Materialien 1974

Mordversuch??

Am 24.4.1974 wurde Gertraud Will verhaftet. Gertraud Will ist die Freundin von Roland Otto, dem von Staats wegen zunächst auf Ehrenwort aus dem Knast Beurlaubten, dann mit Maschi-
nengewehren und Terrorfachleuten gejagten Kommunisten, auf dessen vermeintlicher Fährte die Polizei am 20.4.74 Günter Jendrian aus dem Schlaf holte und erschoss (siehe 25. BLATT, 26. BLATT). Gertraud Will wird zur Last gelegt, mit Roland Otto verlobt zu sein, mit ihm lieber zu-
sammen zu leben, als ihn hinter Gefängnismauern isoliert zu wissen. Sie ist deshalb nach Begrif-
fen derzeitigen bundesrepublikanischen Rechts Mitglied einer kriminellen Vereinigung, sie be-
günstigt demzufolge auch Gefangenenbefreiung. Deshalb sitzt sie in Untersuchungshaft. Deshalb ist SEIT DER 2. WOCHE IHRER HAFT TOTALE ISOLATTON ANGEORDNET !!!!!

Da Gertraud Will vor 2 Jahren eine schwere Gehirnerschütterung hatte und seitdem in ärztlicher Behandlung steht, verlangte sie zu Beginn ihrer Haft eine amtsärztliche Untersuchung, um sicher zu gehen, dass sie die für sie notwendigen Medikamente erhält. Diese Untersuchung wurde ihr gewährt. Die Versorgung mit den vom Amtsarzt verschriebenen Medikamenten hat in der JVA Neudeck, in der sich Gertraud Will ca. 1 Monat befand, nicht geklappt.

Sie litt unter starken Kopfschmerzen, hatte Brechanfälle und Kreislaufstörungen.

Am 27.5. stellte ihr Rechtsanwalt Antrag auf Untersuchung durch den Hausarzt, die gewährt wurde. Auf Grund dieses Untersuchungsergebnisses stellte der RA Antrag auf Haftentlassung.

Am 28.5. beschloss das Gericht die Verlegung Gertrauds in die JVA Aichach, auch aus gesund-
heitlichen Gründen, denn dort befindet sich eine Krankenstation.

Am 31.5. beschloss das Gericht, dass ein landgerichtsärzdiches Gutachten eingeholt werden soll.

Am 31.5. fernmündlicher Antrag der JVA Aichach, Gertraud Will aus Aichach wieder zu verlegen, da sich dort Margit Czenki befindet; Gertraud Will außerdem einen regen Briefwechsel mit Rolf Heißler (JVA Straubing) unterhielte.

Nachdem sich Gertraud ca. 1 Woche in Aichach befand, wurde sie ohne Anhörung ihrerseits oder ihres Rechtsanwalts in die JVA Traunstein verlegt. Die JVA Traunstein hat KEINE KRANKEN-
STATION, keinen eigenen Anstaltsarzt. Es befinden sich.dort nur 5 weibliche Gefangene, für die 2 Wärterinnen zuständig sind, die sich ablösen.

Auf Grund des Gerichtsbeschlusses vom 31.5. wurde Gertraud Will von dem Traunsteiner Arzt Dr. SCHRAUBE untersucht. Dieser teilt am 21.6. dem Anwalt mündlich mit, dass ihr nichts Besonde-
res fehle, das seien halt Folgen der Gehirnerschütterung, wogegen man nichts machen könne; es sei keine Verschlechterung ihres Zustands zu erwarten, es bestehe keine Gefahr wegen der ISO-
LIERHAFT. Der Rechtsanwalt solle sich keine Sorgen machen, EINEN KREISLAUFKOLLAPS KANN JEDER MAL HABEN. Ärztlicherseits gäbe es keinerlei Bedenken gegen den Vollzug.

Dazu fand auch eine Untersuchung durch die Traunsteiner Neurologin HUSEMANN statt, die Gertraud Will den Rat gab, zur Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustandes die FINGER ZU REIBEN, VIEL AN DIE FRISCHE LUFT ZU GEHEN und VIEL BEWEGUNG ZU MACHEN.

Dies zu einem Zeitpunkt, wo Gertraud Will oft den 1-stündigen Hofgang nicht durchhält, ohn-
mächtig wird und von der Wärterin in die Zelle getragen werden muss; wo sie in der Zelle Schwin-
del- und Ohnmachtsanfälle erleidet, aus denen sie erst nach Stunden erwacht, dass sogar die Wärterin ihre Bedenken geäußert hat und meint, keine Verantwoftung mehr übernehmen zu können.

Besucher berichten, dass Gertraud ein verquollenes Gesicht hat, dass sie permanent friert, was man auch daran erkennt, dass sie selbst an heißen Sommertagen dicke Wollsachen tragen muss. Dazu kommt, dass ein inzwischen erstelltes EEG Grenzbefunde ergeben hat.

Dazu fällt Dr. SCHRAUBE als einzige Weisheit der Vorschlag ein, man solle ihr doch statt des 1-stündigen Hofgangs, den sie nicht durchsteht, doch 2 mal am Tage ½ Stunde Hofgang geben. Nicht einmal das ist aus anstaltlichen Gründen verwirklichbar.

Das Gericht ignoriert – gedeckt durch das Gutachten des „Fachmannes“ Dr. med. Ernst SCHRAU-
BE – die gesundheitszerstörenden und sogar lebensgefährlichen Haftbedingungen, denen Ger-
traud Will ausgesetzt ist.

Dieses Gutachten liegt weder Gertraud Will noch ihrem Anwalt schriftlich vor!

Der Anwalt stellt die MINDESTFORDERUNG, Gertraud Will auf eine Krankenstation zu überwei-
sen, sowie Herausgabe der Untersuchungsunterlagen, um sie von einem unabhängigen Arzt über-
prüfen zu lassen.

Die Verantwortung für das Leben Gertraud Wills tragen:

1. Die Ermittlungsrichter STÜRZER und SCHINDLER beim Amtsgericht München, 8 München 35, Postfach

2. EStA EMRICH, StA München I, 8 München 35, Postfach

3. Dr. Ernst SCHRAUBE, Traunstein, Maxstr. 14

4. Der Leiter der JVA Traunstein

Kollektiv Rote Hilfe

„Mein vollständiger körperlicher Zusammenbruch ist nur noch eine Frage der Zeit.“ (Gertraud Will an ihren Rechtsanwalt)

LETZTE MELDUNG

gertraud will ist jetzt in den hungerstreik getreten. die einzige möglichkeit für die eingesperrte kommunistin, auf die unglaublichen, lebensgefährlichen auffassungen von gesundheit aufmerksam zu machen, wie sie die bundesdeutsche gerechtigkeit in ihren repressions- und verwahrlosungsan-
stalten an „zur untersuchung“ gefangenen praktiziert. solidarität mit gertraud will! alle macht dem volk!!


Blatt. Stadtzeitung für München 28 vom 12. Juli 1974, 5.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Militanz