Materialien 1974
BKOOM!
TODESSTRAFE IN DER BRD BEI ZAHLUNGSVERWEIGERUNG
Vorspiel: Am Morgen seines 18. Geburtstages teilte Michael K. dem Finanzamt in lakonischer Kür-
ze mit, dass er sich fürderhin weigere Steuern zu zahlen, da er keines der Staatsprojekte unterstüt-
ze.
Ein Jahr später forderte das Amt den Kleinverdiener Michael K. auf, 134,70 DM Lohnsteuer zu überweisen. Freundlich schrieb Michael K. zurück, dass er für Unterkunft, Strom, Wasser, Müllab-
fuhr, Verkehrsmittel, Krankenkasse und Altersrente seine Beiträge entrichte, aber auf Militär, Po-
lizei, Regierung, Bürokratie, Repräsentanz, Gerichte, Gefängnisse, Autobahnen, Olympische Spiele und sonstige Staatsprojekte verzichte, sie also auch nicht zu finanzieren gedächte. Daraufhin er-
wirkte das Finanzamt beim zuständigen Gericht den Beschluss zur Steuereintreibung durch Ge-
richtsvollzieher. Als Michael K. den Beamten mit den Worten „Wie du siehst, weiß ich mich selbst gegen Räuber zu schützen“ aus seiner Wohnung warf, verstand noch niemand die Zusammenhän-
ge.
In Güte versuchte das Gericht Michael klarzumachen, dass dies alles auf Grund von Gesetzen, die demokratisch zustande gekommen seien, seine Ordnung habe und er sich doch wegen eines solch lächerlich geringen Betrages keine Schwierigkeiten machen solle. Auf Grund dieser eindeutigen Drohung kaufte sich Michael K. ein Schnellfeuergewehr, Munition und Handgranaten zur Selbst-
verteidigung.
Nachdem der zweite Versuch des Gerichtsvollziehers, der samt Gerichtsbeschluß sowie vier Poli-
zeibeamten erschien, angesichts des Gewehrlaufs in die Wohnung einzudringen, fehlschlug, brach-
te Michael K. ein Schild an seiner Wohnungstür an, das Uniformierten und amtlichen Ausweisträ-
gern bei Lebensgefahr untersagte seine Wohnung zu betreten, da er weder den Staat, noch seine Gesetze und Gerichte, noch seine Handlanger, noch seine Mehrheitsentscheidungen anerkenne und ihn auch bis heute niemand danach gefragt habe, er sich also an nichts als sein eigenes Gewis-
sen gebunden fühle. Zudem mögen die uniformierten Räuber wenigstens so ehrlich sein, in offener Räuberart „Geld oder Leben“ zu rufen, wenn sie bei ihm anklopften.
DIE EXEKUTION
Aufgrund dieses Sachverhalts wurde schließlich die Spezialtruppe des Innenministers, 200 Mann Bereitschaftspolizei und sechs Streifenwagen der Stadtpolizei eingesetzt, das Gebäude abgeriegelt, Scheinwerfer und Lautprecher auf das Fenster gerichtet, vier Kriminalbeamte mit gezückten Pisto-
len hochgeschickt und Michael K. Aufgefordert, keinen Widerstand zu leisten und sich den Anord-
nungen der Polizei zu fügen. Scherzhaft rief einer der Beamten „Geld oder Leben“, als er die Woh-
nungstür aufbrach, und erkannte den Ernst der Lage erst, als eine Kugel seinen Waffenarm lähmte. Seine Kollegen, zu überrascht, schossen schlecht, zwei von ihnen starben im Treppenhaus.
Damit begann die Belagerung. Fernsehen und Presse waren dabei, konnten miterleben, wie Micha-
el K., der Kriegsdienstverweigerer, zwei weitere vorwitzige Beamte durch Kopfschuss tötete und andere leicht bis schwer verletzte.
Am Abend endlich gelang es einem der Scharfschützen des Sondertrupps „Staatssicherheit“, Mi-
chael K. vom Dach des gegenüberliegenden Hauses aus durch Kopfschuss auszuschalten.
Rosa L., die Freundin des Michael K., wurde darüber so wütend, dass die Gewehrunkundige den zwölf, das Treppenhaus hochstürmenden Bereitschaftspolizisten, eine abgezogene Handgranate und das Wort „Mörder“ entgegenschleuderte, bevor sie selbst unter einer MP-Garbe starb. In dem engen Treppenhaus überlebten nur zwei Beamte die Detonation. Sie beziehen heute eine Unfall-
rente und sind zu 80 % erwerbsunfähig.
NACHSPIEL: Die Schlagzeilen des nächsten Tages besagten etwa gleichlautend: „WAHNSINNS-
TAT EINES HILFSARBEITERS KOSTETE 18 MENSCHENLEBEN“. Der Polizeipsychologe erklärte in einem Kommunique der Polizei: „… dass der Hilfsarbeiter Michael K. und seine Freundin Rosa L. wohl geistesgestört waren, da sie in vollkommener Mißachtung der Realitäten, selbstzerstöre-
risch gehandelt hätten.“ Über den Geisteszustand der getöteten Polizeibeamten wurde nichts be-
kanntgegeben.
Die Kosten der Polizeiaktion, samt Unfall-, Witwen-, und Waisenpensionen, Gerichts-, Munitions- und Bestattungskosten, einschließlich Renovierungskosten werden auf etwa eineinhalb Millionen geschätzt.
Blatt. Stadtzeitung für München 26 vom 28. Juni 1974, 11.