Materialien 1980

Punker und Polizei in München

(Beitrag in der Radiosendung »Zündfunk«, BR, 2. Programm, 25.11.80)

Reporter: Michael Weber
Polizeisprecher: Herr Schratzenstaller
und jugendliche Fußgänger

Polizeisprecher: Mir ist erinnerlich, dass die Polizei am Samstag so gegen 11.15 Uhr erstmals mit einigen Beamten an der Feldherrnhalle aufgetaucht ist, um die Situation zu überprüfen, weil kurz vorher bei uns ein Passant – ein Bürger, der uns namentlich nicht bekannt ist – darauf hingewie-
sen hat, dass im öffentlichen Teil der Feldherrnhalle sich mehrere Punker ansammeln und daraus sich ein bisschen dort Bewegung abzeichnet. Derartige Mitteilungen sind natürlich kein Anlass, dass wir hingehen. Um 11.15 Uhr sind die Beamten hingekommen, haben die Situation überprüft und haben in der Tat festgestellt, dass mindestens fünf Punker – als solche an ihrer Aufmachung; und an ihrem Erscheinungsbild (zu erkennen) – sich unter den dort vorhandenen mehreren Ju-
gendlichen befinden.

»Münchner Abendzeitung« vom 24. November:

»50 Punker randalierten in der Innenstadt.«

»Bild München« vom selben Tag:

»Um 12.20 Uhr stürmte die Horde durch das Portal am Domplatz in die Liebfrauenkirche.«

»Wir ham uns halt getroffen, und wie wir dann genügend waren, fünfzig oder so, simmer gegan-
gen. Irgendwohin. Zuerst wollten wir ein Bier trinken gehn. Dann waren schon lauter Bullen um uns rum. Vor uns, hinter uns, in den Seitenstraßen. Ham immer wieder hergeschaut. Wir sind zwischen ihnen durchgegangen, ham uns nix gedacht … wir haben weder Flaschen geschmissen – natürlich fällt da mal eine runter oder jemand schmeißt eine –, aber das war nicht irgendwie or-
ganisiert oder was. In die Kirche sind wir nur aus der Idee reingegangen … so aus Fez, also sofort wieder rausgegangen.«

»Es ist überhaupt nix passiert in der Kirche. Ein Typ kam dann an und hat so den Zeigefinger er-
hoben, dass wir wieder rausgehen sollten und hat total rumgeschrien. Das war nämlich der einzige, der rumgeschrien hat, um das nochmal zu betonen. So’n Kirchendiener, was weiß ich. Aber zivile Kleidung. Der hat halt so die Hand erhoben zum Rausgehen, und das hat sehr einem Faschisten geähnelt. Woraufhin dann ein paar Panx diesen Gruß zurückgegeben haben, der auch ganz ein-
deutig aufzufassen war, fand ich. Genau wie später die Sprüche vorm MacDonalds von wegen »ver-
gast sie alle«. Unheimlich oft. Zuschauer.«

Polizeisprecher: Die ganze Situation hat sich ja dann schrittweise entwickelt, als sich dann die Ju-
gendlichen, unter denen sich ja auch eine Reihe von Punkern befunden haben …

Reporter: Heißt das, dass auch andere Jugendliche dabei waren?

Polizeisprecher: Ja, es waren nicht nur Punker. Es waren auch andere darunter, die sich zumindest nicht im äußeren Erscheinungsbild als Punker für uns gezeigt haben. Die ganze Situation in der Feldherrnhalle verdichtete sich dann gegen 12.15 Uhr. Da haben sich dann ca. 50 Leute in Bewe-
gung gesetzt in Richtung Innenstadt. Die Theatinerstraße entlang Richtung Marienplatz. Und zu diesem Zeitpunkt, etwas vor 12.15 Uhr war die Situation so, dass die Polizei sich mit einigen uni-
formierten Gruppen zur Feldherrnhalle begeben hat und diesen Zug, diese 50 Leute, begleitet hat.

»Münchner Abendzeitung« vom 24. November:

»Eine Gruppe von 50 Punkern zog am Samstagnachmittag grölend durch die Innenstadt.«

Polizeisprecher: Die ganze Situation wurde dann eigentlich erst brenzlig, als diese Gruppe von 50 Personen sich dem Dom genähert hat: ab dem Dom sind sie ja dann weitermarschiert und da ist es dann schon zu Straftaten gekommen, die man eigentlich nicht mehr hinnehmen kann. Es wurden Flaschen zertrümmert, die Scherben auf die Straße geworfen, im Laufschritt wurden Leute angepö-
belt, umgerannt, beleidigt …

Reporter: Sind Leute umgerannt worden?

Polizeisprecher: So wie die Ermittlungen sind, sind Leute so stark angerempelt worden, als die Leute im Laufschritt waren, dass die Leute ins Stolpern geraten sind.

Reporter: Sind sie dann umgefallen und lagen die tatsächlich auf dem Boden, die Passanten?

Polizeisprecher: Das kann ich ihnen jetzt aus dem Stegreif nicht sagen, das müssen erst die kri-
minalpolizeilichen Ermittlungen ergeben. Die Personen, die da zu Schaden gekommen sind, werden ja alle noch vernommen werden, soweit sie bekannt sind.

»Süddeutsche Zeitung« vom 24. November:

»Passanten, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten, wurden von den maskierten Rowdys zur Seite gestoßen und über den Haufen gerannt.«

»Also ich bin sicher, dass keine einzige Oma umgerannt worden ist.«

»Von Bullen wurde einer umgerannt, ja. Irgendwann haben die das Laufen angefangen, die ande-
ren. Ich bin hinten nach gegangen und noch zwei. Und die Bullen haben auch das Laufen angefan-
gen, waren ungefähr neun. Und dann hab ich gesehen, dass so ’ne Frau irgendwie auf die Seite ge-
gangen ist, und dann ist sie umgefallen. Also, ich mein: ich find das lustig. In den Zeitungen steht, wir hätten da rumgepöbelt, es gab Schwerverletzte und lauter blabla …«

»Münchner Abendzeitung« vom 24. November:

»Von zwei Zügen der Einsatzhundertschaft und mehreren Streifenbesatzungen wurden dann 36 Punker ohne größeren Widerstand festgenommen.«

Polizeisprecher: Die ganze Situation stellt sich aus rechtlicher Sicht ja nun so dar, dass hier Haus-
friedensbruch … die Ermittlungen laufen wegen Hausfriedensbruch.

Reporter: Konkret, wo wurde der Hausfriedensbruch begangen?

Polizeisprecher: Ja, im Dom, nicht wahr. Es ist der Dom durchquert worden von vorn nach hinten, soweit ich mich erinnern kann. Dann Beleidigung, Sachbeschädigung, schwere Sachbeschädigung nach § 304 des Strafgesetzbuches. Also schon Delikte, die man eigentlich nicht mehr so ohne wei-
teres hinnehmen kann.

Reporter: Welche Sachen sind denn konkret beschädigt worden?

Polizeisprecher: Ich kann Ihnen das jetzt … den Ermittlungsstand kann ich Ihnen jetzt nicht so ohne weiteres wiedergeben, aber auf jeden Fall die ganzen mitgeführten Flaschen und ähnliches, die da zertrümmert und zerschmettert worden sind.

»Einer sagt: ‚I geh jetzt lieber.‘ Dann sagt der Bulle hinter ihm: ‚Naaa, Du bleibst da.‘ Naja, und dann hamse halt die Leut festgenommen. Dann waren wir so zu zehnt in einem Wagen hintendrin, dann hat der Bulle auch dem andern eine chemische Keule in die Hand gedrückt und gesagt. ‚Los, wenn einer rnotzt, dem schießte voll ins Gesicht.‘ Und der saß dann da mit der chemischen Keule: bing bing.«

»Deutsche Presseagentur« vom 23. November, 17.17 Uhr:

»Polizei stoppte Punkermarsch von Feldherrnhalle durch Münchner Dom. Das Punkerrennen endete für die meisten im Polizeipräsidium.«

Polizeisprecher:Da hat sich dann die Situation so dargestellt, dass man eigentlich den ganzen Zug aufhalten musste, um die Personalien der Leute wegen dieser angeführten Delikte festzustellen.

Reporter: Aber die Leute wurden ja nicht nur festgehalten, sondern sie wurden ja verhaftet. Wa-
rum geschah das?

Polizeisprecher: Ich würde hier nicht von Verhaftung reden, sondern die Leute wurden vorläufig festgenommen und zu ihrer Personalienfeststellung ins Präsidium gebracht, und dann wurde von seiten der Polizei die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, weil ja doch Vergehenstatbestände zugrun-
de lagen.

Reporter: Aber die wurden dann doch längere Zeit festgehalten, in Zellen, die Jugendlichen. Wie war das genau und warum geschah das?

Polizeisprecher: Erst musste festgestellt werden, ob Verdunkelungsgefahr besteht, ob Fluchtgefahr besteht, und nach Abwicklung dieser Dinge wurde die Entlassung von der Staatsanwaltschaft ab Mittag, Sonntagmittag, verfüg[.

»Wir haben uns nix gedacht, und deswegen haben auch die meisten keinen Widerstand geleistet. Die meisten haben gedacht: ich hab sowieso nix getan, mir können sie eh nix anhaben, und so weiter … und deswegen hat sich jeder mitnehmen lassen. Hat sich gedacht: die nehmen jetzt bloß meine Personalien auf und da passiert weiter nichts.«

»Das mit der Verhaftung, das hat eigentlich so angefangen, dass einer, der ein Halsband mit Nä-
geln gehabt hat, der hat das runter und wollts in die Tasche stecken. Und irgendeiner von den Kaschpern hat sich angegriffen gefühlt und dachte, der nimmt das jetzt als Schlagring und ge-
meint: ‚Den nehmen wir mit!‘, worauf natürlich großes Buhh und so … Aber eigentlich ist keiner eingeschritten, weil das eigentlich alles nur noch total lächerlich war, und dann hat irgend so ein Einsatzleiter gemeint: »Die nehmen wir alle mit,, und dann is es aufgegangen.«

»Ich möcht jetzt, dass wir mal aufs Revier zum sprechen kommn. Wies da in der Ettstraße war. Da warn wir 27 Jungs, und die neun Mädels warn extra. Warn wir in einer Zelle, da warn wir glaub ich vier oder fünf Stund, bis mal die erstn aufgrufen wordn sin. Und zum Verhör kommn sin. Da ham wir immer nach Brot und so gfragt. Hats nix zvrn Essn gebn. Wir ham gefragt, ob wir was habn können. ‚Naa, ihr kriegts nix mehr, i hab koa Lust‘, ham die Bullen gsagt.«

»Wir warn zu elft in na Achtpersonenzelle und eina war eigentlich ganz nett von de Bullen. Der hat gemeint: ‚Ja, wenns noch a Abendessen da is, wenn alle in der Zelle sin, bring i was.‘ Der andre war eh schon grantig, weil er Überstunden machn müssn hat. Wir ham mindestens zehn Mal geklin-
gelt, bis wir endlich Decken kriegt ham und darauf, dass drei zuviel in der Zelle warn, hams über-
haupt nicht reaglert und ham bloß so blöde Sprüche losglassen. Der eine meinte: ‚In einer Stund kommts raus.‘ Und der andre hat gsagt: ‚Kimmts eh nach Stadelheirn.‘ Zu uns hams gesagt: ‚Wenn Ihr Euch aufführt. Kommts eh nach Haar!«

»Süddeutsche Zeitung« vom 24. November:

»Bei dem Umzug am Samstagmittag handelte es sich um das erste massive Auftreten von Punkern in München.«

Polizeisprecher: Polizeirelevant sind die Punker bisher eigentlich erst in zwei Fällen geworden in München. 1978 war einmal im Münchner Westend eine Auseinandersetzung zwischen Jugend-
gruppen. Da war eben eine Gruppe Punker. Es ist da auch nichts Entscheidendes passiert. Und dann noch am 8. dieses Monats, am 8. November im Rollerskateclub gab es noch einmal ein paar Probleme mit Punkern. Das waren eigentlich die einzigen, die mir bisher bekannt sind. Und dieser Vorfall am Wochenende war eigentlich erst der dritte. Wir von seiten der Polizei sehen eigentlich keinen Grund, dass die Sache vom Wochenende besonders schwerwiegend ist oder besonders hochgespielt werden soll. Und ob die Medien diesem Vorfall so gerecht geworden sind, das entzieht sich ja eigentlich meiner Würdigung.


Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 23 ff.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Alternative Szene