Flusslandschaft 1960
Ressentiments
Über Parteikommunisten ist sich der Stammtisch einig: Da gibt es den eiskalt kalkulierenden Funktionär, den hetzenden Agitator mit Schaum vor dem Mund, den Bolschewiken, der über Lei-
chen geht, und das biedere Parteimitglied, das alles glaubt, was die Parteilinie vorschreibt. Am Ende sind sie sogar eher Untermenschen wie der „Spitzbart aus Pankow“. Schwieriger wird es mit der sogenannten „heimatlosen Linken“. Auch hier sind einige Klischees in Umlauf. Um sie besser zu charakterisieren, schreibt eine Münchner Wochenzeitung: „Sie sind klein in der Zahl, aber mächtig in der Wirkung. Sie sind keine Parteikommunisten, aber Wegbereiter der Zersetzung. Sie geben sich sozialistisch und leben kapitalistisch. Sie schreiben geistreich und haben keine geistige Heimat. Sie loben die Demokratie, aber sie wollen die öffentliche Meinung diktieren. Sie sagen Freiheit und meinen ihre eigene. Sie predigen Toleranz und sind weltanschaulich intolerant. Sie kämpfen gegen den Faschismus, aber sie kapitulieren vor dem Bolschewismus. Sie preisen die friedliche Koexistenz und unterhöhlen die nationale Existenz. Sie wollen die Wiedervereinigung und schwächen die deutsche Verhandlungsposition. Sie hassen den Stalinismus und schwärmen für Tito. Sie zeigen sich pro-amerikanisch und. torpedieren die NATO. Sie wollen Westberlin schützen, aber Formosa aufgeben. Sie verspotten den ‚sozialistischen Realismus‘, aber sie spielen Bert Brecht, Sie sind föderalistisch, aber nur im Kampf gegen Bonn. Sie betonen ihren Individua-
lismus und verteidigen ein kollektives Meinungsmonopol. Sie reden von Menschenwürde und ha-
ben Ungarn als erste vergessen. Sie fühlen sich als Elite der Kultur und verdienen an primitiven Sensationsblättern und Sexbomben-Illustrierten, Sie kritisieren die Bündnispolitik und sind kri-
tiklos bei der Wahl ihrer Bundesgenossen. Sie sind für eine versöhnliche Politik gegenüber dem Osten, aber gegen die Versöhnung mit Deutschen. Sie genießen das Wirtschaftswunder, aber sie ziehen es ‚gesellschaftlich‘ in den Dreck.“1
1 Zit. in: Verschwörung gegen die Freiheit. Die kommunistische Untergrundarbeit in der Bundesrepublik. Hg. von der Münchner Arbeitsgruppe „Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik“ im Komitee „Rettet die Freiheit“ [unter Mitarbeit von Hans Hartl], München (Frühjahr 1960), 40.