Materialien 1980
Gedenken missbraucht
Lagergemeinschaft Dachau BRD – Mitglied des „Comité International de Dachau“
17.7.1980
Vorsitzender: Eugen Kessler, Anemonenstrasse 30, 8000 München 90
Presseerklärung der Lagergemeinschaft der ehemaligen KZ Häftlinge von Dachau
Am Samstag, den 19. Juli 1980, soll im Dachauer Kloster „Heilig Blut“ eine „Gedenkfeier für die Opfer politischer Gewalt“ stattfinden, um, wie es heißt, besonders der Opfer der Gefangenen aller Völker 0steuropas, die in Dachau inhaftiert waren, zu gedenken. Initiator dieser Veranstaltung sind die „Gesellschaft für Menschenrechte“, der Katholikenrat der Region München und das Lan-
deskomitee der Katholiken in Bayern. Nach der Gedenkstunde haben die Veranstalter eine „stille Demonstration“ auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau angekündigt.
Wie die Einlader Presseberichten zufolge äußerten, dient diese Aktion auch dem „Gedenken an Häftlinge aus Gefängnissen osteuropäischer Staaten“; der Beginn trifft zeitlich genau mit der Er-
öffnung der Olympischen Spiele in Moskau zusammen.
Die Lagergemeinschaft Dachau empfindet diese Veranstaltung und das genannte zeitliche Zusam-
mentreffen mit der Eröffnung der Olympischen Spiele als Zeichen eines bösen Willens, der gegen den Geist der Olympiade und der Völkerfreundschaft gerichtet ist. Hierbei soll der Name Dachaus als des Ortes, an dem das erste Konzentrationslager der Nazis errichtet wurde, wieder einmal miß-
braucht werden.
Bis zum heutigen Tag hat es keine der einladenden Organisationen für notwendig gehalten, der Toten von Dachau aus den osteuropäischen Ländern zu gedenken. Bei keiner der alljährlich statt-
findenden internationalen Veranstaltungen des Comité International de Dachau war eine dieser Organisationen bisher zu sehen.
Als vor nicht langer Zeit die Sinti einen Hungerstreik zur Durchsetzung ihrer berechtigten Forde-
rungen durchführten und die gesamte Presse auf diese Aktion und deren Beweggründe hinwies, war von einer Solidarität der „Gesellschaft für Menschenrechte“ nichts zu spüren – für eine Be-
völkerungsgruppe, von der während des „Dritten Reiches“ 500.000 Menschen ermordet wurden.
Daraus ist ersichtlich, dass diese angeblich im Namen der Humanität stattfindende Aktion nichts anderes ist als eine Demonstration des bösen Willens gegen die olympische Idee. Die Lagergemein-
schaft Dachau ist zutiefst empört darüber, dass auf diese Weise das Gedenken an die Opfer miß-
braucht und geschändet wird.
Mitteilungsblatt der Lager-Gemeinschaft Dachau vom Dezember 1980, 4.