Materialien 1968

Kein willfähriger Konsument


Werbekiller Nils Weijers, während seiner Zwischenstation in München
aufgenommen von Ulrich Handl

Gleichmäßig rattert es aus dem Gebüsch. Gut gezielte Maschinenpistolenschüsse. Konvulsivisch sackt ein junges Paar in sich zusammen. Schöne runde Einschusslöcher …

Ein Auditorium erhebt sich geschlossen, während langsam ein Vorhang fällt. Vier Mark zusammen geschnorrt – das will was heißen. Soll Clara erst mal schaffen. In zehn Minuten. Am Ausgang des Kinos erwartet mich eine Pistolenmündung. Damit habe ich gerechnet. Ich beachte sie nicht.

Der 45er liegt schwer in der Hand einer Puppe, die mir verrät, was die Welt trägt. Eure Welt. Ju-
gend trägt, was gefällt. Schön ist das, im Gangster-Outflt herumzulaufen. So – wie ich’s eben gese-
hen habe.

Wie gut – ich bin gefeit gegen alles, was Werbung heißt. Ich stehe außerhalb der Gesellschaft. Seit man’s mir gesagt hat. Ich bin kein Gangster. Ich will nicht so aussehen. „Gangster!“ Natürlich – die Frau, die Deutschlands besten Kaffee kocht. Das sagt sie mir, der ich zwei Blumen eben geklaut habe.

„Er hat Erfolg.“ Nett sieht er aus – mit weißer Mütze und blauer Uniform. Die Silberknöpfe strah-
len richtig vom Plakat herunter. 648,73 Anfangsgehalt. Das ist gehaltvolle Stellenwerbung. Das be-
rührt mich nicht. Ich habe mit Werbung nichts zu tun. Ich bin frei. Schön ist das. Ich habe viele Freunde. Wie Eduard mit der Plakette: „I love buttons!“ Er hat sie billig bekommen. Von Frank, der den Poster-Shop hat. Der immer „Pulverkaffee“ sagt. Und „Papiertaschentücher“. Neulich hat er mir Metallpfeifen empfohlen. Ich bin gegen Werbung. Hab mir also eine hundsgewöhnliche ge-
kauft. In irgendeinem Laden.

Natürlich haben sie mich wieder erwischt. In der Straßenbahn. Das ist zu viel. Darauf muss ich einen trinken. Ich sag immer: „Einen Pennerschnaps.“ Go hat ihn noch für –,70. Rita macht die Hemden für mich. „Garantiert indische Ware“, sagt sie. Die Beatles waren ja auch da, meint sie. Sie hasst auch Werbung. Cola schmeckt ihr nicht. Sie trinkt immer Birnensaft. Oder Milch. Wir ken-
nen nicht die Kühe, keine Ahnung von ihrem Gefühlszustand. Ich lese nie Zeitung. Nie mehr. Ich lese überhaupt nicht mehr. Enteignet! Sollen sie machen, was sie wollen. I’m free.

Neulich auf der Demonstration – ich bin ganz zufällig vorbeigekommen – wollten sie den Sender stürmen, eine eigene Sendung wollten sie haben. Angeeignet. Das zu wissen ist schön.

Ich hab’s gleich Andy erzählt, der immer mit diesen Boots rumläuft. „Die halten lange“, sagt er. Er ist auch gegen Werbung. „Gammler!“ Das war Trulli. Die spinnt. Die arbeitet nämlich noch. Fällt noch auf Stellenannoncen rein. Das ist doch auch Werbung, meine ich. Ich will frei sein. Darum mache ich, was ich will. Erkenntnis. Das ist schon ein Wort. Wir haben das mal aufgeschrieben. In unserer Untergrund-Zeitschrift – „Turn on“ heißt sie. Eddy hat sie gedruckt. Er ist durch alle Knei-
pen gerannt, wo so Leute wie ich rumhängen. Eddy meint auch: Werbung ist Scheiße. Darum macht er’s selbst.

Nächste Woche treffen sich unsere Leute in Kopenhagen. Ich muss noch das Geld zusammen schnorren. Wahrscheinlich werde ich trampen. Für uns macht natürlich keiner Public Relations, so ungefähr: „Autofahrer! Auch ein Tramp hat seine Geschichte! Hast Du sie schon gehört?“ Nein, da erzählen sie was von ÜberfäIlen und so. Enteignen! Ist schon richtig so.

Ich bin auch gegen Buttons. Ich schreib das immer selbst auf Papier. Gänsekiel müsste man haben, sagt Andy, sind so schwer zu kriegen. Quatsch, lieber Filz, meint Corry. Mit Softspitze. Er hat’s noch nicht erkannt. Er ist noch garnz Verbraucher. Ich hab’s ihm nicht ausreden können. Ich hab’s überhaupt aufgegeben, jemand was auszureden. Ich bin inzwischen ganz frei. Völlig unbeeindruckt von Politik, Moral, gesellschaftlicher Norm. Meine Welt ist meine Familie, mein Staat, mein Zu-
hause, meine Freunde. Meine Welt sind die Blumen, die Vögel, die Farben, das Meer, die Wolken. I’m cool. Ich höre mir indische Sitarmusik und die Beatles an. Manchmal blase ich auch auf dem Kamm. Unzerbrechlich ist der. Der hält dann länger.

Zu Hause – ich wohne so in einer Bude mit ein paar Leuten – haben wir Psychedelic Posters an der Wand. Neulich habe ich Mimi eines geschenkt, sie will mal Graphikerin werden, so als Studienma-
terial. Ich hab sie mal gefragt – ganz heimtückisch – was sie eigentlich von Werbung hält. Da hat sie einen ganz seltsamen Glanz in die Augen bekommen. So muss Columbus drein geblickt haben, als er Amerika entdeckte. Dann hat sie mir einen Kaugummi in die Hand gedrückt und ihre Pfeife angezündet. Ob ich nicht Lust hätte, auf ihre Schule zu gehen, hat sie mich gefragt. Sie hat’s auch noch nicht begriffen.

Ich hab glatt die Horrors bekommen und bin zu Joini gegangen. Da bin ich ganz sicher. Der hat meinen Sense. Er weiß es. Er ist auch gegen Werbung. Seit er jeden vierten Tag auf einen LSD-Trip geht, weiß er es. Überhaupt alles. Und nichts kann ihn davon mehr abbringen. Er liest immer die International Times. Da weiß er gleich, wann die „Mothers“ ihre neue Platte herausgebracht haben. Wir haben uns hingesetzt, Tee getrunken – er nimmt immer englischen und waren ganz relaxed.

Ich hab dann nichts mehr gesagt. Nur musste ich die ganze Zeit daran denken, dass es Zeit wird, neue Jeans zu besorgen. Ich meine, sie sind so praktisch für unsereins. Das hat sich so ergeben. Das ist Erfahrung, meine ich. Mit dem Stoff oder dem Ursprungsland hat das doch gar nichts zu tun. Überhaupt nichts. Vor allem nichts mit Werbung. Ich bin frei. Ich lobe mir den Duft der gro-
ßen weiten Welt.

Nils Weijers,
nach zehn Tagen Aufenthalt in München weiter getrampt in Richtung Kopenhagen


Graphik 8 vom August 1968, München, 33 f.

Überraschung

Jahr: 1968
Bereich: Jugend