Flusslandschaft 2021

Gewerkschaften/Arbeitswelt

- Allgemeines

- Deutsche Bahn
- Bosch-Werke
- Groß- und Einzelhandel
- Klinikbeschäftigte
- Kunstbuchhandlung Walther König
- Pflegepersonal
- UniCredit Bank


ALLGEMEINES

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Erster Mai: Die vormittägliche Demonstration von der Schwanthalerstraße zum Königsplatz führt durch gespenstisch leere Straßen. Mittags spricht hier der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Hof-
mann, vor etwa 700 ZuhörerInnen. Er warnt vor einer „Transformation unserer Arbeitsgesellschaft durch Digitalisierung und Dekarbonisierung. Diese birgt die Gefahr, Ungleichgewichte noch zu verschärfen und die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer zu spalten.“ Von der Treppe der Anti-
kensammlung her ruft eine Gruppe wiederholt mit Megaphonunterstützung „Arbeiterverräter“. Zwei Polizisten machen sich auf die Suche nach den Störern, können sie aber nicht feststellen, weil sich schnell ein Menschenring um diese bildet. Ein Polizeieinsatz findet nicht statt. – Anders auf dem Rindermarkt. Anarchosyndikalisten kommen vom Bordeauxplatz in Haidhausen. Hier auf dem Rindermarkt beginnt die Kundgebung zum revolutionären Ersten Mai. Es wimmelt von Poli-
zisten. Ein alter Münchner steht neben zwei Damen vor dem Löwenturm am Straßenrand. Sie kommen ins Gespräch. Eine der Damen meint: „Ja so vui Polizei hab i’ scho’ lang nimma g’seng.“ Der Münchner deutet auf die Beamtinnen und Beamten und sagt. „Des san alles meine Leit.“ Die Dame: „Ja so was, des is’ ja allerhand!“ Darauf er. „As nexste Moi bring i’ no’ mehra mit.“ – Der Verantwortliche dieser Web-Seite begleitet die Demo noch ein kurzes Stück bis zum Jakobsplatz, dann zieht es ihn nach Hause. Später liest er im Polizeibericht: „Bei einer sich fortbewegenden Versammlung, bei der ca. 350 Teilnehmer vom Rindermarkt bis zum Zenettiplatz zogen, kam es zu vereinzelten Störungen, da hier insbesondere die erforderlichen Vorgaben in Bezug auf die Hand-
habung der Seitentransparente nicht eingehalten wurden. Hier wurden Einsatzkräfte aus der Ver-
sammlung heraus so angegangen (Tritte und Schläge), dass sie sowohl Pfefferspray als auch Schlagstöcke einsetzen mussten. Zudem wurde bei der Demonstration auch mehrmals Pyrotechnik gezündet.“2

Kleine Selbständige kommen unter die Räder, die großen Dax-Konzerne verzeichnen glänzende Bilanzen nicht zuletzt mit Hilfe staatlicher Subventionen. Und manche der ganz großen sind die Krisengewinner. Versandhändler Amazon konnte im letzten Jahr seinen Umsatz in Europa auf 44 Milliarden Euro steigern. Die Gewerkschaft ver.di und weitere Partner der Kampagne „Superreiche zur Kasse für die Kosten der Krise“ rufen zur Kundgebung und Demonstration am Samstag, 17. Juli, um 11 Uhr auf die Theresienwiese.


Aufgrund der Corona-Krise nahm die BRD neue Kredite in Höhe von 220 Milliarden Euro auf. 2021 wird sie für 180 Milliarden € weitere Kredite aufnehmen. Hauptnutznießer: Die Konzerne! Bevor diese Kredite die Allgemeinheit zurückzahlen muss, fordern ver.di München und ein breites Bündnis zum zweiten Mal: „Superreiche zur Kasse für die Kosten der Krise!“ Am Samstag, 17. Juli, beginnt um 10 Uhr eine Demonstration auf dem Stachus. Um 11 Uhr findet die Kundgebung auf der Theresienwiese statt. Aufgerufen hat das Bündnis „Superreiche zur Kasse für die Kosten der Krise". Alle vereint die Befürchtung, dass nach der Bundestagswahl die Kosten der Krise wieder auf alle verteilt werden und die, die einen größeren Beitrag leisten könnten, wieder verschont werden. Als Redner ist ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz angereist und verdeutlicht die Situation: „ln Deutschland gibt es 70.000 Superreiche, denen ein Viertel der Bundesrepublik ge-
hört", 38 Milliardäre und 1,2 Millionen Millionäre besitzen nach seiner Darstellung ein Vermögen in der unglaublichen Höhe von 13 Billionen (13.000.000.000.000) Euro. Dann spricht Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK. Ihr Hauptanliegen ist die Bekämpfung der Armut und nicht zu allererst die Bekämpfung des Reichtums: „In München ist jedes fünfte Kind von Ar-
mut betroffen. Das ist eine Schande.“ Kurze Beiträge gibt es von Rainer Baumgartner von der MVG und von lngrid Greif von den München Kliniken. Verschiedene Musikbeiträge, unter anderem von Tamara Banez und Roland Hefter bereichern die Veranstaltung.3 – Am 8. September kommt es zu einer symbolischen Aktion des Bündnisses auf dem Stachus. Robin Hood nimmt Dagobert Duck das Geld weg und gibt es den Armen.

Nichts spricht dafür, dass der globale Kapitalismus die Gattungsprobleme unserer Zeit, vor allem Armut und Ausbeutung, Naturzerstörung und Klimakollaps sowie rassistische und sexistische Unterdrückung und Demokratiezerstörung, zu lösen in der Lage ist. „Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiter-
klasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“4


DEUTSCHE BAHN

Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) will 1,4 Prozent Lohnerhöhung und eine Corona-Prämie von 600 Euro für das Jahr 2021 sowie eine Erhöhung um 1,8 Prozent für das Jahr 2022 erreichen. Die Beschäftigten stellen sich gegen eine weitere Flexibilisierung ihrer Arbeitszeiten von seiten des Konzerns. Außerdem will der Bahnkonzern die betriebliche Altersvorsorge kürzen, was sich die Beschäftigten nicht gefallen lassen. Die Gewerkschaft will im Personenverkehr ab Mitt-
wochfrüh, 11. August, bundesweit streiken. Reisende müssen sich bis Freitag, 13. August, auf starke Einschränkungen im Bahnverkehr einstellen.

Streikaufruf der GDL: Montag, 23. August, 2 Uhr bis Mittwoch, 25. August, 2 Uhr. Am Dienstag, 24. August, demonstriert die GDL um 14 Uhr in der Richelstraße 3 nahe der Donnersberger Brücke.5

Die Gewerkschaft ruft vom Donnerstag, 2. September, ab 2 Uhr bis Dienstagfrüh, 7. September, 2 Uhr zu einem fünftägigen Ausstand im Personenverkehr der Bahn auf. Im Güterverkehr soll der Streik bereits am Mittwoch beginnen.

BOSCH-WERKE

Die Truderinger Firma soll geschlossen werden. 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bis-
lang Einspritzventile und elektrische Kraftstoffpumpen für Verbrennungsmotoren fertigten, droht die Entlassung. Sie protestieren am Freitag, 3. September, mit einer Demonstration um 17 Uhr, die vor dem alten Gewerkschaftshaus in der Schwanthalerstraße 64 beginnt. Unterstützt wird die De-
mo von Klimaaktivistinnen und -aktivisten; die Hälfte der Belegschaft fordert nämlich, die Produk-tion umzustellen, um Wärmepumpen oder medizinische Geräte herzustellen.

GROSS- UND EINZELHANDEL

Die Tarifforderung der Gewerkschaft ver.di liegt seit Anfang Mai auf dem Tisch. Unter anderem fordert sie für die mehr als 600.000 Beschäftigten im bayrischen Einzelhandel 4,5 Prozent mehr Gehalt und 45 Euro mehr im Monat. „Nachdem die Beschäftigten in der Pandemie einen Umsatz-
rekord von 6,8 Prozent unter schwierigsten Bedingungen erwirtschaftet haben, boten die Arbeitge-
ber in den Verhandlungen am 8. Juni für 2021 eine Entgelterhöhung von nicht mal 1 Prozent an“, sagt Hubert Thiermeyer, ver.di-Landesfachbereichsleiter Handel und Verhandlungsführer in Bay-
ern. „Nicht genug, dass dieses Angebot für die Beschäftigten Reallohnverlust bedeutet, wollen sie diesen im nächsten Jahr mit einer Erhöhung von 1,4 Prozent festschreiben und die Gefahr der Al-
tersarmut dramatisch erhöhen.“ Bundesweit kommt es zu Streiks, so auch bei Rewe in München. Auf einer Protestkundgebung trägt ein Kollege ein Schild mit der Aufschrift „Zuerst wurde ge-
klatscht“, neben ihm steht eine Kollegin mit einem weiteren Schild „Jetzt kommt die Klatsche“.

KLINIKBESCHÄFTIGTE

Anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz in München sprechen am Mittwoch, 16. Juni, auf dem Max-Josef-Platz Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der bayrische Gesundheitsmini-
ster Klaus Holetschek. Gewerkschaftsmitglieder protestieren. Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvor-
stand lässt sich von den sichtlich verärgerten Ministern nicht einschüchtern und benennt konse-
quent die groben Versäumnisse in der Gesundheitspolitik und vertritt die Forderungen der Kolle-
ginnen und Kollegen. Auf dem Transparent der ver.di-Seniorinnen heißt es „Gesundheit ist ein Menschenrecht – und keine Ware“. Für die Berichterstattung in der ARD-Tagesschau dient es als Aufmacher. ver.di fordert: menschenwürdige Arbeitsbedingungen, eine bedarfsgerechte Personal-
bemessung, zeitgemäße Ausstattung, gute Löhne, gegen Outsourcing und Privatisierung – für eine Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand, die nicht der Profitlogik untergeordnet ist und nicht zuletzt auch für eine solidarische Finanzierung.

Ver.dianerInnen trommeln für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen der Klinikbeschäftigten. Die sind nämlich, besonders auf den Intensivstationen, im Dauerstress. Ein Drittel der Pflegerin-
nen und Pfleger denkt daran, den Job hin zu schmeißen. Um 16 Uhr beginnt am gleichen Tag, 16. Juni, auf dem Karl-Stützel-Platz eine Kundgebung. Trotz der drückenden Hitze ziehen dann die Demonstrierenden zur Abschlusskundgebung auf der Theresienwiese. Es sind nur wenig Klinikbe-
schäftigte bei der Aktion. Sie arbeiten nämlich oder erholen sich in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit.6

KUNSTBUCHHANDLUNG WALTER KÖNIG

Hier herrscht eine miese Stimmung. Anfang Februar 2021 fordern Werkstudenten gemeinsam mit der Basisgewerkschaft FAU die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, den Anspruch auf bezahlten Urlaub sowie den Erlass von während der pandemiebedingten Schließungen unrechtmäßig aufge-
bauten Minusstunden, welche unbezahlt abgearbeitet werden sollten. Daraufhin verzichtet der Chef, die Februar- und Märzlöhne zu zahlen. Die FAU fordert zur Zahlung auf und prompt kündigt der Arbeitgeber der Belegschaft. Kundgebungen vor Walther-König-Filialen in München, Wien, Münster, Frankfurt und vor dem Stammhaus in Köln machen klar: Das Maß ist voll. Vor dem Ar-
beitsgericht München finden Gütetermine für insgesamt zehn Beschäftigte statt. Hier muss Wal-
ther König finanzielle Zugeständnisse machen und sich von der Richterin belehren lassen, seine Arbeitsverträge zu überarbeiten und dem geltenden Arbeitsrecht anzupassen. Ergebnis: Der Lohn wird von 9,85 € auf 10,60 € angehoben, ein Teil der illegalen Minusstunden ist vom Tisch und es wird eine kleine Corona-Prämie bezahlt. Zudem werden neuen Werkstudenten nun verbesserte Arbeitsverträge vorgelegt. Aber so ganz zufrieden können die Gewerkschafter nicht sein: Die gefeu-
erten Beschäftigten müssen sich fast alle neue Jobs suchen, einzelne müssen wochenlang auf das vor Gericht zugesagte Geld warten.7

PFLEGEPERSONAL

Am 28. März fordern 200 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter von 14 bis 16 Uhr auf dem Marienplatz eine gerechte Vergütung und öffentliche Anerkennung des Pflegepersonals.

UNICREDIT BANK

Am 11. Oktober streiken von 0_01 bis 23.59 Uhr die Beschäftigten aller Zentral- und Filialstandor-
te in München. Sie fordern Gehalt:
 4,5 Prozent auf 12 Monate, mindestens 150,— Euro monatlich als soziale Komponente.
 Regelungen, die eine analoge Dynamisierung der übertariflichen Gehälter und eine gleiche Be-
zahlung gleicher Tätigkeiten sicherstellen.
 Beschäftigte sollen eine Wahlmöglichkeit bekommen, ob sie die vereinbarten Tarifsteigerungen
in Form von mehr Geld oder mehr Freizeit erhalten.
 eine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 150,— Euro.
Und sie fordern mobiles Arbeiten:
 Beschäftigte haben einen Anspruch auf mobiles Arbeiten (inkl. mobiler Arbeit von zu Hause)
von 20 bis zu 60 Prozent ihrer Arbeitszeit.
 Eine Erstausstattungspauschale in Höhe von 1.500,— Euro für Beschäftigte, die mobil arbeiten.
 Regelungen für eine gute und sichere mobile Arbeit, insbesondere zum Datenschutz, dem Ar-
beits- und Versicherungsschutz und zu den virtuellen Zugangsrechten von ver.di.


1 Grafik: Bernd Bücking. In: Bilanz 2020. Ausblick 2021. Fakten und Argumente zur wirtschaftlichen Situation in der Pandemie, isw-wirtschaftsinfo Nr. 58, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V., März 2021, 6.

2 Siehe die Bilder vom „ersten mai 1“ von Frieda von Bülow, vom „ersten mai 2“ von Günther Gerstenberg und vom „ersten mai 3“ von Ottmar Kraus.

3 Siehe die Bilder von der Kundgebung und Demonstration „superreiche zur kasse A“ am 17. Juli von Peter Brüning und „superreiche zur kasse B“ von Günther Gerstenberg.

4 Charlie Marx, Lohn, Preis, Profit In: MEW Bd. 16, 152.

5 Siehe https://www.gdl.de/OG-Steinhausen/Startseite und https://www.gdl-m.de/. Siehe die Bilder der Kundgebung „streik der GDL“ vom 24. August von Peter Brüning.

6 Siehe die Bilder der Kundgebung „solidarisch mit den klinikbeschäftigten“ vom 16. Juni von Richy Meyer.

7 Siehe www.fau-m.de.