Materialien 1974
Ehrengerichtsverfahren
RA Hartmut WÄCHTLER, München
RA Frank NIEPEL, München
RA Eggert LANGMANN, München
Die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München hat am 17. Dezember 1974 gegen die drei Verteidiger von Rolf Pohle eine Anschuldigungsschrift eingereicht. In der Anschuldigungsschrift wirft sie den drei betroffenen Rechtsanwälten vor,
– die Beseitigung von Strafverfolgungsmaßnahmen auch mit illegalen Mitteln zu billigen,
– sich die in den wiedergegebenen Schriftsätzen enthaltenen rechtswidrigen Äußerungen aus-
drücklich zu eigen gemacht und sich mit dem Ziel des Angeklagten PohIe und seiner Gesinnungs-
genossen, unter Missachtung der Gesetze die derzeit bestehenden Verhältnisse in der BRD Deutschland gewaltsam zu beseitigen, persönlich identifiziert und unter Beweis gestellt zu haben, dass sie die Anwaltschaft nicht unabhängig im Sinne der Ordnung des freiheitlich demokratischen sozialen Rechtsstaats ausüben wollen sowie
– das mit der Entscheidung befasste Gericht und die Justiz im allgemeinen in unqualifizierter Weise angegriffen zu haben.
Die Rechtsanwälte Wächtler, Niepel und Langmann hatten im Prozess gegen RoIf Pohle zwei Er-
klärungen abgegeben, die Gegenstand der Anschuldigungsschrift sind. In der Prozesserklärung der Verteidigung „setzten sich die Rechtsanwälte mit der Rolle des Anwalts im politischen Strafprozess auseinander. Sie stellten die Frage, ob die Anwälte „nicht viel eher notwendige Bestandteile einer Prozedur“ seien, die stattfindet, um vor der Öffentlichkeit die „Ausschaltung eines politischen Geg-
ners mit gerichtsförmigen Mitteln“ zu rechtfertigen? In der Erklärung zeigten sie die diskriminie-
rende Behandlung der Verteidigung in politischen Strafverfahren, insbesondere im Verfahren ge-
gen ihren Mandanten Pohle auf:
– Gespräche der Verteidigung mit Rolf Pohle wurden von mit Maschinenpistolen bewaffneten Poli-
zisten überwacht – Pohle wurde in eine entfernte Haftanstalt verlegt -
– Der Mandant wurde nach Anwaltsbesuchen körperlich durchsucht.
– Den Verteidigern wurden Akten vorenthalten, deren Inhalt in der Presse veröffentlicht wurde.
– Verteidigerpost wurde angehalten.
Als Ergebnis der Analyse stellten sie fest, dass ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern in dem poli-
tischen Prozess gegen Rolf Pohle durch die Diskriminierung der Verteidigung bereits eine unmit-
telbare Gefährdung ihrer beruflichen Existenz sei.
In der weiteren Erklärung „Erwiderung der Verteidigung auf die Anklage“ führten die Rechtsan-
wälte zu Art. 20 Abs. 4 – Recht zum Widerstand aus:
„Der Kampf gegen eine ungerechte Herrschaftsordnung darf auch mit illegalen Mitteln geführt werden, wenn die Anwendung legaler Mittel nicht zum Ziel führt. Illegalität ist nicht an sich ein Verbrechen, sondern nur dann, wenn sie Ausdruck von Unmenschlichkeit, Willkür tötender und zerstörender Gewalt ist. Legalität ist nicht an sich gerechtfertigt, ist kein Wert an sich, sondern sollte nur dann beachtet werden, wenn die Legalität Ausdruck von Recht und Gerechtigkeit ist.“
Sie bestritten in dieser Erklärung die Legitimation des Gerichts, den Angeklagten zu verurteilen, und führten dazu aus:
„Nach unserer Auffassung hat das Gericht aus prinzipiellen Gründen auch gar keine Möglichkeit, durch ein Urteil zur Lösung des Konflikts beizutragen, denn es handelt sich um einen politischen Konflikt, der lediglich mit politischen Mitteln gelöst werden kann und ihn mit justiziellen Mitteln beantworten heißt lediglich, ihn für einige Zeit unterdrücken zu können.“
Diese Auseinandersetzung mit dem politischen Konflikt des Prozesses führte zu der Anschuldi-
gung,
„die Beseitigung von Strafverfolgungsmaßnahmen auch mit illegalen Mitteln zu billigen.“
Die Verhandlung über diese Anschuldigungsschrift steht noch aus.
Wegen seiner Erklärung im Pohle-Prozess wurden Rechtsanwalt Wächtler keine Referendare mehr zur Ausbildung zugewiesen. Gegen seine persönliche Eignung bestünden erhebliche Bedenken, da er in seiner Erklärung im Pohle-Prozess als eigene Auffassung vorgetragen habe,
„dass in der BRD ein System von Klassenherrschaft und Unterdrückung besteht“ …
Außerdem teilte ihm der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht München mit, dass er sich auf Grund der von Wächtler abgegebenen Prozesserklärung nicht in der Lage sähe, ihm Ermittlungs-
akten der Staatsanwaltschaft in die Kanzlei oder Wohnung mitzugeben.
Werner Baufeldt et al. (Hg.), Informationen über Ehrengerichts- und Strafverfahren gegen Ver-
teidiger in politischen Strafsachen. Die Verteidigung auf der Anklagebank. Dokumentation Hamburger Rechtsanwälte, Hamburg März 1977, 80 ff.