Materialien 2020

"querdenker_2"

Ungefähr eine Stunde nach Richy Meyer trifft Frieda von Bülow auf der Theresienwiese ein. Keine Nazis, keine Reichsbürger*innen geben sich zu erkennen. Ein bunt gemischter Haufen bevölkert das Terrain des abgesagten Oktoberfestes. Nicht jede Botschaft der selbst gemalten Schilder erklärt sich von selbst. Doch zum Nachfragen ist es zu laut. Der mega-hippe und quer denkende Entertai-
ner Nana Domena auf der Bühne überschallt die Wiese. Die Stimmung ist gereizt, aber selbstge-
wiss. Die Veranstalter*innen wollen die Auflagen der Polizei erfüllen und fordern immer wieder zum Abstand-Halten auf. Das muss natürlich geübt werden. Man kann die Arme aber nicht nur in der Horizontale benutzen, um zu wissen, wie viel 1,5 Meter sind. Man kann sie auch im Kollektiv in die Höhe reißen und froh sein, sich heute die Achselhöhlen rasiert zu haben. Frieda kommt nicht so richtig in Stimmung, weil sie immer wieder Pöbeleien erleben muss. Es geht das Gerücht um, die Antifa wäre hier mit Mütze, Sonnenbrille und großer Kamera unterwegs. Entsprechend wird Frieda von der Beilngrieser Ortgruppe, die mit selbst bemalten Luftballons mit Anti-Corona-Motiven im Gras herumliegt, angeschnauzt, warum sie eine Maske trage. Es hängt eine merk-
würdige Schlaffheit über dem Platz, aber am Merchandising-Stand gibt es viele lustige Fan-Artikel zu kaufen. Vitaler gerieren sich die Gegendemonstrant*innen. Sie stehen maskentragend mit den besser gemalten Transparenten und Trillerpfeifen am oberen Ende des sogenannten Kotzhügels und johlen immer mal. Nach dem Verlassen der Anti-Corona-Zone begibt sich Frau von Bülow mit ihrer kleinen Kamera zur Bavaria, um ihre antifaschistische Peergroup zu treffen. Doch die lässt sich gerade von der Polizei von der Treppe verscheuchen. Heroisch – wie vor dem Berliner Reichs-
tag vor zwei Wochen – verhindern die hingestellten Polizist*innen Schlimmeres.


Text und Bilder: Frieda von Bülow

Überraschung

Jahr: 2020
Bereich: Bürgerrechte