Materialien 1972

Der dritte Mann

In München wird an der Akademie endlich eine zweite Kunstdidaktik-Professur besetzt. Eine von Thomas Zacharias, dem bisher einzigen Kunstdidaktiker dort, verfasste Ausschreibung hätte Udo Scheel in Münster schon zum Vorbild dienen können. In ihr stand unter anderem:

„Der Bewerber soll vor allem über fachdidaktische Kenntnisse und Erfahrungen und über gute pädagogische Eignung verfügen. Erwartet wird ein abgeschlossenes fachlich einschlägiges Hoch-
schulstudium sowie die besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit und der zusätzliche Nachweis wissenschaftlicher Leistungen. Es können sich auch Bewerber melden, die statt dessen hervorragende fachbezogene Leistungen in der Praxis aufweisen. Zu den Auf-
gaben gehört bei hohen Studentenzahlen sowohl die Arbeit im Rahmen bestehender Studienvor-
aussetzungen als auch die Mitwirkung an der Reform des Studiums, die inhaltlich und organisa-
torisch im Zusammenhang mit der Neuregelung der Lehrerbildung steht.“

Der fettgedruckte Satz allerdings ist nicht von Zacharias, sondern wurde von Ministerialrat Eberl aus dem Münchner Kultusministerium nachträglich hineingepfuscht.

Nach Ablauf der Bewerbungsfrist präsentierte Zacharias, wie es sein Auftrag war, dem Akademie-
rat die Liste der Bewerber und einen 6er-Vorschlag der Personen, die nach seiner Meinung die Ausschreibungsbedingungen in besonderem Maße erfüllen. Alle waren Fachleute, zum großen Teil bereits Lehrstuhlinhaber eines anderen Instituts. Ein Teil der Senatsmitglieder aus der freien Ab-
teilung erweiterte daraufhin die Liste um drei weitere Personen. Bei der folgenden Abstimmung über den 3er-Vorschlag an das Ministerium standen sich zwei mit allen fachlichen Voraussetzun-
gen Gesegnete und als dritter Kandidat ein von der Freien Abteilung der Akademie durchgesetzter Assistent des dort dienstältesten Professors Kaspar gegenüber. Ausgerechnet dieser Assistent, Horst Sauerbruch, auf den lediglich die nachträglich eingefügte Klausel von den hervorragenden praktischen Leistungen allenfalls zutreffen könnte, wurde von Kultusminister Meier gewählt. Die Reaktionären mit der offenbar besseren Lobby beim Ministerium setzten sich durch. So etwas ist nun allerdings ganz unüblich, denn 3er-Vorschläge werden nicht etwa gemacht, um einem fachun-
kompetenten Minister das ehrenvolle letzte Wort zu lassen, sondern um das ganze Berufungsver-
fahren nicht wiederholen zu müssen, falls der erste Bewerber in letzter Minute absagt. Es ist üb-
lich, dass der Minister den ersten beruft. Warum wurde in diesem Fall der Dritte gewählt?

Die in München kolportierte Version ist folgende: Ein Ministerialdirektor im Kultusministerium hat eine mit Professor Kaspar, dessen Assistent Sauerbruch ja ist, verehelichte Schwester und dürfte drum eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt haben. In einer Dokumentation „Der Fall Sauerbruch“ des kunstpädagogischen Studentenkollektivs der Akademie werden allerdings auch folgende sachliche Schlüsse gezogen, die bei den Drahtziehern im Fall Sauerbruch die gleichen Motive erkennen lassen wie im Falle Münster:

„Da sich die Berufung speziell auf den von Ministerialrat Eberl (Hochschulabteilung) nachträglich eingefügten Satz in der Ausschreibung bezieht …, liegt der Verdacht nahe, dass die Favorisierung von Horst Sauerbruch beabsichtigt war.

Während der beiden Schließungen der Akademie 1969 wurde vom Landtag ein Beschluss gefasst, der das Kultusministerium auffordert, eine Akademiereform einzuleiten. Aus dieser Anweisung leitet sich auch die ausgeschriebene Professorenstelle ab.

Demgegenüber fordern 11 Professoren in einem ‚Memorandum‘, dessen erster Unterzeichnender Prof. Kaspar ist, eine Reform, die die Zustände von 1945 wieder herstellen soll. Das bedeutet, dass die Akademie lediglich Ausbildungsstätte für Maler und Bildhauer sein darf …

Wenn allerdings von einer Professorengruppe, die laut ihrem eigenem Memorandum in der Akade-
mie die Zustände von 1945 wieder herstellen will, die Entwicklung eines Schulfaches Kunsterzie-
hung durch die Berufung eines lediglich freien Malers boykottiert werden soll, dann können wir nicht zusehen, wie ein Günstling eine Lebenspension erhalten soll.“

Dieser Protest sollte sich nicht auf die Münchner Studenten der Kunstpädagogik beschränken. Alle sollten in solchen sachfremden Ministerentscheidungen wie den Fällen Münster und München deutlich protestieren. Besonders verpflichtet dazu sind, finde ich, die Kunstpädagogik-Lehrer an anderen Hochschulen der Bundesrepublik und der BDK (Bund deutscher Kunsterzieher). Wenn BDK-Funktionäre auf Bundes- und auf Landesebene bei den ihnen zu Verfügung stehenden Ver-
bindungen nicht vorzeitig Wind von solchen sich anbahnenden Skandalen bekommen und erst, wenn es geschehen ist, auf Fachtagungen Resolutiönchen verabschieden, sind sie leider zu lang-
sam. Die konkreten Fälle müssen jeweils benannt werden, ein offener Brief zur Lage der Kunstpä-
dagogik, wie ihn der Bundesvorstand vor einiger Zeit geschrieben hat, und eine Reise nach Bonn, bewirken da nichts.

Ludwig Zerull


Kunst + Unterricht 16 vom Juni 1972, Velber bei Hannover, 5.

Überraschung

Jahr: 1972
Bereich: Kunstakademie