Materialien 1981
Das U-Haft-Karussell oder ein Rädelsführer wird gesucht
Auszüge aus einem Gespräch zwischen Anwalt und Angeklagtem, aus Briefen und Dokumenten
Th.: Bei der ersten Haftprüfung hat der Richter Mehlhorn, gegen starken Protest der Staatsanwalt-
schaft (S.A.), den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Gegen DM 2.000.– Kaution und zweimal die Woche auf dem Revier melden. Die S.A. ist sofort in Berufung gegangen. Beim Landgericht ist nur die Auflage verschärft worden. Erst das obere Landgericht (höchste Instanz) hat den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Die hatten da eine Begründung, die mich auf die Palme gebracht hat: »… Die bisherigen Erfahrungen mit das Demonstrationsrecht missbrauchenden Gewalttätern ohne feste soziale Bindungen begründen die Befürchtung, dass diese spätestens dann, wenn sie sich in einer Hauptverhandlung verantworten sollen, untertauchen oder durch ständigen Aufenthalts-
wechsel der Strafverfolgung zu entziehen suchen.«
M.: Ich hatte nicht damit gerechnet. Ich bin vom Einkaufen mit einer Tüte Bohnen zum Revier gekommen, um mich wieder zu melden. Diesmal ging das nicht so flott wie die Male zuvor. Der Beamte hat nicht gleich zu dem Ordner gegriffen, wo ich so ein Formblatt unterschreiben musste. Er hat erst mal auf seinen Schreibtisch geguckt, wo unter einer Klarsichtfolie ein handbeschrie-
bener Zettel lag. Ich las meinen Namen und – welche Freude – den Namen Kasch von der S.A. ganz groß. Da ist es mir schon mulmig geworden. Dann hat er einen Kollegen aus dem hinteren Zimmer gerufen, ohne von seinem Stuhl aufzustehen. Da kam aber erst mal nur eine Frau – eine Politesse – und hat ihm über die Schulter auch auf das Papier gesehen. ohne ein Wort zu sagen. Dann kam der Chef vom Revier und der Typ steht auf. Ich steh zwischen ihm und seinem Chef. Der sagt: »Herr F., Sie sind verhaftet!« – Da war ich schon von den Socken. Ich hab genauestens nach-
gefragt, argumentiert und geschimpft. Es war ernst. Also ruf ich meine Leute an, um sie zu benach-
richtigen, und ab in die Zelle – Scheiße!
Th.: Dann ging das ja blitzschnell. Richter Mehlhorn vom Amtsgericht hat die Anklage zugelassen und konnte erneut einen Haftprüfungstermin machen – gleich am Tag nach Deiner Verhaftung.
M.: Ja – ich war am nächsten Morgen in der Ettstraße. Das war mein Geburtstag. Ich dachte, jetzt geht’s wieder nach Stadelheim, wer weiß für wie lange. Dann haben die mich in den Justizpalast gefahren, und ich saß dort wie auf Kohlen. Ich wusste nicht, was los war. Ich saß einige Stunden, bis mich so zwei Vorführbullen hoch führten: mit eng gestellten Handschellen und die Arme hoch-
gehalten, dass ich mich nach vorne beugen musste und das Blut aus den Armen ging. Die Stim-
mung oben im Amtszimmer vom Richter Mehlhorn war hochexplosiv. Der Richter schickte die Bullen aus dem Zimmer. S.A. Kasch saß da mit hochrotem Kopf und bösem Blick, machte ständig vielsagende Einwürfe: »… Das hat noch Konsequenzen …« Richter Mehlhorn, auch mit rotem Kopf und erhobener Stimme, verkündete meine erneute Freilassung. Das war ein Fest …
Th.: Wie ich zu dem Amtszimmer vom Mehlhorn kam, hörte ich die beiden sich schon anschreien. Der Mehlhorn sagte dann auch noch, er ist ein unabhängiger Richter, und er würde sich DA nicht reinreden lassen. Dieser Auftritt der S.A. hat auch bei anderen Richtern vom Amtsgericht ziemlich böses Blut gemacht. Dass die »richterliche Unabhängigkeit« nicht respektiert wird.
Die S.A. ist sofort wieder in Beschwerde gegangen. Paar Tage später hat das Landgericht den Haftbefehl wieder in Vollzug genommen. Da warst Du höchstens ein paar Tage auf freiem Fuß.
M.: Ich war natürlich ahnungslos, weil ich auch nicht dachte, dass das so schnell geht. F. hat mich mit dem Auto zum Revier gefahren, wo ich mich wieder melden musste. Ich hatte schon im Auto ein schlechtes Gefühl, je näher wir zum Giesinger Revier kamen. Und wieder das gleiche Spiel; das Zögern der Beamten und: »Wir haben leider wieder einen Haftbefehl gegen sie …«, ich war da echt am Ende!
Ich hab zu denen kein Wort mehr gesagt. Nicht mehr protestiert – gar nichts mehr. Ich hab den F. umarmt und das Heulen angefangen. Psychoterror! Die haben mich noch mitten in der Nacht in die Ettstraße gebracht. Dort die üblichen Schikanen. Das Rumkommandiertwerden. Die blöden Sprüche und eine überfüllte Gemeinschaftszelle mit schnarchenden und stinkenden Alkohollei-
chen. Ich hatte keine Kraft mehr, mich zu wehren, z.B. dass sie mir nur unvollständiges und drek-
kiges Bettzeug geben. Prompt am nächsten Tag in Stadelheim findet »Frankensteins Geschlechts-
beschauer« eine Filzlaus und ich muss die erste Woche in Isolierhaft, werde von oben bis unten mit Petroleum eingesprüht.
Brief: 12.5., Stadelheim
»Ich bin sicher, dieses Hin und Her wird bald ein Ende haben. Ewig können die nicht so mit mir umspringen! Ich hoffe, dass es da eine Öffentlichkeit gibt, die da ein Auge drauf wirft.
Beim Arzt hier hat mich ein junger Assistent gefragt (nachdem er mein Herz abgehört hatte), ob ich viel schwitze. Ich hab geantwortet – in letzter Zeit schon, aber ich weiß auch warum! –, jetzt geht’s mir schon wieder einigermaßen. Die erste Zeit, vor allem in der Ettstraße, war am schlimmsten. Beschissen ist die ‚nette’ Art der Behandlung auf der ‚Entlausungsabteilung‘. Ich bin hier total isoliert. Außerdem stink ich wie ein ausrangiertes Autowrack oder wie ein Feuerspuk-
ker nach einem Fehlstart …
Statt dem Frühstück kommt ‚Frankenstein‘ mit der Petroleumspritze, schaut aus wie ein überdi-
mensionaler Blumensprüher – und spricht: ‚Behandlung! Los, ausziehen! Hosen runter – Hemd ausziehen – Beine auseinander – Frühstück? Ist schon längst vorbei. Geht mich nichts an. Musst Dich rechtzeitig rühren beim Stationsbeamten. Jetzt mach schon – zier Dich nicht so!‘ Hinter mir der für’s ‚Frühstück‘ gedeckte Tisch: ein paar Scheiben Brot, etwas Fett und Marmelade; daneben das Bett. ‚Frankenstein‘ sprüht los.«
Brief: 13.5., von draußen
»Briefe zwischen Tür und Angel, zwischen Stadelheim und Anwalt. Viel Arbeit wird uns einge-
brockt … insgesamt fühlen wir uns alle ganz schön beschissen. Ein Gefühl macht sich breit, am liebsten ganz weit fort sein zu wollen. Wo’s so was wie Stadelheim nicht gibt. Aber wo ist das schon?
Wenn’s bei mir anfängt, dass ich nicht mehr richtig schlafen kann, dann verlässt mich jegliche Lust an dem ganzen Mist; diese Rumrennereien, dazu noch die Schule. Dann kommt bei mir das Gefühl auf, dass es das wichtigste ist, dass es deinem Körper gut geht. Dass DIE sich selber IHRE Scheiße, die uns eingebrockt wird, auslöffeln sollen … Ich hoffe, Du kannst Dich einigermaßen bei Laune halten. Dein Körper wird da vergiftet. Aber Du hast auch Reserven. Nur wie lang? Lass Dir die fetten Leberknödel nicht schmecken, auch Du wirst mal wieder ein gutes Süppchen be-
kommen …
Also denk daran: wir sind draußen für Dich, es sind nicht wenige und sie sind empört!«
Brief: 14.5., Stadelheim
»Die Bedingungen meiner Haft sind bis heute 7.000 kleine Schikanen, die mich nerven und läh-
men. Ich bin zwar heute aus der ‚Entlausungszelle‘ . gekommen, aber meine Klamotten haben sie mir noch nicht gegeben. Sie sind schon längst da, ich hab sie schon gesehen – musste schon zwei-
mal dafür unterschreiben. Ein Beamter schiebt’s auf den anderen und der letzte meint: nächste Woche!
Deine Briefe sind auch noch nicht da. Einkauf war natürlich am Montag. Jetzt ist endgültig nichts mehr drin. Erst wieder in zwei Wochen. Ich muss also Tabak und Zigaretten rationieren, was mir ziemlich schwer fällt. Ungeduldig warte ich auf die anderen Prozessunterlagen und die angefan-
genen Texte für unseren Film, dass ich endlich was machen kann. Hofgang hatte ich bis jetzt noch keinen, mir fehlt Bewegung, frische Luft und die Möglichkeit, Leute zu sehen und zu quatschen. – Na ja, Morgen. Riesig gefreut hab ich mich über den Radio vom B. Da probier ich manchmal AFN, ob da was Gescheites kommt. – Mein Körper meldet sich und wehrt sich gegen die schlechte Behandlung. Öfter mal Kopfschmerzen und seit gestern so ‚rheumatische‘ Schmerzen in Beinen und Rücken. Aber ich denke, das gibt sich, wenn ich wieder etwas mehr Bewegung habe, wieder mehr Joga mache und sonst auch klarer sehe …«
Brief: 18.5., Stadelheim
»… Ich hab jetzt einen Eindruck davon, wie das Gefangenenleben hier abläuft. Ich hab zweimal Umschluss gehabt (nachmittags mit anderen Gefangenen auf einer Zelle), Fernsehen (Scheisswe-
stern …), Hofgang-Gespräche usw. Ich bin neugierig, aber auch misstrauisch, und das hat Grün-
de. Die Hierarchie und die Machtverhältnisse spiegeln sich auch hier unter den Gefangenen im ‚Alltag‘ …«
Th.: Nachdem Deine dritte Verhaftung beschlossen war, brauchte ich erst mal einen Kognak, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen … für die nächsten juristischen Schritte. Ich schrieb eine so-
fortige Haftbeschwerde, noch vor Deiner Verhaftung – ich konnte Dich ja nicht erreichen –, brachte sie am Montag selber hin. Die wurde am Mittwoch abgelehnt. Ein Schlag folgt dem an-
deren. Der Antrag auf Befangenheit der Richter, die sich auf eine »Erfahrung mit das Demonstra-
tionsrecht missbrauchenden Tätern« berufen, wird abgelehnt. Im Gegenteil – Richter Mehlhorn, als zuständiger Richter, wird auf Antrag der S.A. abgesetzt. Eine neue Anklage wird fürs Schöffen-
gericht beantragt und genehmigt.
Zitat S.A.: »… dass der Angeklagte sich, wie das Verfahren zeigt, der sogenannten Hausbesetzersze-
ne zugehörig fühlt und bereit ist, den Staat mit den Mitteln der Gewalt zu bekämpfen. Er steht da-
mit der geltenden Rechtsordnung grundsätzlich feindselig gegenüber …«
Zitat Landgericht: »… wobei in diesem Fall generalpräventive Gesichtspunkte besonders zur Gel-
tung kommen müssen …«
Th.: Unser Widerspruch gegen die Zulassung der Anklage zum Schöffengericht wird abgelehnt. (Anm.: Das Schöffengericht ist zuständig für ein zu erwartendes Strafmaß ab 1 Jahr.) Auf unsere ausführlichen Begründungen wird nicht eingegangen … weitere Beschwerde beim Oberen Land-
gericht wird abgelehnt.
Zitat OLG: »… mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen ist, deren Vollstreckung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur Bewährung ausgesetzt werden kann.«
Th.: Jetzt bleibt uns nur noch eine möglichst gute Prozessvorbereitung.
Brief: 22.5., Stadelheim
»Du warst bei dem Richter vom OLG und Du hast mit S.A. Kasch telefoniert. Wie ich Dein Gesicht sah beim Besuch, wusste ich, was Du erlebt hattest – wo’s lang geht. Die ‚bayrischen Freundlich-
keiten’ nehmen kein Ende. Aber wie weit können sie gehen? Ich fühle mich immer mehr als Geisel dafür, dass draußen die Leute nicht zu laut ihre Meinung sagen. Dieses endlose Ablehnen unserer Anträge geht mir auf die Nerven.
Heute ein grauer Tag;. Aber beim Hofgang etwas Wind, kühler Wind. Der bringt Bewegung in die trostlosen Knastbäumchen. Ich war erfrischt, munter und bunt angezogen, Ich seh aus wie ein ‚Pirat‘, hat ein Knackie gesagt. Ich hab Tischtennis gespielt – drumherum das Kreisen der Gefan-
genen. Ich fühl mich stark und sicher, liebevoll versorgt von Euch draußen! Ich hab inzwischen mehr als die meisten hier und teile –
aber das Wichtigste kann hier niemand teilen. –
ich komme nach – du sollst nicht zu viel warten –
sing deine lieder kräftig und laut.
ich höre sie, bevor du schreist, denn wir schreien zusammen,
schnell bevor die nacht uns überrollt.
es scheint eine ewigkeit bis zum neuen tag.«
24.5., Stadelheim
»Oh – ich hab so Hunger! Hunger nach Leben. Kein Essen macht mich satt. Es bleibt immer Hun-
ger. Auch wenn die Pappkartoffeln schwer im Magen liegen und das Plastikbrot sich darüber stapelt, dass ich tagelang nicht scheißen kann – ich hab wahnsinnigen Hunger!«
Brief: 24.5., von draußen
»Es fällt mir ganz schön schwer, in den Knast zu schreiben. Manchmal kommts mir so vor, als ob ich an ein Phantom schreibe. Harte Wahrheit war Dein Gesicht bei unserem Besuch. Heute gehen F. und ich zu Deinen Eltern. Mir grausts schon. Die wird wahrscheinlich der Schlag treffen. Ich werds ihnen schonend beibringen.«
28.5., Stadelheim
»Stell Dir vor, mein Vater war hier zu Besuch. Er sah 10 Jahre älter aus, ganz schön mitgenom-
men. Er hat mir trotzdem versucht, Mut zu machen. Ich war ganz schön fertig, wie ich ihn gese-
hen hab. Sie können auch nur kaputt machen. Mein Vater musste 2 ½ Stunden warten. Ich saß 2 ½ Stunden in einer engen Wartezelle mit fünf Jugendlichen. Es war großer Besuchstag. Die Stimmung zum Zerreißen. Das Besuchszimmer überfüllt; einige mussten stehen, und die Zeit war auf eine Viertelstunde gekürzt. Protest zwecklos, der Beamte war stur und aggressiv.«
M.: Du hast mich dreimal die Woche besucht. Da sind wir die verschiedenen Anklagepunkte durchgegangen. Wir haben alle Zeugenaussagen, Erinnerungsprotokolle durchgecheckt, Wider-
sprüche herausgearbeitet, Bruchstücke zusammengefügt, bis wir ein einigermaßen klares Bild hatten. Wir haben Zeugen und Beweise für jede Minute des Geschehens gesucht. Wir haben ver-
sucht, alle Register zu ziehen, und wir haben den Prozess zusammen vorbereitet. Ich glaub das war sehr wichtig.
Ich bin da nicht mit einem hilflosen Gefühl hingegangen. Du hast nicht den Anwalt gespielt, »der das schon für mich macht«.
Wir haben unsere bürgerlichen Rechte voll ausgeschöpft in diesem Demokratiespiel. Das ist ihre Maske, hinter der die Fäden der Macht versteckt sind. Es ist wie Theater, und wenn Du das weißt, kannst Du anders damit umgehen. Du kannst versuchen, sie über ihre eigenen Fäden stolpern zu lassen. Zumindest den Spielraum Deiner Rolle ausnützen.
Th.: Wir sind auch als Ankläger aufgetreten; auf die falschen Verdächtigungen, auf die Verdrehun-
gen und die einseitig geführten Ermittlungen hin. Wie die Polizeibeamten falsche Belastungen aufbauen. Da brauchten wir uns nicht verstecken.
Zeugenaussage:
Als X dann von mir im PP in die Arrestzelle verbracht wurde, sagte er zu mir, dieses Mal habt Ihr mich gekriegt, das nächste Mal kriegen wir Sie. Diese Äußerung erfolgte in der Ettstraße. Ich für meine Person nahm die Worte durchaus für ernst.
Drohbrief an einen RA:
Unsere Gesetze sind zu liberal, und wenn jetzt in Bayern verstärkt harmlose Waffen zum Schutze der armen Polizisten verlangt werden, dann ist das Geschrei groß. Es könnte ja einer von den Rowdys von einem Gummigeschoss getroffen werden.
Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 58 ff.