Flusslandschaft 1960

Alternative Medien

Im Münchner Universum-Verlag erscheint das »Periodikum für wissenschaftlichen Sozialismus«. Herausgeber ist Dr. Arno Perters, Säckingen, verantwortlicher Redakteur ist der Münchner Hel-
mut Schlien.

„Unter den Presseerzeugnissen, die sich an nichtkommunistische ‚anspruchsvollere‘ Leserkreise richten, ist ein Blatt besonders hervorzuheben und eingehender zu betrachten, das zweifellos einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Öffentlichkeit ausübt: die »Deutsche Woche« in München. – Ihr Chefredakteur ist CARL AUGUST WEBER, aus Frankfurt gebürtig, in der NS-Zeit nach Frank-
reich emigriert, seltsamerweise während der deutschen Okkupation von der Wehrmacht als Dol-
metscher eingestellt und schließlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten. Als Gefange-
ner betätigte sich C.A. Weber gemeinsam mit ERICH KUBY und HANS-WERNER RICHTER in der Redaktion der für die Kriegsgefangenenlager in den USA gedruckten Zeitung »Der Ruf«. Nach dem Kriege verlegte das Blatt unter gleichem Namen und mit der gleichen redaktionellen Zusam-
mensetzung seinen Sitz nach München und erschien dort als erste deutsche Nachkriegs-Wochen-
zeitung. 1947 wurde »Der Ruf« eingestellt, weil die amerikanischen Geldgeber eine weitere Finan-
zierung verweigerten. – Carl August Weber betätigte sich nach 1945 außerdem als Generalsekretär des Schutzverbandes der Schriftsteller und als Direktor der Französischen Bibliothek in München. Er war mit dem damaligen Münchner kommunistischen Stadtrat OSKAR NEUMANN befreundet und trat – zusammen mit zwei anderen Gesellschaftern – der GmbH, die dem neugegründeten »Verlag Deutsche Woche« als rechtliche Basis diente, als Gesellschafter bei. Die beiden anderen Gesellschafter waren HERBERT ADAM VAN EYCK, Schriftsteller in Bad Münster, und WALTER STANNER, Kaufmann in Garmisch-Partenkirchen. – Alle drei Gesellschafter erlegten ein Stamm-
kapital von je 7.000 DM, das aber keiner der drei aus eigenen Mitteln aufbrachte. Als Geldgeber fungierte ein JOHANN JOSEPH KARL, der sich HANS KARL nennt und in Mainz-Weisenau wohnt. Anlässlich einer Steuerprüfung erklärte Hans Karl, dass er nicht persönlich über das Geld verfüge, sondern es von ‚Freunden‘ zum Zwecke der Verlagsgründung erhalten habe. KARL WAR MITGLIED DER KPD UND VERLAGSLEITER DES KPD-PARTEIVERLAGES IN KIEL. Die ‚Freunde‘, die ihm das Geld zur Verfügung gestellt haben, konnten bisher nicht identifiziert wer-
den; es ist jedoch bekannt, dass Karl die für den Betrieb der Zeitung notwendigen Mittel über einen Mittelsmann in Stuttgart erhielt. – Nomineller Geschäftsführer der Verlags-GmbH »Deutsche Wo-
che« war bis 1952 van Eyck, bis er abberufen und durch die Ehefrau Carl August Webers, Ilse, geb. von Baur, ersetzt wurde. Stanner ging als Radarspezialist nach England und wurde in der GmbH durch Hans Karl ersetzt, der auch praktisch die Verlagsleitung übernahm. – 1953 übertrug er die Verlagsleitung und nominell den größten Anteil an der GmbH einem Funktionär des »Bundes der Deutschen«, OSWALD DOBBECK, Speyer. Dobbeck starb 1957; seine Funktionen übernahm seine Ehefrau, die auch heute noch den Verlag leitet. – Die Redaktion setzt sich hauptsächlich aus Nicht-
kommunisten zusammen; es gehören ihr aber auch Kommunisten an, wie z.B. der ehemalige KPD-Funktionär ERNST NAGEL aus Detmold, ein enger Freund und Mitarbeiter Oskar Neumanns, und der – inzwischen ausgeschiedene – KP-Funktionär DR. ERNST SCHUHMACHER, u.a. auch Do-
zent an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Zu den Mitarbeitern der »Deutschen Woche« zählte übrigens auch WALTER MARIA GUGGENHEIMER, der bis 1957 als Kommentator am Bayerischen Rundfunk wirkte und wegen seiner allzu starken Linkstenden-
zen ausschied, sowie DR. KURT PRINGSHEIM, ehemaliger Abteilungsleiter für Musik beim Baye-
rischen Rundfunk, Mit Beiträgen in der »Deutschen Woche« präsentierten sich ferner REICHS-
KANZLER A.D. DR. JOSEPH WIRTH, Studentenpfarrer HERBERT MOCHALSKI und Niemöllers Privatsekretär, der ehemalige General FRANZ BEYER. – Die »Deutsche Woche« hat eine durch-
schnittliche Auflage von 20.000 bis 30.000, von der aber nur etwa 7.000 verkauft werden. Der Rest wird für ‚Werbezwecke‘ verwendet. Die Verlags-GmbH zeichnete in ihren Bilanzen einen Ge-
samtumsatz von durchschnittlich nur 120.000 DM aus; es wird aber angenommen, dass der Um-
satz mindestens 400.000 DM beträgt, was also bedeutet, dass zusätzliche Mittel beigebracht wer-
den. – Die »Deutsche Woche« propagiert Wiedervereinigungsthesen unter neutralistischen Paro-
len; ihre Hauptaufgabe scheint jedoch zu sein, Misstrauen gegen Bonn und die westlichen Ver-
bündeten zu säen. Sie ist journalistisch gut gemacht und gibt sich seriös. – Im Dobbeck-Verlag er-
scheint ein weiteres ‚Intelligenzblatt‘, die Zeitschrift »Panorama«, deren Redaktion von JÜRGEN BECKMANN geleitet wird.“1

Die Münchner Karl-Marx-Gesellschaft verschickt regelmäßig ihren Informationsdienst »Die Per-
spektive«. Verantwortlich zeichnet Sepp Meyr, München 61, Stradellastraße 12.

Die erste Nummer der Zeitschrift »Spur« erscheint im August als Organ der Gruppe SPUR und da-
mit als deutschsprachige Schrift der 1957 in Paris gegründeten Situationistischen Internationale (SI).2

(zuletzt geändert am 21.5.2020)


1 Verschwörung gegen die Freiheit. Die kommunistische Untergrundarbeit in der Bundesrepublik. Hg. von der Münchner Arbeitsgruppe „Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik“ im Komitee „Rettet die Freiheit“ [unter Mitarbeit von Hans Hartl], München (Frühjahr 1960), 20 ff. – Dieses Typoskript enthält die Namen von 452 Professoren, Intellek-
tuellen, Künstlern und Schriftstellern, die einer »kommunistischen Kulturarbeit« bezichtigt werden. Vermutlich hat der Staatsschutz die Schrift finanziert.

2 Siehe „Spur“ 1 bis 7 auf www.issuu.com/groups/84ghz/publications und www.ur.dadaweb.de/dada-p/P0000706.shtml.

Überraschung

Jahr: 1960
Bereich: Alternative Medien