Materialien 1976

Einschränkung der Verteidigerrechte – Berufsverbot für Anwälte!

Von Rechtsanwalt Jürgen Arnold, München

Wer sich heute als Rechtsanwalt entschließt, eine Verteidigung in einem politischen Strafverfahren zu übernehmen oder einen Artikel zu einem Thema, wie es die Über-
schrift anzeigt, zu schreiben, muss damit rechnen, dass dabei ein Standes- oder gar Strafverfahren herauskommt. Die Zensoren lauern überall, allzeit bereit, bei unlieb-
samen Formulierungen eines Verteidigers den Rotstift zu zücken, um Kritik in einer Flut von Verfahren gegen ihn zu ersticken. Das gesetzlich verbriefte Recht des Ver-
teidigers, als Organ der Rechtspflege Gesetzesverstöße schonungslos in Verhandlung und Öffentlichkeit aufzudecken, wird ihm heute zum Verhängnis, wenn er es wirk-
lich emst nimmt.

Ein paar Beispiele dazu: Der Kollege RA Hannover wurde am 19.12.1975 vom Ehrengericht in Bre-
men für folgende Formulierung, die er in der Fernsehsendung »Panorama« von sich gab, standes-
rechtlich belangt: „Sicher sind diese Maßnahmen formal gedeckt durch die Untersuchungshaft-
vollzugsordnung, aber sie sind nicht notwendig und auch nicht geeignet, um den Zwecken der Un-
tersuchungshaft zu dienen, also eine Flucht zu verhindern und eine Verdunkelung zu erschweren, sondern sie haben hier offensichtlich die Funktion, die Persönlichkeit unseres Mandanten zu zer-
mürben, und stellen sich damit als verfassungswidrige Folter dar.“

Dem Kollegen RA Dr. Heldmann schickte die Staatsanwaltschaft beim OLG Frankfurt die Ankün-
digung eines Standesverfahrens, weil er im Stammheimprozess u.a. gesagt haben soll: „Aber das wissen wir ja, dass es auf Gesetzesgrundlagen hier in diesem Gericht nicht mehr ankommt“ und „eine Rechtswidrigkeit jagt in diesem Saal die andere“, außerdem hätte er die unzutreffende Be-
hauptung aufgestellt, dass das Gericht nicht die Vorschriften der Strafprozessordnung benutze.

Dem Kollegen RA Spangenberg schickte die Staatsanwaltschaft am 12.1.1976 eine Anschuldigungs-
schrift ins Haus, u.a. mit der Begründung, er habe die Verteidiger, die den Angeklagten gegen ihren Willen aufgezwungen wurden (welche Parallele übrigens zum kürzlich in Spanien über die Bühne gegangenen Prozess gegen die Offiziere der demokratischen Mititärunion), „Zwangsvertei-
diger“ genannt. Weiter wird ihm vorgeworfen, er hätte der Staatsanwaltschaft unterstellt, sie wolle die Verteidigung der Angeklagten „zerstören“ (!).

In der Anschuldigungsschrift wird in Beziehung auf die „Zwangsverteidiger“ übri-
gens immer von den „gesetzestreuen Verteidigern“ gesprochen, offenbar sind also Verteidiger, die gegen den Willen der Mandanten für diese „tätig werden“ gesetzes-
treu, während die Verteidiger, die als „Vertrauensanwälte“ engagiert für die Rechte ihrer Mandanten kämpfen, „gesetzesfeindlich“ sind.

In verstärkten Maße wird gegen engagierte Verteidiger mit der Waffe des Berufsverbots vorgegan-
gen. So droht etwa dem Kollegen RA Gildemeier in Augsburg ein Berufsverbot, weil er als Land-
tagskandidat für die neue „KPD“ auftrat und auch sonst sich für diese Gruppierung, die bekannt-
lich zu den Wahlen zugelassen wird und unter dem Parteienprivileg steht, engagiert. Der Assessor Christian Arnsberger soll nicht zum Anwalt zugelassen werden, weil er sich im Rahmen der „KPD“, der Liga gegen den Imperialismus und der KPD-Roten Hilfe e.V. betätigte.

Auch den Assessoren Dr. Düx, Dr. Temming und Gerhard Knöss, die alle im Verfahren gegen die Mitglieder der RAF als Verteidiger aufgetreten sind, wird die Zulassung zur Anwaltschaft verwei-
gert, bei Knöss u.a. mit der Begründung, dass er in einem Strafprozess einen Richter mit der Be-
gründung abgelehnt habe, er sei als ehemaliges CSU-Mitglied Großspekulanten zu Willen.

Momentan ist die Möglichkeit, einem Rechtsanwalt Berufsverbot zu erteilen, allein auf Grund sei-
ner Gesinnung nicht möglich, ein Grund, den Hebel bei seiner Zulassung anzusetzen – dies soll sich jetzt ändern.

Während heute ein Berufsverbot verhängt werden kann, wenn der Rechtsanwalt die verfassungsmäßige Ordnung in strafbarer Weise bekämpft, soll das Erfordernis der Bekämpfung in strafrechtlicher Weise nach einem Antrag der Münchner Rechtsan-
waltskammer wegfallen. In Zukunft soll also – wie bei Richtern und Beamten – der Zweifel an der Bejahung der verfassungsmäßigen Ordnung allein ausreichen, um einen Rechtsanwalt mit einem Berufsverbot zu belegen.

Gegen den Kollegen RA Kurt Groenewold verhängte der Ehrengerichtshof der Rechtsanwälte beim OLG Hamburg ein – vorläufiges – Berufsverbot (Zitat aus dem Beschluss: „Der Rechtsanwalt hat das Gefühl für Recht und Unrecht in einem so erheblichen Maße verloren, dass nur die Verhän-
gung eines vorläufigen Berufsverbots in Betracht kommt.“). Als Gründe wurden hier u.a. angege-
ben, dass Kollege Groenewold den Hungerstreik der Gefangenen der RAF – der „mit Sicherheit dem Ziele der Verbesserung der Haftsituation der Gefangenen gedient habe“ mitorganisiert und unterstützt habe. Selbst ein Hungerstreik, nach alter demokratischer Tradition das einzige legitime Mittel eines Gefangenen, auf seine Haftsituation hinzuweisen, muss als Mittel dafür herhalten, einen Anwalt mit dem Berufsverbot zu belegen !

Auch wird ihm der Gebrauch des Wortes „Folter“ in Bezug auf die Haftbedingungen der Gefange-
nen der RAF vorgeworfen. Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass der Ehrengerichtshof eine Äußerung von RA Groenewold aufgreift, wo er ausführte, dass auch von ihm die Auswirkungen der Unterbringung in „toten Trakten“, die er als Folter bezeichnete, zunächst nicht richtig erkannt worden seien, deshalb – so der Senat – „musste er aus eigener Erfahrung davon ausgehen, dass auch den zuständigen Justizorganen diese Folgen zunächst unbekannt waren“.

Auch der Ehrengerichtshof geht davon aus, dass die Isolationshaft der Gefangenen der RAF als „Folter“ zu bewerten sei, nur könne den Verantwortlichen dies nicht vorgeworfen werden, da sie sich über die Auswirkungen der Isolation nicht im kla-
ren waren.

Gerade an dieser Stelle wird deutlich, was es bedeutet, Verteidiger zu maßregeln oder mit Berufs-
verbot zu belegen, die die Haftbehandlung ihrer Mandanten in der Öffentlichkeit und in den Ver-
fahren aufdeckten und durch Sachverständige deren psychische und physische Folgen offenlegten. Bekanntlich hatte diesmal noch nach langen Kämpfen und Diffamierungsversuchen die Arbeit der Verteidiger – zumindest teilweisen – Erfolg; dass sich in Zukunft bei ähnlichen Fällen noch Vertei-
diger finden, die trotz drohender Standesverfahren unbeirrt die Rechte ihrer Mandanten verteidi-
gen, ist zu wünschen und anzunehmen, dass jedoch der Druck auf die Dauer Erfolge zeigen wird, ist genauso klar!

Auf die Verteidigerausschlussgesetze, insbesondere die Bestimmung, dass mehrere Beschuldigte in einem Verfahren nicht von demselben Rechtsanwalt verteidigt werden können, soll hier nicht noch einmal eingegangen werden, weil diese Problematik durch das Stammheimverfahren wohl jedem Interessierten bekannt ist. Wie allerdings in der Praxis diese Bestimmungen ausgelegt werden, soll doch noch durch zwei besonders absurde Beispiele beleuchtet werden: Ein Münchner Rechtsan-
walt bestellte sich für einen Mandanten als Verteidiger. Monate später beantragte er Akteneinsicht. Als sich später ein anderes Mitglied der Kanzlei für einen Mitangeklagten bestellte, wurde er aus-
geschlossen, da er „laut Diktatzeichen“ den Antrag auf Akteneinsicht in einem anderen Verfahren verfasst habe. – Im Standesverfahren gegen den Kollegen RA Ströbele wurde gegen einen seiner Verteidiger – Prof. Preuß – Ausschlussantrag wegen „Verdachts der Tatbeteiligung“ gestellt. Prof. Preuß hatte zusammen mit RA Ströbele und 4.500 anderen Personen im Herbst 1974 einen Aufruf unterschrieben, in dem zur Diskussion darüber aufgefordert wurde, „ob in Westberliner Gefäng-
nissen Foltermethoden angewandt werden oder nicht“.

Auch das schärfste der möglichen Geschütze gegen Verteidiger – die Inhaftierung – wird in ver-
stärktem Maße praktiziert. Wie dabei vorgegangen wird, zeigt am deutlichsten ein wörtliches Zitat des Generalbundesanwalts Buback (Spiegel vom 16.2.1976):

„Der Staatsschutz lebt davon, dass er von Leuten wahrgenommen wird, die sich da-
für engagieren. Und Leute, die sich dafür engagieren, wie Herold und ich, finden immer einen Weg. Wenn sie eine gesetzliche Regelung haben und sie mal strapa-
zieren müssen, funktioniert sie meistens doch nicht.“

So wurde der seinerzeitige Haftbefehl gegen den Kollegen RA Ströbele u.a. damit begründet, dass er sich als „sozialistischer Anwalt“ oder „politischer Verteidiger“ bezeichnet, sich im Wege der Öf-
fentlichkeitsarbeit“ an der Kampagne gegen die Justiz beteiligt und damit „den demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland und die in ihr grundsätzlich verankerte Gesell-
schaftsordnung bekämpft habe“.

Dem Kollegen RA Dr. Croissant, der ebenfalls letztes Jahr in Untersuchungshaft war, wurde im Haftbefehl u.a. vorgeworfen, er habe versucht, bei Pressekonferenzen im Ausland das internatio-
nale Interesse an den Mitgliedern der kriminellen Vereinigung und ihrer angeblichen politischen Ziele zu wecken.

Als vor ein paar Wochen meine Kanzlei und meine Wohnung durchsucht wurden und die Staats-
anwaltschaft mich für zwei Tage in Polizeihaft nehmen ließ, diente als Begründung dafür, dass ein aus dem Urlaub nicht zurückgekehrter Strafgefangener sich nach Zeugenaussagen bei mir in der Kanzlei habe beraten lassen – eine Handlung, zu der ein Verteidiger nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. Des weiteren wurde mir vorgeworfen, ich „hätte mich in unberechtigter Wei-
se“ in den Besitz von Akten aus dem Gertraud-Will-Prozess gebracht. Dass mir diese völlig legal vom Kollegen RA Wächtler ausgehändigt wurden, wurde dabei völlig übersehen.

All diese Einschränkungen der Angeklagtenrechte auf die ordnungsgemäße Verteidigung sind of-
fensichtlich noch immer nicht genug und deshalb werden neue Gesetze erwogen. Im Gespräch sind etwa: richterliche Überwachung von Verteidigerpost und Verteidigergesprächen, Ausschluss von Verteidigern, die „Prozess-Sabotage“ betreiben.

Überschrift der flämischen Wochenzeitung „De Nieuwe“ vom 6.2.1976: „De Bondesrepublik wordt een politiestaat“. Wer in der BRD gleiches sagen oder schreiben würde, würde wegen § 90a StGB (Verächtlichmachung des Staates) bestraft, deshalb sagts der Verfasser auch nicht!

Der vorstehende Beitrag von Rechtsanwalt Jürgen Arnold ist entnommen dem BLATT, Stadtzei-
tung für München, EXTRA-BLATT „Unterdrückung + Widerstand in der BRD“ …


Peter-Paul Zahl/Karl-Heinz Roth/Horst Mahler/Hans-Christian Ströbele/Henning Spangenberg/ Jürgen Arnold/Walter Moßmann/Erich Fried, „Sie würden uns gerne im Knast begraben …“. Bei-
träge zur Solidarität mit den politischen Gefangenen in der BRD und Westberlin – zur Auseinan-
dersetzung um den 2. Juni 67 zehn Jahre danach, Berlin, Juli 1977, 95 ff.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: Militanz