Materialien 1981
Bayerisches Sibirien
Der Apparat existiert nicht nur in München, wieso ist das die einzige Stadt, in der eine Organisa-
tion wie die Schwarzen Sheriffs die U-Bahnhöfe beherrscht, in deren Knästen CS-Gas eingesetzt wird, Polizeitaktiken ausprobiert werden, in der die größte psychiatrische Versuchsstation ist, die die meisten Todesschüsse von Bullen vorweisen kann? Und es trotzdem noch nie eine kontinuierli-
che Form von Widerstand gab?
Ein wichtiger Punkt, der selten öffentlich beredet wird, ist Angst, Angst vor Knast, Angst vor Prü-
gel, Angst vor der Klapse, Angst, dass sie mal wieder einfach abdrücken. Uns nicht von dieser Angst bestimmen zu lassen, besser damit umzugehen, bedeutet, wir müssen uns über die Repres-
sionsmittel klar sein, d.h. überlegen, wie Knast ausschaut, wie sie ihn einsetzen, wie der Kampf drinnen ablaufen kann, warum Knastkampf und der Kampf draußen nicht zu trennen sind.
Aus dem Lehrbuch der sauberen Folter
Die wichtigsten Techniken (Ziel: der totale Gehorsam; Aufweichung der Persönlichkeit des Gefan-
genen) zusammengefasst in einem Schema:
1. Isolierung:
Die Isolierung entzieht dem Opfer jegliche soziale Unterstützung seiner Widerstandsfähigkeit, es entwickelt intensives Interesse an sich selbst, macht das Opfer vom Verhörenden abhängig.
Varianten: totale Einzelhaft, vollständige Isolierung, Halb- oder Gruppenisolierung.
Nach unserem Sitzstreik kam das Rollkommando, sie haben dir die Arme verbogen, dich über Glassplitter geschleift und auf dich eingeprügelt, dann haben sie dich in irgendeine Zelle gesteckt, egal welche. Hauptsache, du warst erst mal weg. Eine Frau hat plötzlich total geschrien, weil sie ihr den Arm gebrochen haben bei der Schlägerei. Wir haben einen Arzt verlangt, stattdessen ist sie in den Bunker geschleppt worden. Wir haben gebrüllt, dass sie die Frau wieder aus’m Bunker holen sollen. Plötzlich geht die Tür auf, eine ganze Horde, zwei packen dich an jedem Arm: »Schau immer grad aus und nicht umschauen, und mach bloß nicht den Mund auf, sonst passiert was (schon wieder ein Schlag in die Rippen), und jetzt links und dann die Treppe runter.«
Keller, Bunker, doppelte Türen, einer ist schon besetzt. Ausziehen, sie nehmen dir alles ab, Tabak, Schmuck, dann stehst du nackt vor den Schweinen wie der letzte Depp. Ein Nachthemd, dann biste drin im Loch. Eine absolut sterile Zelle, weiß, geräuschisoliert, nur Milchglas, Neonlicht Tag und Nacht, einbetoniertes Klo, ein Holzbrett mit hauchdünner Matratze, ein Brett als Tisch, alles hundertprozentig zerstörungssicher. Eine Stunde mussten wir ums Bettzeug kämpfen, außerdem wars saukalt, Winter, und die haben nicht geheizt, und dieser Steinboden. Wir haben dann einen Luftschacht entdeckt, wo sie vergessen hatten, die Klappe zuzumachen, dadurch konnten wir mit-
einander reden, haben geschrien, Mörder, Mörder, aber gehört hats keiner. Am nächsten Morgen sind wir in einen unbefristeten Hunger- und Durststreik getreten. Nach zwei Tagen schon fast Koma, wir konnten nicht mehr aufstehen, total ausgetrockneter Mund, dauernd schwarz vor Augen, waschen durften wir uns auch nicht, unsere Forderungen haben sie nicht mal angehört, wir haben die ganze Zeit nach einem Arzt und unseren Anwälten verlangt, irgendwann kam dann mal eine Schwester, die keine Ahnung hatte, und uns ein Glas Milch andrehen wollte.
2. Monopolisierung der Wahrnehmung:
Lenkt die Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Lage, fördert die Selbstbetrachtung, beseitigt alle Regungen, die nicht vom Wachpersonal kontrolliert werden können, verhindert alle Handlun-
gen, die nicht der Forderung von Gehorsam entsprechen.
Varianten: körperliche Isolierung, Dunkelheit oder helles Licht, kahle Umgebung, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, gleichförmige Nahrung.
3. Herbeiführen von Entkräftung, Erschöpfung:
Schwächt geistige und körperliche Widerstandskraft.
Varianten: Unterernährung, Entblößung, Kälte, unversorgte Wunden, Schlafentzug, lange Haft, lange Verhöre, erzwungenes Schreiben, Überanstrengung.
Wenn du schlafen willst, machen die Wachteln Kontrollen, da ist das Licht schon aus, so alle ein bis zwei Stunden gehen sie durch die Gänge und rütteln an der Kostklappe oder hauen mit dem Schlüssel gegen die Tür. Da wachst du jedes mal auf, hockst senkrecht im Bett. Oder sie machen alle halbe Stunde das Licht an mit der Begründung, du wärst selbstmordgefährdet. Da kommst du dann überhaupt nicht mehr zum Schlafen, kriegst Halluzinationen, Paranoia, dauernd Kopf-
weh, zitterst …
4. Drohungen:
Fördert Angst und Verzweiflung.
Varianten: Todesdrohungen, Drohungen, nicht mehr nach Hause zurückkehren zu können, Andro-
hung endloser Verhöre und Isolierung, Drohungen gegen Familie, unbestimmte Drohungen, uner-
klärliche Änderung der Behandlung.
Da gab es einen Bürokurs, Schreibmaschine lernen und Steno. Eines Tages stand an der Tafel: »Ponto, Buback, Schleyer, die nächste ist die Meyer.« Das war die Knastleiterin. Sie haben das ganze Stockwerk auseinandergelegt, alle 40 Frauen isoliert, tagelang verhört wegen Todesdro-
hung, bis dann irgendeine gequatscht hat. Die Frau haben sie zwei Monate lang isoliert, den Briefkontakt gesperrt, weil die nichts gestehen wollte. Ptötzlich haben sie sie wieder raus gelas-
sen. Das war mir völlig unerklärlich, aber ziemlich schnell habe ich geschnallt, um was es ging. Sie haben den restlichen Frauen Freizeitsperre gegeben und zu denen gesagt, dass sie das der einen Frau verdanken würden. Als die dann im Hof war, ist sie brutal zusammengeschlagen worden von den Mitknackis, und die Wachteln haben weggeschaut; dann ist sie wieder isoliert worden, Die Wachteln kamen die ganze Zeit und haben ihr erzählt, dass sie bestimmt noch ein Jahr dazu kriegt wegen Todesandrohung. Die Frau war irgendwann fertig.
5. Gelegentliche Gefälligkeiten:
Bewirkt positive Motivation zum Gehorsam, verhindert Anpassung an Deprivation.
Varianten: Wechselndes Verhalten des Verhörenden, Versprechungen, Belohnung für Teilgehor-
sam, zappeln lassen.
6. Demonstration von »Allmacht«:
Lässt Widerstand sinnlos erscheinen.
Varianten: Konfrontation, Zusammenarbeit als selbstverständlich voraussetzen, Demonstration vollständiger Kontrolle über das Schicksal des Opfers.
Als ich dann die ganze Aufnahme hinter mir hatte, dass sie dir ins Arschloch schaun, dir deine Klamotten abnehmen und dich in Uniform stecken, war ich erst mal eine Woche isoliert, absolut nix, auch kein Hofgang, kein Papier und gar nichts. Dann kam die Knastpsychologin in meine Zelle, so als ob’s völlig selbstverständlich wäre, dass ich jetzt ein bisschen mit ihr plaudere. Sie wollte wissen, was ich denn »gerne« arbeiten würde. Ich hab nur gesagt, dass ich die Arbeit verweigere. Dann kam gleich die übliche Leier, du bist doch so ein intelligentes Mädchen, willst dir doch nicht etwa selber Schwierigkeiten machen??? Als sie gemerkt hat, dass ich da nicht drauf anspring, ging’s gleich mit den Hausstrafen los …
Oder die Knastteitung kommt in meine Zelle. Ich lieg im Bett, weil ich krank bin. Diese SS-Frau, zwei Meter groß, fängt gleich irre das Schreien an, wieso ich nicht beim Hofgang bin, und über-
haupt wär’s hier so dreckig. Ich sag ihr, dass ja ich hier lebe und nicht sie, dann sieht sie ein Bild an der Wand: so ein Gitter, wo ’ne geballte Faust rausragt, und drunter steht: Noch scheißen wir auf unser Todesurteil. Sie dreht voll durch: Wenn das bis morgen nicht von der Wand runter ist, kriegen Sie vier Wochen Bunker (Arrest) und Einkaufssperre. Ich hab’s dran gelassen, aber bei der nächsten Zellenfilze haben sie’s mir total zerrissen.
7. Demütigung:
Lässt Widerstand für die Selbstächtung schädlicher erscheinen als nachgeben. Erniedrigt den Ge-
fangenen bis auf das tierische Niveau.
Varianten: Verhinderung persönlicher Hygiene, verdreckte Umgebung, erniedrigende Strafen, Be-
leidigungen und Hohn, keine Intimsphäre.
Und bei der Zellenfilze haben sie echt jeden Winkel durchsucht, auch Wände und die Gitter ab-
geklopft, ins Klo haben sie auch rein gelangt und den Abfluss vom Waschbecken weggeschraubt, alles durcheinander geschmissen, Tabak auf’n Boden und drüber Kaffee geleert, die ganzen Bil-
der konnste wegschmeißen, einfach so ziemlich alles im Arsch. Wir haben einmal eine Beschwer-
de geschrieben wegen des Essens, also zu wenig Obst und Gemüse und fast kein Fleisch, haupt-
sächlich war’s echt nur irgendwelcher Mehlpansch, wir haben das so richtig formell gemacht, dass alle unterschrieben haben. Da gab’s dann als einzigste Reaktion eine Woche lang Tiroler Gröstl, also Kartoffeln mit allen Abfällen drin, Hühnerknochen, Brotkrusten usw.
8. Erzwingen von banalen Forderungen:
Entwickelt gewohnheitsmäßigen Gehorsam.
Varianten: Erzwungenes Schreiben, erzwingen unbedeutender Vorschriften.
Zum Aufnahme-Zeremoniell musstest du auch einen Lebenslauf schreiben, aber keinen tabellari-
schen, sondern mit der jeweiligen Beschreibung deines Arbeitsplatzes … Was die auch oft ma-
chen, ist, dass du einen Aufsatz über deine Straftat schreiben musst, und natürlich, dass du dich jetzt davon distanzierst, da haben wir dann immer nur Mist rein geschrieben. Oder wenn den Wachteln irgendwas nicht in den Kram gepasst hat, musstest du die Gittertüren, die die jeweili-
gen Gänge von den Treppen trennt, oder die Gitter, die um die Vorsprünge der jeweiligen Stock-
werke sind, putzen. Die absolute Sinnlosigkeit dieser Bestrafung ist ihnen ein wahres Vergnügen.
Knast ist eines ihrer stärksten Repressionsmittel. Leute, deren Persönlichkeit drinnen gebrochen worden ist, die rauskommen und nichts mehr wollen, sollen lebende Beweise für ihre Allmacht sein. Sie arbeiten wie immer nach dem Erpressungsprinzip: Verhältst du dich ruhig, ist deine po-
litische Aktivität noch in ihrer Toleranzgrenze, wirst du zwar registriert, im wesentlichen aber in Ruhe gelassen. Sobald du jedoch zu offensiv auftrittst, setzen sie alles daran, dich fertigzuma-
chen.
Sie sagen dir immer wieder, dass sie drinnen alles mit dir machen können.
Wollen dich einschüchtern, abschrecken. Dabei sind genug Leute erst durch den Knast politisch geworden.
Die Willkürlichkeit, mit der sie bei Demos z.B. Leute rausgreifen (11.6.), soll dir dieses Ohn-
machtsgefühl vermitteln; wenn sie schon uns nicht hinrichten können, wollen sie wenigstens, dass wir resignieren.
Aber Knast ist nicht viel anders als hier draußen zu sein, mit dem Unterschied, dass du dauernd mit dem Feinden konfrontiert bist, sie mehr Mögtichkeiten haben, auf dich einzuwirken, du aber auch mehr Möglichkeiten hast, ihnen den Kampf anzusagen.
Dass Reformen in den Knästen witzlos sind, ich will keinen angenehmeren Knast, sondern ein System ohne Knäste, heißt noch nicht, dass Knastarbeit von außen nicht gemacht werden soll. Gerade das Bewusstsein, dass draußen noch Leute sind, die weitermachen, was für dich machen, stärkt deine politische Identität ungemein. Der Spruch, was eine Bewegung für ihre Gefangenen tut, so stark ist sie auch, ist absolut zutreffend.
In Bayern gibt’s bezeichnenderweise, seitdem sich die Rote Hilfe aufgelöst hat, überhaupt keine Form von Knastarbeit mehr.
Zu den sonstigen Kriegsvorbereitungen gehören auch die Verschärfungen der Knastsituationen. Wenn wir gegen den Kriegswahnsinn kämpfen, können wir die Entwicklung in den Knästen nicht einfach außer Acht lassen. Im Ernstfall sind wir die ersten, die sich in den Kerkern wiederfinden.
Deshalb – auf zu neuen Taten!!!
Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 42 ff.