Materialien 1974
Herr Redaktör, die Zeiten werden schwör!
Gerüchte und Heimlichkeiten zwischen den Münchner Pressehäusern
Entweder das Pressehaus in der Bayerstraße oder das Pressehaus in der Sendlingerstraße soll seinen Geist aufgeben. Das watten sie gerade miteinander aus. Nachher kann es dem Münchner egal sein, ob er sich aus der TZ oder der SÜDDEUTSCHEN, aus der AZ oder dem MERKUR in-
formiert. Voraussichtlich ist es ab Januar 75 so weit. Wer nicht zur BILD-München-Ausgabe greifen will (130.000 Exemplare), muss sich über ein Münchner Ereignis dann aus dem TZÜD-
DEUTSCHEN ABENDMERKUR informieren. Vermutlich werden die 4 Zeitungen sich mehr durch ihre Schrifttypen als durch ihre Ansichten unterscheiden. Die Heimlichkeit der Vorgänse ist erklärlich, kratzen sie doch leicht am Grundgesetz. Betroffen sind die Grundrechte auf Informa-
tionsfreiheit, auf freie Meinungsäußerung und das Recht der freien Wahl des Arbeitsplatzes.
Was bisher geschah:
1. HEIMLICHKEIT:
Drahtzieher Klaus Wagner gesteht am 16. im Hamburger Informationsdienst „text intern“: „Es ist richtig, dass Kooperationsgespräche zwischen dem MÜNCHNER MERKUR und der SÜDDEUT-
SCHEN ZEITUNG stattfinden, jedoch ausschließlich auf dem Gebiet des Vertriebes, genauer gesagt der Zeitungszustellung im Abonnement.“ Verlagsdirektor Wagner vom Süddeutschen Verlag sagt nur die halbe Wahrheit. Aus den Gesprächen ist schon Realität geworden, und zwar für sämtliche Zeitungen aus der Bayerstraße und der Sendlinger Straße. Nachzulesen im vorvorvorigen Stuttgar-
ter Informationsdienst „kress report“ am 18. April: „Beide Häuser testen zur Zeit in einem Teilge-
biet der Region München die gemeinsame Zustellung aller vier Blätter an die Abonnenten. (Auch die Kaufzeitungen ABENDZEITUNG und TZ haben einen Abo-Stamm; bei der AZ sind es gar rund 40.000). Ziel ist die gemeinsame Trägerorganisation für die gesamte Region München – wobei im Moment noch nicht geklärt ist, ob es bei einer Arbeitsgemeinschaft bleibt oder ob eine gemeinsame Firma für diesen Zweck gegründet wird.“
Nach meiner Schätzung sind 300 Zeitungsausträger dadurch brotlos geworden, dass die angebli-
chen Konkurrenzblätter seit April in einer gemeinsamen TZÜDDEUTSCHEN ABENDMERKUR-Tasche zusammengelegt werden. Es kommt noch dicker.
2. HEIMLICHKEIT:
Die SZ bezieht ja nur ein knappes Viertel ihrer Einkünfte aus dem Zeitungsverkauf, aber Dreivier-
tel (77,5 %) ihres Umsatzes macht sie mit Inseraten. Also ist die wirtschaftliche Verflechtung der Anzeigenabteilungen die schwerwiegendste Belastung für die Unabhängigkeit der Zeitungen. Aber diese wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Bayerstraße und der Sendlinger Straße ist beab-
sichtigt. Laut „kress report“ vom 16. Mai: „Eine Anzeigenkombination SÜDDEUTSCHE ZEITUNG/ MÜNCHNER MERKUR und eine Kombination ABENDZEITUNG/TZ – also ein Abo-Zeitungs-
kombi und eine Boulevard-Kombi: Das wäre das Angebot an den Anzeigenkunden … Welcher der beiden Verlage die Feder führen würde, lässt sich auf der Manschette ausrechnen. Aber auch, dass die eine Superabteilung einen geringeren Personalbedarf haben wird als die beiden jetzt bestehen-
den Anzeigenabteilungen. Beides, die Kombination und die kombinierte Abteilung sollen keines-
falls vor dem 1. Januar 1975 Wirklichkeit werden.“
1. Januar 1975 ist auch noch in anderer Hinsicht ein interessantes Datum. Das Redaktionsstatut der ABENDZEITUNG „kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Ende des 1. Kalenderquartals gekündigt werden, erstmals jedoch zum 31. März 1975“ (AZ am 22.8.72). Ehestmöglicher Kündi-
gungstermin also am 1. Januar 1975 …
SPEKULATION:
Wenn die Pressehäuser in der Bayerstraße und in der Sendlinger Straße 100 Prozent ihrer Einnah-
men zusammenwerfen – nämlich die aus den Vertriebs- und Anzeigenabteilungen – was macht das schon den Redaktionen aus. Hauptsache ist doch, die Redakteure dürfen das Geld in aller Freiheit verwursteln.
Aber das erlauben die Zeitungsbesitzer von der Bayerstraße und der Sendlinger Straße ja nicht. Sie wollen mit ihren Redakteuren umspringen, wie Unternehmer es mit Arbeitskräften seit jeher tun. Es gibt kein Pressegesetz, das die Redakteure in Schutz nimmt. Es gibt von der F.D.P. beschlossene „Leitlinien einer liberalen Medienpolitik“, die aber nur ein Vorschlag sind und schon den Protest der Verleger hervorrufen. In einem „Offenen Brief an die F.D.P.“ (in der SZ am 24.11.73) werfen die Verleger dem F.D.P.-Plan vor: „Die Presseunternehmen sollen praktisch in zwei Teile – Verlag und Redaktion – gespalten werden.“ Das wollen die Kapitalisten sich nicht gefallen lassen. Sie verlan-
gen die ungeteilte Macht über Druckmaschinen wie über Redakteure. Unterschrieben wurde dieser Anspruch auch von Alfred Neven DuMont (10 Prozent-Besitzer der ABENDZEITUNG) und von Hans Dürrmeier (Verlagsleiter der AZ und des Süddeutschen Verlags, außerdem Landesvorsitzen-
der des Bayerischen Verlegerverbandes). Der Hans Dürrmeier ist vielleicht weniger auf Expansion erpicht als seine Kapitalgesellschafter. Als der alte Herr, Jahrgang 00, vor 3 Jahren seinen 10-Prozent-Besitz der AZ nach Köln verkaufte, waren die Münchner Verleger auf ihn so wütend, dass er sich in der Gesellschafter-Versammlung durch einen Rechtsanwalt vertreten ließ. Die Dürr-
meier-Gesellschafter hätten lieber das Besitztum in München zusammengehalten. Sie haben sich jetzt im April auch um die Monopolisierung der Stuttgarter Zeitung sehr verdient gemacht. Sie verkauften ihren 80-Prozent-Besitz der STUTTGARTER NACHRICHTEN dem Konkurrenzblatt STUTTGARTER ZEITUNG. Seitdem gibt es in Stuttgart nur noch einen Zeitungskonzern, der von der Schwäbischen Alb bis hinab in die Rheinpfalz mit 744.000 Zeitungsexemplaren eine Meinung produziert. Zu den glücklichen Besitzern des Stuttgarter Zeitungsmonopols gehört die Familie Huck, die 50 Prozent auch vom Zeitungsverlag in der Bayerstraße besitzt.
Vielleicht wäscht eine Hand die andere. Mal sehen: 37,5 Prozent des Besitztums Pressehaus Bay-
erstraße gehören dem Dr. Felix Buttersack, der so alt wie Dürrmeier ist. Buttersack hat keine Nach-
kommenschaft. Seine 37,5 % werden bald verhökert – an den Süddeutschen Verlag? Ich weiß nicht, ob das überhaupt noch nötig ist. Wenn die Pressehäuser in der Bayerstraße und Sendlinger Straße zusammensteuern, bringt die TZÜDDEUTSCHE ABENDMERKUR täglich 845.000 Zei-
tungsexemplare auf den Markt. Miteinander verlegen sie jetzt schon wöchentlich 20.000 Exempla-
re BAYERISCHE STAATSZEITUNG – BAYERISCHER STAATSANZEIGER und machen Halbe-Halbe.
Für den – ich möchte sagen: – Reibach aus dem Stuttgarter Zeitungshandel kaufte der Süddeut-
sche Verlag in München ein paar wöchentlich erscheinende Anzeigenblätter. Richtig solche Blätt-
chen, die unaufgefordert in jeglichen Briefkasten gestopft werden. Dabei fällt mir ein: es ist schon vorgekommen, dass der MÜNCHNER MERKUR eine Stellungnahme des DGB nicht mal als be-
zahlte Anzeige aufgenommen hat. Die Stellungnahme des DGB sollte ein Beitrag zur Lehrlingsbei-
lage des MERKUR sein. Künftig darf der DGB seine Meinung vielleicht nicht einmal in ein schä-
biges Anzeigenblättchen einrücken. Wenn die Pressehäuser Bayerstraße und Sendlinger Straße miteinander verheiratet sind, gehören die Anzeigenblättchen auch dem MÜNCHNER MERKUR.
3. HEIMLICHKEIT:
Die STUTTGARTER NACHRICHTEN und die STUTTGARTER ZEITUNG werden weiterhin mit verschiedenen Schrifttypen gesetzt. So wird dem Stuttgarter Zeitungsleser nicht auffallen, wie ähnlich sich die beiden Zeitungen im Inhalt werden. Nachdem sie jetzt beide im gleichen Lohn schreiben, erübrigt sich aber natürlich eine Redaktion, und ein divergierendes Meinungs-Spek-
trum innerhalb der Redaktion brauchen die Stuttgarter jetzt auch nicht mehr.
Im „kress report“ vom 16.5. wird das so gemeldet: „DIE STUTTGARTER ZEITUNG ist um einen sogenannten Personalabbau bemüht, indem sie sich schlicht auf die ‚natürliche Fluktuation’ verlässt, das heißt, freiwerdende Stühle nicht oder nur im Notfall wieder besetzt. Bei den STUTT-
GARTER NACHRICHTEN soll die Bezirksredaktion reduziert werden, und irgendwann wird die zusammen mit der Südwestpresse produzierte Wochenendbeilage SÜDWESTMAGAZIN durch das Supplement IWZ ersetzt.“
Die Stuttgarter Zeitungsredakteure sitzen nun alle auf recht wackligen Stühlen. Bevor einer in seiner Redaktion auf den Tisch hauen will, darf er gleich seinen Hut nehmen und die Stadt verlas-
sen. In Stuttgart kann er jedenfalls keinen neuen Job mehr finden. Wohin dann? 40 Prozent des bundesdeutschen Zeitungs-Landschaft sind bereits so monopolisiert worden wie jetzt auch Stuttgart. Vermutlich reden Redakteure mit Muffensausen ihren Verlegern ganz unwillkürlich nach dem Mund.
Sind die Redakteure beim TZÜDDEUTSCHEN ABENDMERKUR einen Deut meinungsfreudiger? Ich wage es nicht zu beurteilen, ich habe nur mit zwei von ihnen gesprochen, deren Namen und Position ich bitte vertuschen soll. Wenn sie mir kein Gerücht erzählt haben, ist es eine Denksport-
aufgabe:
Ein Münchner Journalist von der Zeitung A wollte etwas ähnliches schreiben wie: „Rektor Lobko-
wicz lässt die Ordnung seiner Universität in den Polizeigriff nehmen.“ Damit drang der Journalist aber bei seinem Vorgesetzten nicht durch. Weil der Journalist sich bei der Zeitung A nicht zum ersten mal frustriert fühlte, bewarb er sich bei der Münchner Zeitung Z. Aber der Ressortleiter bei der Zeitung Z wies den Journalisten ab. Begründung: „Unsere beiden Pressehäuser haben einen Austauschstop vereinbart. Wir dürfen keinen von Euch nehmen, Ihr dürft keinen von uns einstel-
len.“
Preisfrage: Wie tapfer soll der Journalist bei A seine Ansichten verteidigen, wenn ihn Z nicht neh-
men darf und günstigstenfalls die BILD-Redaktion als nächster Arbeitsplatz offensteht? Im „kress report“ vom 18.4. lese ich die Andeutung, dass die Verlagshäuser Bayerstraße und Sendlinger Stra-
ße „gewisse Absprachen über die gegenseitige Abwerbung von Redakteuren“ treffen. Schade, dass dieses Gerücht nicht schleunigst widerlegt wird durch einen lebhaften Personaustausch zwischen AZ, TZ, MERKUR und SZ.
STERBENSWORT:
Der Schweige-Chor der 4 Münchner Zeitungen nimmt keine Notiz von den Gerüchten, die sogar in Hamburg schon laut diskutiert werden. Verleger Dr. Gerd Bucerius (von ZEIT und WIRT-
SCHAFTSWOCHE) sagt am 14.5.74 im Hörfunk NDR 2: „…wir erleben in diesen Wochen eine Konzentrationsbewegung, die nur deshalb keine Aufregung verursacht hat, weil sie unter der Hand geschieht. Ich bin überzeugt, dass wir in ganz kurzer Zeit erfahren werden, dass die SÜDDEUT-
SCHE ZEITUNG mit dem MÜNCHNER MERKUR, der KÖLNER STADTANZEIGER mit der KÖL-
NISCHEN RUNDSCHAU, dass die beiden Bremer Zeitungen in der gleichen Weise kooperieren werden – wie diese Verlage es schamhaft nennen –, wie das im Raum Stuttgart geschah. Bitte keine Vorwürfe gegen diese Unternehmen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig.“
Bei mir, Herr Nachbar, finden die armen Münchner Zeitungsverleger Verständnis. Gezwungener-
maßen basteln sie daran, dass ihr Zeitungskonzern immer größer und konkurrenzlos wird, weil das die Krise ist. Wenn keine Krise wäre, hätten sie bestimmt das Gegenteil gemacht.
v. Hase
Blatt. Stadtzeitung für München 24 vom 31. Mai 1974, 7 f.