Materialien 2020

Teutsche Chinesen

Lieber Günther,

manchmal kann ich Argumentationshilfe bieten, nach längerem Durchlesen Deiner Email schreib ich mal so: An dem chinesischen Weg Deiner Bekannten siehst Du ausnahmsweise, dass von Drau-
ßen die Rettung kommen muss! Man muss daran glauben, so wie man daran glauben muss, dass das Umgekehrte auch bedeutet, dass von Draußen alles Unglück kommt – aber an diese Mär glau-
ben viel mehr Leute und die Grenze, wo ‚draußen‘ beginnt, ist oft sehr eng am HIER.

Genau deswegen beschäftige ich mich selten mit ‚Bashing‘, sondern mit der Sachlage, im schlimm-
sten Fall mit dem Aufbau von Viren – und zwar bis in die Zahl der Basen hinein, die ein solches Virus bildet. Das jetzt fällige hat ca. 29.000 Basen, obwohl die keineswegs miteinander verwandt sind und die chemisch-menschliche Bezeichnung halt so ohne Murren hinnehmen. Das sind 29 eng beschriebene A4-Blätter und daraus sucht man mit PCR einen bestimmten Abschnitt (wie viele Basen ist der lang?), verdoppelt dazu die Viren in 30 bis 40 Schritten (2 hoch 30 ), bis man genü-
gend ‚Material‘ zum Nachweis hat – positiv oder negativ. Dazu sagte ich gestern zu einem Men-
schen, mit dem ich nach der Demo sprach: Wenn ich mich testen lassen würde, fände man sicher in meinem körperlichen Virenvorrat ein solches passendes Stück.

Was die teutschen Ferkelerzeuger (Wirtschaft!) betrifft, sind die ebenso arm dran wie die Milch-
bauern, die heute vor einer ALDI-Zentrale kundgeben, dass Aldi sie auspresst, weil das in unserer Wirtschaft normal ist (beides: auspressen und demonstrieren). Sowohl den Ferkeln und Schweinen ist das unangenehm wie den Kühen, die sich täglich 42 Kilogramm Milch abpumpen lassen müs-
sen, um nicht umzukommen, dafür leben sie auch nur ca. 4 Jahre, dann sind sie so kaputt wie das ganze System: Wachsen oder Sterben. Deine Bekannte hat weder das zwanghafte Wachstumssy-
stem noch die Konzentration und Zentralisation in der Wirtschaft verstanden.

Für den chinesischen Weg in der Nahrungsmittelversorgung braucht das eine Zentralisierung im ‚Fortschritt‘ weg von kleinteiliger bäuerlicher Tierhaltung. Das bedingt enorme Aufwendungen an

– Zufuhr (Wegebau, LKWs oder Bahn)

– Wasser (leistungsfähige Quellen, Leitungen),

– Futter (Großfelder, Bearbeitungsmaschinen, Treibstoffe, Dünger, Pestizide)

– Schlachthöfe (könnten in der Nähe erbaut sein, Tötungsmenschen …)

– Kühl- und Gefrieranlagen, Verpackungsmaschinerie (Plastik, Aufkleber)

– Wohneinheiten für die Bedienungsmenschen

– Energie (alles Elektro ??)

– Abwasser- und Abluft-Reinigungsanlagen

Also all das, was die hiesige Wirtschaftspolitik auch kaputt macht. Das ist alles konzentriert und mit wachsender Größe multiplizieren oder potenzieren sich die Anforderungen! Es ist nicht le-
bensnah, sondern maschinenorientert – was sehr viel mit Kapitalismus zu tun hat, denn der ist mit dem maschinellen Denken und Handeln groß und mächtig geworden. Deswegen halte ich die Be-
zeichnung des ‚Anthropozäns‘ für knapp daneben und bevorzuge die Analyse von ‚Kapitalozän‘ (Altvater). Das mag in einem Zwischenschritt erforderlich, sogar gut sein (da ist wieder die Frage nach der Grenze), aber eine mathematische Kurve, die nach oben weist, kann sowohl eine Gerade (bis ins Unendliche), eine Parabel (bis ins Unendliche), eine Exponentialkurve (bis ins Unendliche) oder eine Sättigungskurve oder gar eine Welle sein – von Überlagerungen will ich da gar nicht schreiben).

Entscheidend ist: An welcher Stelle der Wachstumskurve befindet sich diese Gesellschaft? Der maschinell-wachstumsorientierte Mensch soll doch mal zeigen, an welcher Stelle der Kurve wir oder China uns befinden – und das auf einem kleinen Planeten, also auf einer endlichen Kugel. – Auf endlichem Gelände gibt es keine unendliche Steigerung. Das wusste schon Galileo Galilei und wurde als Ketzer verbrannt.

Dagegen halte ich den Weg, den Vananda Shiva seit Jahrzehnten propagiert für lebensgerechter. Ich hab viel von ihr gelesen und einige Filme über/mit ihr gesehen. Das ist nur ein kleiner Hinweis: https://www.brot-fuer-die-welt.de/ueber-uns/60-jahre/heldenportraits/vandana-shiva/

Sie hat den Alternativen Nobelpreis vor ca. 15 Jahren bekommen. Sie konnte zeigen, dass mit der Förderung kleinbäuerlicher Strukturen und biologischer Züchtungen die örtliche Versorgung in Indien und Afrika (usw.) weit besser und gesünder für Mensch und ihre (!) Umwelt besser funktio-
niert als mit industriellen Großstrukturen. Sowohl über sie als auch ähnliche Ansätze gibt es in-
haltsreiche Filme, die gewisse Hoffnung geben. Die industriellen Strukturen nehmen die Hoffnung.

Aber ich werd dem Anhänger der Großindustrie (ob landwirtschaftlich oder sonstwas) nie die ka-
pitalistisch-inländerfeindlichee Empfehlung geben ‚Geh doch rüber‘, weil ich ihm seine hiesige Heimat gönne. Was bin ich heute wieder tolerant, ha!

Mit besten UV-Wünschen für heute Nachmittag – nutz sie bitte!
Werner


E-Mail, zugeschickt am 7. Dezember 2020

Überraschung

Jahr: 2020
Bereich: Kapitalismus