Flusslandschaft 2020
Jugend
Am 30. Januar geht Franz Gans zur festlichen Verleihung des Ernst-Hoferichter-Preises ins Litera-
turhaus. Wie er sich beim Empfang, der dem Festakt folgt, durch die Menge drückt, hält ihn ein älterer Herr auf und fragte ihn: „Ich sehe Ihre weißen Haare. Was halten sie davon, dass kürzlich ein junger Aktivist von Fridays for Future meinte, diese alten Männer mit den weißen Haaren hät-
ten die ganze Katastrophe zu verantworten. Sie seien doch rechte Arschlöcher?“ Gans überlegt nicht, sondern meint sofort: „Eine Unverschämtheit ist das!“ Da lächelt der ältere Herr und meint bündig: „Test bestanden.“ Als Gans sich weiter durch die Massen schlängelt und gerade am 17ten Mitarbeiter des Münchner Kulturamts vorbei geht, fällt ihm ein, dass er vor mehr als fünfzig Jah-
ren auch diese alten Männer mit den weißen Haaren als Arschlöcher bezeichnet hat, nicht nur in-
direkt, sondern durchaus Aug in Aug und Ohr in Ohr und Nase an Nase. Damit traf er auch einige (wenige!) Männer, die diese Anrede wahrlich nicht verdient hatten. Sein Trost ist, dass es das Vor-
recht der Jugend ist, sich zu irren. Sollte er umdrehen, zu dem älteren Herrn zurückgehen und ihm davon erzählen? Gans befürchtet, dass dieser sein Urteil ändert: „Test nicht bestanden!“ Und so beschließt er, sich weiter durch die Menge zu drücken, um schließlich bei einem alten Genossen zu landen, mit dem er über alte Zeiten redet.