Materialien 1982

Späte Unterstützung des sozialistischen Widerstands

Zum Artikel „Gedenken an die Widerstandskämpfer“ in der SZ vom 21.7.:

Die Erinnerung an das fehlgeschlagene Attentat vom 20. Juli 1944 mit dem öffentlichen Bekennt-
nis zu den „fernen historischen Gestalten als lebendige Vorbilder“ (K Rebmann) sowie zur „Ach-
tung der menschlichen Anständigkeit eben dieser Widerstandskämpfer“ (J. Brandt) offenbart den historisch-reduziblen Begriff des „Widerstandes“. Rückblickend spricht man offiziell – im Falle Claus Graf Schenk von Stauffenberg – von einem Widerstand gegen Hitler, gegen den Mann, den die Reichswehr selbst mit Hilfe des Großkapitals an die Macht gebracht hatte, dem sie am 2. August 1934 Gehorsam und Treue schwor in Kenntnis der Konzentrationslager, des Gestapo-Terrors, der Judenverfolgung, des von der Reichswehr inszenierten Massenmordes vom 30. Juni/1. Juli 1934. Im Jahre 1934 aber, als bereits Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaf-
ter, Betriebsräte, lästige Tarifverträge, jüdische Konkurrenz und viele andere „weggehobelt“ wur-
den, hatte der antifaschistische Widerstand in Deutschland nicht die geringste Unterstützung von Seiten des Militärs.

Während der Zeit ihrer Erklimmung national-sozialistischer Karriereleitern aber kam es schon am 20.1.1934 zum „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“, zu Goebbels’ Propaganda von der „Er-
ziehung der nationalen Arbeit“, und im Mai 1935 erließ die Regierung ein geheimes Gesetz zur Um-
stellung der gesamten deutschen Wirtschaft auf Kriegsbedingungen, worauf im Juni 1935 die allge-
meine, vormilitärische Arbeitspflicht eingeführt wurde. Der 15. September brachte die „Nürnber-
ger Gesetze“ gegen die jüdische Minderheit.

Diese rapide Verschärfung der ökonomisch-politischen Situation brachte nun eine „andere Art“ von Widerstand mit sich. So zum Beispiel im Mai 1935, als rund 6.000 Arbeiter der Chemnitzer Wanderer-Werke die Arbeit niederlegten; oder im Juli 1935 bei den U-Boot-Werften in Vegesack bei Bremen, wo die streikenden Arbeiter von der Polizei gewaltsam gezwungen wurden, die Arbeit wieder aufzunehmen; oder im Februar 1936, als die Kumpel von vier Zechen in Wanne-Eickel durch einen Proteststreik die Freilassung von 50 willkürlich verhafteten Kollegen erzwangen. Am 25. Juni 1936 streikte die gesamte Belegschaft von Adam Opel AG in Rüsselsheim und demon-
strierte gegen die wachsende Ausbeutung; 262 Arbeiter wurden daraufhin fristlos entlassen, 37 als „Rädelsführer“ verhaftet.

Die Antwort der Reaktion kam uniform. Fast gleichzeitig mit dem „Elmshorner Massenprozess“ vom 13. Dezember 1935 kam es im „Wuppertaler Gewerkschaftsprozess“ zur Aburteilung von 628 der insgesamt 1.100 wegen illegaler Gewerkschaftsbildung Verhafteten. Im April 1936 folgte ein Strafprozess in Magdeburg gegen 120 Angehörige von linken Widerstandsgruppen, im Mai ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm gegen 450 Mitglieder einer sozialdemokratischen Untergrundorganisation. Von Anfang 1935 bis Ende 1937 wurden weitere 18.755 Kommunisten – als aktivste Widerstandskämpfer – und 2.107 Sozialdemokraten wegen illegaler politischer Betä-
tigung und „Vorbereitung zum Hochverrat“ verhaftet und vor Gericht gestellt. Insgesamt wurden von 1933 bis 1939 mehr als 230.000 Männer und Frauen verurteilt, hingerichtet und ermordet.

Neben der nazifreundlichen Haltung des Vatikans, wie etwa des Nuntius von Berlin, Monsignore Cesare Orsenigo („Hitlers hingebende Sorge für das Wohl des deutschen Volkes“, 12.9.1934), kam es vereinzelt auch zu katholischem Widerstand. Exemplarisch zu erwähnen wäre hier der Bischof von Münster und spätere Kardinal Clemens August Graf von Galen sowie der Münchner Domka-
pitular und spätere Weihbischof Johann Neuhäusler, als auch der Jesuitenpater Alfred Delp, Mitglied des Kreisauer Kreises um Graf Helmut James von Moltke, verhaftet im Juli 1944 und hingerichtet. Daneben gab es die aus der Pfarrer-Notgemeinschaft entstandene „Bekennende Kirche“ der evangelischen Opposition mit ihrem geistigen Vertreter, dem Berlin-Dahlemer Pastor D. Martin Niemöller.

Einen verzweifelten Versuch, Einigkeit innerhalb der antifaschistischen Opposition herzustellen, unternahm der „Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront“ 1936 von Paris aus, eine Vereinigung von Vertretern der SPD, KPD und anderer sozialistischer Strömungen sowie des libe-
ralen Bürgertums und der deutschen Intelligenz. Am 26. Mai 1936 erließ Thomas, vor allem aber Heinrich Mann den Aufruf „Seid einig, einig gegen Hitler!“ als gleichsam moralischen Spruch exi-
lierter Esoterik.

Praktische Einigkeit dagegen demonstrierten die Nationalsozialisten im Spanischen Bürgerkrieg durch die Unterstützung der faschistischen Verbände unter Franco, bei gleichzeitigem Experimen-
tieren an ihrem kriegstechnischen Gerät („Legion Condor“). Innenpolitisch kam es acht Tage nach Beendigung der Olympischen Spiele – einem Prestigespektakel für die Weltöffentlichkeit – im Rahmen permanenter Aufrüstung zur Verlängerung der Wehrpflicht auf zwei Jahre und am 18. Oktober, zwei Monate später, zu einem Vierjahresplan. Goebbels fasste dies subsumtiv in der Pa-
role „Kanonen statt Butter“.

Die Widerspruchslosigkeit der Generalität erwies sich auch bei der rücksichtslosen Säuberung der Reichswehrspitze, wie im Falle des Generals von Blomberg und des Generalobersts von Fritsch, und ihre „Moral" nahm auch keinen Anstoß daran, als – nach der Annexion Österreichs und dem Münchner Abkommen – am 9./10. November der organisierte Pogrom unter Reinhard Heydrich stattfand (die sogenannte „Reichskristallnacht“).

Der deutsche Widerstand, der „Aufstand des Gewissens“, hat wahrlich nicht erst mit jener Offi-
ziersverschwörung begonnen, die im sechsten Kriegsjahr, im elften Jahr der Nazi-Herrschaft zu dem gescheiterten Attentat auf Hitler führte. Am Mut der Verschwörer, ihrer Vaterlandsliebe und ihrer Redlichkeit lässt sich kaum zweifeln, allerdings aber an ihrem bekehrten Antifaschismus und letztlich, dass ihr Widerstandswille zehn Jahre zu spät erfolgte.

Hans Mittermüller
Buchenauer Straße 81
8080 Fürstenfeldbruck


Süddeutsche Zeitung 179 vom 7./8. August 1982, 21.

Überraschung

Jahr: 1982
Bereich: Gedenken