Materialien 2017

Berufsverbote historisch

Redebeitrag zum Podiumsgespräch zur historischen Kontinuität von Berufsverboten am 11.5.2017 um 19.30 Uhr im DGB-Haus München

Vorgegeben sind 25 Minuten. Da kann man nur Gesichtspunkte anreißen, um sie in der Diskussion aufzufüllen. Zur historischen Ausgangslage nur Stichworte:

Die Nachwirkungen von Faschismus und Krieg in den Köpfen, vor allem der speziell deutsche „Schuldabwehr-Antikommunismus“, die Rechtfertigung eigener Verstrickungen aus der Fortgel-
tung des Kreuzzugs-Konzepts. Antifaschismus – wenig attraktiv, noch weniger der ostdeutsche So-
zialismusversuch, der die gesamte Reparationslast und westliche Wirtschaftsblockaden ertragen musste; die Kontinuität der wirtschaftlichen und politischen Machteliten, vor allem behördlich, justiziell und publizistisch.

Dann die erste Berufsverbotswelle nach dem sog. Adenauer-Erlass von 1950 gegen Kommunisten und elf andere linke oder „neutralistische“ Verbände. Das „Blitzgesetz“, dessen nazistische Schöp-
fer mit dem neuartigen Delikt der „Staatsgefährdung“ ausdrücklich die „bloße Gesinnung“ bestraf-
ten. Das KPD-Verbot des BVerfGs von 1956: davor etwa 2.500, danach knapp 8.000 Haftstrafen gegen Kommunisten, parteilose Unterstützer und aktive Aufrüstungsgegner. Oftmals standen sie den gleichen Staatsanwälten und Richtern gegenüber wie in der Nazi-Zeit. In der verfassungs- und strafrechtlichen Lehre dominierten bald die Schüler des Cheftheoretikers des braunen Rechtsnihi-
lismus, Carl Schmitt, der im Rahmen einer „Feindbestimmung“ durch den Mächtigsten die „bin-
dungsfreie Gewalt“ zur einzigen Norm erklärt hatte – konkret gegen in- und ausländischen Soziali-
sten, liberalistische Zersetzer und minderwertige Völker.

Globke, Vater der Nürnberger Rassegesetze und dann Herr des Bundesbeamtenapparates, Rein-
hard Gehlen, Hitlers und Adenauers Geheimdienstchef, und Hubert Schrübbers, NS-Sonderrichter geköpfter Kommunisten und Wehrkraftzersetzer und Präsident des Bundesverfassungsschutzam-
tes bis 1975; Walter Roemer, der die Geschwister Scholl zu Guillotine geführt hatte, im Justizmini-
sterium für öffentliches Dienstrecht, also uns, zuständig, Wolfgang Immerwahr Fränkel, fanatisch-
ster Henker am Reichsgericht und dann als Generalbundesanwalt bis zur Spiegel-Affäre fanati-
scher politischer Strafverfolger – und, und, und –: alles Leitbilder staatstreuen Beamtentums.

Aber dieser Ära, in der wir haarscharf am Atomkrieg vorbeigeschrammt sind und F.J. Strauss immer wieder ankündigte: „Der 2. Weltkrieg ist noch nicht zuende … Die bolschewistischen Sitt-
lichkeitsverbrecher werden wir bis zum Ural ausradieren“
, folgte nach Mauerbau und Kuba-Krise ein Vierteljahrhundert eines realen und zunehmend gefühlten Koexistenzzwangs, eines hart er-
kämpften und nachhaltigen Zivilisationsschubs, der modernisierenden Anpassung, der Ent-Taiwanisierung (Brandt), eines neuartigen Verfassungsengagements, ja einer gewissen „Marxis-
mus-Renaissance“.

Egon Bahr bezeichnet die Entspannungspolitik als „Schleichweg zum Sieg über die Kommunisten“ – aber wahr ist auch, dass sie eben doch einen entfaschisierenden Mentalitätswandel in Kauf nehmen musste, der andererseits große Teile der politischen Klasse, Geheimdienstler, Personal-
referenten und Richter zutiefst verstörte:

Berufsverbote als Ersatzbefriedigung. Hier unten konnten die 50er Jahre weitergehen.

Die Berufsverbote waren eine ausgefeilte Kombination individueller Repression nonkonfor-
mistischer Elemente und einer rechtskonservativen Ideologieoffensive in einer Zeit, in der dank eines vorübergehenden linken Autoritätsgewinns so hochrangige Spektakel wie das KPD-Verbot oder die Hallstein-Doktrin peinlich geworden waren.

Der Radikalenerlass von 1972 reagierte auf eine neuartige kritische Jugend, die in die sozialrele-
vanten
und infrastrukturell-technischen Berufe vom Lehrer bis zum Lokführer, also den öffent-
lichen Dienst, drängten. Und es gab wieder eine zunächst einflussgewinnende Kommunistische Partei. Da sagte der aus der Opposition gegen die Ostverträge und der Aktion Kanzlersturz be-
kannte Rainer Barzel: „Der Öffnung nach außen darf keine Öffnung nach innen folgen!“

Für Willy Brandt und die Sozialdemokratie waren die von ihnen selbst losgetretenen Berufsverbote auch als eine Art „Bauernopfer“ zur Absicherung nach Rechts kalkuliert – und fehlkalkuliert. Der Radikalenerlass als solcher hatte keinerlei Rechtsqualität. Er war nur eine Meinungskundgabe der Regierungschefs ans Volk:

Mitglieder oder Personen mit sympathisierenden Kontakten zur DKP oder Organisationen, die von den Geheimdiensten als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, dürfen nicht in Berufe und Aus-
bildungen des öffentlichen Dienstes.

Mangels Rechtsgrundlage war das der berühmte Stein ins Wasser, um Kreise zu ziehen und im In-
stanzenwege an die obersten Gerichte, insbesondere das Bundesverwaltungsgericht zu gelangen, wo damals noch „zuverlässige“ Leute aus der braunen Zeit saßen. Die Namen der höchstrangigen Urteilsverfasser sind besonders blutbesudelt: Willi Geiger, Weber-Lortsch, Chapeaurouge, Hering. Und manchmal drängte sich der obszöne Eindruck auf, dass sich da Alte Kameraden an jungen Mädchen für Stalingrad rächen wollten. Deren „Grundsatzurteile“ sollten dann nach unten als formelle Rechtsquelle dienen, zu dessen Inhalt dann jeder Betroffene Treue zu bekunden hatte.

Das verstieß natürlich gegen geltendes Verfassungsrecht, das Gleichheitsgebot nach Art 3 GG, den gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst allein „nach Eignung, Befähigung und Leistung“ nach Art 33 II GG, internationale Schutzabkommen (Übereinkommen gegen berufliche Diskriminierung Nr. 111 der ILO – Arbeitsorganisation der UNO –, die Verletzung hat 1986 der Untersuchungsaus-
schuss der ILO in einem langen Verfahren rechtsverbindlich festgestellt, was das BVerwG sofort als „bloße diplomatische Empfehlung“ ignorierte).

Von den Umgehungskonstruktionen haben sich der Eignungsmangel und die Treuepflichtverlet-
zung im Sinne des Art.33 V GG durchgesetzt:

„die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“,

verstanden als antikommunistisches, quasitotalitäres Denunziationskontinuum, das ja als solches nicht ganz unlogisch ist: alles Kapitalkritische lässt sich formallogisch auf einen realen oder ge-
dachten nichtkapitalismusimmanenten, also tendenziell revolutionären Einflussfaktor zurückfüh-
ren. Verloren geht dabei die pluralistische Verfassungskonzeption als beweglicher Aggregat-
zustand und Kompromiss durchaus gegenläufiger Ordnungskräfte, ein Kräfteparallelogramm mit Zug und Gegenzug, das Erbe der Aufklärung.

Umgekehrt hatten alle Nazibeamten, von denen etwa 200.000 irgendwie am Holocaust beteiligt waren, nach Art 131 GG Anspruch auf vorrangige Einstellung. Sie entsprachen ja auch der „inner-
staatlichen Feinderklärung“ des Carl Schmitt; soviel zu den „hergebrachten Grundsätzen“.

Jetzt zu den Zahlen: Von 1972 bis 1987 wurden 3,5 Millionen überprüft. Der Verfassungsschutz gab Negativauskünfte über rund 35.000 Personen heraus. Die Behörden versperrten anfänglich 11.000 Bewerbern die Einstellung, von denen sich allerdings viele schon vor höheren Amtsstellen oder Ge-
richt erfolgreich wehrten, so dass am Schluss 2.350 nicht eingestellt wurden. 136 wurden entlas-
sen.

Seit der Wende gibt es auch in Bayern keine Regelanfrage mehr, dafür Fragebogen, denen Denun-
ziationslisten gegen Organisationen und Parteien angefügt sind. Der Bewerber soll diese also seinerseits unbesehen als verfassungsfeindlich denunzieren und damit eine oft widerlegte und weithin als anrüchig geltende Kampfgruppe gegen Links als höchstrangige Verfassungsinstanz anerkennen, bevor Gerichte hierüber geurteilt haben. In und durch diese Nötigungslage soll sich das durchsetzen.

Trotzdem ist vieles eingeschlafen, „mangels Masse“ würde man im Konkurs sagen, aber auch aus Scheu mancher Instanzen, die die Berufsverbotspolitik und die öffentliche Gegenwehr durchaus nicht als reinen Sieg für sich verbuchen.

Dabei ist es gelungen, die SPD ein wenig zu revolutionieren. Sie hatte die Berufsverbote ja losge-
treten, um sie – oft nach der Methode des „kalkulierten Hineinschlitterns“ – rechts dominierten Gerichten zu überlassen und sich die Hände in Unschuld zu waschen. Dann gerieten die Oberin-
stanzen außer Rand und Band und kreierten die Theorie vom „unüberprüfbaren Beurteilungs-
spielraum“ der Behörden in Gesinnungsfragen. Da wurden dann auch junge, gewerkschaftlich engagierte Sozialdemokraten in den Strudel gezogen, vor allem im Süden. SPD-Juristen fragten, worin sich solche unüberprüfbaren Vorgaben eigentlich noch von echter geheimdienstlicher Weisungsgebundenheit angeblich unabhängiger Richter unterscheiden. Man stellte dann sogar einige rechtskräftig Abgewiesene wieder ein.

Zum Pegelstand der Rechtsprechung: Bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit für Beamte sind wir weitgehend eingemauert, bei der Arbeitsgerichtsbarkeit für Arbeiter und Angestellte gibt es noch Spielräume. Das ist ein eigenes Referat.

Wir haben damals einen breit gefächerten Kampf unterhalb der Schwelle des Bundesverfassungs-
gerichts vorgezogen, da wir über die dortigen Mehrheitsverhältnisse genauestens unterrichtet waren. Dessen tragende Gründe haben Gesetzeskraft; und damit wäre die Solidaritätsbewegung schwer geschädigt worden. Herbert Wehner hoffte öffentlich, dass „dort mit dem Berufsverbots-
geschrei schnell tabula rasa gemacht wird“
. Dort wartete ein obsessiver Antisozialist, der zustän-
dige Dezernent Hans Hugo Klein, auf uns. Er war und ist u.a. der führende Verfechter des braunen Rechtsterroristen Carl Schmitt. Nein, einem solchen legt die Tochter von Peter und Etty Gingold nicht ihr Haupt vertrauensvoll in den Schoß.

Kommunisten waren die am schwersten, aber nicht die meisten Betroffenen. In Bayern waren es etwa 70% wegen VVN, DFG-VK, DFU, SHB, Liste Asta und Fachschaften, anfangs sogar Freiden-
ker, Naturfreunde und Notstandsgesetzgegner aus längstvergangener Zeit, denen eine personelle oder ideelle Kontaktschuld mit Kommunisten vorgeworfen wurde.

An ihnen wird deutlich, dass die Berufsverbote sich nicht nur gegen Existenz- und Karriereinter-
essen richteten, sondern gezielt für eine rechtskonservative Ideologiekampagne instrumen-
talisiert
wurden.

Natürlich war immer der Kommunismus Hauptbezugspunkt des Denunziationskontinuums, der schmierseifigen Gleitschiene. Ihnen wurde übrigens nie eigenes verfassungsfeindliches Handeln oder Äußern vorgeworfen; sondern das wurde gelegentlich von alten marxistisch-leninistischen Zitaten, meist aber von wirklichen oder angeblichen Mißständen in der SU und in der DDR herge-
leitet, die doch immerhin zu einem Teil (!) auf den Raub- und Vernichtungskrieg zurückzuführen waren, den die gleiche politische Klasse einmal so fanatisch betrieben hatte.

Die verantwortlichen Organe fürchteten keinen Umsturz, sondern eine lang andauernde Ko-
existenz von Kapitalismus und Sozialismus
. Letzterer sollte nicht langsam vom feindlichen Störfaktor zum gefühlten Ordnungsfaktor aufsteigen.

Unter dem Dach des Antikommunismus hatte die Ideologiekampagne 3 Angriffsrichtungen (für eine 4., die sozialkritische Hochschulwissenschaft, fehlt jetzt die Zeit);

Erstens:

Bei Kommunisten wie linken Sozialdemokraten wurden Gedanken gewerkschaftlichen Kämp-
fertums
oder der Wirtschaftsdemokratie als verfassungsfeindlich angegriffen. Gebündelt aus vielen diffusen Einzelheiten:

• der Positionenkampf gegenläufiger sozialer Interessen, schon mal „Klassenkampf“ genannt;

• Zweifel an einem neutralen väterlichen Verteilerstaat;

• und vor allem die Betonung notwendiger Selbsttätigkeit der Unterlegenen für eigene soziale und demokratische Interessen.

Das sind die drei Säulen, auf denen eigentlich jede wirkliche Gewerkschaftsarbeit beruht.

Da wurden Legitimationsreserven auf Abruf angelegt: für eventuelle soziale Unruhen, Notstands-
fälle, z.B. dass gewisse Streiks für einen Exportmeister wie uns als gemeinwohlwidrig/verfas-
sungsfeindlich gelten müssen.

Bezeichnenderweise wurden oft gerade unter der Glocke eines „DKP-Falles“ weniger die kapital-
kritischen Aussagen diskriminiert, die einen DKP-Vorsitzenden Mies und einen IG Metall-Vor-
sitzenden Steinkühler trennten, sondern solche, die ihnen gemeinsam waren: zu gleichen Bil-
dungschancen, zum Widerstand gegen Kapitalmacht, zum Gemeineigentum in der Stahl- und Autoindustrie, um Arbeitsplätze zu retten, oder zur Rüstungskonversion.

Den wunden Punkt, aus dem sich der quasitotalitär-antikommunistische Denkansatz eigentlich schon verbietet, hat das hochkonservative, aber als rassisch Verfolgter kritisch gebliebene Grün-
dungsmitglied des Bundesverfassungsgerichts Gerhard Leibholz berührt:

„Ohne Stalingrad kein Grundgesetz!“ Wenn die Verfassungsschutzberichte und die Veröf-
fentlichungen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie alles, was sich je kritisch bewegte, auf die Kommunisten bzw. alles, was von der reinen Profitlogik abweicht, auf eine sozialistische Ge-
genposition zurückführten, haben sie eigentlich ungewollt diese als zentralen Bezugspunkt und Kraftquell anerkannt, der den Finanzmarktkapitalismus hindert, totalitär zu werden. Diese Ordnungsfunktion bleibt auch und erst recht, nachdem sich die realsozialistische Macht verab-
schiedet hat.

Zweitens: die Friedensbewegung

Der immerhin von US-Präsident Eisenhower warnend geprägte Begriff des „militärisch-indu-
striellen Komplexes“
galt als Verleumdung der verfassungsmäßigen Wirtschaftsordnung.

Der Begriff „friedliche Koexistenz“: ein Leninscher Kampfbegriff, um sich für revolutionäre Umtriebe mehr Ruhe zu verschaffen. Die BRD hat völkerrechtliche Verträge unterschrieben, in denen die friedliche Koexistenz als Rechtsbegriff erscheint, aber gleichzeitig wurde im Innern abgeschottet, indem man die Träger dieses Gedankens der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigte, so den Grundschullehrer Gerhard Bitterwolf wegen dessen Forderung, das Helsinki-Abschlussdokument von 1975 an den Schulen zu verbreiten, wie es dieses Dokument selbst den Staaten zur Pflicht machte. Dem Grundschullehrer Manfred Lehner wurde der von DDR-Dissidenten geschenkte Aufstecker „Schwerter zu Pflugscharen“ übel vermerkt, da dies auch „der von Kommunisten meist missbrauchte Bibelspruch“ sei.

Als Anwalt hatte man gleichsam einen an die Armesünderbank gefesselten Bundespräsidenten Heinemann vor dem auftrumpfenden Redaktionskollegium des BAYERNKURIER zu verteidigen.

Da wurden Nadelstiche aus der CSU in den weichen Unterleib der damaligen Bonner Entspan-
nungspolitik gestoibert. Und erst als dies mithilfe der damals starken Friedensbewegung skandali-
siert wurde, versickerten die Friedens-Berufsverbote (nicht durch rechtsstaatliche Kniffe).

Drittens: der Antifaschismus

Ich wage die Behauptung, in dieser Sickerschicht der subalternen Prozesse, wo kleine Lehramtsan-
wärter und Friedhofsgärtner um ihre Existenz ringen mussten, wurde die Historikerdebatte ab 1986, Ernst Nolte und der Veldensteiner Kreis schon vorweggenommen:

der Faschismus und seine Kriege als legitime Notwehr gegen eine Revolution, die ihrerseits keine Notwehr der Völker gegen kriegerisches und kolonialistisches Gemetzel war, sondern als terrori-
stische Utopie frustrierter Bohemiens vom Himmel geschneit ist.

Antifaschismus war wegen der maßgeblichen Beteiligung prokommunistischer Ideen und Opfer-
gruppen prinzipiell verfassungsfeindlich – denn der Faschismus war unbestreitbar die konsequen-
teste Gegenbewegung gegen die marxistische Gefahr. Kinder von Naziopfern, die im Spanienkrieg gekämpft hatten, wurden genötigt, den Franco-Putsch gegen die „bolschewistische“ – gemeint war die verfassungsmäßig gewählte linksbürgerliche Regierung – als Befreiungstat zu loben. Zu dem Großtransparent der von Guido Knopp gezeigten Reichsparteitage: „Macht Deutschland vom Marxismus frei!“ sollten sie bekennen: „Insoweit hatten die Nazis ja recht!“

Hier vor mir die Festschrift des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Hauptartikel von Eckart Jesse: „Vergangenheitsbewältigung – eine Delegitimierungsstrategie der Linken“.

Hier im Verlag des Verfassungschutzes „Antifaschismus als innen- und außenpolitisches Kampf-
mittel“
von Horst Helmut Knütter und anderen rechtsradikalen Autoren.

Hier die Habilitationsschrift der Verfassungsschutzdirektorin Bettina Blank „Deutschland – einig Antifa?“, die selbst die FAZ als „Blickverzerrung mit Rechtsdrall“ verrissen hat.

Das ist keine „bedauerlicherweise in NSU-Verbrechen verwickelte Sicherheitsbehörde“, sondern von vorneherein eine als Behörde getarnte Anti-Antifa-Organisation mit erheblichen Schnitt-
mengen mit Rechtsradikalen.

Damit verlassen wir den historischen Abriss und sind bei der aktuellen Hauptstoßrichtung des Verfassungsschutzes angelangt, dem Anti-Antifaschismus – auch als Hebel gegen die in der Weltwirtschaftskrise virulente Kapitalkritik angelegt –, vor allem in den aktuellen juristischen Feldzügen gegen die VVN; dazu vielleicht noch ein späterer Diskussionsbeitrag.

Es geht nicht an, dass nach derzeitiger Rechtsprechung die radikalen Positionen des Verfassungs-
schutzes „Meinungsfreiheit“ wie jede andere Meinung genießen und damit den strengen Maßstä-
ben eines belastenden Verwaltungsaktes entzogen und dann gleichzeitig abgesegnet werden als „Präjudiz“, d.h. letztgültiges und existenzvernichtendes Verdikt im angeblich „unüberprüfbaren Ermessensspielraum“ einer angeblichen Fachbehörde für Verfassungsfeindliches, als welche sie gesetzwidrig das Bundesverfassungsgericht abgelöst hat. Die zu Professoren hochgehieften Ver-
fassungsschutz- und „Hanns-Seidel-Stiftung“-Autoren geben offenherzig zu erkennen, dass ihr eklatantes wissenschaftliches Defizit durch repressive „Sicherheitspolitik“ ausbalanciert werden soll.

Wenn dort der Kapitalismus schlicht in Demokratie umgetauft und jeder Bedingungszusammen-
hang von Kapitalismus und Faschismus zur staatsfeindlichen Lüge erklärt wird, so würden sich dem 90% aller potentiellen Sachverständigen aus Gesellschaftwissenschaft und Demokratietheorie widersetzen, seien es sozialliberale Profs. wie W. Wippermann, W. Benz und N. Frei, seien es re-
gierungsnahe Konservative wie H.A. Winkler, ja auch die richterlichen Verfasser des KPD-Verbots Martin Drath und Konrad Zweigert in ihren eigens dazu hinterlassenen Gutachten.

Nein, die immer noch etablierte wissenschaftliche Mehrheitsmeinung, die eben nicht als randständige Schutzbehauptung toleranzheischender Opfer gedemütigt und bestraft werden darf, muss endlich sichtbar gegen den schleichenden Siegeszug nach wie vor anrüchiger repressi-
ver Mindermeinungen in Front gebracht werden; denn dort spielt leider die Musik.

Unsere Losung sei: Kein Gewaltmonopol für Geschichtsrevisionisten!

Ich habe hier den inhaltlichen Instrumentalisierungsaspekt herausgestellt, weil er nämlich auch umgekehrt bewirkt hat, dass wir oft aus den sachlich betroffenen Konfliktfeldern sachbezogene Solidarität mobilisieren konnten:

Friedensbewegung, Antifaschismus, in engagierten Berufsgruppen in Erziehung, Wissenschaft, Sozialarbeit, Medizin, die mit Recht Gefahr auch für kritische Ansätze in der eigenen Sache sahen – und damit dann auch gegen die Methodik des allbeliebigen Kommunistenschrecks.

Darum möchte ich zum Schluss eine herausragende moralische und politische Qualität unseres Berufsverbotskampfes ansprechen. Anders als noch in der finsteren Knastszenerie der politischen Strafjustiz, gab es hier ein breit bekanntes aktives Milieu solidarischer Kol-
lektivität
. Trotz nervenzerreissenden Distanzierungsdrucks hat kein Betroffener je andere Personen oder Organisationen der Verfassungsfeindlichkeit geziehen, bei allen klaren Unter-
schieden: kein Religionslehrer einen Kommunisten. Das hat geholfen.

Unbedingt genannt werden muss die hochqualifizierte Solidaritätsleistung der Gewerkschaft Er-
ziehung und Wissenschaft (GEW).

Um mit Franklin Roosevelt zu sprechen: Was wir fürchten müssen, das ist die Furcht.

Hans E. Schmitt-Lermann


zugeschickt am 16. Mai 2017

Überraschung

Jahr: 2017
Bereich: Bürgerrechte