Materialien 1988

Krieg der Knöpfe

Von Horst Hartmann

Große Zeiten für Übelnehmer, Prüde und Denunzianten, vor allem im weißblauen Freistaat. Eltern, deren Kinder ein Gymnasium in Oberbayern besuchen, haben sich beim Kultusministerium bitter beschwert und damit offene Türen eingerannt.

Die Siebtkläßler konnten bislang das Buch „Der Krieg der Knöpfe“ des französischen Schriftstellers Louis Pergaud im Unterricht lesen. Der Autor hat dieses herzerfrischende Jugendbuch geschrie-
ben, um – wie er im Vorwort sagt – „einen Abschnitt meiner Kindheit wieder heraufzubeschwören, ein Stück wildes, leidenschaftliches Leben, wie wir kleinen Kerle es geführt haben, offen und hero-
isch, frei von allem heuchlerischen Zwang, den Familie und Schule uns auferlegen wollten“.

In Bayern kam es zu Jagdszenen. Spießbürger entdeckten anstößige Stellen und Wörter. Ihnen missfielen Kraftausdrücke wie „verrottetes Schwein“ oder „dreckige Arschlochschnauze“, mit denen sich die zwölfjährigen Romanhelden beschimpfen. Vor allem aber erregten sich die selbst-
ernannten Sittenapostel über die Schilderung eines großen Rüden, der eine kleine Hündin besteigt.

Das Ministerium, in dem offenbar das Verschweigen von Sexualität bereits Kultur ersetzt, griff die Provinzschelte mit ungewohntem bürokratischen Eifer auf. Es nahm übel und wetterte gegen die „ordinäre Umgangssprache“ und „den aufgezwungenen Vergleich zwischen menschlicher Sexuali-
tät mit tierischem Verhalten“. Den Schülern werde keine Hilfe „zur richtigen Einordnung mensch-
licher Sexualität in ihrem Leben“ vermittelt. Die bigotten Anstoßnehmer dürften zufrieden sein, gehören sie doch jenem katholischen „Freundeskreis Maria Goretti“ an, der einst Sturm lief gegen die Einführung der Sozialkunde an bayerischen Schulen.

Louis Pergaud kann sich nicht mehr über die schwarzen Mucker östlich des Rheins amüsieren. Er fiel 1915 im Alter von 33 Jahren. Der Lehrer eines Landschulheims wurde durch seine Tierge-
schichten berühmt. Wie sehr er in Frankreich geschätzt wird, zeigt sich daran, dass auf eine Werk-
auswahl im Jahre 1918 eine Gesamtausgabe 1965 folgte. Noch zu Lebzeiten, 1910, erhielt Pergaud den Prix Goncourt für den Roman „Markt der Marder“.

Im Jahr des Unheils, 1935, konnte dieser Roman sogar noch im tausendjährigen Reich erscheinen. Und 1980 tauchte das Jugendbuch „Der Krieg der Knöpfe“ auf der Auswahlliste für den Deutschen Jugendbuchpreis auf.

Die CSU und ihre Schildknappen im Kultusministerium sollten aus dem Vorfall Konsequenzen ziehen und alles aus den Schulen verbannen, was auf die Existenz von zweierlei Menschen schlie-
ßen lässt.


Deutsche Volkszeitung/die tat 9 vom 4. März 1988, Düsseldorf, 8.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: SchülerInnen