Materialien 2003

Die Bibliothek der verbrannten Dichter

Deutsche Literatur auf dem Scheiterhaufen

Georg P. Salzmanns „Dokumentations- und Forschungsarchiv 10. Mai 1933“

Im Mai 1933 wurden in deutschen Städten die Werke missliebiger Schriftsteller auf den Scheiter-
haufen geworfen. Auch in Bayern brannten die Feuer: am 10. Mai in Würzburg und Nürnberg, in München bereits am 6. Mai und am 10. Mai erneut, in Erlangen am 12. Mai. Die Hitlerjugend setzte das Vernichtungswerk in kleineren Städten fort. Bibliotheken wurden „gesäubert“, viele Autoren mit Schreibverbot belegt, ins Exil getrieben und auch dort verfolgt – ein „Todesurteil gegen die deutsche Literatur“ (Alfred Kantorowicz), denn betroffen waren die Werke der besten deutschen Schriftsteller: Bertholt Brecht, Alfred Döblin, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Walter Hasenclever, Erich Kästner, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Thomas, Heinrich und Klaus Mann, Erich Maria Remarque, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Kurt Tu-
cholsky, Franz Werfel, Carl Zuckmayer, Arnold und Stefan Zweig und viele andere.

„Die Bücherverbrennung vom 10. Mai war weder eine spontane Landsknechtsaktion der aufs Zündeln und Raufen begierigen Mannschaft, noch ein vom Propagandaministerium im Stil der Reichsparteitage auskalkuliertes Spektakel. Es war vielmehr ein Fest, das sich die konservative Intelligenz, die akademische voran, zu Ehren Deutschlands gab … Der 10. Mai 1933 war der Tag, an dem besiegelt wurde, was längst beschlossene Sache war – der Widerruf der Aufklärung. Ver-
brannt wurden nicht nur die Bücher einzelner Literaten, sondern die Gesetzbücher einer der Auf-
klärung verpflichteten Epoche mitsamt den sie prägenden Begriffen.“ (Walter Jens in seiner Rede anlässlich des 50. Jahrestages der Bücherverbrennung).

Seit Mitte der 70er-Jahre sammelt der Gräfelfinger Finanzkaufmann Georg P. Salzmann Erstaus-
gaben jener Bücher, die 1933 verbrannt und deren Autoren verfemt und bis 1945 verboten waren. Sein Credo: „Ich kann und werde nicht zulassen, dass die damals verbotenen Schriftsteller auch nach zu vergessenen werden.“

„Die eindrucksvolle Sammlung, die mit großem Aufwand, Sachverstand und Spürsinn in mehr als 20 Jahren zusammengetragen wurde, umfasst ca. 10.000 Bände. Von 77 Autoren ist das gesamte Werk nahezu vollständig in Erstausgaben enthalten. Darüber hinaus sind Erstausgaben von Bü-
chern weiterer verfolgter Autoren enthalten, sowie Biographien, Bücher zur Zeitgeschichte und Se-
kundärliteratur. Die Bibliothek ist in ihrer Gesamtheit einzigartig und in vergleichbarer Form nicht noch einmal herstellbar.

Die Sammlung Salzmann spiegelt umfassend die literarische Kultur, die von den Nazis vernichtet wurde. Sie bietet eine gründliche Basis für Dokumentation und Erforschung der NS-Literaturpoli-
tik, die im Spektrum der deutschen Erinnerungsarbeit bislang fehlt. Eine solche Form der Erinne-
rung an den 10. Mai 33 wie auch an das Ende der „Deutschen Freiheits-Bibliothek“ [eine von den Exilschriftstellern in Paris aufgebaute Sammlung, die 1940 den Nationalsozialisten in die Hände fiel und vernichtet wurde] entspricht den Vorstellungen von Herrn Salzmann, seine Sammlung möge nicht in bestehenden Bibliotheken aufgehen, sondern als ein kompaktes Zeugnis für sich weiter bestehen, öffentlich präsentiert und genutzt.“ (Wolfram Kastner)

Georg P. Salzmann will seine bislang private Sammlung in eine öffentliche Institution umwandeln, die auch als Präsenzbibliothek zur Verfügung steht: als zeitgeschichtliches und literaturhistorisches Denkmal, das literarisches Werk und Schicksal der von den deutschen Nazis verbotenen Schrift-
stellern erforschen und der Öffentlichkeit vermitteln soll …

Sammlungsbestand

Die Sammlung umfasst ca. 10.000 Bände. Sie beschränkt sich auf die „schöne Literatur“. Sie ent-
hält sowohl seltene Bücher, die vor 1933 gedruckt wurden (manche vom Autor signiert und gewid-
met), als auch Bücher, die zwischen 1933 und 1945 in Exilverlagen erschienen, und nach 1945 er-
schienene sowie Sekundärliteratur.

Von 77 Autoren ist das gesamte Werk nahezu vollständig in Erstausgaben enthalten. Soweit die Autoren in der Erstausgaben-Bibliografie von Wilpert und Gühring aufgeführt sind, befinden sich durchschnittlich 80 – 90 Prozent der Werke (von 30 Autoren vollständig) in Erstausgaben in der Sammlung (4.000 Bände), darüber hinaus weitere Bücher von Autoren, die dort nicht genannt sind. Häufig sind geschichtlich interessante zweite Ausgaben und Doubletten vorhanden.

Mehr als 20 Bücher sind von den Autoren signiert. (u.a. O.M. Graf, Stefan Zweig)

Von Stefan Zweig z.B. sind 170 Erstausgaben der zu seinen Lebzeiten erschienenen Bücher vor-
handen (Wilpert/Gühring 158), dazu sämtliche Insel-Almanache 1906 – 33, Briefwechsel und autobiografische Werke, veränderte Auflagen und Neuausgaben aus dem Nachlass. Unter den Erstausgaben befinden sich sehr seltene Werke, wie die Erstausgabe der „Schachnovelle“ (1942), die „Reise nach Russland“ (1928) mit handschriftlicher Widmung und „Sinn und Schönheit der Autographen“ (1935) mit handschriftlichem Titel. Einige Erstausgaben sind nummerierte Exem-
plare aus limitierten Auflagen.

Mehr als zwanzig der dokumentierten Autoren sind nicht bei Wilpert/Gühring aufgeführt (z.B. Egon Erwin Kisch, Irmgard Keun, Vicky Baum oder Theodor Lessing).

Darüber hinaus sind von einigen verfolgten Autoren Teile ihres Werkes in Erstausgaben (unsor-
tiert) im Buchbestand. Weitere Autoren, deren Schriften von deutschen Nazis und Akademikern sofort indiziert und verbrannt wurden, – wie Upton Sinclair und Jack London sind ebenfalls in kostbaren Erstausgaben gesammelt (ca. 2.000 Bände) …


zugeschickt am 26. Februar 2003

Überraschung

Jahr: 2003
Bereich: Gedenken