Materialien 1981

Gefühl und Härte

„Das Gefühl ist unter uns, die Härte ist gegen das, was gegen uns ist.“ Im Frühling des Münchner Häuserkampfs entstand Freizeit 81 (F 81), keine Bewegung, keine Organisation, eher ein feeling. Von sich selbst sagen sie: „F 81 sind Flugblätter, Plakate, Zeitungen, Konzerte, Sprühaktionen, Steine, Bankenschlösser zukleben, Mollies – jeder auf seine Art. F 81 ist gewaltlos oder militant, legal oder illegal, ängstlich oder stark, auf jeden Fall: Gefühl und Härte!“ (s. taz 19.10.) Nach einer Reihe von Brandanschlägen und Bekennerbriefen, 17 Hausdurchsuchungen, 6 Leute seit 4 Monaten in U-Haft (einer seit kurzem zu 2 Jahren mit Bewährungsauflagen verurteilt), 4 davon Jugendliche, 2 davon Frauen. Am 13.2. wurden 86 Punks festgenommen und ED-behandelt (s. taz 18.2.), die Justiz greift durch. Einige Frauen zwischen 15 und 18, die sich den Ideen der F 81 zuge-
hörig fühlen („Wir sind alle F 81“), haben vor einigen Monaten mit einer Frauengruppe angefan-
gen und treffen sich seitdem regelmäßig. Warum machen diese Frauen eine Frauengruppe, wie stehen sie zu Männern, Militanz und Frauenbewegung?

– Wir kennen uns seit dem Sommer, einige von uns waren da inner Juzegruppe, da ham immer nur die Typen geredet, wir sind nicht ernst genommen worden. Da hats mit der Frauengruppe angefangen. Die Macker ham sich ziemlich aufgeregt, waren total neidisch, die ham die Gruppe verarscht, wir könnten nur stricken oder so.
– Aber unter denen war überhaupt keine Solidarität da, die waren nur am kämpfen, wer der Ober-
macker ist, wie die Truthähne. Hier, das ist nicht nur Gelaber. Ich hab hier mehr Bezug zu den Menschen. An manche Typen kommt man schlecht ran, man kriegt zu ihnen keinen persönlichen Bezug. Hier ist auch das Persönliche wichtig. Und ich hab das Gefühl, dass ich mich auf jede ver-
lassen kann, total.
– Ich trau mich jetzt mehr und wehr mich auch, wenn mir was nicht passt. Ich hab jetzt viel mehr Lust, was zu machen, und mehr power. Man kann hier auch mal schlecht drauf sein, das ist auch ok, du wirst nicht tot gelabert und musst dich nicht ständig auseinandersetzen.

Wie steht es mit Interesse an der Frauenbewegung oder an den Projekten der FB?

– Interessier ich mich nicht dafür. Wenn s kommt ok. Aber die armen unterdrückten Frauen, so denk ich echt nicht. (Protest von einigen)
– Ich würd da schon gern was mitmachen, und das hier ist für mich auch FB, zwar ne kleine FB, aber ne power FB.
– Ich bin halt kein Schwanz-ab-Fetischist. Ich find die FB schon wichtig, wenn sie nicht in irgend-
welche matriarchalische Richtung abdriftet.

Aber Ihr sagt ja für Euch, bei Euch kann jeder tun, was er will, und ähnlich ist das auch in der FB, das geht von der Mütter-Baby-Gruppe bis zu den militanten Lesben, das ist ja auch ein riesiges Spektrum.

– Ich will mich eher mit den Männern zusammen emanzipieren, ne Menschlichkeit herstellen. Ich habs Gefühl, ich hab mich oft von Männern unterdrücken lassen, hab mich fast abhängig gemacht, nicht finanziell oder so, aber gefühlsmäßig, und das will ich total bekämpfen. Ich fühl mich auch unter Frauen unheimlich wohl; hier in der FG fühl ich mich 1000 mal wohler als in den Gruppen, wo ich sonst war, weil hier alle gleich sind.
– Nee, überhaupt nicht, alle total verschieden.
– Ja, aber dass jeder so akzeptiert wird, wie er (!) ist, in gleichem Maße akzeptiert wird.
– Was für mich toll war: wir ham mal ein Wochenende gemacht, wo wir alle bei ihr waren in nem Haus, und eigentlich nur gesoffen und gefressen ham – das war toll – saugut – richtig Stimmung machen, aber nur mit Frauen, das hab ich noch nie erlebt, das war voll geil.
– Wir ham Rabatz gemacht wie 100 Leute, total gut.

Ich mein, dass sich durch Frauenzusammenhänge sowohl das Politikverständnis wandelt als auch die Aktionsormen. So haben z.B. HausbesetzerInnen gesagt, dass sie wegkommen wollen von Gewalttätigkeiten, dass sie eher die Phantasiefraktion sind. Die rennen nicht mehr rum mitm Stein in der Hand, sondem malen sich an, machen Musik, Straßentheater …

– Klar ist das schön, wenn ich so ne power aufbringen kann, dass ich singend durch die Straßen geh, aber wenn ich seh, dass Freunde von mir, 15 – 16-jährige im Knast sitzen, dann hab ich die power nicht mehr, singend durch die Straßen zu gehn, dann geh ich mit m Stein in der Hand.
– Es ist beides wichtig, kommt drauf an.
– Klar, ist schön, alle Macht der Phantasie, aber mein Gott … Deswegen find ich auch die Knast-
arbeit gut, wir sollten da noch viel mehr machen, Briefe schreiben und sonstige Sachen.
– Z.B. der eine Typ im Knast, der sagt, dass ihm bis auf eine Ausnahme nur Frauen schreiben, er hat gemeint, er hat auch männliche Freunde gehabt mal früher.
– Die Straße ist die letzte Form, wenn man das Gefühl hat, es geht überhaupt nix mehr, dann geht man eben auf die Straße. Also ich möcht nicht, wenns mir total beschissen geht, auf die Straße rennen und n Stein schmeißen, sondern da überleg ich mir schon vorher, was ich sonst machen kann. Aber wenn überhauot nix mehr läuft …
– Ich überleg nie vorher, bevor ich n Stein schmeiß, da ist die Überlegung total weg. Ich hab auch kein Konzept für meinen politischen Kampf, sondern ich kämpf so, wie s grade am Richtigsten erscheint und so wie ich grad drauf bin. Die Gruppe hier, das ist auch Kampf. Ich kann kämpfen, indem ich auf die Straße geh und sprüh oder Steine schmeiß, oder mich anmalen oder singen, das ist egal. Irgend ne bestimmte Kampfform hab ich nicht, und ich will auch zu keiner finden.
– Mir muss es halt selbst gut gehen dabei.
– Ich möcht auch Kampfformen, die mir was bringen, weil so n konkretes Ziel hab ich vielleicht gar nicht. Mir bringt Steineschmeißen und so nix, hab ich auch nie gemacht. Ich hab bei ner Hausbe-
setzung mitgemacht, das war für mich schon was unheimlich Wichtiges. Aber, wenn ich ne Wut hab, ich kann die einfach nicht so äußern. Wenn ich alleine bin, geht sie oft nach innen, das ist dann sehr schlimm, ich hab dann oft das Gefühl, es hilft gar nix, wenn ich meine Aggressionen irgendwo raus lass. Dann geh ich zu jemand, red mit dem, schrei rum, was weiß ich, das baut mich dann schon auf, oder ich male.
– Ich find auch nicht, dass man immer Steine schmeißen muss. Also auf n Bullenauto schon, aber so wahllos find ichs Scheiße.
– Aber es kommt doch immer auf den Anlass an.
– Klar, aber es doch nicht so, dass ich grad am Milchladen vorbeigeh, und weil ich grad meine Wut hab, hau ich die Scheibe ein. (Gelächter)
– Ja, du, das machen aber viele.
– Milchladen würd ich auch nicht machen, aber wenn ich bei nem Großkonzern vorbeigeh …
– Ich geh nur auf Demos, wenn ich Bock drauf hab, als Pflichtübung mach ichs nicht. Da wird z.T. ein Potential vorgespielt, das gar nicht da ist. Riesenmasse und wenn was los ist, rennen alle weg oder keiner weiß, was er will.
– Ich finds auch viel wichtiger, Solidarität im Kleinen heaustellen. Wenn dann die Bullen kommen, wird jemand verhaftet und dann kümmert sich keiner drum.
– Gerade die Demos vorm Knast find ich unheimlich wichtig, ich hab das erlebt, wie Leute vorm Gefängnis waren und gebrüllt haben, und ich saß drin, das war total aufbauend.
– Ich hab auf ner Demo auch lieber 100 Leute, die dahinterstehen, als 1000 Mitläufer.

Erwartet Ihr von den Altlinken Solidarität, und wenn ja, wie soll die aussehen?

– Ich hab bisher überhaupt keine Altlinken kennengelernt. Ich hab den Eindruck in München gibts überhaupt nix Altes was gleichzeitig links ist. Was ich so mit krieg, die Leute, die was tun, aktiv sind, Vorstellungen haben, sind höchstens 25, die meisten noch unter 20. Die Häuser besetzen, auf die Straße gehen, in Gruppen drin sind, was verändern wollen. Natürlich gibts Rote Hilfe und so bla bla, aber die organisieren immer nur, dass die Scheiße, die passiert ist, so glimpflich wie mög-
lich abläuft, also hinterher. Aber die sind nicht in solchen Gruppen drin, die was machen. Und drum glaub ich, dass den Leuten, die was machen, den jungen Leuten, so 16 – 20, relativ viel Scheiße passiert, weil niemand da ist, der schon Erfahrung hat und ihnen helfen könnte, der mit ihnen reden könnte und sagen würde, ne, das läuft nicht, und das bedeutet das und das für dich, und paß auf.
– Ich hab n Typ kennengelernt, der ist so 24, hat massig Erfahrung mit Häuserkampf, der hat mir viel geholfen, hat mir einiges erzählt, worauf ich selber nie gekommen wär. Und sowas fehlt hier.
– Aber es liegt doch nicht nur an Erfahrung.
– Klar, aber es hilft.

Ihr sucht also die Verbindung und die Auseinandersetzung?

– Ja, aber nicht nur mit Altlinken. Es gibt so viele Menschen, so viele Grüppchen in München, die das Gleiche denken wie wir. Z.B. siehst du einen in der U-Bahn, den haste letzthin auf ner Demo gesehen, hast vielleicht mit ihm gesungen und gehüpft, aber guten Tag sagen ist nicht. Du tust grad so, wie wenn du Franz Josef triffst. Das ganze feeling zwischen den Leuten fehlt.
– Ja, es ist einfach kein Kontakt da, z.B. die Freizeitler nennen die Grünen oder Leut, die halt fried-
lich was machen, Müslis, so abwertend, und umgekehrt heißts auch, ach das sind ja die Chaoten. Dabei versteht sich F 81 ja nicht nur als Militanz, die sagen, dass jeder sich so ausdrücken kann, wie er will.
– Stimmt, das ist ja auch keine feste Organisation, sondern jeder, der was macht. Jeder kann sich zugehörig fühlen.
– Wir haben das Motto „Gefühl und Härte“, was wir davon gemeinsam haben, ist die Frauengrup-
pe, die ist was festes, aber bei anderen Sachen machen einzelne von uns schon mit.
– Ich glaub, ich hätt das Motto und die Frauengruppe auch ohne F 81. Freizeit hat nur das defi-
niert, was viele denken. Nicht weils Freizeit gibt, gibts unsere Frauengruppe. Man kann uns nicht mit Freizeit gleichsetzen, man kanns aber auch nicht total trennen.
– Wir sind kein Teil von Freizeit, keine Untergruppe oder so. Wir sind selbst Freizeit.
– Mit manchen Aktionen von Freizeit bin ich auch nicht einverstanden. Z.B. das ist jetzt das 4. oder 5. Mal, dass ne Demo mit 30 – 40 Leuten ist, die dann aufgemischt worden sind. Das stinkt mir unheimlich, wenn wir weniger sind, macht man halt was dezentral.
– Ich finds Quatsch, ne Demo zu machen dagegen, dass welche festgenommen worden sind, weil bei der Demo wieder welche festgenommen werden.

Wie ists mit der Angst?

– Wenn du mit Schiß schon reingehst, dann kannst aufhören. Es ist klar, daß du Schiß kriegst, wenn du n Haufen Bullen vor dir siehst, und weißt, du kannst jetzt gleich eine auf den Kopf krie-
gen, aber mit der Angst musst eben leben.
– Die Härte von dem Motto ist für mich der Kampf gegen die Angst, das Gefühl ist unter uns und die Härte ist gegen das, was gegen uns ist. Das Gefühl ist die Zusammengehörigkeit, dass du weißt, wenn du in den Knast kommst, draußen ist jemand da, der sich um dich kümmert, der dir hilft. Die Härte ist der Kampf ums eigene Leben, das gehört zusammen.

Die zentralen Schlagworte sind ja Wut, Haß, no future …

– Ne, no future nicht, sonst gäbs ja die Gruppe nicht.
– Wenn ich an meine Zukunft denke, ist das ein total beschränkter Zeitraum, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein wird, wenn ich 30 bin.
– Ich seh für mich schon ne Zukunft, man braucht ja nicht gleich planen bis man Rente kriegt, aber an Kinder oder so denk ich schon.
– Bei mir kanns eigentlich nur noch besser werden, ich weiß, ich zieh irgendwann zuhause aus, und dann ist das nicht mehr da, dieser Tod. Das ist zwar nur kurz gesehen, ich kann mir nicht vorstellen, wo ich mit 30 bin, ist mir auch scheißegal, ich möcht erst mal endlich mit Leuten zu-
sammenwohnen, wie ich will.
– Und beruflich, da denke ich: du hast keine Chance, aber nutze sie, ich weiß zwar welchen Beruf ich will, aber den krieg ich nicht.
– Was mich dazu bringt, in der Bewegung zu kämpfen, ist eben die Wut oder der Hass oder wie man s auch nennt, weil mich eben alles betrifft, mich betrifft der Beton und das BGH-Urteil, und El Salvador und der Wald.

Du hast gesagt, dass politische Arbeit nicht Teil deines Lebens ist, der irgendwo steht, sondern das ist dein Leben, politisch wie privat.

– So isses bei mir auch. Wenn man das versucht zu trennen oder wenn es getrennt wird, geht man mit der Zeit drauf dabei, das hab ich gemerkt, ich hab mich ganz schön verzettelt. Ich mach jetzt wirklich nur noch Sachen, die was mit meinem Leben zu tun haben, die es verändern können, so wie ichs will, damit gehts mir auch gut.
– Ich finds schlimm, wenn man nur für was kämpft, von dem man betroffen ist. Ich mach das auch, aber ich finds schlimm, dass es so ist.
– Ich find, es gibt genug, was einen betrifft, dass rnan dafür kämpft. Wenn alle Leute dafür kämp-
fen würden, was sie betrifft, das wär viel besser.

Taz-m


die tageszeitung vom 11. März 1982, 7.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Frauen