Flusslandschaft 2020
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Am Mittwoch, 15. Januar, findet um 16 Uhr in der Sendlinger Straße 19 zum zweiten Mal eine Mahnwache für Julian Assange statt, die etwa zwei Stunden dauert. Initiator ist ein Mitglied des Münchner Gesprächskreises „Nachdenkseiten“, der Künstler Joachim Trapp. Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, meint über Julian Assange: „Ich habe noch nie einen vergleich-
baren Fall gesehen.“1 Eine weitere Mahnwache für Assange u.a. findet am Mittwoch, 19. Februar, von 17 bis 19 Uhr auf dem Odeonsplatz statt.2
In München wirkt eine höchst aktive Gruppe des Forums Informatikerinnen für Frieden und ge-
sellschaftliche Verantwortung e.V. (FifF). Nicht nur das Abo der Rundbriefe ist aufschlussreich, auch die Lektüre des Periodikums „FifF-Kommunikation“. Die Nummer 3 diesen Jahres beschäf-
tigt sich im Schwerpunkt mit „Technologie und Ökologie“.3
Gespräch in der WG – Fritz: „Was machen wir jetzt? Den Begriff ‚Alternative‘ hat uns die AfD ge-
klaut, seit Jahrzehnten wettern wir gegen die ‚politischen Eliten’, das macht jetzt Trump, und wir kritisieren die bürgerliche Mainstream-Presse, der rechte Mob schreit ‚Lügenpresse‘.“ Jessica: „Du sagst es ja selber, wo wir negativ kritisieren, übernehmen das die Rechten. Und wie wir uns ein alternatives Leben vorstellen, das haben wir unzureichend vermittelt.“ Richy: „Wenn ich jetzt den Begriff ‚alternativ‘ verwende, werde ich meistens missverstanden.“ Feli: „Wir sollten auf die – ich nenne sie – die ‚unsozialen Medien‘ schauen. Die Algorithmen der ranking-basierten Maschinen lassen Wahrheiten links liegen, sie multiplizieren das, was am besten wirkt: Die Leute werden mit ihren Sehnsüchten und vor allem mit ihren Ängsten ‚abgeholt‘, ihre Gefühle werden bedient, dau-
erhaft und immer mehr.“ Fritz: „Das ist die Lust an der Angst, die Angstlust. Welche Antwort ha-
ben wir auf diese abstruse Mechanik einer Erregungsökonomie?“ Jessica: „Keine. Wir sind dazu einfach zu deppert.“ Feli: „Komm, sag das nicht!“ Fritz: „Diesem verlogenen Trommelfeuer können wir doch Tatsachen entgegenhalten, mit Faktenchecks, mit Aufklärung.“ Richy: „Ich habe jahr-
zehntelang Leserbriefe geschrieben. Vergiss es! Das Internet war mal ein Freiheitsversprechen, heute ist es ein riesiger Scheißhaufen, in dem Du verdammt viel Energie aufwenden musst, um wenigstens EIN Goldkörnchen zu finden.“ Feli: „Die Leute reagieren zwanghaft, rufen täglich hundertmal die Seiten von Facebook, Instagram oder YouTube auf, um sich dort ihren Kick abzu-
holen. Die Plattformen leben davon. Wie Vampire. Und besonders gut funktionieren die Seiten, die für den Zorn auf die bedrohlich wirkende wirkliche Realität einfache Antworten liefern: Da drüben, da die Schuldigen für Deine Misere. Rankingbasierte Suchmaschinen und Plattformen liefern auch dem, der nur ernsthaft Informationen über was auch immer sucht, zunächst den am häufigsten angeklickten Mist und erst ganz weit hinten findest du vielleicht, wenn überhaupt, das, was du suchst. Lügen sind halt origineller und sie werden zur neuen Normalität, gerade wenn es um Wah-
len geht. Mark Twain hat mal gesagt: ‚Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, ehe sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.‘“ Fritz: „Das heißt, wir sollten auch mit dem Lügen beginnen?“ Richy: „Wenn in unserem politischen System wie auf den Internetplattformen Wahrheit und Falschheit egal geworden sind, dann sollten wir doch, auch wenn wir ganz klein anfangen, hoffen, dass immer mehr Leute damit unzufrieden sind, sich dem verweigern und aussteigen. So etwas in die Wege zu leiten, das ist doch unsere Aufgabe.“ Christa: „Die Leute in der U-Bahn, die da hek-
tisch auf ihrem Gerät rumwischen, leben in ständiger Ungeduld, dass Google, Amazon und Co. ihre Wünsche erhören und zwar sofort, noch bevor sie ausgesprochen werden. Ich kann ihnen doch nicht einfach dieses Ding wegnehmen?“ Feli: „Genauso wenig kann ich einem Alki die Bierflasche aus der Hand schlagen.“ Fritz: „Nochmal zurück zur Politik! Diese Lügen sind das eine. Da hat sich ja bei den Wahlkämpfen einiges geändert. Parteiprogramme verkünden nicht mehr den kleinst-
möglichen gemeinsamen Nenner, ein charismatischer Entertainer wettert gegen das Establishment und spricht eine größtmögliche Anzahl von unterschiedlichen Gruppierungen mit unterschiedli-
chen aufregenden Botschaften an. Dabei darf der Unterhaltungswert nicht zu kurz kommen.“ Jessica: „Klar, das vereint alle: Der Outsider auf der Bühne demütigt das Establishment. Und wenn dann die verhassten Eliten an Lügen Anstoß nehmen und deren Ausdrucksweise vulgär finden, umso besser. Scheiß Political Correctness! Der lässt die Sau raus, da kann ich das endlich auch.“ Christa: „Ich verstehe ja, wenn wir die herrschenden Zustände beklagen. Mich interessieren Ant-
worten. Fakten prüfen bringt nichts. Besser wäre, die Geschäftsmodelle der IT-Firmen unter die Lupe zu nehmen und darüber Öffentlichkeit herzustellen. Besser wäre, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sie keine Informationsunternehmen sind, sondern große Werbekonzerne, nichts anderes. Und die haben Angst, dass die Geldströme versiegen. Besser wäre eine gemeinwohl-
orientierte Suchmaschine der Öffentlichen Hand aufzubauen, die ein Ranking nicht kennt.“ Feli: „Die bauen wir jetzt auf!“ Lachen.4
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Tulbeck-Straße 39 am 31. Dezember
(zuletzt geändert am 16.12.2024)
1 Siehe https://www.republik.ch/2020/01/31/nils-melzer-spricht-ueber-wikileaks-gruender-julian-assange.
2 Siehe „Die da tragen die Wahrheit in das Licht“.
3 Siehe https://www.fiff.de/publikationen/fiff-kommunikation/fk_aktuell/.
4 27. November 2020
5 Foto: Richy Meyer