Materialien 1987

Die endgültigen Rechtsinformationen des Ermittlungsausschusses zum VOLKSzählungsBOYKOTT

Kohl: Diejenigen, die zum Boykott der Volkszählung aufrufen, „wollen die Autorität des Staates untergraben. Das ist eine zutiefst faschistische Gesinnung“. (12.5.87 in Trier)

Dieses Zitat und die Aussage des Herrn Zimmermann, der die Boykotteure in die Nähe des Terro-
rismus rücken will, machen deutlich, dass die Durchführung der Volkszählung nicht nur ein ein-
facher Verwaltungsakt ist, sondern so stark mit ihrem politischen Ansehen verbunden ist, dass die Herrschenden glauben, sich diesen Gesichtsverlust einer undurchführbar gewordenen Volkszäh-
lung nicht mehr leisten zu können.

Dies macht auch die Einschüchterung und Kriminalisierung von Volkszählungsgegnern schon im Vorfeld und trotz äußerst ungesicherter Rechtslage durch Drohungen, Zensur, Beschlagnahmun-
gen, Strafanzeigen, Durchsuchungen von öffentlichen Räumen/Privatwohnungen und Festnahmen deutlich.

Es ist anzunehmen, dass Polizei und Justiz in der „heißen Phase“ der Volkszählung ihre Aktivitäten noch verstärken werden, um eine ungestörte Durchführung der Volkszählung durchzusetzen.

Zum einen ist es daher notwendig, dass sich alle, die mit dem Boykott zu tun haben, ausreichende Gedanken über ihr Handeln machen, und zum anderen ist es notwendig, einen Ermittlungsaus-
schuss (EA) zu besetzen. Der EA soll als Info-Stelle dienen, um einen Überblick über die oben ge-
nannten Aktivitäten der Polizei und Justiz zu bekommen und die Repressionen für uns alle durch-
schaubar zu machen.

Deshalb ist es wichtig, dass alle, die mit den Staatsorganen in Kontakt kommen, sich beim EA zu melden, damit ihnen geholfen werden kann (Rechtsinfos, RA etc.) und um lnfos zu kriegen, was läuft.

Der EA wird bis auf weiteres von Mo. bis Sa. jeweils von 17 bis 20 Uhr besetzt sein (Tel. 44 89 638).

Da immer wieder Unklarheiten über das Verhalten der Polizei und Justiz gegenüber herrscht, noch einmal die wichtigsten Verhaltensweisen zur Erinnerung.

Allgemeine Verhaltensmaßregeln:

Sorge dafür, dass Deine Wohnung sauber ist. Das gilt auch für Diskussionspapiere, Protokolle und Korrespondenzen, für Kalender und Adressen und anderes, das entweder auf Dich oder andere Rückschlüsse zulässt.

Grundsätzlich soll nichts in der Wohnung sein, wovon Du glaubst, dass es Dich oder andere bela-
sten könnte oder strafbar ist. Im Zweifelsfall auf die geliebten Stücke verzichten.

Behaltet die „Hüter des Gesetzes“ (ob Uniform oder Zivil) im Auge und wartet im Zweifelsfall, bis Ihr Euch unbeobachtet fühlt.

Lasse Dich bei Gesprächen mit der Polizei auf keinerlei Diskussionen oder Provokationen ein. Sag nur das, was gesagt werden muss. Deine Wut ist verständlich, aber sie könnte Dir schaden, daher spare sie Dir für später.

Verständige bei allen Vorfällen mit der Polizei den EA (insbesondere bei Festnahme/ Verhaftung und bei Deiner Entlassung).

Festnahme:

(= vorläufiges In-Gewahrsam-Nehmen für max. 48 Std.)

Frage nach dem Grund Deiner Festnahme. Man/frau ist bei der Polizei nur zu folgenden Angaben verpflichtet:

Name, Vorname, Adresse, Geburtsdatum und -ort, Familienstand und allgemeine Berufsbezeich-nung.

Was und wo Du arbeitest oder Deine Telefonnummer z.B. geht die Polizei nichts an!!

Die Polizei wird Dir immer wieder Fragen stellen – auch dann noch, wenn Du schon deutlich signalisiert hast, dass Du nichts sagen willst.

Weise darauf hin, dass es nicht Deine Pflicht, sondern Dein Recht ist, auszusagen und dass Du davon keinen Gebrauch machen willst.

Bei polizeilichen Protokollen gilt: mache keine Angaben, aber unterschreibe (so dass nichts mehr hinzugefügt werden kann), dass Du von Deinem Recht, auszusagen, keinen Gebrauch machst.

Ansonsten wird nichts unterschrieben, gell!

Wenn Du erkennungsdienstlich (ed) behandelt wirst (Fingerabdrücke, Fotos), verlange, dass Dein Widerspruch protokolliert wird, den Du unterschreibst.

Wenn Gegenstände beschlagnahmt oder eingezogen werden, lass Dir eine Quittung geben, die die Polizei unterschreiben muss, nicht Du.

Verhaftung:

(= wie Festnahme, aber Du musst nach spätestens 24 Stunden einem Haftrichter vorgeführt wer-
den)

Ablauf wie bei Festnahme (kann sich auch aus Festnahme ergeben).

Wenn Du merkst, dass Du dem Haftrichter vorgeführt werden sollst, ist es an der Zeit, mit Nach-
druck auf einen Anwalt zu bestehen (das ist Dein Recht und davon solltest Du auch Gebrauch machen). Du hast das Recht, einen Anwalt Deines Vertrauens zu benennen, nicht irgendeinen Pflichtverteidiger. Schau, dass Du seine Telefonnummer hast.

Außerdem kannst Du bei einer Verhaftung eine Vertrauensperson verständigen, z.B. den EA.

Grundsätzlich gilt:

Als Beschuldigter musst Du vor Polizei/Staatsanwalt/Haft- bzw. Ermittlungsrichter keine Aus-
sagen
machen.

Als Zeuge musst Du bei den Bullen keine Aussage machen (Recht auf Aussage), beim Staatsanwalt auch nicht (Zeugnisverweigerungsrecht).

„Ich mache von meinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, da ich mich selbst belasten könn-
te.“

Beim Ermittlungsrichter musst Du aussagen, allerdings nur im Beisein Deines Anwalts.

Bedenke, was es für Dich oder andere bedeutet, wenn Du Aussagen machst!

Natürlich kommt es vor, dass mensch durch die Aufregung oder Unsicherheit doch Aussagen macht. Also, wenn Du Aussagen gemacht hast, dann melde Dich nach Deiner Freilassung sofort bei dem EA, damit der einschätzen kann, was Deine Aussagen nach sich ziehen könnten.

Hausdurchsuchung:

Lass Dir den Durchsuchungsbefehl mit Stempel und Unterschrift zeigen.

Er kann von den „Ordnungshütern“ mit „Gefahr im Verzug“ unterlaufen werden.

Lass Dir die Gründe für die Durchsuchung nennen.

Auch im Fall einer Durchsuchung muss mensch nicht mehr Angaben machen als die unter Fest-
nahme genannten und schon gar nix über Dritte!

Werden Gegenstände beschlagnahmt, verlange ein Verzeichnis dieser Gegenstände mit Bezeich-
nung und Anzahl. Dazu ist die Polizei verpflichtet, auch wenn es sich nicht um Dein Eigentum oder gar um Staatseigentum handelt.

Verlange eine richterliche Entscheidung wegen der Beschlagnahme. Du kannst fordern, dass mit-
genommene Schriftstücke versiegelt werden.

Man/frau hat das Recht, telefonisch Zeugen für die Durchsuchung zu rufen, denen der Zutritt zur Durchsuchung nicht verwehrt werden darf.

Bleibe der Polizei gegenüber während der Durchsuchung freundlich aber bestimmt auf den Fersen und lege bei Unregelmäßigkeiten Protest ein, lass Dir dann den Namen des Beamten geben.

Gibt es Schwierigkeiten oder Du hast das Gefühl, Du kommst mit der Situation nicht mehr klar, ruf lieber einen Anwalt Deines Vertrauens an.

V.i.S.d.P.: Ermittlungsausschuss, Breisacherstr. 12 – 8/80


Archiv der Münchner Arbeiterbewegung, Flugblattsammlung

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Bürgerrechte