Flusslandschaft 1974

Zensur

Zunächst nur im Einzugsbereich der Regionalprogramme des Norddeutschen Rundfunks und
von Radio Bremen wird im Polit-Magazin „Panorama“ eine illegale Abtreibung gezeigt. Daraufhin brechen vor allem von kirchlicher Seite Proteststürme los, noch bevor die geplante bundesweite Ausstrahlung erfolgt. Als „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ und „unerhörte Brüskierung des sittli-
chen Empfindens von Millionen Mitbürgern“ bewertet die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion den Beitrag. Es folgt die Androhung einer Strafanzeige durch den Münchner Kardinal Döpfner, der in dem Beitrag eine „Aufforderung zum Rechtsbruch“ erkennt. „Prälat Maier vom Ordinariat der Erz-
diözese München forderte – wie vor ihm schon CDU-Ministerpräsident Stoltenberg – ARD und NDR auf, für die »Panorama«-Redakteure »Konsequenzen zu ziehen« … Helmut Oeller, Fernseh-
direktor des Bayerischen Rundfunks, führte dann am Freitag die »Alltagsmoral der Mehrheit« ins Feld – wohl so etwas wie das gesunde Volksempfinden.“2

In Hamburg und München werden Peter Fleischmanns „Dorotheas Rache“ sowie Peckinpahs Gangsterfilm „Bring mir den Kopf von Alfred Garcia“ beschlagnahmt.Dem Film „von Peckinpah wurde vorgeworfen, daß er sowohl gewaltverherrlichend als auch gewaltverharmlosend sei und deshalb auch schwer jugendgefährdend. Ferner heißt es in der Begründung des Amtsgerichts München (Abt. f. Strafsachen) schlicht und einfach in einem Nebensatz, daß dem Film »kein künstlerischer Wert zugemessen werden kann«. Diese Begründung verdiente überhaupt eine nähere Betrachtung, denn sie verweist über den Einzelfall hinaus auf den fragwürdigen Charakter solcher juristischen Aktionen. ln ihr offenbart sich nämlich eine halsbrecherische Argumentati-
onsakrobatik, zu der anscheinend ein Amtsrichter gezwungen ist, will er den neuen § 131 StGB anwenden. Der Streit um den Kopf von Alfredo Garcia ist der erste Fall, daß das ablehnende Ver-
dikt der Justiz einen sehenswerten (zumindest diskutablen) Film getroffen hat. Die Schießereien am Schluß mag man für sinnvoll und gelungen halten oder nicht (ich persönlich finde, daß sie das Schwächste am Film sind), jedoch einen Film schlecht zu finden und ihn auf administrative Weise von der Bildfläche verschwinden zu lassen oder ihn nur ad usum Delphini zu gestatten sind zwei verschiedene Stiefel. Der Verleih United Artists tat daher gut daran, sich der Beschlagnahme und den fünf weitgehenden Schnittauflagen nicht zu beugen. Er legte Berufung beim Münchener Landgericht ein, das am 20.9. den Beschluß des Amtsgerichts aufhob und den Film ohne Schnitt-
auflagen freigab.“ 3

Im Oktober beschlagnahmt die Münchner Staatsanwaltschaft die beiden Filme des Wiener Akti-
onskünstlers Otto Muehl „Sodoma“ (gedreht 1969) und „Der geile Wotan“ (gedreht 1970). Polizei schleppt Karlheinz Hein vom undependent film center ins Polizeipräsidium und behandelt ihn dort „erkennungsdienstlich“.

„Politische Zensur in Bayern – Der Berufsverband Bildender Künstler in München erstellte in ein-
jähriger Vorbereitung eine Ausstellung »die Stadt«. Sie sollte sich aus künstlerischer Sicht mit den vielen Problemen dieses Themas auseinandersetzen. Grundkonzeption war, dass die im Verband tätigen Richtungsgruppen, wie z.B. die Gruppe tendenzen, eigenständige Beiträge erarbeiten und geschlossen hängen. Diese Konzeption wurde unter Missachtung der Verbandsdemokratie kurz vor der Ausstellung verworfen und ein großer Teil der Beiträge der Gruppe tendenzen ausjuriert. Eben-
falls umgestoßen wurde das Katalogkonzept, so dass das Vorwort für die Gruppe tendenzen, ein Textauszug aus »Münchner Kindl« von Franz Xaver Kroetz wegfiel. – Auf Einspruch hin wurden die Bilder der Gruppe tendenzen dann wieder aufgenommen bis auf den Beitrag von Guido Zin-
gerl: »Stadtplanung heißt hier Gewinnplanung für die Konzerne.« Das Triptychon zeigt oben »die Münchner Politiker Goppel und Vogel, Baron v. Finck die Hände küssend«, in der Mitte eine Alt-
stadtsanierung und unten eine Bürgerinitiative mit dem Transparent »Bürger wehrt euch !«. – Guido Zingerl erhielt die Auskunft, dass dieses Bild den Schirmherren und Geldgebern, dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und der Stadt München nicht zugemutet werden könne. Es ist dies ein neuerlicher Versuch, den Berufsverband als Instrument konservativer Kräfte zu missbrauchen und Bilder engagierter Maler ohne den früher üblichen Vorwand minderer Qua-
lität mit direkter politischer Begründung hinauszuwerfen. In München gab es schon einmal die Ausstellung »entartete Kunst«. Wir sollten jetzt alle Kräfte mobilisieren, gerade nach dem jüngsten Wahlergebnis eine zweite Auflage dieser Kulturpolitik zu verhindern. — Die Gruppe tendenzen protestierte in der Pressekonferenz und während der Ausstellungseröffnung mit Abbildungen des inkriminierten Bildes und Plakaten wie »Gegen politische Zensur«, »Wie frei ist Kunst in Bayern?« und »Für freie Meinungsäußerung in der Kunst«! Die Besucher solidarisierten sich großenteils mit tendenzen, und es konnten 30 Unterschriften gesammelt werden.“4

(zuletzt geändert am 29.8.2025)


1 Der Spiegel 12 vom 18. März 1974, 19 f.

2 Vgl. Der Spiegel 43 vom 21. Oktober 1974, 177.

3 medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fermsehen, Film, Bild, Ton 10 vom Oktober 1974, Frankfurt am Main, 7.

4 tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 99 vom Januar/Februar 1975, 66.