Materialien 2018

Psychisch krank gleich gefährlich?

Warum die »Entschärfung« des bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes nicht beruhigen kann

Im Sommer 2018 gab es in Bayern nicht nur Proteste gegen das neue bayerische Polizeiaufgaben-
gesetz (vgl. dazu Michèle Winkler in diesem Band, S. 37 ff.), sondern auch gegen den Entwurf eines Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes, bei dem es im Wesentlichen um geschlossene Unterbringungen geht.

Unterbringung zur Gefahrenabwehr

Die Unterbringung – d.h. das Festhalten psychisch kranker Menschen in einer psychiatrischen Einrichtung gegen ihren Willen – steht ansonsten selten im öffentlichen Fokus. Häufig werden dabei die verschiedenen Formen der Unterbringungen durcheinandergebracht: die »forensische« Unterbringung von schuldunfähigen StraftäterInnen, die öffentlich-rechtliche Unterbringung bei Eigen- oder Fremdgefährdung, schließlich die Unterbringung durch BetreuerInnen oder Bevoll-
mächtigte nach Betreuungsrecht.

Die öffentlich-rechtliche Unterbringung, um die es hier geht, ist eigentlich klassisches Polizeirecht. Sie erfolgt nämlich zum »Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnurg«: Wenn ein Mensch aufgrund einer psychischen Erkrankung sich selbst oder andere konkret gefährdet, so kann ein Gericht seine Unterbringung anordnen. Geregelt ist dies in fast allen Bundesländern in einem »PsychKG« – Gesetze über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten. Diese modernen PsychKG haben die alten »Freiheitsentziehungs- oder Unterbringungsgesetze« ersetzt. Sie enthalten neben den Bestimmungen über die zwangsweise Unterbringung auch einen Hilfeteil, der Angebote zur Behandlung der Erkrankung enthält, Hilfsstrukturen schafft und letztlich Unter-
bringungen minimieren soll. Da eine Freiheitsentziehung nur das letzte Mittel sein darf, gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen derartigen Ansatz.

Als letztes Bundesland hat im Jahr 2018 Bayern ein PsychKG verabschiedet und damit das alte Unterbringungsgesetz von 1992 abgelöst.

Der erste Vorschlag der Bayerischen Landesregierung

Im Gesetzgebungsverfahren gab es breite Kritik an den beabsichtigten Regelungen. Der erste Ge-
setzentwurf der Bayerischen Landesregierung wurde von der Opposition im Landtag abgelehnt. Auch aus der Ärzteschaft, vom Verband der Psychiatrie-Erfahrenen und dem Verband der Ange-
hörigen psychisch Kranker gab es harsche Kritik: Obwohl das Gesundheitsministerium im Vorfeld einen runden Tisch eingerichtet hatte, um die Neuregelung mit ExpertInnen sowie Psychiatrie-Er-
fahrenen zu diskutieren, sei kaum etwas von deren Vorschlägen in den Gesetzentwurf eingeflossen. Anregungen zur Weiterentwicklung der Versorgung, zu Prävention oder Psychiatrieberichterstat-
tung seien in den Wind geschlagen worden. Auch würden die besonderen Versorgungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend berücksichtigt. Nach Einschätzung der Organi-
sationen, die mit der Behandlung und Begleitung von psychisch kranken Menschen befasst sind, stellen nur die geplanten Krisendienste in allen bayerischen Bezirken einen Fortschritt dar.

Der Publizist Heribert Prantl sprach von einer »Mollathisierung des Rechts«. Denn die Landesre-
gierung hatte vor, anlasslos alle Patientendaten fünf Jahre lang in einer zentralen Unterbringungs-
datei zu speichern und zu erlauben, dass diese Informationen zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten sowie zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für bedeutende Sachwerte an die Polizei übermittelt werden. Es stieß auf breite Ablehnung, dass psychisch kranke Menschen so in erster Linie als potentielle StraftäterInnen angesehen wur-
den – nicht als PatientInnen. Deren Stigmatisierung werde durch das geplante Gesetz verstärkt und nicht vermindert. Diktion und Kategorisierung der Betroffenen waren nach Ansicht der Kriti-
kerInnen eng angelehnt an die forensische Unterbringung. Die Landesregierung »entschuldigte« diese Nähe damit, dass die Verfasser des Entwurfs normalerweise für die Forensik zuständig seien.

Das neue Gesetz

Das Gesetz wurde am 11. Juni 2018 mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und SPD be-
schlossen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmte gegen das Gesetz, sie hält die Änderun-
gen nicht für ausreichend. Dies ist nachvollziehbar: Noch immer finden sich neben nur vier Para-
graphen zum Thema »Hilfe« ganze 34Paragraphen zum Thema »Unterbringung«. Das spricht für sich.

Aufgrund der massiven Proteste wurde zwar die beabsichtigte Zentraldatei gestrichen und durch eine anonymisierte Erfassung ersetzt. Allerdings blieb es bei der Übermittlung einer Gefährdungs-
einschätzung an die zuständige Kreisverwaltungsbehörde und die Polizei.

Das Gesetz ist auch sonst kritikwürdig. So dürfen Fixierungen nach wie vor ohne richterliche An-
ordnung erfolgen. Dabei unterstellte das Bundesverfassungsgericht nur wenige Wochen nach Ver-
abschiedung des bayerischen PsychKG zumindest die Fixierung sämtlicher Gliedmaßen einem Richtervorbehalt (Urteil v. 24.07.2018, Az. 2 BvR 309/15 u. 502/16). Damit verfehlt das neue Ge-
setz grundrechtliche Mindeststandards, die sich aus den Artikeln 1, 2 und 104 GG ableiten. Dass dies auch für viele andere Bundesländer gilt, macht es nicht besser. Das »moderne« bayerische Gesetz enthält nicht einmal – wie z.B. das entsprechende Hamburgische Gesetz – belastbare in-
haltliche Mindestanforderungen für Fixierungen, orientiert an medizinischen Standards.

Rechtsstaatlich erscheint es zudem zweifelhaft, dass Sofortunterbringungen von der Polizei vor-
genommen werden können. Auch Ansätze zur Vermeidung von Zwangsbehandlungen finden sich im Gesetz nicht.

Was bleibt?

Alles gutgegangen, das Schlimmste wurde verhindert? Doch zeigt das Vorgehen der CSU-Mehrheit in Bayern, dass psychisch kranke Menschen keine Lobby haben und ihre Rechte nur geringe Be-
achtung finden. Allein die Idee einer »Gefährderdatei« für Menschen, die psychisch krank sind, ist absurd und toxisch für einen Rechtsstaat.

Einige KritikerInnen betrachten Unterbringungen dieser Art generell als diskriminierend und hal-
ten sie nach der UN-Behindertenrechtskonvention weitgehend für unzulässig. In der Tat ist die Ge-
setzgebung nicht nur in Bayern weit davon entfernt, den Vorgaben der UN-Behindertenkonvention zu genügen, die seit 2009 für Deutschland gilt und den Schutz der Artikel 1 und 2 GG auch für psy-
chisch kranke Menschen konkretisiert. Das neue bayerische Gesetz schützt die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Menschen nicht. Wir lernen allerdings auch: Wider-
stand ist keineswegs zwecklos.

Ulrich Engelfried

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Literatur

Kaleck, Wolfgang / Hilbrans, Sönke / Scharmer, Sebastian: Ratifikation der UN Disability Conven-
tion vom 30.03.2007 und Auswirkung auf die Gesetze für so genannte psychisch Kranke am Bei-
spiel der Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung nach dem PsychKG Berlin. Gutachterliche Stellungnahme im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e. V., www.die-bpe.de/stellungnahme/


Bellinda Bartolucci u.a. (Hg.), Grundrechte-Report 2019. Zur Lage der Bürger- und Menschenrech-
te in Deutschland, Frankfurt am Main 2015, 79 f.

Überraschung

Jahr: 2018
Bereich: Psychiatrie