Materialien 1974

„Sanierung“ in Haidhausen

Nun hat also die SPD in Haidhausen ein großes Propagandazelt aufgestellt, mit vielen Farbfotos von schönen Häusern und lachenden Kindergesichtern, mit graustichigen Schwarzweiß-Fotos von abbröckelnden Fassaden und schmutzigen Klos. Es wird dort vermerkt, dass man endlich soziale Einrichtungen wie Horts, Kinderkrippen undsoweiter brauche, und zur Untermalung zeigt man ein Foto von einem viel zu kleinen Haus, in dem viel zu viele Kinder untergebracht sind. Jener Kinder-
garten steht peinlicherweise just in der Kellerstraße neben den (auf dem Foto nicht sichtbaren) Trümmern des Gasteigspitals, das, als es noch stand, mehr Raum für soziale Einrichtungen gebo-
ten hat, als die SPD wohl je hätte ausfüllen können.

Die reine Augenwischerei ist die Feststellung, die SPD verstehe unter Sanierung nicht hässliche Riesenklötze wie Franziskanerhof, Motorama und Pentahotel: OB Kronawitter selbst appellierte bezeichnenderweise in seiner Eröffnungsrede an die alten Haidhauser, sie sollten vor allem an die zahlungskräftigen jüngeren Leute denken, die nach ihnen kämen. Also doch ein indirektes Plädoy-
er für Motorama, Pentahotel, Franziskanerhof und Kulturpalast.

Die Verschönerung, so sagte Kronawitter im Nikolauston, sollte exemplarisch beim Block 15 anfan-
gen. Das ist der Häuserblock zwischen Preysing-, Wolfgang- und Leonhardstraße, dessen Bewoh-
ner durch Briefe besonders zur Ausstellungseröffnung eingeladen worden waren. „Block 15“ ist der erste Versuch der Stadt, die Umstrukturierung von Haidhausen im Wohnungsbereich durchzuset-
zen und so hier ein Publikum (und vor allem eine Kundschaft) zu schaffen, für welches Franziska-
nerhof, Motorama und Pentahotel schon gebaut sind und Kulturzentrum und andere Überraschun-
gen noch gebaut werden.

Der Modellversuch mit dem Block 15 ist für ganz Haidhausen von entscheidender Bedeutung: Wird es der Stadt nämlich gelingen, die alten Bewohner des Blocks entweder durch höhere Mieten oder Ausquartierung zu vertreiben oder sie durch starke finanzielle Unterstützung von den restlichen Haidhausern abzuheben, sie zu privilegieren, mundtot zu machen und so die Haidhauser Bevölke-
rung zu spalten, so hat sie es geschafft, ihr erstes Stück Haidhausen zu „sanieren“, nämlich das Kräfteverhältnis zwischen alten Haidhausern und den Trägern des modernen Profit-Stadtteils Haidhausen zugunsten der letzteren zu verschieben.

Sollte es der Stadt aber nicht glücken, die Block-15-Bewohner zu isolieren und zu spalten (Krona-
witter: Kommt bloß nicht zu mehreren, um Euch zu informieren), sollten sich die Bewohner viel-
mehr gemeinsam zur Wehr setzen, dann wird Block 15 zu einer Schlappe für die Profitgeier werden und zu einer wichtigen Erfahrung der Haidhauser Bevölkerung, die ihren Stadtteil nicht sang- und klanglos preisgeben will.

Wir haben deswegen an Info-Ständen Kontakt mit den Leuten vom Block 15 und vielen anderen Haidhausern aufgenommen. Fast alle wissen genau, was die „Sanierung“ für sie bedeutet: Verteu-
erung und letztenendes Vertreibung aus dem Stadtteil, in dem sie zu Hause sind. Viele haben eine Stinkwut auf die Stadtverwaltung und werden sich gegen die Sanierung wehren – so, wie es die Leute in der Franziskaner- und in der Trogerstraße schon mit Erfolg getan haben.

Haidhauser Ladenkollektiv


Blatt. Stadtzeitung für München 27 vom 12. Juli 1974, 8.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Stadtviertel