Materialien 1988

GEW, eine bibelfeste Gewerkschaft

Von Horst Hartmann

Aschermittwoch begann es. Ob die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft der Teufel ritt, ist nachträglich schwer auszumachen. Auf jeden Fall provozierten die Lehrer mit einem Plakat in den bayerischen Schulen. Das Kultusministerium bezeichnete das als „eifernde Polemik“ und die ka-
tholische Bischofskonferenz des Freistaates sogar schroff als „menschenverachtende Unterstel-
lung“. Die GEW blieb die Antwort aber nicht schuldig und sprach von „alttestamentarischen Ra-
chegelüsten“.

Das beanstandete Plakat enthält lediglich drei Verse aus der Bergpredigt einer Luther-Bibel von 1866. Da heißt es: „Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen und beten in den Schulen, und an den Ecken auf den Gassen, auf dass sie von den Leuten gesehen werden … Wenn du aber betest, so gehe in dein Kämmerlein, und schließe die Tür zu, und bete zu deinem Vater im Verborgenen.“

Mit diesem Zitat wollte die Lehrergewerkschaft gegen den Beschluss des bayerischen Landtags protestieren, der mit CSU-Mehrheit eine Empfehlung für ein gemeinsames Gebet zu Beginn und Ende des Unterrichts verabschiedet hatte. Nun verlagert sich der Streit um das Schulgebet zu einer spitzfindigen Debatte der Exegeten, deren Kunst der Bibelauslegung vom braven Kirchenvolk nur mit Unlust zur Kenntnis genommen werden dürfte.

Das Ministerium spricht von einem falschen Zitat, da in der Standardausgabe der Luther-Bibel von 1985 der Begriff Schule nicht vorkommt. Die Bischöfe warten mit dem griechischen Urtext auf und interpretieren ihn so, dass von „Schule im heutigen Sinn“ nicht die Rede sein könne. Die GEW kontert, dass mit dem Begriff Schule 1866 Synagogen gemeint waren. Sabbatschulen der Juden.

Die aufsässigen, aber immerhin bibelfesten Lehrer wenden sich gegen den „politischen Missbrauch religiöser Empfindungen“. Würden bayrische Kinder so einfach gute Christen, müsste man das Schulgebet stündlich wiederholen. Aber leider sind nach den Erfahrungen mit unchristlichen Ver-
hältnissen ernsthafte Zweifel angebracht. Bereits in der Vergangenheit dürften Schulgebete nicht verhindert haben, dass die einst gemeinsam die Hände faltenden Lausbuben sich später belogen, betrogen und schamlos übers Ohr hauten.

Und da zwischen den weißblauen Grenzpfählen ausgerechnet Zeitgenossen Karriere machten, die als Parlamentsbelügner, Skandalritter oder Meineidbauern bekannt wurden, zeigt sich, dass from-
me Lippenbekenntnisse keineswegs zu christlichen Tugenden führen.


Deutsche Volkszeitung/die tat 20 vom 20. Mai 1988, Düsseldorf, 15.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: SchülerInnen