Materialien 1986

Waffen ohne Bedarf

Rechtzeitig vor den Landtagswahlen hat die bayerische Rüstungsindustrie neue Aufträge aus dem Bundesministerium der Verteidigung erhalten. Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) baut für die Luftwaffe 35 zusätzliche Tornado-Kampfflugzeuge, Krauss-Maffei (mit dem wichtigen Unterauf-
tragnehmer Blohm und Voß in Hamburg) darf weitere 150 Leopard-2-Kampf-Panzer vom Band laufen lassen. Beide Projekte waren im Rüstungsplan des Generalinspekteurs bisher nicht vorge-
sehen.

Für die Tornados (3,3 Milliarden Mark) musste, wie es in einem Geheimpapier des Rüstungs-
staatssekretärs Manfred Timmermann heißt, extra eine „taktische Forderung“ angefertigt werden, um den „militärischen Bedarf“ nachzuweisen. Das in München ansässige deutsch-britisch-italie-
nische Dach-Unternehmen „Panavia“ soll von August 1989 an monatlich zwei Tornado-Kampfflug-
zeuge mit Spezialausrüstung für Aufklärung und elektronische Kampfführung für die Bundeswehr bauen. Die Maschinen sollen beim Jagdbombergeschwader 32 in Lechfeld und 38 in Jever (Nie-
dersachsen) stationiert werden, die angeblich unzureichende und veraltete Luftaufklärungsfähig-
keit der Bundeswehr verbessern und die Fähigkeit der Tornado-Verbände erhöhen, sich im Ernst-
fall gegen die Luftverteidigung des Warschauer Paktes durchzusetzen. Dazu werden sie nicht nur mit elektronischen Störgeräten, sondern auch mit Spezialraketen ausgerüstet, die elektronische Anlagen, etwa Radarstellung orten und zerstören können.

Durch den Bau der 35 Zusatzflugzeuge – ursprünglich hatte das Verteidigungsministerium 40 beantragt, konnte aber nur 35 beim Finanzminister durchsetzen – wächst die Zahl der von der Bundesrepublik in Auftrag gegebenen Tornado-Flugzeuge auf 357. Das Finanzvolumen des ge-
samten Tornado-Projekts überschreitet hierdurch nach dem jüngsten Preisstand die 30-Milliar-
den-Grenze. Im Papier des Rüstungsstaatssekretärs Manfred Timmermann heißt es weiter über die Leopard-2-Panzer (Gesamtwert 842 Millionen DM), dass sie vom Heer „als nicht vordringlich“ eingestuft worden sind. „Der Bedarfsträger würde aber zusätzliche Leo-2 außerhalb des derzeitigen Finanzrahmens zustimmen.“ Im geltenden Bundeswehrplan war bisher der Kauf weiterer Panzer nicht vorgesehen. Die letzten ursprünglich bestellten 1.822 Leopard-2 sollen Krauss-Maffei (Mün-
chen) und Krupp MaK (Kiel) im März 1987 abliefern. 108 der zusätzlichen Panzer sollen 1988, weitere 42 im Jahr 1989 an die Bundeswehr gehen.

Mit Blick auf mögliche Entlassungen und die bayerischen Landtagswahlen im Herbst hatte die CSU im Mai 86 eine rasche Entscheidung zu dem Panzerauftrag angemahnt. Einige SPD-Abge-
ordnete hatten sich dem angeschlossen. Noch vor 13 Monaten erteilte das Verteidigungsministe-
rium Parlamentariern die Auskunft, für das Heer habe die Beschaffung weiterer Leopard-2, von dem es bald 1.822 Stück besitzen wird, „keinen Vorrang“. Vor 15 Monaten stellte die Heeresfüh-
rung das Konzept einer „Familie“ gepanzerter Fahrzeuge für die 90er Jahre vor. Der Leopard-2, dessen Produktion im kommenden Jahr enden sollte, wurde dabei nicht erwähnt.

Vielmehr war von „Panzer-/Hubschrauber-Abwehrkampfwagen“ und von neuartigen „Panzerab-
wehrkampfwagen“ und einem auch „Kampfpanzer 3“ genannten „Panzerkampfwagen 2000“ die Rede. Dieser sollte keine Weiterentwicklung des Leopard-2 werden, sondern einen „technologi-
schen Sprung“ vollziehen. Die Entwicklung des Kampfpanzers 3 (zunächst gemeinsam mit Frank-
reich betrieben) ist gestoppt. Denn auch die von der Industrie genährten Erwartungen eines „tech-
nologischen Sprungs“ haben sich nicht erfüllt. Die neuen Leopard sind der 10. Panzerdivision in Sigmaringen zugedacht, die laut Beschaffungsvorlage nicht nur 150, sondern 250 Exemplare be-
nötigt – und eigentlich etwa 1998 als erste Division den Kampfpanzer 3 erhalten sollte. Folgt man der Hardhöhe-Argumentation, nun gehe es um eine „vorgezogene Beschaffung weiterer Leo-
pard-2“ (die im Bundeswehrplan bisher nicht vorgesehen war), so liegt der Schluss nahe, der Kampfpanzer 3 heiße jetzt Leopard-2.

Insgesamt sollte er 2.437 Leopard-I und 650 noch ältere M-48-Tanks ersetzen. Somit scheint ein langfristiger Auftrag für die Panzerindustrie zu winken.

Krauss-Maffei und Diehl hoffen auf Geschäft mit neuem Panzer

Die Krauss-Maffei AG München und die Diehl GmbH & Co., Nürnberg, erhoffen sich einen großen kommerziellen Erfolg von einem gemeinsam entwickelten leichten Kettenfahrzeug. „Puma“ ziele auf den „sehr großen Ersatzbedarf der NATO“ von etwa 100.000 Stück ab den 90er Jahren, erklär-
ten am 4.7.86 Diehl-Geschäftsführer Gerd Gassner und Krauss-Maffei-Vorstand Gerhard Haas in München. Als potentiellen Kunden sähen sie vor allem NATO-Mitglieder. Für „Puma“, den mögli-
chen Nachfolger des weltweit verbreiteten gepanzerten US-Kettenfahrzeuges M-113, seien zwanzig Varianten in den Gewichtsklassen 16 bis 28 Tonnen, möglicherweise auch 29 bis 34 Tonnen, vorge-
sehen. Je nach Ausrüstung könne er als Panzermörser (Diehl-Entwicklung), Mannschaftstranspor-
ter, Schützenkampfwagen, leichter Kampfpanzer, zur Panzer- und Flugabwehr, Minenwerfer und Bergepanzer eingesetzt werden. „Revolutionär“ an „Puma“ sei der niedrige Preis. die Entwicklung in Eigenregie innerhalb von 2½ Jahren und die Entwicklungskosten in Höhe „zweistelliger Millio-
nenbeträge im unteren Bereich“. Käufer gebe es noch nicht, erster’ möglicher Liefertermin sei in 3 Jahren. Für diesen Entwicklungs-Alleingang habe „moralische Rückendeckung“ von Verteidi-
gungsminister M. Wörner bestanden.


mediatus. Zeitschrift für handlungsorientierte Friedensforschung 7/8-1986, Starnberg, 12.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Frieden/Abrüstung