Materialien 2019

Zu den Rechten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei Kundgebungen und Demonstrationen

Von Rechtsanwaltskanzlei Meister & Partner, Gelsenkirchen

Das Versammlungsrecht ist durch Artikel 8 Grundgesetz geschützt. In § 1 des Versammlungsge-
setzes heißt es: „Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstal-
ten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.“

Das Recht, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln, wurde durch die demokratische Revolution 1848 erkämpft. Genauso wie das Recht, Vereine und Parteien zu gründen. Politische Parteien und – wie es dort heißt – ihre „Mitwirkung an der politischen Willensbildung“ sind durch Artikel 21 Grundgesetz besonders geschützt. Die Parteienrechte stärken sogar das Versammlungsrecht politi-
scher Parteien.

Das Recht der öffentlichen Versammlungen ist ein demokratisches Menschenrecht und kein obrig-
keitsstaatliches Leiter- oder Veranstalterrecht. Welche Ansichten der Versammlungsteilnehmer dabei äußert und wie er das tut, spielt grundsätzlich keine Rolle. Jeder hat selbstverständlich das Recht, seine Plakate, Transparente, Fahnen o.ä. mit sich zu führen und seine Meinung frei zu äußern – auch kritisch, auch wenn dies dem Leiter oder den Veranstaltern nicht genehm ist.

Dazu heißt es im führenden versammlungsrechtlichen Kommentar Dietel/Gintzel/Kniesel, De-
monstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Auflage (Rn. 24 zu § 19): „Weisungen, die Äußerung einer Gegenmeinung verbieten (Mitführen eines Spruchbandes, dessen Aussage den Intentionen der vom Veranstalter oder Leiter vorgesehenen Demonstration widerspricht), sind unzulässig. Die Polizei hat die Rechte des Teilnehmers gegen Leiter und Ordner zu schützen.“ …

Durch das Zeigen „symbolträchtiger Gegenstände wie einer Fahne wird von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht“ (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.3.2002, NVwZ 2002, 1467). Sie sind natürlich auf Versammlungen erlaubt und dürfen auch nicht durch den Leiter der Versamm-
lung unterdrückt werden, wenn sie nicht allgemein verboten sind. Dieses Recht muss man selbst-
verständlich in Verbindung mit der Forderung nach Verbot jeglicher faschistischer Propaganda, faschistischer Parteien und Organisationen sehen.

Der Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel hat auch kein „Hausrecht“ oder dergleichen. Es ist weder dem Leiter einer Versammlung, noch den Ordnern oder der Polizei er-
laubt, die freie Meinungsäußerung der Versammlungsteilnehmer zu untersagen. Das Bundesver-
fassungsgericht hat dazu entschieden:

„Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatli-
chen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.“ (BVerfGE 84, 203, 209, 1 BvR 772/90).

Nur die Polizei und auch nur bei „gröblicher Störung“ eines „ordnungsgemäßen Ablaufs“ (§ 18 Abs. 3 Versammlungsgesetz) dürfte Teilnehmer ausschließen. Das bezieht sich z.B. auf Randalierer, dauerhaftes Niederschreien von Rednern oder ähnliches. Dies hat das Verwaltungsgericht Gera in seinem Beschluss vom 24.10.2019 (1 E 2113/19 Ge) ausdrücklich bestätigt, wenn es schreibt:

„Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin oder ihre Begleiter den Ver-
sammlungsablauf durch akustische oder gar Körperliche Einwirkungen in irgendeiner Form ge-
stört hätten. Neben ihrer bloßen Teilnahme beschränkte sich ihr Tätigwerden auf das Ausrollen zweier Fahnen und das Verteilen von Flugblättern. Dadurch war die Versammlung … zu keinem Zeitpunkt in ihrem Bestand gefährdet. Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang das überparteiliche Anliegen der Versammlung … herausstellt, ergibt sich keine andere Bewertung. Wer sich … mit einem politischen Anliegen im Rahmen einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel an die Öffentlichkeit wendet, muss damit rechnen, dass er in diesem Rahmen auch auf Ablehnung und Kritik stößt. … Erst recht muss er damit rechnen, dass Teilnehmer einer Ver-
sammlung … sein Anliegen positiv aufgreifen und die mit der Versammlung verbundene Öffent-
lichkeitswirkung für eigene, weitergehende Zwecke nutzen.“

Auch das Verwaltungsgericht Oldenburg führt in seinem Beschluss vom 25.11.2019 (Az.: 7 B 3245/19) aus:

„Insbesondere das Schwenken von Parteifahnen und das Verteilen von Flugblättern war und ist nicht geeignet, den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung in Frage zu stellen. … Auch stand zu keiner Zeit zu befürchten, dass das Ziel der Versammlung – nämlich die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens – nicht oder nur eingeschränkt erreicht werden würde.“

Ausdrücklich erlaubt ist das Verteilen von Flugblättern. So hat das Amtsgericht Villingen-Schwen-
ningen am 20. August 2019 einen Beschluss erlassen (AZ: 13 Owi 540/19), in dem es heißt: „Das Verteilen von Flugblättern einer eine andere politische Auffassung vertretenden Partei erfüllt nicht die Voraussetzungen einer gröblichen Störung nach § 18 Abs. 3 Versammlungsgesetz.“

Faschistische Volksverhetzung oder Ähnliches darf und soll natürlich nicht geduldet werden; dies ist aber durch ausschließlich antifaschistische Sonderregelungen – wie „Volksverhetzung“ gem. § 130 StGB geklärt.

Aktualisiert am Dienstag, 26.11.2019, 15:00 Uhr


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Jahr: 2019
Bereich: Umwelt