Materialien 1978

Protest

LAGERGEMEINSCHAFT DACHAU
MITGLIED DES „COMITÉ INTERNATIONAL DE DACHAU“. 8 München

Mit Empörung haben die Mitglieder der Lagergemeinschaft Dachau von der Disziplinarstrafe ge-
gen den Gefreiten Anselm Conrad Kenntnis genommen. Die ehemaligen Häftlinge des faschisti-
schen Konzentrationslagers erfüllt es mit tiefer Besorgnis, dass ein Soldat für eine eigentlich selbstverständliche demokratische Handlung, nämlich die Ehrung der Opfer des Naziterrors, be-
straft wird. Zudem wird durch diese Maßnahme das Recht des Soldaten, an Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Uniform teilzunehmen, mit Füßen getreten.

Dieses Vorgehen gegen einen Soldaten, der es ernst meint mit dem Auftrag zur Verteidigung der Demokratie, bestätigt wieder einmal den Verdacht, dass von vielen Offizieren unter Traditionspfle-
ge der bruchlose Übergang von der Nazi-Wehrmacht zur Bundeswehr verstanden wird.

Dieser skandalöse Vorgang ist kein Einzelfall: der Stabsarzt Bremberger wurde erst jüngst ent-
lassen, weil er auf einer Kundgebung für Frieden und Entspannung eintrat; andererseits werden antisemitische Äußerungen in der Bundeswehr verharmlost, nazistische Literatur und Symbole sind in vielen Kasernen ausgestellt, hohe Bundeswehroffiziere nehmen an Veranstaltungen der HIAG , der Tarnorganisation der kriminellen Waffen-SS, teil.

Die Lagergemeinschaft Dachau fordert die unverzügliche Rehabilitierung des Gefreiten Anselm Conrad und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den verantwortlichen Oberstleutnant Geier. Wir fordern Bundesverteidigungsminister Apel auf, schonungslos die antidemokratischen Vorfälle in der Bundeswehr aufzuklären und endlich Traditionspflege in dem Sinne zu verstehen, wie es Bundeskanzler Helmut Schmidt während seines Staatsbesuches in der Volksrepublik Polen am 23. November 1977 in Auschwitz geäußert hat: Die Kämpfer „gegen Hitler, Männer und Frauen aus allen politischen Lagern, gehören auch zur deutschen Vergangenheit und sie sind ihr achtungs-
würdigster Teil.“

München , den 24. November 1978

Sprecher der Lagergemeinschaft Dachau:
Eugen Kessler, Anemonenstraße 30, 8000 München 90


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Bundeswehr