Materialien 1974

kollektiv rote rübe presents TERROR

walter rauff, einstmals im großen deutschen reich kommandant des kz ravensbrück, dann wegen der mißlichen lage nationalsozialistischer gesinnungsgenossen nach dem kriege nach chile ausge-
wandert, bei freunden in chiles herrschaftsschicht neu angesiedelt, wurde unmittelbar nach dem großmassaker der chilenischen militärs von seinen freunden, den befehlshabern und organisatoren des gewaltstreiches am volk, als hochspezialisierter fachmann im folterwesen damit beauftragt, in der salpeterwüste chiles das kz chacabuco einzurichten, und, gelernt ist gelernt, die gefangenenbe-
treuung in der von ihm geschaffenen mord- und folterfabrik zu leiten.

seine qualifikationen auf dem gebiet des massenmordes veranlassten die retter chiles weiter, ihm den auftrag zukommen zu lassen, ein todesschwadron aufzustellen: die DINA, eine milizeinheit, ähnlich aufgebaut wie bei uns in der bundesrepublik das MEK, das mobile einsatz kommando der polizei, ähnlich geschult und, ebenso wie bei uns, bekannt dafür, dass es sich häufiger als man glauben mag, in notwehr befindet und aus dieser zwickmühle sich allemal durch erschießungen vermeintlicher kommunisten befreit. wie bei uns in der bundesrepublik das mek der polizei, er-
schießen mitglieder der DINA die ihnen verdächtigen auf der flucht. Allerdings – und das ist in der heute grausamsten und blutigsten diktatur der welt, in chile anders als bei uns, in der demokra-
tisch beherrschten bundesrepublik – sind jene aus deutscher nazizeit bekannten mordarten „er-
schießen auf der flucht“, „erschießen in notwehr“ im terrorregierten andenstaat tatsächlich mord und verbrechen, während in unserem lande der tod eines kommunistenschweines durch polizeili-
che terrorspezialisten immerhin der rechtstaatlichen verfassung dient und damit tatsächlich in jedem falle notwehr ist.

das ist eben der unterschied zwischen diktatur und demokratie.

… halten wir uns nicht damit auf, was in chile und brd heute rechtens ist, halten wir uns nicht durch schwadronieren um ein paar zigtausend ermordete auf. damit locken wir keinen müden hund mehr hinter den ofen hervor. gehen wir lieber ins theater: schauen wir uns an, was die roten rüben zu zeigen haben: „terror“, eine cafe- und straßenrevue, erarbeitet, geschrieben und insze-
niert vom kollektiv rote rübe. starring: hans georg berger, ludwig böttger, hans peter cloos, katja rupe, magdalena thora. musik und songtexte nach vorlagen des kollektiv rote rübe: constantin amadeus wecker.

ich möcht nicht einem boxringrichter gleich, die leistungen der schauspieler nach punkten loben oder beschimpfen. ich will auch als kulturgourmet auftreten und dem leser leckerbissen theatra-
lischer könnerschaft verheißen. alles unsinn. selten gute, knappe, wirksame, spannungsreiche agitation, ohne dokumentarballast. szenen, die den erniedrigenden und tödlichen terror am ge-
samten chilenischen volk in seiner alltäglichkeit und allumfassenheit dem zuschauer eindringlich demonstrieren, die ihn erkennen lassen, dass keine papierenen heroen und göttergleichen helden den kampf gegen blutgier und ausbeutung kämpfen, sondern dass lebendige menschen, menschen mit skrupeln und gewissen, ihren privaten sorgen und nöten tun, was sie tun können, im elemen-
tarsten sinne kämpfen, dabei oft um ihr nacktes leben rennen, um nicht aufgeben zu müssen, um nicht sterben zu müssen, vor denen, die jedes menschenrecht, selbst das, zu leben vernichten bis in seine tiefsten wurzeln; vor general pinochet und seinen horden, vor den eiskalten, unanfechtbaren schreibtischkillern des cia, des itt-elektrokonzerns, der farbwerke hoechst, der bergwerksgesell-
schaften und großbanken.

was im bühnenstück der roten rüben angeprangen wird, hier theater, kunst, beispiel, ist in chile bittere wirklichkeit. das gilt es sich vor augen zu halten. seht euch die roten rüben an! – und zieht aus dem gesehenen die konsequenzen. setzt euch ein für ein ende des todesregimes. überlegt: es gibt viele arten, sich am kampf gegen international accreditierte mörder zu beteiligen. 2 mark 50 halten einen chilenischen untergrundkämpfer einen tag lang über wasser. es gibt sehr viele chile-
nische untergrundkämpfer – und es gibt viele leute bei uns, die sich mit den kämpfenden solidari-
sieren. tut mehr als reden! schickt geld an sonya larthe, Kt.Nr. 35153062, kennwort „rote rübe“, deutsche bank, münchen.

und noch was:

wenn ihr fragen habt über das wesen der chilenischen militärjunta, will euch vielleicht ein freund jener volkshelden in chile, selbst grundbesitzer und nutznießer am tod von 40.000 chilenen, an folter und schärfster unterdrückung im andenlande, gerne auskünfte aller art geben. hier seine adresse: dr. fritz bomüller, 8 münchen 40, rümannstr. 61, tel. 36 42 55

anatol


Blatt. Stadtzeitung für München 26 vom 28. Juni 1974, 5.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Internationales