet werden. In der Verhandlung vom 2. Oktober 2014 war zu spüren, dass sich hier ein Gericht starkem Druck ausgesetzt sah. Eigene politische Parteilichkeit tat ein übriges.

In dieser Situation misst die VVN-BdA mit einem großer Teil der demokratischen Öffentlichkeit gerade den Alleinstellungsmerkmalen der Münchner Entscheidungen insofern die von der Mün-
chener Verwaltungsgerichtsbarkeit verneinte „grundsätzliche Bedeutung“ zu, als sie jetzt nicht zum „Münchner Maßstab“ in Berlin, Düsseldorf u.a. werden dürfen, namentlich

- dem „Gewaltmonopol für Geschichtsrevisionisten“,

- der Denunzierung eines kapitalkritischen Antifaschismus als staatsfeindlich,

- dem geschichtswidrigen „Antifaschismus nur ohne Linke!“,

- der wörtlichen Übernahme der Hasspropaganda des Rudolf van Hüllen und der schlüssigen Verunglimpfung sonst hochgeehrter Antifaschisten, namentlich Dr. Max Mannheimer, Ernst Grube, Esther Bejerano in offener Konfrontation mit der Rede des konservativen Bundesprä-
sidenten von Weizsäcker 1985: „Wir ehren den Widerstand der Kommunisten!“

- der von Volker Bouffier geforderten und z.T. bewirkten „finanziellen Austrocknung“ antifa-
schistischer, weil angeblich „extremistischer“ Vereinigungen.

Es entwickelt sich bereits eine Solidaritätsbewegung, um die VVN-BdA zu befähigen, politisch, wissenschaftlich und rechtlich dagegen anzukämpfen, aktuell in Berlin. Dies zum Schutz der Ver-
fassung.

Soweit zu trüben Quelle der Entscheidung des FA Berlin aus München (und nur aus München).

To whom it may concern.

Hans-E. Schmitt-Lermann, Rechtsanwalt, im November 2019


zugeschickt Ende des Jahres

Überraschung

Jahr: 2019
Bereich: Bürgerrechte