Materialien 1976
Die strafrechtliche Verfolgung politischer Meinungsäußerungen in der Bundesrepublik Deutschland
I. Politische Justiz
Der Begriff der politischen Justiz in der Bundesrepublik ist in der Gegenwart im Bewusstsein auch der aufgeklärten Öffentlichkeit allenfalls mit den Verfahren gegen sogenannte Anarchisten verbun-
den. Unter Kollegen und selbst in Kreisen der Linken Westdeutschlands und erst recht im Ausland ist weitgehend unbekannt, dass es bei uns eine politische Justiz von beträchtlicher Breite gibt, die Oppositionelle verschiedenster linker politischer Strömungen verfolgt. Es gibt bisher keine zuver-
lässigen Schätzungen über die Zahl der Verurteilungen, die täglich in der Bundesrepublik wegen politischer Delikte erfolgen. Ich kann heute nur über unsere Münchener Erfahrungen berichten, es ist eine wichtige Aufgabe der in diesem Bereich tätigen Juristen, selbst etwas dafür zu tun, die voll-
kommene Ausblendung dieses Bereiches täglicher politischer Justiz zu durchbrechen.
Ich werde mich auf die politischen Meinungsäußerungsdelikte beschränken. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass es neben den Meinungsäußerungsdelikten und den schon erwähnten soge-
nannten Anarchistenverfahren noch eine große Zahl von Strafverfahren gibt, die gegen linke Oppo-
sitionelle durchgeführt werden wegen der Vorwürfe „Sachbeschädigungen, Land- und Hausfrie-
densbrüche oder Widerstand gegen die Staatsgewalt“ begangen zu haben. Hier liegen ebenfalls eindeutig politisch bestimmte Lebenssachverhalte vor, wie z.B. verbotenes Plakatieren; unbefugtes Verweilen in Hörsälen oder Gerichtsräumen und Demonstrationen, in denen es zu Auseinander-
setzungen mit der Polizei kommt. Bei einer nicht genehmigten studentischen Versammlung in der Münchener Universität wurden im Sommersemester 1976 auf diese Weise fast 500 Personen fest-
genommen und Verfahren wegen Hausfriedensbruch gegen sie eingeleitet. Die Zahl dieser politi-
schen Strafverfahren dürfte im ganzen Bundesgebiet ebenfalls beträchtlich sein, zumal es hier auf unserer Seite besonders schwierig ist, einen Überblick zu bekommen. Die andere Seite freilich hat ihn schon seit Jahren: in Bayern ist es üblich, bei allen Ermittlungen in Verfahren, bei denen die Polizei einen politischen Hintergrund annimmt, eine zentrale Datenerfassung mittels Lochkarten durchzuführen. In den betreffenden Akten finden sich jeweils „Vermerke über die Erfassung in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik für Staatsschutzdelikte“, und zwar bei allen von mir genannten politischen Deliktsarten unabhängig von Größe und Bedeutung. Die vielseitige Verwendung der so gewonnenen Erkenntnisse etwa bei der Prüfung eines Bewerbers für den Öffentlichen Dienst ist bekannt.
II.
Auf die Tradition bei Verfolgung politischer Meinungsäußerungen in Deutschland sind bereits die Kollegen aus Nordrhein-Westfalen eingegangen. Für die seit 1950 wiederbelebte Strafverfolgung wegen politischer Meinungsäußerungen ist kennzeichnend, was Lutz Lehmann 1966 schrieb:
„Diese Justiz aber (die politische), die nichts anderes bedeutet als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, ist an der halsbrecherischen Situation, in die sie geraten ist, nicht ganz unschul-
dig. Sie hat sich eingesetzt; zuerst gegen die schwache Demokratie von Weimar, dann blutig für die Nazi-Obrigkeit, und nun endlich für die erstarkende Bundesrepublik, wobei – trotz unterschiedli-
cher Qualität der gesetz- und rechtgebenden staatlichen Gewalt – die Richtung, in der die politi-
sche Justiz in Deutschland die Verfolgung ansetzte, stets die gleiche blieb: der Feind stand immer links.“ (Lutz Lehmann, Legal und opportun, Voltaire-Verlag, 1966, S. 6.)
Das Buch Lehmanns kennzeichnet das Bewusstsein einer kritisch gewordenen Öffentlichkeit am Ende der ersten Periode der Meinungsverfolgung in der Geschichte der Bundesrepublik. Es ist das Entsetzen, dass so etwas möglich war, und die Hoffnung, diese Zeit ginge nun allmählich zu Ende, da der Einfluss der alten KPD in Westdeutschland verschwindend gering war und zudem eine neue Juristengeneration herangewachsen war, von der erwartet wurde, sie werde nicht so bereitwillig wie ihre Vorgänger die alten Vorschriften in alter Manier anwenden.
Auf Grund unserer Kenntnisse 10 Jahre später müssen wir feststellen, dass diese Hoffnungen der späten 60er Jahre falsch waren. Ich bin der Auffassung, dass heute in der Bundesrepublik die poli-
tischen Meinungsäußerungen linker Oppositioneller mit einer auch für die deutschen Verhältnisse ganz ungewöhnlichen Intensität strafrechtlich verfolgt werden, während zugleich diese Vorgänge unter einem noch nie dagewesenen Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich gehen.
Unsere Münchener Anwaltskanzlei verteidigte im Jahre 1975 in 23 Verfahren wegen politischer Meinungsäußerungen. Die gleiche Zahl wurde 1976 bereits bis zum 15. Juli erreicht. Legt man Schätzungen von Kollegen für die ganze Bundesrepublik und Westberlin zugrunde, so wird man für 1975/76 mindestens 500 bis 800 derartige Prozesse jährlich wegen politischer Meinungsäuße-
rungen veranschlagen müssen. Die Tendenz ist nach unseren Erfahrungen sowohl hinsichtlich der Zahl als auch hinsichtlich der ausgeworfenen Strafen eindeutig ansteigend. Ohnehin ist bei den genannten Zahlen zu berücksichtigen, dass hiermit nur die bis zur Hauptverhandlung gediehenen Verfahren berücksichtigt worden sind. Die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren dürfte mindestens das drei- bis vierfache betragen.
III. Was man in der Bundesrepublik Deutschland heute nicht sagen darf und wer verfolgt wird
Die genannten Strafverfahren richten sich überwiegend gegen linke Gruppen und Parteien, aber auch gegen besonders exponierte einzelne Verlage, Buchläden und Stadtteilzeitungen. Vorgegan-
gen wird wegen Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Staatsverunglimpfung, Wehrkraftzer-
setzung, Volksverhetzung, Billigung sowie Aufforderung zu Straftaten und neuerdings auch wegen der Befürwortung und Anleitung zu sogenannten Gewalttaten, also nach Paragraphen 88 a, 89, 90 a, 111, 130, 131 ,140, 185 a StGB.
Ich möchte einen typischen Fall schildern, wie er 1976 vor dem Amtsgericht München verhandelt wurde:
Am 9.8.1974 um 7.45 Uhr morgens verkaufen vor der Fa. Siemens in München vier junge Leute, 2 Männer und 2 Frauen, die Zeitung „Rote Fahne“ Nr. 32, das Organ der KPD. In ihrer Nähe steht ein selbstgeschriebenes Pappplakat mit der Überschrift: „Polizeiüberfall auf Rote-Fahne-Verkäu-
fer“. Eine Polizeistreife kommt vorbei und stellt zunächst die Personalien der vier Personen fest. Zu der Roten Fahne heißt es im Bericht eines Beamten der politischen Abteilung der Kripo:
„Wie schon in den vorhergehenden Ausgaben dieser Zeitung sind Äußerungen wie ‚Polizeimord‘, ‚Polizeitertor‘, ‚Klassenjustiz‘, ‚Killereinheiten‘ usw. enthalten.“
In dem Plakat werde die
„wahrheitswidrige Behauptung aufgestellt, Zivilbeamte der K III (Politische Abteilung, der Verf.) und drei uniformierte Beamte hätten zwei Verteiler am Stachus ‚überfallen"‘ und ihre Zeitung be-
schlagnahmt. Damit kann nur die am 3.8.74 von mir und KH. Sch. durchgeführte Beschlagnahme von 10 Zeitungen Rote Fahne Nr. 31 gemeint sein, über deren tatsächlichen Verlauf eine Kopie des hierzu gefertigten Berichtes beigefügt wird.“
Das Plakat wird beschlagnahmt. Zwei der Verkäufer werden an Ort und Stelle überprüft. Gegen sie liegt nichts vor. Ihre Personalien werden erfasst und zur weiteren Verwertung an die Kripo und den Verfassungsschutz weitergereicht. Nach diesem 9.8.74 werden sie voraussichtlich keine Stelle mehr im Öffentlichen Dienst bekleiden können.
Die beiden Verkäufer, die in der Nähe des Plakates standen, werden festgenommen und zum Poli-
zeipräsidium gebracht. Hier werden sie vernommen und erkennungsdienstlich behandelt.
Weiter heißt es in dem Polizeibericht:
„Frl. K. verlangte an hiesiger Dienststelle einen Telefonanruf bei einem Rechtsanwalt. Wegen Verdunkelungsgefahr (bevorstehende Wohnungsdurchsuchung nach Beweismitteln und Einzie-
hungsgegenständen) wurde ihr ein Telefonat weder mit einem Rechtsanwalt noch mit einer son-
stigen Person erlaubt.“
Anschließend werden die Wohnungen der beiden Festgenommenen von drei Beamten durchsucht, angeblich „zur Überprüfung der Wohnverhältnisse und zum Zwecke der Durchsuchung nach Be-
weismitteln und nach Gegenständen, die der Einziehung unterliegen“.
Die Durchsuchung wird von der Staatsanwaltschaft ohne richterlichen Beschluss angeordnet, da angeblich Gefahr im Verzuge vorliege. Es werden die Personalien der angetroffenen Mitbewohner festgestellt und – wie angenommen werden darf – datenmässig erfasst. Wie wir aus den Verhören anlässlich von Einstellungen im Öffentlichen Dienst wissen, wird den Bewerbern immer wieder vorgehalten, auch wenn gegen sie persönlich nichts vorliege, so sei es doch merkwürdig, dass sie mit Leuten zusammenwohnten, die bereits polizeilich hervorgetreten sind.
Vermerkt wird im Polizeibericht, dass sich „zahlreiche linksextreme Schriften“ in den Wohnungen befinden. Zu „Schriftvergleichszwecken“ werden andere aufgefundene Plakate und Schriftproben beschlagnahmt. Die beiden Festgenommenen werden um 13.00 Uhr entlassen, haben also 5 Stun-
den in polizeilichem Gewahrsam verbracht. Ein Gutachten des Landeskriminalamtes stellt an-
schließend einen Schriftvergleich an, der allerdings zu keinem verwertbaren Ergebnis führt.
Gegen die beiden Festgenommenen ergeht schließlich Strafbefehl, in dem es heißt:
„Am 9.8.74 gegen 8.00 Uhr verkauften Sie in München, St.-Martin-Straße, vor dem Eingang der Fa. Siemens die Zeitschrift Rote Fahne und stellten zusammen mit dem anderweitig Verfolgten … ein ca. 1,3 m x 0,9 m großes handgeschriebenes Plakat auf, in dessen Text die Erschießung des Günther Jendrian durch einen in Notwehr handelnden Münchner Polizeibeamten der Wahrheit zuwider als Polizeimord bezeichnet wird. Der Polizeipräsident der Landeshauptstadt München hat am 5.9.74 Strafantrag gestellt. Damit haben Sie gemeinschaftlich mit einem Anderen in Bezug auf Andere eine Tatsache behauptet, die Andere in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeig-
net und nicht erweislich wahr ist – ein Vergehen der gemeinschaftlichen üblen Nachrede nach §§ 186, 25 Abs. 2 StGB.“ (AG München, 431 Cs 2 Js 199/74)
Es werden Geldstrafen von 30 Tagessätzen a DM 20.– plus DM 310,25 Verfahrenskosten ausge-
worfen. In der Hauptverhandlung wird die Verteilerin freigesprochen, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie den Inhalt des Plakates gekannt und gebilligt habe. Der zweite Strafbefehl wird rechtskräftig. Das Verfahren gegen die anderen 2 Verteiler wird wegen Verjährung ohne Hauptverhandlung eingestellt.
An diesem Fall ist vieles typisch: die systematische Kontrolle und Erfassung der Verkäufer von kommunistischen Zeitungen vor großen Betrieben; der große Ermittlungsaufwand auch in kleinen politischen Strafverfahren und die Ausforschung auch der privaten Sphäre und des Umfeldes der einmal erkannten Oppositionellen. Schließlich die bemerkenswerte Tatsache, dass von der ganzen Aktion gegen die Rote Fahne und die Verteiler allein die Bezeichnung „Polizeimord“ an Jendrian Gegenstand der Anklage ist.
Generell kann man sagen, dass einige linke Organisationen und Gruppen von der Polizei gegen-
wärtig besonders scharf beobachtet werden, so dass keine in der Öffentlichkeit für diese Gruppe auftretende Person vor dem polizeilichen Zugritt sicher ist. 1974/75 erfolgten laufend Festnahmen und Beschlagnahmen gegen kommunistische Parteien und Parteiaufbauorganisationen sowie die mit ihnen verbundenen Gruppen. Die presserechtlich Verantwortlichen des Roten Morgen, der Roten Fahne, der KVZ und ähnlicher zentraler Organe waren und sind regelmäßigen Strafverfah-
ren ausgesetzt ebenso wie die Verteiler und Verkäufer dieser Zeitungen.
Dabei gewinnt man den Eindruck, dass es zunächst um möglichst umfassende und frühzeitige Feststellung der Mitglieder und Sympathisanten geht. Erst nach ca. 1 bis 2 Jahren kommt es häufig zu Strafbefehlen und ersten Urteilen, die in der Höhe zwischen einigen hundert und zwei- bis drei-
tausend DM schwanken. Das größere Gewicht gewinnen diese Verfahren wegen der Bedrohung der Existenz der Betroffenen durch anschließende Berufsverbote, außerdem durch ihre Achtung in Öf-
fentlichkeit mittels Festnahme und demonstrativen Hausdurchsuchungen und die generell mit die-
sen Verfolgungsmaßnahmen verbundenen Einschüchterungen sowohl der Oppositionellen wie derjenigen, die von ihnen angesprochen werden sollen.
Soweit wir das beurteilen können, verlagert sich gegenwärtig gerade der Schwerpunkt der polizeili-
chen Verfolgung zu den nichtparteigebundenen Gruppen der Linken.
Ich werde das später erläutern an Hand der exemplarischen Verfolgung der Münchner Stadtzei-
tung „BLATT“ seit Anfang 1975.
Wir hatten bereits gesehen, dass es von der bayerischen Polizei und auch der bayerischen Justiz generell für strafbar gehalten wird, in Zusammenhang mit Aktionen von Polizei und Justiz von Terror zu sprechen. Das Strafrecht soll gewährleisten, dass diese Vokabel für diejenigen Personen und Gruppen reserviert bleibt, die von der Regierung und den gleichgeschalteten Medien so ge-
nannt werden. Hier erfüllt das Strafverfahren die Funktion, gewaltsam eine bestimmte Sprachge-
staltung in der Bevölkerung durchzusetzen.
Ein Flugblatt der Vietnam-Hilfe sollte deshalb als üble Nachrede mit DM 900,– bestraft werden, weil „der Text der Flugblätter der Öffentlichkeit den unzutreffenden Eindruck willkürlicher und damit rechtswidriger Festnahmen von Passanten durch die Münchner Polizei vermittelt“ (AG München).
Der Aufkleber „kein Sprit für Bullen und Bundeswehr – billiges Benzin für die Arbeiter her!“ ko-
stete wegen Beleidigung und Staatsverleumdung DM 160,– (AG München).
Ein Student, der einen Zivilpolizisten als Spitzel der Politischen Polizei bezeichnet haben soll, der verschwinden solle, soll dafür wegen Beleidigung DM 200,– zahlen (AG München).
Das Amtsgericht Straubing hält u.a. folgende Formulierung in einem Flugblatt der Roten Hilfe für strafbar nach § 90 a:
„Seit dem 13.9. befinden sich ca. 50 politische Gefangene, darunter auch die der RAF, in einem unbefristeten Hungerstreik. Sie protestieren damit gegen die unmenschliche Isolationsfolter, ge-
gen die totale Rechtlosigkeit in den Gefängnissen. Um die politische Überzeugung und jede Wi-
derstandskraft zu brechen, hat die Bourgeoisie noch keine Mittel gescheut.“
ln dieser Sache wurde Strafbefehl über DM 600.– erlassen.
Ein technischer Fernmeldeinspektor bei der Post wurde entlassen, weil er u.a. Mitglied der Liga gegen den Imperialismus sei, sich an verschiedenen Demonstrationen beteiligt habe, Flugblätter mit strafbaren Inhalten verteilt habe und zu einer Reisegruppe gehört habe, die am 17.11.74 mit einem Bus von München nach Hamburg zur Beerdigung von Holger Meins fuhr.
Darauf hin erschienen ein offener Brief und Flugblätter, für die er verantwortlich sein soll, in denen es u.a. heißt:
„Die politische Entwicklung wird vorangetrieben durch den Aufbau eines Bespitzelungssystems vom Verfassungsschutz, wo alle Aktivitäten fortschrittlicher Menschen und Organisationen beob-
achtet werden … Immer mehr soll mit politischen Entlassungen und Berufsverboten im Öffentli-
chen Dienst die Friedhofsruhe hergestellt werden, die für alle Ewigkeit die kapitalistische Ausbeu-
tung sicherstellen soll … Die Entlassung von W.S. zeigt, wie viel von der freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung zu halten ist: Demokratie und Freiheit gibt es nur für die Ausbeuter.“
Für die Verbreitung dieser Äußerungen erhielt der entlassene Postbeamte vom Amtsgericht München einen Strafbefehl über DM 1.200.– wegen Verstoß gegen § 90 a StGB.
Auch die politische Satire bleibt selbstverständlich nicht von der strafrechtlichen Verfolgung ver-
schont. Im Juli 1975 überfielen Unbekannte in Westberlin zwei Banken. Sie hinterließen Flug-
blätter der „Bewegung 2. Juni“ und Kartons mit Negerküssen für die Bankkunden. Am 1.8.1975 wurden in München in einer Bank Flugblätter und Negerküsse verteilt. Die Negerküsse wurden gegessen und die Flugblätter gelesen. Weiter geschah nichts. Auf den Flugblättern, die von einer „Bewegung 32. Juni“ gezeichnet waren, stand zu lesen:
„München darf Berlin nicht hinterherhinken. Auch die bayerischen Bankkunden dürfen das Gefühl nicht missen, häufig mit Negerküssen bewirtet zu werden. Hier eröffnet sich eine weitere Möglich-
keit, wie jedermann und -frau einen eigenen aktiven Beitrag zur Konjunkturpolitik durch den Kauf von Negerküssen leisten kann …“
Wegen der Verteilung dieser Flugblätter erließ das Münchner Amtsgericht zunächst Haftbefehl und sodann einen Strafbefehl und zwar wegen öffentlicher Billigung von Straftaten und der öf-
fentlichen Aufforderung zur Begehung eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung. Das Münchner Amtsgericht hat inzwischen in mündlicher Verhandlung die beiden Angeklagten wegen öffentlicher Billigung von Straftaten zu je 100 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Anm.: Die 6. Gro-
ße Strafkammer des LG München I hob das Urteil inzwischen auf und sprach die Angeklagten frei. Die StA legte Revision ein, über die noch nicht entschieden ist.
Berücksichtigt man, dass die von der strafrechtlichen Verfolgung betroffenen Gruppen nach amt-
lichen Angaben nur über wenige Tausend Mitglieder und Sympathisanten verfügen sollen, so be-
deutet die große Zahl von gegenwärtig laufenden politischen Verfahren, dass eine wohl noch nie dagewesene hohe Prozentzahl von Angehörigen der linken Opposition, soweit sie sich für die Be-
hörden greifbar äußern, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind. Man kann deshalb heute wie-
der sagen, dass die Beteiligung an Meinungsäußerungen dieser Gruppen, die einmal in das Visier der Staatsschutzbehörden geraten sind, für alle Betroffenen vom Drucker bis zum Verteiler ein nicht mehr kalkulierbares Risiko strafrechtlicher Verfolgung nach sich zieht. Der strafrechtliche Zugriff erfolgt auf Grund kontinuierlicher Überwachung der Organe der betroffenen Gruppen (Nachzensur), außerdem durch die laufende aktuelle Überwachung von Veranstaltungen durch die Anwesenheit von politischer Polizei, die sich Notizen macht oder die Tonbänder laufen lässt, weiter durch stichprobenweise Kontrollen des Inhalts von Flugblättern vor Werkstoren und ähnlichen und der Kontrolle der Identität der Verteiler. Anlässlich bestimmter Vorfälle, denen offenbar von Seiten der Staatsschutzbehörden besondere Bedeutung beigemessen wird und bei der eine Unter-
bindung der Berichterstattung durch oppositionelle Medien erreicht werden soll, kann man gera-
dezu von zentralen Kampagnen sprechen, die sich gegen eine besondere Darstellungsweise der oppositionellen Presse („Routhier ist ermordet worden“) richten. Hier wird von Polizei und Justiz mit bereits vervielfältigtem Ermittlungsmaterial, zentralisierten Ermittlungsergebnissen und immer wiederkehrenden gleichen Begründungen gearbeitet, mit denen eine Verurteilung gerecht-
fertigt werden soll.
IV. Die Verteidigung
In Fällen der Anklage von Vergehen der Staatsverleumdung gemäß § 90 a StGB ist die Verteidi-
gung von vorneherein dadurch erschwert, dass ein Wahrheitsbeweis von der herrschenden Mei-
nung als unerheblich für die Strafbarkeit angesehen wird. Die verfolgte Äußerung braucht nicht unwahr zu sein (RG 61 308; BGH NJW 61, 1932). Die Frage, ob eine Äußerung „durch Form oder Inhalt besonders verletzend ist, weil sie etwa eine „Rohheit des Ausdrucks“ aufweist oder den „Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes“ enthält, ist bei politischen Äußerungen nur noch Wertungsfrage, die von der Einstellung des jeweiligen Richters abhängt. Eine einigerma-
ßen zuverlässige Prognose, was als strafbar angesehen wird, ist auch für den erfahrenen Rechtsan-
walt nicht möglich. Entsprechend zufällig sind oft die Ergebnisse der Hauptverhandlungen. Was der eine Richter noch als erlaubte Kritik ansieht, ist für den anderen bereits ein besonders schimpflicher Angriff auf die BRD und ihre verfassungsmäßige Ordnung. Allerdings glauben wir in den letzten 2 bis 3 Jahren eine Tendenz der Gerichte beobachten zu können, immer bereitwilliger wegen politisch abweichender Meinungen zu bestrafen.
Ab und zu wird dem Angeklagten der Versuch gestattet, den Wahrheitsbeweis für die angeblich er-
hobenen unwahren Äußerungen zu führen. Im Fall des anfangs schon erwähnten Günther Jendri-
an geht es darum, ob die Behauptung, die Polizei habe Jendrian schuldhaft getötet, vielleicht sogar absichtlich, zutrifft oder nicht. Ähnliche Problematiken ergeben sich bei anderen von der Polizei getöteten, wie Routhier, Remisko und Dobhardt.
Die Verteidigung stellte im Falle Jendrian den Antrag, den Todesschützen des getöteten Jendrian einzuvernehmen. Durch seine Einvernahme sollte der Wahrheitsbeweis für die Behauptung des Angeklagten, Jendrian sei ohne Notwehr brutal erschossen worden, erbracht werden. Der Name des Todesschützen wurde in den Akten nicht genannt, er hieß dort nur „Schütze Nr. 1“, war jedoch als Beschuldigter nie vernommen worden, obwohl gegen ihn eine Anzeige der Angehörigen des Getöteten vorlag. Aus den Akten ergab sich, dass die Staatsanwaltschaft den Namen des Todes-
schützen kannte und bei sich verwahrte. Es wurde beantragt, den zuständigen Staatsanwalt über den Namen des Schützen einzuvernehmen. Das Gericht erhielt auf seine Anfrage den Bescheid des Bayerischen Justizministeriums, die Aussagegenehmigung für den betroffenen Beamten werde verweigert und zwar mit folgender bemerkenswerter Begründung:
„Die Bekanntgabe der Namen würde die Einsatzbereitschaft der Polizeibeamten in schwierigen Lagen, die eine sofortige Entscheidung über den Schußwaffengebrauch verlangen, beeinträchtigen. Dies würde zu einer erheblichen Erschwerung oder sogar ernstlichen Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Sicherheitsbereich führen.“
Also mit anderen Worten: Wenn sich ein Polizist, der einen unschuldigen Bürger bei einer Haus-
durchsuchung erschießt, dafür in einer öffentlichen Verhandlung verantworten müsste – und sei es nur als Zeuge – so würde die Einsatzbereitschaft der Polizei leiden. Deshalb darf nicht einmal sein Name bekannt werden. Gleichwohl darf niemand behaupten, der Beamte habe den Bürger zu Un-
recht erschossen oder sogar absichtlich, denn diese Behauptung ist nicht erweislich wahr und deshalb strafbar. Versucht jedoch der wegen dieser Behauptung Angeklagte, die Wahrheit zu be-
weisen, indem er den Todesschützen befragt, so wird dies durch das Verschweigen von dessen Na-
men verhindert, dennoch aber die Bestrafung der Behauptung verlangt, da es den Ruf der Polizei zu wahren gilt. Diese Logik ist kafkaesk.
V. Kampagne der Münchner Justiz gegen das „BLATT“
In München gibt es seit drei Jahren die Zeitschrift „BLATT, Stadtzeitung für München“. Es han-
delte sich hierbei zunächst um eine Informationszeitschrift, die über Kino, Theater, Musikpro-
gramme und -veranstaltungen im Raum München berichtete. Daneben wurde über Ereignisse wie Stadtsanierungen, Umweltprobleme usw. informiert. Die zunächst kleine Auflage stieg allmählich an und das BLATT entwickelte sich allmählich zu einem Forum für verschiedenste, nicht parteige-bundene Gruppenansätze; von der ROTEN HILFE bis zu makrobiotischen Wohngemeinschaften wird verschiedensten Gruppierungen die Gelegenheit gegeben, sich selbst darzustellen. Verstärkt wurde auch über politische Themen, Prozesse, über Unterdrückungsmaßnahmen des Staates; Anwaltsgesetze, Berufsverbote usw. berichtet. Als diese Themen zunahmen und die Auflage und Verbreitung über Kioske, Buchläden, Theater, Kinos und Kneipen ständig anstieg – die Auflage liegt momentan bei über 10.000 Exemplaren alle 14 Tage – setzte die Reaktion der Staatsanwalt-schaft und Polizei ein. Seit etwa eineinhalb Jahren sehen sich die verantwortlichen BLATT-Redak-teure einer Flut von Ermittlungsverfahren und Prozessen ausgesetzt, bereits zweimal wurde eine Ausgabe der Zeitschrift beschlagnahmt.
Die Vorwürfe werden auf §§ 185 und 186, auf § 140, § 111 und vor allem auf § 90 a StGB gestützt. Bemerkenswert ist hierbei das Tempo, mit dem Verfahren durchgezogen werden. Die Instanzen-
wege, die sonst Jahre dauern, werden hier von Staatsanwaltschaft und Gerichten in einträchtiger Weise stark abgekürzt. So erschien etwa das 41. BLATT mit einem Artikel über die Lorenz-Entfüh-
rung im März 1975. Ermittelt wurde wegen § 140 StGB. Es erging Strafbefehl, auf Einspruch wurde Termin beim Amtsgericht anberaumt, gegen die Verurteilung dort wurde Berufung eingelegt. Die Berufungsverhandlung fand am 3.9.76, also bereits eineinhalb Jahre nach Erscheinen des betref-
fenden BLATTES statt.
Das 58. BLATT, erschienen im Dezember 1975, befasste sich mit dem Vorgehen der Münchner Staatsanwaltschaft bei der Beschlagnahme des Bommi-Baumann-Buches – bereits im April 76 erfolgte die Verurteilung wegen § 90 a vor dem Amtsgericht München.
Vorbereitet und flankiert wird die Justizkampagne gegen das BLATT durch Presseberichte, die die Ermittlungsbehörden zum Einschreiten auffordern:
„Noch immer herrscht bei ihnen ein ständiges Frontstadtklima. Sie hetzen, predigen Gewalt und gebärden sich als unbelehrbare Leistungsverweigerer … Es ist eines jener Blättchen mit von Marx und Marcuse getrübter Optik.“ (Bayernkurier)
„In München macht man sich steigende Sorgen über die linke Untergrundszene. So erscheint hier eine Zeitschrift, die sich BLATT nennt und die nun in der letzten Nummer offen ihre Bewunderung für die gelungene Befreiung der Anarchisten in Berlin im Zusammenhang mit der Entführung von Peter Lorenz gezeigt hat … Allerdings hätte hier der Staatsanwalt schon längst eingreifen müssen …“ (Passauer Neue Presse)
„Diese angebliche Stadtzeitung ist ein Versuch, die versprengte extreme Linke Münchens zu orga-
nisieren und zu solidarisieren.“ (Süddeutsche Zeitung)
Bei dem Versuch, die Zeitschrift mit justiziellen Mitteln zum Schweigen zu bringen, ist Staatsan-
waltschaft und Gericht jeder Anlass recht. So führte zur Beschlagnahme des 68. BLATTES – die allerdings auf Beschwerde später aufgehoben werden musste – eine Zeichnung im Anzeigenteil, die aus der französischen Tageszeitung Liberation ausgeschnitten war und einen langhaarigen Mann zeigte, der einen undefinierbaren Gegenstand wirft; daneben steht „Right on“. Hierin wurde eine Anstiftung zu einer Brandstiftung gesehen (§§ 111, 308 StGB).
Exemplarisch ist auch die Anzeige gegen den Redakteur des 57. BLATTES …, die erst vor wenigen Tagen zur Hauptverhandlung zugelassen wurde. Hier wurde in einer Karikatur, die im Stil von Walt-Disney-Comics gezeichnet war, die Aufforderung zu strafbaren Handlungen gesehen. Die Anklageschrift gesteht zwar die „verschleierte Form“, in der die Aufforderung zu Straftaten ge-
schieht, zu, meint aber, dass durch das Comic eine Stimmung erzeugt wird, in der ähnliche Straf-
taten gedeihen können. Andere würden aufgefordert, Automaten des Münchner Verkehrs-Verbun-
des so zu beschädigen, dass sie nicht mehr ordnungsgemäß funktionieren. Zum „Beweis“ für diese These wird in der Anklageschrift mit so präzisen Begriffen wie „in diesem Zusammenhang fällt insbesondere auf“ usw. operiert. Es werden in der Anklageschrift auf Aktionen gegen Fahrkarten-
automaten in München hingewie1en, auf Flugblätter, die Handlungsanleitungen für Unbrauch-
barmachung von Fahrkartenautomaten enthalten. Ein erkennbarer und beweisbarer Zusammen-
hang zu dem inkriminierten Comic fehlt, aber es „fällt eben in diesem Zusammenhang auf“. Diese unpräzise Anklageschrift hinderte den zuständigen Richter am Amtsgericht, Herrn Dr. Meyer, nicht, die Anklage zuzulassen. Der Verteidiger des verantwortlichen Redakteurs des BLATTES, der Kollege Montag aus München, hat in seiner Einwendungsschrift gegen die Anklage versucht, ihre Absurdität deutlich zu machen. Hier einige Auszüge aus der Einwendungsschrift:
„Bei der Frage, ob durch die Bildgeschichte zu strafbaren Handlungen aufgefordert wird, hat die Staatsanwaltschaft die bildliche Darstellung der Täter außer Acht gelassen. Offensichtlich handelt es sich um Mitglieder einer der bekanntesten kriminellen Vereinigung der Welt, der Panzerknak-
kerbande (in der Bildgeschichte fälschlicherweise Automatenknacker).
Dies hätte den federführenden Herren der Staatsanwaltschaft aus ihrer eigenen Kinderzeit und der Lektüre der berüchtigten Donald-Duck-Bildgeschichte des anderweitig posthum zu verfolgenden Disney, Walt, bekannt sein müssen. Die Panzerknackerbande hat sich bekanntlich zusammenge-
tan, um den allseits beliebten und geachteten Unternehmer Duck, Dagobert, einer absolut staats-
erhaltenden Figur, sein Eigentum zu stehlen. Eine Vereinigung aber, deren Ziele und deren Tätig-
keit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, nennt das Strafgesetz ‚kriminelle Vereinigung’ (§ 129 StGB). Schon aus der Abbildung von Mitgliedern der Panzerknackerbande lässt sich somit schlagend nachweisen, dass zu einer strafbaren Handlung aufgefordert worden ist.“
Weiter hält Kollege Montag dem Staatsanwalt vor, dass ihm „der verbrecherisch-triebhafte Blick und die rechtsfeindlich blinkenden Zähne“ der abgebildeten Straftäter nicht aufgefallen sind.
„Weiterhin ist zweifelsohne der strafbare Charakter der gezeichneten Tat aus den Bildern 3 und 4 erkennbar, welche jedoch nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit dem Bild 5 gesehen werden können. Bei Dunkelheit und Sichelmond schleichen sich die kriminell Vereinigten an den Ort des Vergehens, wobei sie ‚Raun, Tuschel, Hihi’ von sich geben. Gerade die Worte ‚Raun, Tu-
schel, Tuschel‘ deuten auf die Absicht der Panzerknacker hin, unerkannt bleiben zu wollen und etwas vor dem gestrengen Auge des Gesetzes zu verheimlichen, während sich in den Worten ‚Hihi’ die Rechtsfeindschaft der Delinquenten zeigt, die damit unseren Rechtsstaat verhöhnen wollen. Demgegenüber zeigt Bild 5 einen sich bei Tageslicht auf dem Bahnsteig befindenden, rechtschaf-
fenden, billig und gerecht denkenden Durchschnittsdeutschen, dessen reines Gewissen durch die vor seiner Nase angebrachten Musiknoten dokumentiert wird, wobei die aus der gesamten Figur sprechende unbeschwerte Gesetzestreue, auf Rechtsfrieden bedachte Fröhlichkeit durch die auf-
wärts strebende Melodie der beiden Sechzehntel-Noten noch unterstrichen wird. In der Gegen-
überstellung des ‚Hihi’ und der beiden Sechzehntel-Noten, dem Unterschied zwischen Tag und Nacht, dem Sichelmond, den um die Ecke lugenden Gestalten, den Handschuhen der Panzer-
knacker auf Bild 4 und der Ganovensprache derselben ‚Quatsch nicht’ auf Bild 4 wird die Absicht des angeschuldigten Blatt-Redakteurs deutlich, tatsächlich eine Aufforderung zu einer strafbaren Handlung gezeichnet bzw. diese Zeichnung veröffentlicht zu haben.
Auch bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmales der Aufforderung ist der Staatsanwaltschaft das schlagendste Argument entgangen. Den Beweis, dass es den Angeschuldigten darauf ankam, Leser der Zeitschrift ‚57. BLATT’ zu veranlassen, Automaten des Münchner Verkehrs-Verbundes auf die gleiche Weise zu beschädigen, zeigt eindeutig eine vergleichende Betrachtung des braven, rechts-
treuen, billig und gerecht denkenden Durchschnittsdeutschen Gustav auf den Bildern 5, 6 und 7. Während das Gesicht auf dem Bild 5 noch die satte Selbstzufriedenheit eines Menschen ausdrückt, der den um sich ausgebreiteten Rechtsfrieden genießt, wird Gustav auf Bild 6 mit dem Vergehen konfrontiert, um dann auf Bild 7 die Reaktion zu zeigen, die die Angeschuldigten sich für ihre Adressaten wünschten: reine Freude.
§ 129 StGB stellt unter Strafe, für eine kriminelle Vereinigung zu werben oder sie zu unterstützen. Nachdem sich die Panzerknackerbande, wie allgemein bekannt ist, allein zu dem Zweck zusam-
mengeschlossen hat, Vergehen und Verbrechen gegen den achtbaren Bürger und Unternehmer Dagobert Duck zu begehen, sind sie zweifelsohne eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB.
Hieran ändert nichts, dass, wie oben ausgeführt, Interpol und dem Bundeskriminalamt von der Existenz dieser kriminellen Vereinigung noch nichts Zuverlässiges bekannt ist.
Auf den Bildern 2, 8 und 9 ist ein Schwein abgebildet, welches auf Bild 8 einen Sheriffstern trägt und auf Bild 2 von einer anderen Person als Polizeipräsident angesprochen wird. Im Zusammen-
hang damit, dass die Bildgeschichte auf Vorgänge in München Bezug nimmt, kann es sich bei dem abgebildeten Schwein nur um den Münchner Polizeipräsidenten Schreiber handeln. Die Figur auf Bild 2, identisch mit der Figur auf Bild 10, stellt einen Vertreter der Schicht der Unternehmer dar, wie aus der Tatsache auf Bild 10 abzulesen ist, wo diejenige Figur in Geld schwimmt. Diese Figur äußert sich auf Bild 2 folgendermaßen: ‚Glaubst Du, ich habe Dich zum Polizeipräsidenten er-
nannt, damit Du den Dreistigkeiten der Automatenknackerbande tatenlos zusiehst?‘ worauf Poli-
zeipräsident Schreiber erwidert: ‚Schluck!‘
Die Angeschuldigten geben damit ihre Auffassung kund, dass der Polizeipräsident Schreiber von den Unter-nehmern eingesetzt sei, diese ihn jederzeit kündigen und entlassen können, und dass der Münchner Polizeipräsident nicht nach Gesetz und Recht, sondern nach Anweisungen der Un-
ternehmer handelt. Er wird als von den Unternehmern abhängig dargestellt, wie seine Bemerkun-
gen ‚Schluck, Seufz‘ und ‚Schluchz‘ zeigen. Bei der Person des Polizeipräsidenten wird gleichfalls die gesamte Polizei als ein Teil der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland so dargestellt, als ob diese auf das Kommando der Unternehmer hören würde. Dadurch wird die Bundesrepublik Deutschland selbst verächtlich gemacht, denn sie wird als mit einem so nachteili-
gen Makel behaftet und auf dermaßen unsittlichen Grundsätzen aufgebaut hingestellt, dass sie, würde diese Unwahrheit zutreffen, der Achtung der Bürger unwert erscheinen müsste (BGH St 3, 346). Die Angeschuldigten haben diese Behauptung aufgestellt, obwohl sie aus ihrem Staatskun-
deunterricht wissen, dass diese Behauptungen nicht stimmen; sie haben böswillig gehandelt.
Wie gesagt, hinderte dieser Schriftsatz, der den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft in adäquater Weise begegnete, den Richter nicht, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen.
Aus der Flut der Verfahren gegen die Redakteure der Zeitschrift BLATT sollen einige Zitate und die Reaktion der Staatsanwaltschaft und Gerichte hierauf vorgetragen werden:
Der bereits oben erwähnte Bericht über die Lorenz-Entführung enthielt die Formulierung:
„Beiseite vom Riesenrummel um die bisher glänzend gelungene Befreiung der politischen Gefange-
nen Siepmann, Becker, Kröcher-Tiedemann, Pohle und Heißler haben wir hier einige Hintergrund-
informationen um die in diesem Fall reichlich bedrohliche Informationstaktik der bayerischen Staatsbehörden erhalten.“
Obwohl dieser Satz eindeutig zeigt, dass es den Verfassern lediglich um Darstellung von Hinter-
grundinformationen geht – der ganze folgende Artikel befasste sich damit – bekam der verant-
wortliche BLATT-Redakteur einen Strafbefehl über 80 Tagessätze a DM 40.– wegen Billigung von Straftaten. In der Amtsgerichtsverhandlung wurde diese Strafe bestätigt, lediglich der Tagessatz wurde auf DM 20.– ermäßigt. Die Berufung gegen das Urteil wurde zurückgewiesen, obwohl in-
zwischen die Neuregelung des § 140 in Kraft ist, die eine „Störung des öffentlichen Friedens“ ver-
langt.
Die Formulierung in einer anderen Ausgabe der Zeitschrift
„den neuesten Coup landete der ein wenig senile bayerische Weißwurstpräsident Goppel, als ihm angetragen wurde, die kranke Brühne nach 12 Jahren Knast endlich zu begnadigen …“
führte zu Strafbefehlen über 60 und 100 Tagessätzen a DM 30.– gegen Redakteur und Verfasser des Artikels. In der Hauptverhandlung forderte der Staatsanwalt Strafen von 200 bzw. 150 Ta-
gessätzen wegen Beleidigung. Verurteilt wurde zu 50 bzw. 60 Tagessätzen.
Das 58. BLATT setzte sich mit der Beschlagnahme des Bommi-Baumann-Buches auseinander. In einem Artikel wurde ausgeführt
„Druckerei und Trikont sind durch diese ungeheuerliche Bücherstürmerei zur Zeit arbeitsunfähig gemacht“
und
„es sei dabei wohl gar nicht so sehr darauf angekommen, gegen ein bestimmtes Buch vorzugehen, als gegen den ganzen Personenkreis, der notwendig ist, ein Buch an den Leser zu bringen“
… hierdurch solle
„politisch unliebsame Literatur mundtot gemacht werden und die ökonomische Existenz ihrer Produzenten und Verkäufer regelrecht vernichtet werden.“
In diesen Vorwürfen sah die Staatsanwaltschaft eine Staatsverleumdung nach § 90 a StGB, der verantwortliche Redakteur wurde auch nach dieser Vorschrift bestraft. Im gleichen Verfahren wurde eine weitere Formulierung in einem anderen Artikel ebenfalls wegen 90 a angeklagt. Die Formulierung lautete:
„Eine unmotivierte Gewalttätigkeit der Polizei, auf richterliche Anordnung, gegen einen unbe-
scholtenen, völlig unpolitischen Münchner Bürger.“
Die Anklage gegen diesen Satz bedeutet eine Ausweitung der Interpretation des § 90 a, die bisher ohne Beispiel ist. Allerdings wurde in der Hauptverhandlung das diesbezügliche Verfahren einge-
stellt, jedoch nur nach § 154 a StPO als unwesentliche Nebenstraftat.
Ebenfalls zu einer Anklage nach § 90 a führte die Formulierung
„Justiz und Polizei sind nun einmal zum Schutz der herrschenden Gesetze da und alle bisherigen Gesetze enthalten einen hohen Anteil Interesse der Gruppen, die ihre Machtposition und ökono-
mische Grundlagen schützen wollen. Wer diesen Machtinteressen Widerstand leistet, wird von Justiz und Polizei verfolgt.“
Der Prozess über diese Anklage findet Ende September statt.
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass Staatsanwaltschaft und Gerichte, um gegen das BLATT vorzugehen, die entsprechenden Paragraphen in unerträglicher Weise ausdehnen und mit Strafan-
trägen bzw. Verurteilungen reagieren, die im Vergleich zu ähnlichen Verfahren weit über dem nor-
malen Maß liegen.
Zum Abschluss soll noch ein letztes Beispiel aus München aufgeführt werden, das zeigt, wie ver-
schieden die Reaktionen des Staatsapparates sind, wenn man einerseits die Verfahren – wie oben erwähnt – unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit durchführen kann, und wie anderer-
seits reagiert wird,wenn man eine weite öffentliche Kritik befürchtet.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen die verantwortlichen Geschäftsführer des Trikont-Verlages An-
klage wegen der Herausgabe des Bommi-Baumann-Buches erhoben. Die Anklage stützt sich auf § 131 und § 140 StGB. Vor wenigen Wochen wurde die Anklage zur Hauptverhandlung bei der Staatsschutzkammer beim Landgericht München I zugelassen. Andererseits wird das gleiche Buch, ungekürzt und ohne Änderungen, seit Juli dieses Jahres wieder ganz offen und ohne Einschreiten der Staatsanwaltschaft im Buchhandel verkauft. Es wurde von einem Kollektiv von ca. 300 Heraus-
gebern, darunter sehr viele Prominente aus dem In- und Ausland, neu herausgegeben. Inzwischen sind 20.000 Exemplare davon verkauft worden. Über die Neuherausgabe wurde eingehend in der inländischen und vor allem auch in der ausländischen Presse berichtet. Bisher ist kein einziger Fall bekannt, dass der Verkauf in einem Buchladen unterbunden oder ein Strafverfahren gegen einen der Neuherausgeber eingeleitet wurde. Der Prozess gegen die Gesellschafter des Trikont-Verlages findet also im Oktober statt, obwohl gleichzeitig das Buch, dessen Herausgabe angeklagt ist, öffent-
lich im Buchhandel vertrieben wird. Die Neuherausgabe des Buches scheint mir ein wichtiges Bei-
spiel dafür zu sein, wie der fortschreitenden Repression auf diesem Gebiete der Meinungsdelikte begegnet werden kann.
VI. Erste Erfahrungen mit dem § 88 a
Der erste Polizeieinsatz, der sich auf den § 88 a stützt, erfolgte am 18.8.76. Wegen Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung u.a. wurde ein Durchsuchungsbeschluss des Ermitt-
lungsrichters des BGH erlassen und auf Grund dessen zahlreiche linke Buchläden in der BRD durchsucht. Außerdem wurden die Privatwohnungen der Inhaber in München morgens um 6.00 Uhr von mit Maschinenpistolen bewaffneter Polizei umstellt und durchsucht. Ein Bochumer Buchhändler wurde festgenommen und Haftbefehl erlassen. Der Verdacht gründete sich auf die angebliche Verbreitung einer Druckschrift „Revolutionärer Zorn“. Hier heißt es im Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH:
„In dieser Schrift werden Straftaten nach dem § 126 StGB in einer Weise befürwortet, die die Be-
reitschaft Anderer fördern soll, sich durch Begehung solcher Taten für die Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen.“
Dies ist einfach die Wiederholung des Gesetzeswortlautes des § 88 a StGB. Mit keiner Silbe wird versucht, die Stelle in der Schrift zu bezeichnen, die einen Strafbestand erfüllen soll. Gegen einen solchen Beschluss ist ein Rechtsmittel unmöglich. Wenn ich nicht weiß, was strafbar sein soll, kann ich mich nicht verteidigen. Durchsuchung, Beschlagnahmen, Festnahmen sind so für die Betroffe-
nen nicht mehr anfechtbar und nicht mehr kontrollierbar. Das Fragen nach dem Grunde der poli-
zeilichen Maßnahme ist überflüssige Formalie geworden, da nur noch der Gesetzeswortlaut wie-
derholt wird. Die Maschinenpistole am Bett, getragen von einem anonymen Polizisten, sollen wir hinnehmen als Schicksal, an das wir uns gewöhnen sollen. Man soll sich nicht täuschen:
Wir werden uns daran nicht gewöhnen.
Hartmut Wächtler
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Anm.: Das Münchner Ermittlungsverfahren wurde inzwischen eingestellt. Die „bundesweite Akti-
on gegen den Terrorismus“ war ein Schlag ins Wasser – die Diskriminierung der Betroffenen bleibt.
Hartmut Wächtler/Wolfgang Bendler/Annemarie Gaugel (Hg.), Zum Alltag der politischen Strafju-
stiz in der BRD. Beiträge deutscher Strafverteidiger auf einer Veranstaltung anlässlich des 51. deut-
schen Juristentages in Stuttgart am 16.9.1976, München 1976, 19 ff.