Materialien 1979

„Haut dem Maier auf den Pinsel“

Der Münchner Kulturkampf geht in die nächste Runde. Jüngstes Opfer ist der Museumschef Armin Zweite

Richard Hundhammer, CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag und Sohn des verstorbenen erzkonservativen Parteipatriarchen, wetterte: „Seid ihr von Gott und der Welt verlassen?“ Grund zum Grimm gab ihm Münchens Kulturausschuss. Der hatte, trotz CSU-Mehrheit, am 16. Oktober beschlossen, ein Werk des künstlerischen Störenfrieds Joseph Beuys anzukaufen. Titel: „Zeige deine Wunde.“ Preis: 270.000 Mark. Dabei sollte aus dem Stadtsäckel nur die Hälfte der Summe kommen; die andere hatte bereits ein privater Stifter zugesagt.

Neben SPD und FDP stimmten drei CSU-Stadträte für die in München heftig umstrittene Beuys-Arbeit, die vom Künstler schon 1976 im „Kunstforum“ der Stadt gezeigt wurde. In einem kahlen Raum karge Objekte: zwei benutzte Leichentische aus der Pathologie und andere symbolische Verweise auf Tod und Vergänglichkeit.

Dass sich nach öffentlicher Beuys-Schmähung („Werk eines Scharlatans“, „die Bahren des Beuys-Sepperl, auf denen die Kunst zu Grabe getragen wird“) der Kulturausschuss dennoch zum Ankauf entschloss, sah die „Süddeutsche Zeitung“ als Zeichen dafür, dass es künftig „in Sachen Kunst of-
fener, toleranter und besonnener zugehen dürfte“ als bisher.

Doch eben jener Kulturausschuss hat jüngst selbst diese zaghafte Hoffnung auf kulturpolitische Entspannung durchkreuzt und Armin Zweite, dem Chef der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, eine zehnköpfige Kommission verpasst. Die soll zukünftig darüber befinden, welche Kunstwerke für die Städtische Galerie mit einem jährlichen Ankaufsetat von einer Million Mark erworben wer-
den. Der engagierte Museumsleiter, nicht erst seit der Beuys-Errungenschaft für sein Haus den CSU-Mannen ein Ärgernis, kann über 100.000 Mark verfügen, muss jedoch für den starken Rest-
posten von 900.000 Mark die Kommission einschalten, in der er nicht Mitglied ist. Das kommt einer Entmachtung gleich. Zweite: „Ich bin schockiert.“

Damit geht der Kulturkampf, in München bereits ein Dauerbrenner, in die nächste Runde. Begon-
nen hat er im Sommer 1978. Damals organisierte die CSU-Landesleitung im Wildbad Kreuth ein Symposion. Über 100 konservative Intellektuelle und Künstler nahmen teil. Alle klagten. Auch Peter Jona Korn, Leiter des Münchner Konservatoriums und Komponist einer „Heidi“-Oper: „Die sogenannten Progressiven stehen immer im Vordergrund, solide Kunst wird nicht finanziell ge-
fördert.“ Das sei schon deshalb bedenklich, weil progressive Kunst aggressive Kunst sei und „in erschreckendem Maße Parallelen zu politischen Entwicklungen aufweist, die in ihrer letzten Kon-
sequenz zum Terrorismus führen“.

Vor der „Verfälschung der Geschichte durch die Linken“ warnte in Kreuth auch der Historiker Golo Mann. Schleunigst wurde ein „Kontaktkreis“ gegründet. Der sei besonders geeignet, „Einsichten und Vorschläge auf dem kürzesten Wege an die politischen Entscheidungsträger heranzubringen“, lobte Festredner Franz Josef Strauß.

Gleichsam zu dessen Amtseinführung als Bayerns neuer Ministerpräsident holte ein hoher Münch-
ner Beamter zum „zornigen Rundschlag“ („Abendzeitung“) aus: Professor Erich Steingräber, Gene-
raldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. In einem Leserbrief an die „Süddeutsche Zeitung“ wurde er den Verdacht nicht los, dass eine „kleine, aber äußerst agile’ Clique selbster-
nannter Meinungsmacher“ mit System auch heute noch sorgfältig unterscheide: zwischen „pro-
gressive“, am Aufbau der Linken Gesellschaft mitwirkender, und „reaktionärer“, weil „unengagier-
ter“ Kunst. Die Wogen gingen hoch in deutschen Feuilletons über die Ausfälle des amtlichen bayri-
schen Kunstsammlers Steingräber.


Kunststudenten protestieren gegen Kultusminister Maier, Foto: G. Krzikowski.

Dass der einstige Ruf Münchens als Kunstmetropole längst gründlich ruiniert ist, hatte zuvor schon der städtische Kulturreferent Dr. Jürgen Kolbe erkannt: „Bei der bildenden Kunst spielt München in der republikanischen Wirklichkeit nur eine untergeordnete Rolle.“ Das gilt vor allem für die moderne Kunst.

Als die CSU im vergangenen Jahr die Mehrheit im Münchner Rathaus errang, ergab es sich, dass einer der ihren, der Jurist Peter Gauweiler, 30, den noch aus SPD-Zeiten stammenden parteilosen Kulturreferenten Kolbe ganz und gar nicht mochte. Der Kolbe und seine Politik, die auch Pflege der Moderne vorsah, sollten „aufgeräumt“ werden. Dafür brachte Gauweiler, Organisator verdienstvol-
ler CSU-Veranstaltungen mit Roberto Blanco und Dieter Thomas Heck, die besten Voraussetzun-
gen mit.

Er schoss sich auf die Kulturläden ein, die mit bescheidenen städtischen Zuschüssen in drei Münchner Stadtteilen zumindest ansatzweise Kulturarbeit erproben. Und er schoss sich auf die „Klassische Musik-Wirtschaft“ in Schwabing ein, wo zum Kotelett kostenlos feine Kammermusik serviert wird.

Als der Kulturreferent gar vorschlug, die Kollektion Herbig mit Werken von Joseph Beuys und anderen Künstlern als Grundstock einer Münchner Sammlung der Moderne anzukaufen, machte sich Gauweiler höhnisch über die „Machwerke“ her und nannte Kolbes Vorschlag schlicht „einen Skandal“. Die CSU im Stadtrat applaudierte kräftig.

Der „Banausen-Ayatollah“ (Kabarettist Dieter Hildebrandt über Gauweiler) bekam freilich einen kleinen Dämpfer. Der linker Umtriebe völlig unverdächtige Münchner „Galerie-Verein“, in dessen Vorstand ein Wittelsbacher Prinz und ein Herzog sitzen, plädierte in Anzeigen unversehens für mehr Toleranz in Sachen Kunst: „Gültiges erahnen, Absonderliches betrachten, Ärgerliches erdul-
den, Wagnisse eingehen.“

Letzteres muss Bayerns Kultusminister und Orgelspieler Hans Maier falsch verstanden haben. Er hievte – gegen den Wunsch des Senats und der Berufungskommission einen Hilfsreferenten aus seinem Ministerium auf einen Lehrstuhl an der Akademie der bildenden Künste. Der Professor heißt Franz Bernhard Weißhaar. Die „Frankfurter Allgemeine“ nannte den Kirchenfenster-Entwer-
fer schlicht einen „frommen Designer“. Akademiepräsident Jürgen Rupka trat aus Protest zurück, ebenso die meisten Mitglieder des Senats. Draußen vor der Tür demonstrierten Studenten. Auf Transparenten war zu lesen: „Akademie der angepassten Künste“ und „Haut dem Maier auf den Pinsel“. Für die Sache mit dem „Pinsel“ drohte das bayerische Innenministerium einem Kunststu-
denten einen Prozess wegen Beleidigung an.

Der Minister wandte sich derweil dem bayrischen Jugendring zu und verpasste ihm mit dem Be-
fehl, sich fortan jeder Kritik an der Kulturpolitik zu enthalten, einen Maulkorb. Die Jugendlichen hatten gegen die Zensur von Schülerzeitungen gewettert, gegen die Ablehnung von Zivildienstlern in Jugendeinrichtungen, gegen die Verschärfung des Radikalenerlasses in Bayern, gegen zweifel-
hafte Zwänge der allgemeinen Schulordnung.

Als kultureller Teufelsaustreiber bewährt, verbot Maier schleunigst auch Bayerns Lehrern, mit ihren Schulklassen das andernorts preisgekrönte Aufklärungsstück „Was heißt hier Liebe“ zu be-
suchen.

Selbst von der kleinen Münchner Kinderzeitung „Karussell“, die Kinder für Kinder machen (ein Projekt der „Pädagogischen Aktion e.V.“), wurde dringend Anpassung verlangt. Den Münchner CSU-Stadtrat Albert Loichinger hatten in dem Blatt schreckliche Kindersprüche erschüttert, etwa der: „Ich zieh dir das Hemd durch die Nase, dass dir der Arsch am Hemdkragen sitzt.“ Oder: „Willst du Schwangerschaft verhüten, nimm Melitta-Filtertüten.“ Oder: „Suche netten, sexy Jun-
gen, möglichst gut gebaut, Alter 13 bis 15, nicht zu klapprig, soll viel Kraft haben.“ Das war als Persiflage auf die Anzeigen der Erwachsenen gedacht und dem Stadtrat offenbar entgangen; er forderte energische Maßnahmen.

Kultur und Kunst in München: Im Zweifelsfall bestimmen der Minister oder die CSU mit dem mächtigen Argument „Mir san die mehreren“, was sein darf. Ein alter Bayer namens Ludwig Thoma hat es in Sachen Kunst jedenfalls schon vor mehr als 60 Jahren genau beschrieben: „Oberhalb des Nabels ist es Kunst, darunter Geschlächtliches.“

Gerhard Tomkowitz


Stern 52 vom 19. Dezember 1979, 160 ff.

Überraschung

Jahr: 1979
Bereich: Kunst/Kultur