Materialien 1981

Prozessbericht Diyarbakir II

RAe A. Fenk, P. Heyse, H. Strobl

Anlass
für die Reise war der Prozess in Diyarbakir, der gegen Angehörige der P.K.K. bzw. gegen Türken kurdischer Volkszugehörigkeit seit etwa Mitte Juli 1981 stattfindet.

Absicht
war festzustellen, ob in diesem Prozess oder im Rahmen der umfangreichen Inhaftierungen kurdi-
scher Volkszugehöriger Rechtsverletzungen stattfinden und ggf. in welchem Umfang. Ferner war die Absicht festzustellen, ob die Mutmaßungen, es werde in der Türkei ein Ethnozit an der kurdi-
schen Minderheit betrieben, der Richtigkeit entsprechen. Schließlich sollten Informationen darü-
ber gesammelt werden, ob durch die Regierung Evren Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte verletzt werden.

Pauschales Ergebnis:

In der Türkei läuft derzeit jeder Gefahr, inhaftiert zu werden, der als Regimegegner bekannt wird oder als Regimegegner angesehen wird. Er läuft Gefahr in der Haft (durch Folter) oder durch ju-
stizförmige Maßnahmen zu Tode zu kommen. Dies gilt insbesondere für (bloße) Mitglieder der PKK, der TIP (die unter der Regierung Demirel noch legal war), der Deyvol, der Devgenc sowie aller Organisationen, die vom Regime nicht ausdrücklich gebilligt werden.

Insbesondere gilt das Gesagte für jeden Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, der als Kurde auf-
fällt, z.B. dadurch, dass er sich der kurdischen Sprache bedient. Dies erfüllt den Tatbestand des Separatismus, auf den eine Freiheitsstrafe von nicht unter 5 Jahren steht. Dazu ist wichtig zu wis-
sen, dass die überwiegende Zahl der Kurden nicht türkisch sprechen kann.

Das von Kurden bewohnte Gebiet erweckt den Eindruck eines besetzten Landes. Einzelne Städte und Dörfer sind von neuerdings betonierten Wachtürmen umgeben, die mit MG-Schützen besetzt sind. Straßenkontrollen durch das Militär finden ständig statt. In den nächtlichen Razzien werden ständig ganze Dörfer und Städte terrorisiert.

Im Nachfolgenden einzelne Informationen:

Rizgari und Komal-Verlag

Bei Rizgari handelt es sich um eine Zeitschrift für Kurden, die vom Komal-Verlag herausgegeben wird. Rizgari ist gleichzeitig der Name einer relativ kleinen Vereinigung von Kurden, die versucht, sich gewaltlos für die Rechte der Kurden einzusetzen.

Zeitschrift, Organisation und der Verlag Komal, waren unter der Regierung Demirel legal.

Nach dem Putsch wurde durch Dekret Rizgari zur Geheimorganisation erklärt. Gleichzeitig wurden sämtliche Mitarbeiter der Zeitschrift und des Verlages (mit Ausnahme einer Person) verhaftet. Die Abonenntenkartei des Komal-Verlages wurde beschlagnahmt.

Im wesentlichen aufgrund der Abonennentenkartei wurde eine Anklage gegen 162 Personen er-
stellt, unter den Angeklagten befindet sich auch der Rechtsanwalt Serafettin Kaya.

Ein Exemplar der Anklageschrift haben wir uns besorgt. Ein Schriftsatz, mit dem Serafettin Kaya seine Unschuld darzulegen versucht, liegt uns vor. Serafettin Kaya wurde ausschließlich wegen Vorgängen inhaftiert, die 8 Jahre zurückliegen. Seine derzeitige Inhaftierung im Zusammenhang mit Rizgari kommt daher, weil er vor Jahren der Rechtsberater dieser Zeitschrift gewesen ist.

Der Prozess in Diyarbakir

Die nachfolgenden Informationen kamen im wesentlichen zustande bei Gesprächen mit Rechtsan-
wälten, zum Teil solchen, die in diesem Verfahren verteidigen, zum Teil mit Anwälten, die nicht oder nicht mehr verteidigen, weil sie um ihr Leben fürchten.

Im Rahmen des sog. PKK-Prozesses sind allein in Diyarbakir etwa 3.500 Kurden inhaftiert, denen die Mitgtiedschaft in der PKK oder Sympathisantentum mit der PKK, Spionage, Landesverrat oder Separatismus vorgeworfen wird. Weitere 2.000 Gefangene, die im Rahmen des Prozesses in Diyar-
bakir abgeurteilt werden sollen, sind in Elazig inhaftiert.

Nach dem Stand vom 5.8.1981 verteidigten ca. 15 Anwälte. 7 davon sind von den Gerichten dazu veranlasst worden, um den Anschein einer Verteidigung zu wahren, einige Vertreter treten für einzelne Gefangene gegen hohes Honorar auf. Etwa 5 – 6 Anwälte engagieren sich tatsächlich für ihre Mandanten. Sie werden dafür als „Siyazi-Anwälte“ diffamiert und verfolgt. Zwei dieser Anwäl-
te waren in Polizeihaft und sind dort mit Elektroschocks an den Geschlechtsteilen und durch Ba-
stonade gefoltert worden. Sie rechnen ständig mit ihrer erneuten Verhaftung. Nachdem es kaum mehr Verteidiger gibt, vertreten z.B. zwei Anwälte, mit denen wir gesprochen hatten, über 2 000 Gefangene.

Den sog. Siyazi-Anwälten stehen Verteidigerrechte nicht zu. Ihnen ist nicht erlaubt, ihre Mandan-
ten zu sprechen. Sie sehen ihre Mandanten zum ersten Mal im Hauptverhandlungstermin, sie ha-
ben ferner nicht das Recht, die Ermittlungsakten einzusehen. Vor Gericht gestellt werden die An-
geklagten erst dann, wenn sie entweder ein Geständnis unterschrieben haben, oder aber, wenn sich die Ermittlungsbehörden sicher sind, dass die Angeklagten im Termin gestehen werden.

Beim Prozess handelt es sich ausschließlich um einen politischen Prozess. Nahezu alle Angeklagten sind wegen eines Verstoßes gegen die §§ 125, 141, 142, 167 und 171 des türkischen Strafgesetzbu-
ches angeklagt.

Unter den Inhaftierten befinden sich unter anderem die Rechtsanwälte Serafettin Kaya, Mümtaz Kotan, Rusen Aslan und Mehmet Ai Dinler, sowie die ehemaligen Parlamentsabgeordneten Celal Paydas, Ahmet Türk, Muytafa Kilic.

Diese können ebensowenig wie alle übrigen Gefangenen Besuche empfangen.

Alle Inhaftierten durchlaufen eine 3 – 6monatige sog. Polizeihaft. Diese sogenannten Polizeihaft-
gefängnisse werden von Polizei und Militär gemeinsam betrieben. In dieser Polizeihaft werden die Gefangenen so behandelt, dass ein Geständnis sichergestellt wird.

Ein nicht-kurdischer Anwalt, der im Verfahren nicht beteiligt ist, erklärte glaubhaft, es gäbe keinen Inhaftierten, der nicht gefoltert würde.

Der Prozess wird durchgeführt von 17 Kammern, die mit je drei Richtern besetzt sind. Regelmäßig ist der Vorsitzende ein sogenannter Militärrichter, ein Beisitzer, ein Zivilrichter, ein weiterer Bei-
sitzer Offizier. Verhandlungen finden täglich statt. Jede Verhandlung dauert ca. 2 – 4 Stunden ma-
ximal, ein Ende des Prozesses ist nicht abzusehen, da ständig mehr Kurden inhaftiert werden, als verurteilt werden können.

Die Gerichtsverfahren sind nicht öffentlich

Die Gerichtsverfahren sind öffentlich nach Auskunft des türkischen Justizministeriums und nach Auskunft des türkischen Konsulats in München.

Diese Angaben werden wie so viele vom Auswärtigen Amt der BRD kritiklos kolportiert. Diese An-
gaben sind falsch.

Wir haben versucht Zutritt zum Gefängnis zu erhalten, wobei wir uns als Rechtsanwälte bzw. Journalisten ausgewiesen haben. Dies war nicht möglich. Uns wurde auch glaubhaft versichert, dass so jemand noch nie hereingekommen wäre.

Wir haben ferner versucht, Zutritt zum Gerichtsgebäude bzw. zu den Verhandlungen (die an die-
sem Tag stattgefunden haben) zu bekommen und zwar bei dem imKasernenbereich liegenden 7. Kolordu Akseri Mahkemesi.

Dies war eindeutig nicht möglich. Es ergab sich für uns wiederum eindeutig, dass bislang die Öf-
fentlichkeit stets ausgeschlossen war. Zutritt hatten wir verlangt bei mehreren Personen, über-
wiegend Offizieren, zuletzt bei einem Mann, bei dem es sich nach unserer Auffassung um den Kommandeur des Ausnahmezustandes gehandelt hat.

Konsterniert, dass überhaupt jemand versucht, an den Verhandlungen teilzunehmen, verwies uns dieser an das türkische Justizministerium. Wir sollten uns dort eine Zutrittsgenehmigung ver-
schaffen.

Der Generaldirektor für Rechtsangelegenheiten, Fevzi Uygunery, schrieb für den Justizminister mit Datum 10. Eylut 1981 auf unsere Anfrage vom 24.8.1981:

Gemäß Artikel 135 der Türkischen Verfassung sind die Verhandlungen vor den ordentlichen Ge-
richten öffentlich. Die Öffentlichkeit darf aber wegen Gefährdung der Staatssicherheit oder der Sittlichkeit durch Beschluss des betreffenden Gerichts ausgeschlossen werden … Es ist deshalb für jedermann frei, an den Verhandlungen teilzunehmen, wenn allerdings die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen ist.

Für die Teilnahme zu den Verhandlungen der Gerichte des Ausnahmezustandes muss man sich vorher bei der Kommandantur des Ausnahmezustandes erkundigen, ob die Verhandlungen öffent-
lich sind oder nicht. Auch für diese Gerichte ist das Justizministerium für die Zulassung nicht zu-
ständig …

Die Öffentlichkeit ist entgegen Artikel 135 der Türkischen Verfassung nicht gegeben.

Folter

Detaillierte Berichte über Foltermethoden und über gefolterte Personen liegen vor. Solche Berichte sollen hier nicht wiedergegeben werden.

Wir haben uns jedoch ca. 100 Fotokopien aus Gerichtsakten und Ermittlungsakten besorgt, die uns in die Lage versetzen, die Richtigkeit anwaltschaftlich bzw. eidesstattlich zu versichern.

Diese Akten werden zu Beweismaterial aufbereitet werden, sie stehen zur Einsichtnahme zur Ver-
fügung, sofern sichergestellt ist, dass keine Namen aus diesen Akten weitergegeben werden. Dies würde für die Personen, die bei der Beschaffung behilflich waren, nach unserer Einschätzung eine Verurteilung zum Tode wegen Spionage bedeuten.

Aufgrund dieser Akten können wir versichern:

1. Es wird nicht gegen den Willen des Militärs gefoltert, sondern durch das Militär auf Anweisung und mit Kenntnis höchster Stellen.

2. Wenn ein Soldat oder Polizeibeamter von einem Richter für schuldig befunden wird, gefoltert zu haben, interveniert das Militär und sorgt für seine Freilassung.

3. Familienangehörige, insbesondere Frauen von Inhaftierten werden gefoltert, um Geständnisse von den Inhaftierten zu erhalten (dabei werden den Inhaftierten häufig Fotos vorgelegt).

4. Anwälte, die Inhaftierte verteidigen und nicht nachweisen können, dass sie bezahlt werden, also aus Gewinnstreben tätig werden, werden des Sympathisantentums beschuldigt und inhaftiert.

Auch eine Art Folter:

Nachdem einige der sog. Siyazi-Anwälte nicht zum Schweigen zu bringen sind, wurde durch das Militär dekretiert, dass jeder mit seiner Verhaftung zu rechnen hat, der sich mit diesen Personen abgibt. Es ist dementsprechend sehr schwierig mit diesen Anwälten überhaupt ins Gespräch zu kommen, da sie vor Besuchern wie Lepröse davon laufen.


Republikanischer Anwaltsverein e.V. (Hg.), Politische Prozesse in der Türkei, Hannover (1982), 14 ff.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Internationales