Materialien 1984

Justiz

Wie gehen wir mit der Justiz um? Die Gerichtszeremonie hat nichts mit unserem Leben und unseren Lebensvorstellungen zu tun. Es ist eine vollkommen andere Realität.

Es gibt drei Möglichkeiten, damit umzugehen. Eine davon ist, die ganze Prozessscheiße zu igno-
rieren und als Theater anzuschauen. Das heißt, die hohen Herren zu verunsichern und lächer-
lich zu machen. Dabei zeigst Du ihnen noch, dass Du ihre Institution nicht anerkennst? Lang-
hans und Teufel brachten 1967, als ein Brüsseler Kaufhaus brannte, ein Flugblatt heraus: »Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?« Sie wurden dafür vor Gericht gestellt. Langhans in seinem Schlusswort:

»Wir empfanden uns als Zuschauer, die gelegentlich eingriffen, wenn es uns Spaß machte. Und das war allerdings häufig. Wir bekommen nicht so oft solch ein Stück zu sehen, besser könnte es kein Autor eines absurden Theaters erdenken. Mitspieler waren wir meist nicht, weil es nicht unser Spiel war. Wir wären gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass man solche Stücke machen kann. Wir wurden es erst, und dann mehr als Regisseure, als wir die Möglichkeiten er-
kannten, die uns geboten wurden.«

Auszug aus dem Prozess:

Richter: »Und nun zu den Flugblättern, um die es hier geht. Wer hat denn die einzelnen Blätter verfasst?«
Teufel: »Wir alle. Wir treten ja gemeinsam als Autorenkollektiv dafür ein.«
Richter: »Und wie kommt so ein Flugblatt zustande?«
Teufel: »Da wäre es auch das beste, Sie würden uns besuchen.«
Richter: »Sie demonstrieren also gegen Vietnam?«
Teufel: »Nicht nur, wir demonstrieren auch gegen die Saturiertheit und die Selbstzufriedenheit.«
Richter: »Wer ist denn saturiert?«
Teufel: »Man kann es auch anders formulieren: Die Deutschen sind ein demokratisches, freiheit-
liches, tüchtiges Völkchen; sie haben zwar eine Menge Juden umgebracht, aber dafür werden jetzt mit deutschen Waffen Araber umgebracht. Das ist eine Art Wiedergutmachung. Es ist doch so: Je mehr von den Schwarzen und Gelben da unten verrecken, desto besser ist es für uns.«

Richter: »Das meinen Sie doch nicht im Ernst?«
Teufel: »Doch.«
Staatsanwalt: »Wenn nun jemand auf den Gedanken gekommen wäre, das zu probieren, was in den Flugblättern steht, eine Zigarette in einer Umkleidekabine eines Warenhauses anzuzünden?«
Teufel: »Ich muss sagen, es ist keiner auf den Gedanken gekommen, dass man das tun könnte – bis auf den Herrn Staatsanwalt. Der hat das auch nicht getan, sondern eine Anklageschrift ver-
fasst.«

Richter: »Herr Langhans, ich wollte das Thema eigentlich nicht behandeln. Aber weil Sie heute Vormittag selbst von sexuellen Schwierigkeiten gesprochen haben, was meinen Sie damit und auf was bezieht sich das?«
Langhans: »Können Sie sich das überhaupt nicht vorstellen? Oder haben Sie denn keine? Das wäre erstaunlich!«
(Langhans und Teufel sollen psychiatrisch untersucht werden.)
Teufel: »Ich stimme der psychiatrischen Untersuchung zu, wenn die Mitglieder des Gerichts und der Herr Staatsanwalt sich ebenfalls psychiatrisch untersuchen lassen.«
(Bei den Zuschauern starkes Gelächter und Beifall)
Richter (springt auf): »Räumen! Räumen! Alles raus! Pause!«
Langhans und Teufel wurden damals freigesprochen.

Die andere Möglichkeit ist, einen politischen Prozess zu führen. Das heißt, als Angeklagter Öffent-
lichkeit schaffen und nutzen. Nutzen insofern, dass man seinen eigenen Standpunkt vermittelt und die herrschenden Zustände angreift.

Auszüge aus der Prozesserklärung der Familienangehörigen von politischen Gefangenen der BRD vom 8.11.1982:

»Wir sind angeklagt als Angehörige von politischen Gefangenen der BRD. Überall auf der Welt kämpfen Eltern und Geschwister von politischen Gefangenen, Verfolgten, Verschleppten um das Überleben ihrer Angehörigen. Oft sind sie deshalb selbst brutaler staatlicher Repression ausge-
setzt. Wir fühlen uns diesen tapferen Menschen nahe. Ihre Unerschrockenheit, mit der sie auch in großer Bedrohung ihre Proteste offensiv an die Öffentlichkeit bringen, hat uns selbst immer wie-
der Mut gemacht. Auch wir sind durch unsere Aktivitäten den Verantwortlichen ein Dorn im Auge. Sie würden uns lieber heute als morgen mundtod machen. Dieser Prozess, der heute statt-
findet, ist ein Versuch, uns durch Kriminalisierung einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Es sind nur einige angeklagt aus der Angehörigengruppe, aber gemeint sind wir alle.

Wir haben aufgrund unserer unmittelbaren Erfahrung durch die Besuche und Kontakte mit den Gefangenen begriffen, welchen existentiellen Kampf die Gefangenen seit vielen Jahren führen. Sie haben Veränderungen immer nur durch Hungerstreiks durchsetzen können. Mit dem Hunger-
streik 1981 haben sie für ihre Zusammenlegung in große Gruppen gekämpft und für die Behand-
lung entsprechend den Mindestgarantien der Genfer Konvention. In ihrer Hungerstreikerklärung haben die Gefangenen dazu gesagt:

‚In dieser Lage jahrelang voneinander isoliert und von jedem gemeinsamen politischen Prozess ausgeschlossen, sind wir entschlossen, mit unserem einzigen wirksamen Mittel, dem kollektiven Hungerstreik die Trennung zu durchbrechen und uns die Bedingungen für kollektive Lern- und Arbeitsprozesse zu erkämpfen, um als Menschen zu überleben.‘

… Seit Anfang der 70er Jahre, seitdem es hier in der BRD politische Gefangene aus dem antiim-
perialistischen Widerstand gibt, versuchen wir gemeinsam das uns Mögliche zu tun, Öffentlich-
keit über die Haftbedingungen zu schaffen, die Folter anzuprangern und für die Erfüllung der Forderungen der Gefangenen zu kämpfen.

Wir konnten durch authentische Berichte über die Situation der Gefangenen immer wieder die Mauer des Schweigens und der gezielten Falschinformation durchbrechen, welche von Anfang an von den verantwortlichen Politikern, von der Bundesanwaltschaft, vom BKA gegenüber der Öf-
fentlichkeit aufgerichtet wird. Dabei war und ist das gängige Muster, die Folter zu leugnen und gleichzeitig die brutalen Haftbedingungen zu rechtfertigen. Die Medien funktionieren dabei als Sprachrohr: Sie verbreiten willfährig die jeweiligen Variationen der Lügen und Rechtfertigungen der verantwortlichen Stellen. Wir können diese Mauer nur durch spektakuläre Aktionen durch-
brechen und uns dadurch Gehör verschaffen. Wir lassen uns auch nicht durch Kriminalisierung und Bedrohung davon abhalten, das an die Öffentlichkeit zu bringen, was wir wissen und erle-
ben. Die meisten Gefangenen befinden sich heute noch in Einzel- oder Zweierisolierung. Die Zu-
sammenlegung ist der einzig wirksame Schutz gegen die Folter und Voraussetzung dafür, dass die Gefangenen entsprechend ihrer politischen Identität unter diesen Bedingungen leben können.

Unsere Betroffenheit und Wut und die Liebe zu unseren Angehörigen gibt uns die Kraft, gegen die organisierte Unmenschlichkeit zu kämpfen.

Nachdem wir die Erklärung verlesen hatten, beantragte der Staatsanwalt Einstellung des Ver-
fahrens gegen Geldauflage. Der Richter verurteilte uns zu DM 800.– Geldstrafe, zu zahlen an amnesty international!!!«

Die letzte Möglichkeit ist, die Psycho-Tour durchzuziehen. Du offenbarst ihnen Deine persönliche Entwicklung und lässt Dir in Deinen Eingeweiden rumrühren, um besser wegzukommen. War alles nur ein Versehen. Daran ist nur meine Umwelt schuld, Gnade, Herr Richter, Gnade.

Eine Angeklagte über ihren Prozess vom 4.4.:

»Ich sitze neben mir und beobachte mich in meiner Rolle. Erzähle aus meiner Kindheit, schwie-
rige Umstände und so, wie ich aufgewachsen bin. Der Richter schaut sichtlich beeindruckt, um nicht zu sagen, verständnisvoll. Ich kann ja auch gut erzählen, und was ich da so sage, ist nicht mal gelogen. Es fehlen mir gänzlich alle Worte und Gefühle, die mit Wut, Hass und Aggression zu tun haben. Einer depressiven Frau ist leichter zu verzeihen als einer aggressiven. Nun, mein Mo-
nolog hatte Erfolg; der Richter will das Verfahren nach einer Stunde einstellen. Der Staatsanwalt ist dagegen. Die Verhandlung wird unterbrochen und eine Woche später fortgesetzt. Ich wurde vom Hauptanklagepunkt freigesprochen und bekam 24 Stunden Arbeitsauflage für das Mitfüh-
ren gefährlicher Gegenstände. Bei der Demo hatte ich drei rohe Eier dabei.«

Die Linie, das Gericht zu ignorieren oder lächerlich zu machen, überhaupt die Entscheidung über die jeweilige Prozessstrategie, muss natürlich das zu erwartende Urteil miteinbeziehen. Ich kann sagen: Ich erkenne das Gericht nicht an, dessen Urteil jedoch kann ich mich nicht entziehen. Wenn ich für zehn Jahre im Knast hocke, kann ich sagen, die Geschichte wird mich freisprechen; an mei-
ner Situation selbst aber ändert sich nichts. Das heißt, der Justizapparat und die Willkürlichkeit der Urteile sind insofern ernst zu nehmen, dass man ihnen ausgeliefert ist.

Bei näherer Betrachtung sind jedoch die Urteile gar nicht so willkürlich, wie sie auf den ersten Blick scheinen. In den letzten Jahren zeichnete sich die Linie, die Innen- und Justizminister für politische Prozesse festlegen, ziemlich klar ab: Die Parole lautet ABSCHRECKUNG, wo es nur irgendwie geht und Kriminalisierung jeder Tätigkeit, die nur den Anschein von politischer Aktivität hat. Exemplarisch sind die Urteile gegen Benny Härlin und Michael Klöckner und die Verurteilun-
gen in Berlin wegen der Anti-Reagan-Demo vom 11.6.1982.

Wenn 1980 für einen Steinwurf noch sechs Monate auf Bewährung zu erwarten waren, so muss man vier Jahre später für drei Jahre in den Knast, ie beim 11.6.-Urteil. Auffallend bei diesen Pro-
zessen war auch, dass die Bullenaussagen absolut unglaubhaft waren, und einer von ihnen sogar selbst als Steinewerfer überführt wurde. Für die Justiz sind die Bullen wichtig, auch wenn sie im-
mer unverschämter lügen. Denn sie sind meist die einzigen Belastungszeugen. Ohne sie wären die Verurteilungen auch in den Augen der Öffentlichkeit reine Gesinnungsjustiz. Als Gegenleistung werden sie gedeckt, wenn sie mal selbst auf der Anklagebank sitzen. Ein mildes Urteil ist dann si-
cher. Als im Frühjahr 1983 ein 14-Jähriger in Gauting bei München durch einen gezielten Kopf-
schuss aus Bullenhand starb, bekam der Täter sechs Monate auf Bewährung. Er wurde nicht mal vom Dienst suspendiert. Das heißt, die Bullen töten mit staatlichem Freibrief. Ein Ausnahmefall in dieser Kette war die Verurteilung eines Berliner Bullen, der für den Todesschuss in den Rücken eines 18-Jährigen zwei Jahre bekam. Der Grund für seine Verurteilung war seine unglaubhafte Darstellung. Er sei von seinem Opfer bedroht worden, obwohl dieser mit dem Rücken zu ihm stand. Diese Lüge war zu offensichtlich.

Die harte Linie der Justiz, die jetzt angesagt ist, heißt: abschreckende Urteile fällen. Wo kein gro-
ßes politisches Umfeld ist, wie in München, stürzen sie sich auf Lappalien …

Aus einer Prozesserklärung im Februar 1984; einziger Anklagepunkt: Werfen von Krachern auf einer Antifa-Demo.

‚Im Namen aller hier Angeklagten erkläre ich wie folgt: Dieser Prozess ist nach unserer Auffas-
sung nicht nur überflüssig, sondern lächerlich und in keinster Weise verhältnismäßig. Dass wir heute vor Gericht stehen, beweist, wie schon so manch anderer Prozess, die überspitzte Verfah-
rensweise von Gericht und Ermittlungsbehörden bei derart nichtigen Vorfällen.‘

Scheinbar ist die politische Aktivität in München so gesunken, dass sich Polizei und auch deren Staatsschutzabteilung auf Lappalien geradezu stürzen.

Vor einiger Zeit wurde ein Verfahren wegen Beleidigung der Polizei, Verunglimpfung des Staates und Verwenden von Emblemen verfassungsfeindlicher Organisationen eingeleitet, weil der Ange-
klagte „Scheißbullen, fucking germany“ und „Scheißstaat“ auf seiner Lederjacke stehen hatte. Das S war dabei jedes mal in Runenschrift geschrieben. Das Verfahren wurde eingestellt.

Oder ein ebenfalls am 29.1. Festgenommener wurde wegen Verstoß gegen das Waffengesetz be-
langt, weil er ein Nietenarmband trug. Als er erklärte, für ihn hätte das absolut nichts mit Waffen zu tun und er hege auch keinerlei Absicht, jemanden mit dem Armband zu verletzen, sondern er trage es ausschließlich als Schmuck, wurde auch dieses Verfahren eingestellt.

Da es bei solchen Verfahren kaum zu irgendwelchen Verurteilungen gekommen ist, trotzdem immer öfter solche Pipifax-Prozesse stattfinden, stellt sich zwangsläufig die Frage, was Staats-
anwaltschaft und Ermittlungsbehörden damit bezwecken.

Nicht nur, dass der polizeiliche Fahndungsetat gedeckt wird. Anschläge und ähnliche Taten, die nicht aufgeklärt werden können, scheinen die Ermittlungsbehörden zu einem Rundumschlag zu zwingen, wobei Verfahren wie dieses rauskommen. Es geht dabei ganz offensichtlich nur um einen Beweis, dass Polizei und Behörden dem Verfall dieser Stadt zu einem von Chaos und Anar-
chie regierten Bezirk nicht tatenlos zusehen. Auch wenn Ruhe und Ordnung nicht hundertprozen-
tig hergestellt sind, der Bürger kann sich darauf verlassen, dass alle Mittel und Möglichkeiten eingesetzt werden, dieses Ziel zu erreichen. Es soll aber auch jegliche politische Aktivität immer weiter kriminalisiert werden, wenn bei angemeldeten Demonstrationen schon Anklagen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz ins Haus flattern.

Es ist allgemein bekannt, dass Kracher dieser Größenordnung nicht dazu geeignet sind, wesentli-
chen Schaden anzurichten. Sie dienen zur allgemeinen Belustigung der Bevölkerung und sind als kulturelles Ritual (Sylvester) Tradition. Der Brauch, die bösen Geister zu vertreiben, ist Ihnen bestimmt auch nicht unbekannt; sobald es aber um den bösen Geist des Faschismus geht, wird dies strafrechtlich verfolgt.«


Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 78 ff.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Militanz