Materialien 1990

Panama

„Heute ist Panama ein von den Streitkräften der Vereinigten Staaten im Interesse ihrer nationalen Sicherheit besetztes Land“, sagt ein Vertreter des Nationalen Komitees für Menschenrechte in Pa-
nama (CONADEHUPA).

Die „Nationale Koordinationsstelle für Unterstützung und Solidarität“ , in der sich 20 christliche, gewerkschaftliche und andere Organisationen zusammengeschlossen haben, veröffentlichte An-
fang Januar folgendes Kommuniqué:

„Das Volk von Panama, vor allem die Armen und die Arbeiter, haben die Krise am unmittelbarsten zu spüren bekommen, ausgehungert durch die Blockade der USA und die falsche Wirtschaftspoli-
tik Noriegas, geschlagen von der Repression im Inneren und ausgeblutet durch die ausländische Invasion. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Gruppen unter diesen Umständen die Invasion an-
fangs begrüßten, obwohl viele die Auswirkungen dieser extremen Maßnahme der USA erkennen.“ (taz 3.1.90, S. 3)

Um diese Maßnahme und ihre Auswirkungen geht es in diesem Bericht, doch möchte ich zum bes-
seren Verständnis kurz auf die Vorgeschichte eingehen:

Die 1977 vom panamesischen Präsidenten Torrijos und Carter geschlossenen Verträge, dass Pana-
ma ab 2000 die totale Kontrolle über den Kanal und die dort stationierten Militärbasen erhält, er-
regt in den 80er Jahren immer mehr Unmut im Kongress in Washington. Seit 1986 ist Panama das Ziel immer schärferer Sanktionen und Isolationsversuche durch die USA, um den starken Mann Noriega zu stürzen. Dieser hat sich als Militärchef und auch in den paramilitärischen „Bataillonen der Würde“ eine starke Militärmacht geschaffen. Ehemals war er Vertrauensmann des CIA, unter CIA-Chef Bush, und Garant für die Stabilität Panamas. Er hat sich beim CIA mehrfach durch teil-
weise spektakuläre, die Contra gegen Nicaragua unterstützende Aktionen ins beste Licht gerückt, wenn das nötig war. Die Feindschaft der USA habe er sich zugezogen, behauptet er, als er sich weigert, den Contra-Krieg mit panamesischen Truppen zu unterstützen.

Im Februar 1988 wird er von einem Gericht in Florida in Abwesenheit des Drogenhandels ange-
klagt.

Der schwache Präsident, Eric Delvalle versucht, den starken Armeechef abzusetzen, zieht aber selbst den kürzeren. Die USA verweigern Panama die Anerkennung und stellen alle Zahlungen an Steuern und Kanalgebühren ein. Einen vom CIA unterstützten Putschversuch im März 88 über-
steht Noriega unversehrt.

Am 7. Mai 89 finden Wahlen statt, zu denen Bush im voraus erklärte, er werde nur einen Sieg der Opposition anerkennen. Sie ergeben einen Sieg der Opposition, und Noriega lässt das Ergebnis annullieren und Unterlagen beseitigen.

Die USA schaffen eine Atmosphäre der Hysterie durch Kontrollen außerhalb ihres Sperrgebietes und Hubschrauberterror. Am 2. Oktober scheitert ein 2. Putschversuch gegen Noriega. Am 15. De-
zember lässt sich dieser zum Regierungschef proklamieren und verhängt das Kriegsrecht. Er warnt gleichzeitig vor der drohenden Invasion durch die USA. Der Tod eines US-Offiziers und eine Schie-
ßerei zwischen einer panamesischen Wache und 4 US-Offizieren in Zivil steigern die Spannung.

Am 19.12 um 11.45 Uhr nachts beginnt die Invasion durch Umstellung des ganzen Viertels Chorillo, eines alten dicht besiedelten Viertels der Unterschicht, und der panamesischen Kasernen in der Stadt und in Colon. Die USA hatten zu ihren in der Kanalzone stationierten 12.000 Soldaten weite-
re 12.000 hergeschafft, die zu Land, aus der Luft und auch vom Meer her einfallen. Um 1 Uhr be-
ginnen die Angriffe aus der Luft und die Kämpfe.

In US-Hubschraubern ist während des Angriffs auf Chorillo ein Video-Film gedreht worden, ein anderer vom Land aus an der Süd-West-Ecke des Viertels, wo sich erschütternde Szenen abspielen. Ich konnte beim zentralamerikanischen Menschenrechtskomitee CODEHUCA Teile dieses chrono-
logisch zusammengefügten zweistündigen Films sehen. Man hört das Hubschraubergeräusch und sieht immer wieder den Anflug über den bewaldeten Hügel auf das glutrot brennende Gebiet, aus dem das einzig stehengebliebene Doppelhochhaus herausragt, aus seinen Fernstern schlagen hier und da Flammen. Unsere Freundin Teodora vom Lateinamerika-Seminar in San José, die mich zu sich eingeladen hat, sagte, diese Filme seien von Vietnam-Veteranen den Panamesen gegeben wor-
den.

Vom 22. – 24. August bin ich bei ihr in Panama. Sie führt mich in das stehengebliebene Hochhaus in den 9. Stock, wo Rafael Olivardía und Ruben Carillo wohnen, die eine intensive Arbeit für die Chorillo-Flüchtlinge aufgebaut haben: Das Komitee der Flüchtlinge des Krieges von Chorillo. Sie haben beide die Nacht des Infernos im Hochhaus verbracht, wie die meisten anderen Leute hier. Soldaten hatten zum Teil die Leute mitten aus dem Schlaf aus den Holzhäusern getrieben, viele sind geflohen, aber viele haben es nicht mehr geschafft. Das Hochhaus sei von Hubschraubern ständig angegriffen worden, die meisten Wohnungen seien zerstört oder ausgebrannt. Wir sehen Fotografien dazu.

Rafael gibt die Beobachtungen vieler Bewohner wieder, die sich darin einig sind, dass hier neue Waffen erprobt wurden. Es habe Geschosse gegeben, die durch die Wände flogen wie durch die Luft. Es gab bis zu 50 Caliber-Geschosse. Er erzählt von dem 7-jährigen Jungen Ruben, der in den Bauch getroffen wurde. Als seine Mutter ihm zu trinken gegeben hatte, brannte er plötzlich lichter-
loh und verbrannte vor ihren Augen. Chemische Waffen? rätselt Rafael. Es gab nämlich Geschosse mit einer Chemikalie, dass die Wunde nicht aufhört zu bluten und nicht heilt. Am schlimmsten sei eine Kartusche gewesen, die 50 kleine Pfeile enthielt, Eisenstäbchen, an der Spitze mit weißem Phosphor versehen. Wenn sie explodierte, verteilten sich die Pfeile im Körper und der Mensch verbrannte. Ich denke an den kleinen Ruben. – Auf den Straßen schlugen Granaten in Hauswände ein und explodierten dann nach außen, wobei sie fliehende Menschen töteten. Auch der „Stealth-Bomber“ mit Laserstrahlen wurde eingesetzt. Die Brände geschahen durch Napalmbomben und Sprengbomben bewirkten, dass wirklich nichts übrigblieb.

Nahe dem Hochhaus befand sich das Hauptquartier der Noriega-Truppen. Noriega selbst hielt sich nicht dort auf. Etwa 200 panamesische Soldaten leisteten hier erbitterten Widerstand, bis es von 1.000-Kilo-Bomben völlig zerstört wurde. Die wenigsten mögen davongekommen sein, und wie viele unter den Trümmern blieben, ist unbekannt. Das seismologische Institut der Universität regi-
strierte 417 Bombeneinschlägernit zum Teil 1t-schweren Bomben. – „Seit wann wird Scharfschüt-
zen das Handwerk gelegt, indem man ganze Wohnblocks voll Zivilisten dem Erdboden gleich-
macht?“ fragt ein Journalist.

Am Westrand des Viertels Chorillo verläuft eine große Straße, dahinter beginnt die Kanalzone mit einem bewaldeten Hügel. In der Kanalzone liegt die große US-Airbase Albrook, von wo die Flug-
zeuge und Hubschrauber starteten.

Auf der Straße zwischen der Zone und Chorillo flohen viele in Autos. Es gibt am Meer unten ein Restaurant und viele feierten schon vor Weihnachten. Nachdem man aus einem Auto auf US-Mi-
litär geschossen hatte, schoss das Militär wild in die vorüberfahrenden Autos. Ein Arzt berichtete, dass seine Frau neben ihm tödlich getroffen wurde, während er verwundet davonkam. Ein Tank griff einen öffentlichen Bus an – es gab 26 Tote. Klar gekennzeichnete Ambulanzen wurden be-
schossen oder auch behindert.

Ein Arzt des größten Krankenhauses von Panama, San Tomas, sprach nach dieser Nacht von 50 Toten und Dutzenden von Verletzten, vorwiegend Frauen und Kinder. In Chorillo wurden die auf den Straßen liegenden Leichen mit Flammenwerfern verbrannt aus sanitären Gründen. 2 Tage lang erhielt das Rote Kreuz keinen Zugang in die betroffenen Viertel Chorillo und San Miguelito. Die Leichen wurden in grünen Militärplastiksäcken auf Lastwagen zu den Friedhöfen und in einen Park in Massengräber gefahren; die zivile Bevölkerung durfte die Friedhöfe nicht betreten. Im San Tomas-Krankenhaus zählte man schließlich 150 Tote.

In dem Stadtviertel San Miguelito wo sich in einer Kaserne ein Elitebatallion befand, gab es Stra-
ßenkämpfe; ein Teil dieses Viertels ist heute dem Erdboden gleich so wie ganz Chorillo.

Rafael berichtet weiter, dass am Morgen nach dieser Schreckensnacht alle Bewohner aus dem Hochhaus in das Stadion von Balboa gebracht wurden, wo sich 12.000 Obdachlose ansammelten. Die Männer von 15 Jahren an mussten sich ausweisen und wurden verhört; von ihnen wurden viele verhaftet und in eine US-Marinebasis transportiert. Im Januar kamen alle aus dem Stadion von Balboa in verschiedene Flüchtlingslager.

Gleichzeitig tobt sich Wut und Angst der Bevölkerung in Plünderungen aus. Die Maßlosigkeit der Militäraktion lässt die Ordnung des zivilen Lebens aus den Fugen geraten. Es gibt seither viel Kri-
minalität in Panama-Stadt.

Wodurch war dieser Überfall überhaupt gerechtfertigt? Am Tag nach dem Angriff erklärt Bush: „Der Präsident hat die Streitkräfte der Vereinigten Staaten angewiesen, an diesem Morgen um 1.00 Uhr vorausgeplante Aufgaben auszuführen, um das Leben von US-Bürgern zu schützen, den demo-
kratischen Prozeß wiederherzustellen, die Unversehrtheit der Panamakanalverträge zu wahren und Manuel Noriega zu ergreifen …

Heute Nacht wurden die demokratisch gewählten Führer Panamas, Präsident Endara und die Vize-
präsidenten, Calderon und Ford, vereidigt und übernahmen ihre rechtmäßigen Positionen. Sie be-
grüßen und unterstützen unsere Aktionen und haben ihre Absicht bekundet, sofort eine demokra-
tische Regierung einzusetzen.

Die Vereinigten Staaten haben diese Regierung anerkannt und werden normale Beziehungen wie-
derherstellen und mit ihr zusammenarbeiten, um ein freies und blühendes Panama wieder aufzu-
bauen.“

Diesen Worten spricht Hohn und Spott, was sich in den nächsten Wochen ereignet.

Krankenhaus- und Friedhofregister, ebenso die Totenregister der Behörden und der Katholischen Kirche wurden vom Southern Command entfernt, die Orte der Massengräber geheimgehalten. Zeichnungen über die Lage eines Massengrabes in einem Park stimmten nicht.

Die Medien werden durch die Vereinigten Staaten strikt kontrolliert und eine Antipropaganda ge-
startet, die alles beschönigt, die Brutalität verschweigt.

Etwa 6.000 Panamaer, Militärs und Zivile, Oppositionelle, Gewerkschafter und Denunzierte wer-
den verhaftet und verhört. Im Militärlager in der Kanalzone dürfen sie in den letzten Januarwo-
chen noch nicht von Angehörigen besucht werden. Auch im zentralen Gefängnis, im Centro Pena de Renacer, hielten die Nordamerikaner politische Gefangene. Bei ihren „Aktionen“ – einer mit über 200 Soldaten, 10 Tanks und 20 anderen Fahrzeugen – geben die US-Militärs oft vor, Waffen zu konfiszieren oder dem Drogenhandel vorzubeugen. Das geschieht meistens zwischen 2 und 5 Uhr in der Nacht und oft mit demütigenden Leibesvisitationen.

Die Verwaltung und die Betriebe werden durchforstet nach Militärangehörigen und solchen, die wirklich oder angeblich eine Beziehung zur Noriega-Regierung hatten. 18.000 Angestellte und Ar-
beiter werden entlassen, davon 7.500 Angestellte des Öffentlichen Dienstes. Viele erhalten einen Entlassungsbrief vom 15.1., der ab 1.1 gilt. Zu ihnen gehört auch meine Gastgeberin Teodora. „14 Tage habe ich also umsonst gearbeitet“, sagt, sie. Sie war beim Arbeitsministerium angestellt; heute ernährt sie sich und ihre 2 Kinder mit dem Nähen von Kleidern.

Die Meinungen von Bewohnern der Stadt gehen nach dem Angriff auseinander: „Solange Noriega an der Macht war, konnte es nicht besser werden. Es wäre besser gewesen, wenn man ihn auf andere Weise abgesetzt hätte. Aber offensichtlich war das der einzige Weg.“ „Es ist halt ein Mal-
heur, dass dabei so viele Leute umkommen mussten.“ „Wir haben eine unbeschreibliche Wut auf die US-Regierung, die mit ihrer Invasion hier alles zerstört hat und uns jetzt verrecken lässt.“ (taz 3. und 4.1.90)

Wie sah dieses „jetzt“ aus und wie sieht es heute aus – 8 Monate später?

Wir besuchen 2 Flüchtlingslager, die seit Mitte Januar belegt sind. Das eine befindet sich in einer ehemaligen großen Lagerhalle einer Holzfabrik. Jede Familie hat einen 3×3 m großen mit Bretter-
wänden abgeteilten Wohnbereich mit Betten, Tisch, Stühlen und einer Kochgelegenheit. Das ande-
re liegt in der Kanalzone am Rande des Militärflugfeldes Albrook. Es sind zwei riesige Flughallen. Das Eingangsgelände ist von US-Soldaten bewacht; Teodora und ich müssen länger warten, bis unser Begleiter Ruben die Genehmigung für uns erwirkt hat. Am Rand des Eingangsgeländes gibt es ein paar Buden, wo sich die Hallenbewohner Getränke, Süßigkeiten u.ä. kaufen können, sofern sie Geld haben. Jeder, der hinaus- oder hineingeht, zeigt den Soldaten einen Ausweis.

Ashton Bankrof, der Lagerleiter, und Nisla Graciela Bernaschina empfangen uns und berichten:

„Seit 14. Januar sind wir hier, wir waren vorher in der Schule von Balboa. Es sind hier 2.800 Per-
sonen; jede Familie hat 3×3 m zur Verfügung, auch wenn es 7 Personen sind. In Panama gibt es, selbst 8 Monate nach der Invasion, noch über 4.000 Flüchtlinge. Nur 30 von den 1.800 Familien hier konnten in Häuser umziehen; das ist aber kein attraktives Projekt, weil es weit außerhalb liegt und die Gegend nicht richtig erschlossen ist. Die USA leisten eine Hilfe von 6.500 $ für eine Woh-
nung. Man bekommt dieses Geld aber nur, wenn man eine Wohnung nachweisen kann. Die Regie-
rung könnte das Geld an die, die es brauchen, verteilen, aber sie tut es nicht, weil sie korrupt ist. Es werden Häuser für 9.000 $ angeboten, aber die Leute können sie nicht bezahlen. – Das Essen ist nie genug für alle; es ist sehr eintönig, Obst und Gemüse gibt es nicht. AID bezahlt mit 10 $ pro Tag und Familie die Ernährung, Lastwagen bringen das Frühstück und eine Hauptmahlzeit am Abend; wenn man unpünktlich ist, gibt es nicht mehr. Butter gibt es selten. Für Kinder bis zu 2 Jahren und 11 Monaten gibt es alle 15 Tage eine Dose mit 5 Pfund Milchpulver, für 3-5-jährige 2,5 Pfund alle 15 Tage. Jede Familie hat eine Kochgelegenheit. – Nur einige Flüchtlinge arbeiten außerhalb des Lagers und haben Geld. Andere machen Handarbeiten. Vom Ausland kommt keine Hilfe außer der genannten. Wir lesen in der Zeitung, dass Länder Hilfe sandten, aber bei uns kam nichts an, weder finanzielle, noch moralische Hilfe. Es gibt einen Notplan „plan de emergencia“, der bedeutet, dass einige Fabriken die Flüchtlinge für Arbeit benützen, aber für geringen Lohn, ohne Urlaubsgeld und ohne jegliche soziale Versicherung. Der Plan kommt von denen in der Re-
gierung, die für die Flüchtlinge verantwortlich sind. Die medizinische Versorgung im Lager ist mangelhaft; es gibt in der Nähe eine Klinik mit Ärzten für schwerere Krankheitsfälle.

Die Regierung will Chorillo nicht mehr aufbauen. Es gab dort früher Schulen, eine Kirche, ein Krankenhaus, alles. Die Regierung sagt, 60 Prozent des Bodens gehören ihr, 40 Prozent seien privat. Die Pläne der Regierung kennen wir nicht, weil diese nicht mehr mit uns kommuniziert. So ist kein Ende abzusehen.“

… Die Invasion hat die Menschen auf gerüttelt, über viele unendliches Leid gebracht, Kinder trau-
matisiert. Das hat Aktivitäten ins Leben gerufen, vor allem bei den Frauen.

Isabel Corro, Präsidentin der Vereinigung der Angehörigen der Gefallenen des 20. Dezember „Aso-
ciación de Familiares de Caídos el 20 de Diciembre“, sagt: „Wir wollen keine Millionen, keine Al-
mosen, wir fordern Gerechtigkeit.“ Die Professorin Olga Mejía, die Leiterin des Nationalen Komi-
tees der Menschenrechte für Panama CONADEHUPA klagt die offene Übertretung des Völker-
rechts durch die Invasion an und ruft alle Mittelamerikaner auf, zusammenzustehen, den Frieden zu bauen, die Gerechtigkeit zu verteidigen und ein Gerichtsverfahren für die Verbrechen des Krie-
ges zu fordern. Sie arbeitet eng zusammen mit dem Zentralamerikanischen Menschenrechtskomi-
tee CODEHUCA in San José, Costa Rica. Diese sandten im Januar und März schon Delegationen nach Panama und veröffentlichen in ihrer Monatszeitschrift „Brecha“ seither immer Artikel über alles, was in Panama geschah und geschieht.

Man weiß inzwischen, dass es 12 Massengräber gibt. Im Friedhof „Jardin de Paz“ von Panama-Stadt fand man am 28.4. ein Grab mit 124 Leichen, am 28.7. wurde im Friedhof von Colon ein Grab mit 15 Leichen geöffnet. Die Ausgrabungen sollen weitergehen, weil die Angehörigen Auf-
klärung verlangen. Es gibt dafür keine Hilfe von den USA.

Die Zahl der Toten beläuft sich mit Sicherheit trotz viel kleinerer Meldungen in den USA und der panamesischen Regierung auf 2.000 Tote, begründete Annahmen nennen 3.000 – 4.000; Ver-
misstenlisten des Roten Kreuzes bestätigen 1.500. (taz 4.4.90). Viele Angehörige sind so veräng-
stigt, dass sie ihre Vermissten nicht melden. Die in Chorillo verbrannten Leichen wurden wohl mit den Trümmern beseitigt; viele sollen auch im Meer versenkt worden sein. Die Zerstörung der pa-
namesischen Marine-Basis in Colon soll allein eine sehr große Zahl vermisster Marinesoldaten zur Folge gehabt haben.

Am 20. Juni nahmen 20.000 – 30.000 Menschen aller Volksorganisationen am „schwarzen Marsch“ teil. Sie fordern von Präsident Endara und den USA den Abzug der US-Truppen, die Milderung des Flüchtlingselends und die Wiederbeschäftigung der 18.000 Entlassenen, und sie verlangen Gerechtigkeit für die Familien der Toten sowie ein würdiges Begräbnis der Toten. – In einer wöchentlichen Demonstrationsstunde am Freitagmittag demonstrieren Frauen in Schwarz für diese Forderungen und gegen das Schweigen der Regierung.

Als wir am 22. August durch Panama-Stadt fuhren, mussten wir bei mehreren polizeilichen Stra-
ßensperren am Rande des Universitätsviertels umkehren, weil die Studenten demonstrierten. Am Morgen waren die Unruhen von den Oberstufenschülern des Instituto Nacional, eines renommier-
ten Gymnasiums, ausgegangen. Ich spürte die Spannung, die über dieser Stadt lag, auch im Verhal-
ten meiner beiden Begleiterinnen. Es gab an diesem Tag harte Auseinandersetzungen mit der Poli-
zei, die nicht nur Wasserwerfer und Tränengas, sondern auch Schrotgeschosse gegen die mit Stei-
nen und Molotov-Cocktails bewaffneten Studenten einsetzte. 55 Studenten mussten verletzt, davon 5 schwer, im Krankenhaus behandelt werden.

Die Ursache der Auseinandersetzungen geht auf die Entlassung einiger Lehrer im Juni zurück. Die Schüler protestierten beim Erziehungsministerium dagegen, worauf man 5 Schülern verbot, die Schule weiterhin zu betreten. Weil sie nicht gehorchten, ordnete das Ministerium am 19.8. die Schließung des Instituts an. Es wurde nun von der Polizei bewacht, die 5 Schulsprecher hielten sich, praktisch eingesperrt, darin auf.

Wir erhielten mit einem Gewerkschafter Zutritt zur Schule und sprachen mit den 5 Schülervertre-
tern. Sie waren über die Brutalität der Sicherheitskräfte und die Maßregelungen durch das Mini-
sterium aufgebracht und besorgt darüber, dass Professoren bedroht wurden, weil sie die Schüler unterstützten.

An den folgenden Tagen gab es Solidaritätsdemonstrationen an anderen Schulen und wieder an der Universität. – Ich verlasse dieses Land in dem Bewusstsein, dass durch die Gewalt ein großer Aufbruch bei den Unterdrückten entstanden ist, der unserer Teilnahme und Unterstützung bedarf.

Panama steht nun im gleichen Kampf wie die anderen mittelamerikanischen Staaten, den die Re-
gierung der Vereinigten Staaten zusammen mit dem Commando-Süd herausgefordert hat. Paul Leis, der Direktor des sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts sagt: „Die US-Amerikaner haben mit der Invasion die Grenze zwischen der von ihnen kontrollierten Kanalzone, die sie im Jahr 2000 hätten abgeben sollen, und dem ganzen panamaischen Staatsgebiet einfach wegge-
wischt.“

Frauen mehrerer Organisationen geben seit März unter großen Anstrengungen eine Monatszeit-
schrift heraus „Mujer siempre de Pie!“, „Frau, immer auf den Beinen!“, in der sie berichten, an-
klagen, nachdenken und dichten. Lasst uns ihnen zur Seite stehen: „Mujer Siempre de Pie!“ Apartado 6-6821, Panamá, Rep. de Panamá.

München, den 8.10.90

Brigitte Schmidt,
Rheinlandstr.12
8000 München 40


zugeschickt am 16. Oktober 1990

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: Internationales