Materialien 1978
Panindianische Delegation in der Bundesrepublik
1. Repräsentative indianische Vertreter sitzen heute in keiner der Regierungen der 22 Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas, in denen indianische Völker überlebt haben. Indianische Völker sind auch in den großen internationalen Institutionen nicht repräsentiert. Indianische Völker wurden von der Entkolonialisierung nicht erfasst, alle Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas wurden von europäischen Siedlern oder deren Nachkommen – nicht der alteingesessenen Be-
völkerung – gegründet.
2. Das Bild von kaum einer Bevölkerungsgruppe ist so verkitscht und realitätsfern wie das der 30 bis 40 Millionen Indianer Nord-, Mittel- und Südamerikas in der europäischen Öffentlichkeit. Indianische Realität in allen 22 Staaten ist nach wie vor (wenn auch von unterschiedlicher Inten-
sität) nationale Unterdrückung indianischer Sprachen, Kulturen, Identität, Bedrohung indiani-
scher Landbasis durch Großgrundbesitzer, „kleine Siedler“ und multinationale Konzerne, Zerstö-
rung der natürlichen Umwelt indianischer Territorien, wirtschaftliche Ausbeutung, soziale Ver-
elendung. Diese indianische Realität konnte der Öffentlichkeit bei mehreren Gelegenheiten ver-
mittelt werden.
3. Indianische Delegierte konnten erstmals in größerem Rahmen konkrete Forderungen in der deutschen Öffentlichkeit erheben.
a) Die panindianische Delegation protestierte gegen die geplante Umsiedlung weißer Siedler hol-
ländischen und deutschen Ursprungs aus Südafrika in bolivianisches Indianerterritorium, weil die Übertragung der Apartheidpraxis auf ein bereits in der Praxis existierendes, rassistisches Regie-
rungssystem dramatische Konsequenzen haben würde. Sie protestierten gegen die Voraussetzung dieses Siedlungsprojektes, den Raub indianischen Landes. Brisanz und Aktualität erhält diese An-
gelegenheit durch die Tatsache, dass die ersten 50 Siedler bereits mit Verträgen der Firma Siemens (laut Pastor Dümchen, La Paz) in Alfo-Beni (Bolivien) eingetroffen sind. Trotz mehrfacher Demen-
tis hält die Delegation daran fest, dass die Bundesregierung plant. dieses Siedlungsprojekt mit 150 Mio. DM zu unterstützen. Die Delegierten stützen sich z.B. auf einen ausführlichen Bericht der bri-
tischen Wochenzeitschrift „Observer“ vom 5. März 1978. Im März 1978 wiesen die katholische Kir-
che Boliviens und die indianischen Organisationen Tupac Katari und Mink‘a auf die Ankunft von 150 Siedlerfamilien hin.
b) Die Delegation protestierte gegen den Verkauf indianischen Landes in Argentinien durch die Banco Comercial des Norte (Salta – Projekt CYDCO) und warnte deutsche Banken davor, sich an diesem Verkauf zu beteiligen. Laut Auskünften deutscher evangelischer Institutionen hat inzwi-
schen die Anglikanische Kirche begonnen, im Nordwesten Argentiniens Land stellvertretend für das indianische Volk der Matakos zu kaufen, solange diese keine eigenen Mittel haben und solange ihnen Besitzrechte vorenthalten werden.
c) Das Summerinstitut for Linguistics und die Bibelübersetzer (Wycliff) wurden wiederholt und stark kritisiert, weil sie mit ihrer Tätigkeit die indianische Existenz gefährden und zerstören, eine für die indianischen Völker unkontrollierte Übernahme von sprachlichen und geistigen „Anleihen“. Schulsysteme müssten von ihnen verantwortet werden, nicht von Fremden aufgezwungen werden. Das Summerinstitut for Linguistics arbeitet nicht im Kontext indianischer Kulturen, sondern be-
einflusst und verändert ihn durch enge Zusammenarbeit mit nordamerikanischen Zentren auf ein den indianischen Völkern fremdes und unerwünschtes Wirtschaftssystem. Auf diese Weise trägt das Summerinstitut for Linguistics zur Ausbeutung der Ressourcen und zur Zerstörung der Um-
welt-Beziehung der Indianer bei. Die Missionstätigkeit der Wycliff-Bibelübersetzer wird abgelehnt, weil die religiösen Vorstellungen der Indianer nicht ernst genommen bzw. bewusst vernichtet wer-
den müssten.
d) Die Delegation hat gegenüber offiziellen Stellen – Kirchen, Entwicklungs- und Hilfsorganisatio-
nen – immer wieder betont, dass jede Hilfe für indianische Völker direkt über indianische Organi-
sationen, Komitees und Projekte geleistet werden soll, nicht aber über Regierungsstellen der be-
troffenen Staaten, weil diese Unterstützung allzuoft die betroffenen Völker nicht erreicht oder gar gegen sie gerichtet ist.
e) Die Delegierten machten aufmerksam auf Gesetzesvorlagen im Parlament der Vereinigten Staaten, die darauf abzielen, bestehende Verträge mit indianischen Völkern aufzulösen, die ver-
bliebenen indianischen Landrechte (Reservate) zu liquidieren und indianische Fisch- und Jagd-
rechte aufzuheben.
f) Die Dene-Nation in Nordwest-Kanada, die dortige Mehrheitsbevölkerung, versuchte, die deut-
sche Öffentlichkeit über ihre Situation zu informieren und bat um Unterstützung in ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Anerkennung ihrer Menschenrechte. Ihre Vertreter wiesen darauf hin, dass auch Kanada eine Tradition der Zerstörung der Rechte indianischer Völker besitzt. Die Dene-Nation sucht die Anerkennung ihrer politischen, ökonomischen und kulturellen Autonomie für ihr Territorium in Nordwest-Kanada, das der fünffachen Größe der Bundesrepublik entspricht.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker begrüßt das große Interesse besonders von Hilfs- und Men-
schenrechtsorganisationen an den realen Problemen indianischer Völker und nimmt erfreut die Bereitschaft einiger Hilfsorganisationen, konkrete Programme und Projekte zu unterstützen, zur Kenntnis.
Der Überblick 2 vom Juni 1978.