Flusslandschaft 2021

Gedenken

Am Mittwoch, 27. Januar, jährt sich zum 76. mal die Befreiung des Konzentrationslagers Ausch-
witz durch sowjetische Soldaten. Sie fanden damals nur noch wenige Überlebende vor. Die VVN-BdA nimmt diesen Tag zum Anlass, an alle Opfergruppen mit einer stillen Mahnwache an der Briennerstraße nahe dem „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“ zu erinnern: Dem Terror der Nazis fielen Juden, Sinti und Roma, ZwangsarbeiterInnen, Homosexuelle, Behinderte und Kranke, Kriegsgefangene, politische Gegner, als „asozial“ Verfolgte, Verurteilte der Militärjustiz und Zivili-
sten der besetzten Länder zum Opfer. Mit dem Transparent „Menschlichkeit statt Rassismus“ er-
innern VVN-Mitglieder auch an die Verpflichtung für heute. Auf Schildern fordern sie auch die sofortige Aufnahme von Geflüchteten, die unter unmenschlichen Bedingungen in bosnisch-kroa-
tischen Lagern oder auf der Insel Lesbos untergebracht sind.

Eine weitere Kundgebung gibt es kurz zuvor am Gedenkstein der ehemaligen Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße; dort erinnert der Verein Geraubte Kinder – vergessene Opfer, unterstützt von der Gewerkschaft ver.di und der Münchner VVN-BdA, an das Schicksal der Tausenden von Kindern, die von den Nazis in besetzten Gebieten ihren Eltern weggenommen und als „eindeut-
schungswürdig“ im Reichsgebiet aufgezogen wurden. Am Beispiel von Haimo Heinrich Heyder wird das deutlich gemacht: 1942 mit fünf Monaten aus Slowenien entführt, Mutter und Großeltern ermordet, aufgewachsen in einer verwandten Familie Heinrich Himmlers. Entschädigung hat Haimo bis heute nicht erhalten; genau das fordert die Initiative auch für die anderen „geraubten Kinder“ von Bundes- und Bayerischer Landesregierung.

Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und Landtagsvizepräsident, Karl Freller (CSU), stoppt im Herbst des vergangenen Jahres eine Ausschreibung und macht seine langjährige Büroleiterin, Erika Tesar, zur Leiterin der pädagogischen Abteilung der Gedenkstätte Dachau. Te-
sar ist Politikwissenschaftlerin, nicht Historikerin oder Pädagogin. Die Belegschaft der Gedenkstät-
te und die VVN protestieren im Februar 2021. Sie wollen mitbestimmen. Anfang März lenkt Freller ein und befürwortet eine öffentliche Ausschreibung.


Am Sonntag, 21. Februar, legen die Enkel Kurt Eisners, das Andere Bayern und die Kurt-Eisner-Kulturstiftung zum 102. Jahrestag der Ermordung des ersten Ministerpräsidenten des Freistaats um 11 Uhr drei Kränze nieder. Im Anschluss schreiten die Initiatorinnen und Initiatoren zu Tat: „Da die Landeshauptstadt des Freistaats Bayern seit einiger Zeit öffentliche Plätze und Grünanla-
gen und auch den Marienhof mit beleuchteten Stelen kennzeichnet und benennt, schlagen wir vor, den Marienhof nach Kurt Eisner zu benennen, dem immerhin der Beginn der Demokratie in diesem Land und in dieser Stadt zu verdanken ist. Wir haben zur freundlichen Anregung schon mal die städtische Leuchttafel am Marienhof (vor dem Haus Theatinerstraße 47) entsprechend behandelt … Wir hoffen sehr, dass die Leuchttafel Kurt Eisner Platz bestehen bleibt und nicht re-marianisiert wird.“






Herbert Dandl, HP Berndl, Gabi Benkert, Anita Hilbig, Wolfram P. Kastner, Hans Proft und Wolf-
gang Stöger sehen im 1929 in Giesing errichteten Kriegerdenkmal militaristische Propaganda. Auf dem Denkmal heißt es: „Zu stetem Gedächtnis und in Dankbarkeit den toten Helden von Ober- und Untergiesing – Für dein Vaterland ließen sie ihr Leben – Sie starben für dich“ Die Initiative schlägt eine Umgstaltung des Denkmals vor. Das Kriegerdenkmal soll mit vier opaken Glasschei-
ben aus Kunststoff eingehaust werden, die einen informativen Text zum Ersten Weltkrieg, einen Text von Sophie Scholl sowie die Abbildung einer Grafik von Käthe Kollwitz und ein Foto eines Schlachtfeldes zeigen. Daraufhin antwortet das Münchner Kulturreferat am 2. März, der Vorschlag sei keine Kunst, sondern ein „rein kommentierend-erinnerungskulturelles Projekt“, es fehle „das kritische Hinterfragen der Formgebung von Denkmälern an sich durch die künstlerisch-konzeptio-
nelle Form“, „eine formal-künstlerische Aussage … mit den Mitteln der Kunst“ und ein „konzeptio-
nelles Reflexionsmoment“. Kastner antwortet am 15. März: „Was ist in dieser Stadt eigentlich los? Sind hier alle so abhängig von irgendwem und so ängstlich, dass sich niemand  untersteht, eine Stellungnahme zu den zensierenden verbalen Hohlräumen aus dem Kulturreferat abzugeben? Thomas Mann nannte München eine ‚dumme Stadt‘ und ‚vielleicht die dümmste‘. Vielleicht träfe nur die ‚feigeste‘ zu?“

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Lichtmast Ecke Von-der-Tann-Straße/Franz-Josef-Strauß-Ring am 24. April

25. April, Odeonsplatz, 16.30 bis 18 Uhr: Bei der Mahnwache am, die an den Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern, den der türkische Staat während und nach dem Ersten Weltkrieg verantwortete, nehmen 200 Menschen teil.

Am 8. Mai 1945 endete der von Nazideutschland begonnene zweite Weltkrieg. Das Ergebnis: Ver-
wüstete Länder, 60 Millionen Tote und Millionen Verwundete. Sechs Millionen Juden wurden in den Konzentrationslagern des NS-Regimes ermordet. Aus „Nie wieder Krieg“ wurde die Beteili-
gung Deutschlands an die Kriegspolitik der NATO und der EU. Deutschland rüstet massiv auf und deutsche Truppen stehen heute wieder an den Westgrenzen Russlands. Die Bundesregierung be-
feuert mit ihren Rüstungsexporten die Kriege weltweit und mit der „nuklearen Teilhabe“ beteiligt sie sich an der Atomkriegsplanung der USA. Nie wieder Krieg heißt heute: Abrüstung statt Aufrü-
stung! Entspannungspolitik statt Konfrontation! Die Milliarden, die für militärische Aufrüstung verschleudert werden, fehlen für Investitionen in die menschliche Entwicklung, zur Beseitigung von Hunger und Armut, für das Gesundheits- und Bildungswesen, für menschenwürdige Arbeits-
plätze und beim Umwelt- und Klimaschutz. Das Motto der ver.di-Jugend für Samstag, den 8. Mai, heißt um 13.30 Uhr auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus: „Erinnern heißt kämpfen.“ Für sie handelt es sich eingedenk eines für über 35 Jahren entstandenen Gedichts nicht um eine „Befreiungsfeier“: „Zum 8. Mai (1985) / Von Erich Fried // Es war gut / den Transport im Viehwa-
gen / zwischen Toten und Sterbenden / überlebt zu haben / und wohlbehalten / was immer das heißen mochte / angekommen zu sein / an der Rampe von Auschwitz // Aber solange dort Dr. Mengele Auslese hielt / und solange der Kommandant Hess im Amt war / und solange die Degesch / die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung / das Zyklon-B bereitstellte / und solange die Schornsteine der Krematorien rauchten / und solange die Wehrmacht noch weiterkämpfte / war das nicht Anlass genug / zu einer Feier // Es ist gut / das Dritte Reich überlebt zu haben / die Ermordeten und ihre Mörder / und wohlbehalten / was immer das heißen mag / angekommen zu sein / in dieser heutigen Zeit // Aber solange die Machthaber an der Macht sind / die das Wettrü-
sten weitertreiben und solange / noch immer Atomraketen aufgestellt werden / und solange che-
mische und biologische Kampfstoffe weiter erzeugt / und solange Sprachregelungen der Wahrheit im Wege stehen / und solange der Geist des Befehlens und des solchen Befehlen Gehorchens / an-
dauert und solange die, die dagegen kämpfen / verfolgt und verleumdet werden / hier nicht minder als dort / ist das nicht Anlass genug / zu einer Befreiungsfeier.“

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Litfaßsäule Ecke Freud-/Mitteisstraße am 27. Mai

Am 9. Juni verhüllt die Initiative Giesing Denk(t)mal das Kriegsmonument vor der Heilig-Kreuz-Kirche mit transparenter Folie. Auf Tafeln zeigen die AktivistInnen, wie das von ihnen geplante Kunstprojekt aussehen soll. Vielleicht beschleunigt diese Aktion das Vorhaben der Stadt, die sich Gedanken macht, wie sie mit »belasteten Denkmälern« in Zukunft umgehen will.


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WOB am 17. Juli auf der Theresienwiese

Bei der Veranstaltung »Hiroshima und Nagasaki mahnen« hat die Stadt München die Fahnen der »Majors for Peace« gehisst.4

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1 Foto: Richy Meyer

2 Foto: Jessica di Rovereto

3 Foto: Franz Gans

4 Siehe die Fotos von „hiroshima und nagasaki mahnen A“ vom 6. August von Peter Brünimg und von „hiroshima und nagasaki mahnen B“ von Günther Gerstenberg.

5 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 2021
Bereich: Gedenken