Materialien 1981
Die Presse
Zu einer gut funktionierenden Strategie von Polizei und Staat gehören auch Presse und Rundfunk. Sie müssen mitspielen und nicht durch kritische Berichte die Öffentlichkeit aufrütteln.
Zunächst ist dafür eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen Presseabteilung der Polizei und dem Lokalteil der örtlichen Zeitung erforderlich. Beispielhaft ist dies in der Person des Polizei-
reporters der Süddeutschen Zeitung, Johann Freudenreich, verwirklicht. Freudenreich erhält ex-
klusive Informationen von der Polizei, die er kritiklos als eigene Berichte in der SZ unterbringt und so einen beträchtlichen Neuigkeitsvorsprung seiner Zeitung garantiert. Durch die personelle Tren-
nung von Polizeireporter Freudenreich und dem seriösen Gerichtsreporter Erwin Tochtermann ist zudem sichergestellt, dass Tochtermann nicht bemerken muss, wie sehr sich die Geschichte, wie sie sich später im Gerichtssaal zeigt, oft von der Räuberpistole unterscheidet, die die Polizei kurz nach dem Vorfall veröffentlichte. Da meist Wochen oder Monate zwischen beiden Berichten liegen, kann der Leser ohnehin nicht vergleichen.
Unentbehrlich für die staatstragende Wirkung der Presse ist ein griffiges Feindbild. Eine Aufgabe dieses Feindbildes ist es, die verdrängten Wünsche (Sex) und Ängste (Gewalt) anzusprechen, um von den tatsächlichen Problemen des Alltags abzulenken. Außerdem soll beim Bürger ein Gemein-
schaftsgefühl, das wohlige Wir-Gefühl, erzeugt werden, das die Herrschenden brauchen, um unge-
stört schalten und walten zu können. Auf dieses Spiel fallen nicht nur die »Bild«-Zeitungsleser he-
rein, sondern oft genug auch wir selbst.
Als ab 1980 die Presse verstärkt über die »gewalttätigen und randalierenden« Panx berichtete, kann ich mich noch sehr gut an einige Reaktionen der »linken« Szene erinnern. Kommentare wie »… die haben doch gar nichts anderes im Kopf, als zu randalieren … die wissen doch gar nicht, was sie wollen« waren keine Seltenheit. Diese Leute vergessen anscheinend, dass sie selbst Ende der 60er und Anfang der 70er als randalierend und gewalttätig dargestellt wurden. Das Attentat auf Rudi Dutschke war Ende der 60er eine Folge der Springer-Hetze. Man sollte meinen, dass gerade deshalb die Alt-Linken nicht auf dieselbe Kiste reinfallen. Dennoch …
Wie gut Presse und Justiz zusammenarbeiten, sehen wir am Beispiel der Demo vom 4. April 81. Folgendes Zitat stammt aus dem Münchner Merkur:
»Die Demonstranten umringten die Polizeibeamten in Zivil und schlugen – so eine Darstellung des Polizeipräsidiums – wahllos auf sie ein. Selbst einem unbeteiligten 65-jährigen Passanten schlugen sie dabei eine Bierflasche mit solcher Wucht auf den Kopf, dass er verletzt in ein Krankenhaus ein-
geliefert werden musste. Der Täter, ein 26-jähriger Mann, wurde festgenommen.«
Eine entsprechende Meldung erschien in fast allen regionalen und überregionalen Zeitungen.
Am 7. April kamen weitere Berichte über die Demonstration. Der Knüller:
»Polizisten mit Drahtschlinge gewürgt.« (SZ)
»Mit doppelter Drahtschlinge Polizisten gewürgt.« (Münchner Merkur)
»Drahtschlinge um den Hals.« (AZ)
Heute wissen wir, dass diese Zeitungsmeldungen erstunken und erlogen waren. Wie kommen nun solche Berichte zustande? Sehen wir uns mal die »Flaschenstory« näher an. Übereinstimmend bezogen sich die Journalisten auf den Polizeibericht des PP München. Der Merkur erwähnt noch zusätzlich Oberstaatsanwalt Hubert Vollmann, »Chef der Abteilung für politische Delikte« der Staatsanwaltschaft München l. Eine Fernschreibermeldung der dpa nennt Vollmann (»zuständigen Staatsanwalt«) als Quelle für folgendes Zitat: »Dagegen befindet sich nach Auskunft des Staatsan-
walts ein 26-jähriger unter den Verhafteten, der einen 65-jährigen Passanten mit einer Bierflasche bewarf.«
Der angeblich unbeteiligte Passant gab der Polizei am 4. April folgendes zu Protokoll: »Ich beob-
achtete an der Einfahrt einen Aufruhr … Nachdem ich mich mit sechs jungen Mädchen unterhalten hatte, zeigten mir diese Polizisten in Zivil, die angeblich auf Demonstranten einschlugen. Die Mäd-
chen sagten wörtlich: ‚Da schauens, die Zivilbullen, wie die auf die Demonstranten einprügeln.‘ Daraufhin mischte ich mich in das Handgemenge, um den Zivilkräften zu helfen. Dabei bekam ich mehrere Schläge von hinten in den Rücken, ob dies mit einer Flasche geschah, kann ich nicht sa-
gen. Ich sah aber neben mir Scherben mit einer Flasche liegen.«
Es gab also keinen Schlag eines Demonstranten auf den Kopf eines unbeteiligten Demonstranten, der infolge seiner schweren Verletzungen im Krankenhaus landete. Es war eine reine Propaganda-Erfindung der Ermittlungsbehörden. Die Festnahme des 26-jährigen »Täters« war leider keine Erfindung.
Wie war das nun mit der Drahtschlinge, mit der ein Polizist gewürgt wurde? Der Münchner Mer-
kur beruft sich wiederum auf Oberstaatsanwalt Hubert Vollmann und berichtet über erstaunliche Einzelheiten:
»Wie am Montag bekannt wurde, fahndet die Polizei nach einem Demonstranten, der auf dem Marstallplatz einem Zivilbeamten eine Drahtschlinge um den Hals gelegt hatte und den am Boden Liegenden würgte.«
OStA Hubert Vollmann ist über diese Ereignisse auch sehr erschüttert und wird im Merkur folgen-
dermaßen zitiert: »Wir nehmen das sehr, sehr ernst. Das sind keine Lappalien mehr, das ist eine Brutalität, wie wir sie bisher in München nicht gekannt haben.«
Freudenreich in der Süddeutschen Zeitung weiß noch mehr:
»Unbekannt ist dagegen noch ein Täter, der einem Beamten von hinten eine doppelte Drahtschlin-
ge um den Hals geworfen und begonnen hatte, sie zuzudrehen. Erst als ein anderer Polizist die Dienstwaffe zog und dem Angreifer drohte, er werde schießen, ließ dieser von dem Angegriffenen ab und tauchte in der Menge unter.«
In der dpa-Meldung vom 7. April wird wieder der »zuständige Staatsanwalt« zitiert: »Der Demon-
strant, vermutlich aus der Punk-Szene, der einen Polizisten mit der Drahtschlinge gewürgt haben soll, ist noch nicht ermittelt.«
Das Feindbild und die dazugehörigen Klischees passen vollkommen zusammen. Demonstrant, womöglich auch noch Punk, würgt mit Drahtschlinge Polizisten. Ein anderer Polizist rettet helden-
haft seinen Kollegen.
Auch die Verteidiger nahmen die Geschichte sehr ernst und bemühten sich, Zeugen für diesen Vorfall zu finden. Sie fanden aber keine, obwohl es sich ja im Zentrum des Geschehens abgespielt haben soll. Sie wurden skeptisch. In einer gemeinsamen Presseerklärung am 8. April 81 bezweifel-
ten sie öffentlich, dass es diesen Vorfall überhaupt gegeben hat. Von der Justizpressestelle, die ja stets mit Dementis sehr schnell bei der Hand ist, wenn es das Ansehen von Polizei und Justiz zu verteidigen gilt, kamen keinerlei Reaktionen. Auch in den Ermittlungsakten befanden sich keine Aussagen des armen Opfers und seines bewaffneten Retters. Nach den Presseberichten vom 7. April 81 ist von der Drahtschlinge nie mehr die Rede gewesen. Weder öffentlich noch in den Akten tauchte sie auf. Kein Zeuge in den mehr als ein Dutzend Prozessen sprach davon, kein Polizist fand sich, der gewürgt wurde, kein Polizist, der ihn rettete, kein Polizist, der den Vorfall sah. Die Ge-
schichte hatte ihre Schuldigkeit getan, nämlich die Demonstranten zu diffamieren. Man brauchte sie nicht mehr.
Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 18 ff.