Flusslandschaft 2022
Umwelt
Die Landeshauptstadt München hat beschlossen, bis 2035 klimaneutral zu werden. Am Mittwoch, 19. Januar, will der Stadtrat dazu den sogenannten Grundsatzbeschluss II treffen. Mit dem Be-
schluss wäre der Weg frei, allein bis 2025 rund 390 Millionen Euro etwa in Gebäudesanierung und Verkehrswende zu investieren. Aber: Dem Grundsatzbeschluss II liegt u.a. eine Studie zugrunde, die davon ausgeht, dass München bis 2035 seine klimapolitischen Ziele nicht erreichen wird. Ex-
tinction Rebellion und Fridays for Future (FFF) wollen den Stadtrat deshalb mit einer Demo an seine Beschlüsse erinnern und ihn auffordern, in den Anstrengungen nicht nachzulassen. Die De-
mo beginnt am Mittwoch um 8 Uhr vor dem Showpalast in Fröttmaning, Hans-Jensen-Weg 3 (U-Bahnlinie 6). Die Rebellis erinnern die Stadträt/Innen mit einem 60 Meter langen Transparent an ihre Klima-Versprechen.1
Fünf Aktivisten der „Letzten Generation“ legen am Freitag, 4. Februar, um halb 2 Uhr auf der Stra-
ße und der Fußgängerfurt am Isartorplatz/Frauenstraße Obst und Gemüse ab und entrollen ein Banner. Unter dem Slogan „Essen retten – Leben retten“ fordern sie deutschlandweit ein sofortiges Gesetz zum Retten von Lebensmitteln und eine Agrarwende, um Klimagase aus der Landwirtschaft zu reduzieren. Drei setzen sich auf die Fahrbahn und stoppen damit den Verkehr Richtung Send-
linger Tor. Polizei eilt herbei, nimmt Personalien auf, will die Sitzenden auf den Bürgersteig bug-
sieren und ist damit konfrontiert, dass zwei der Sitzblockierer – der eine kommt aus Bayreuth, der andere aus Regensburg – ihre Hände mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn fixiert haben. Die an-
deren drei lassen sich zur Seite tragen. Es dauert über zwei Stunden, bis eilig herbeigeschaffte Lö-
sungsmittel ihre Wirkung entfalten. Die Beteiligten erwarten nun Anzeigen wegen der nicht ange-
zeigten Versammlung und wegen Nötigung. Carla Hinrichs, die Sprecherin der „Letzten Generati-
on“: „Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann wird 2050 etwa ein Drittel unserer Ernte aus-
fallen. Wir sehen jetzt schon, dass Lebensmittelpreise steigen, dass wir Dürren haben – auch hier in Deutschland. Weltweit werden wir aufgrund von Ernteausfällen und steigender Weltbevölke-
rung massiven Hunger haben, schon in 28 Jahren. Das bedeutet dann, dass sich die Menschen im Supermarkt nicht um Klopapier kloppen – sondern um Essen. Menschen werden hungern und Menschen werden sterben. Und trotzdem schmeißen wir derzeit 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Jahr weg, eine Lkw-Ladung pro Minute – allein in Deutschland. Das ist unfassbar respektlos gegenüber den Menschen, die jetzt schon Hunger leiden.“
Der Steinkohleblock im Heizkraftwerk in Unterföhring soll abgeschaltet werden – ein großer Er-
folg für die Initiative „Raus aus der Steinkohle“. Aber: die Münchner Stadtwerke (SWM) wollen vielleicht schon im Herbst dieses Jahres Block 2 stattdessen mit Erdgas befeuern. Fossiler Energie-
träger ersetzt fossilen Energieträger. Deshalb findet am Freitag, 25. Februar, ab 10 Uhr in Unter-
föhring vor dem HKW Nord eine Demo statt. Motto: „Kein neues Erdgaskraftwerk durch die Hin-
tertür“.2
Am Donnerstag, 3. März, findet die von FFF organisierte Demo in Solidarität mit der Ukraine ab 17 Uhr auf dem Odeonsplatz statt. Motto: End the war – end fossil fuels!3
FFF ruft unter dem Motto #PeopleNotProfit zum 10. Globalen Aktionstag am Freitag, 25. März, um 12 Uhr auf dem Königsplatz auf. Die Forderungen: Nettonull 2035 erreichen, Kohleausstieg bis 2030, 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035!4
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Beleuchtungsmast an der Kreuzung Schleißheimer-/Dülferstraße am 23. April
FFF mobilisiert für den 6. Mai um 14 Uhr auf dem Marienplatz. Die Demonstrantinnen und De-
monstranten wollen der Rathauskoalition zu zeigen: Wir verschließen nicht die Augen vor der Notwendigkeit einer schnellen nachhaltigen Transformation – wir wollen endlich richtigen Kli-
maschutz in München!
Aus Protest gegen die Nutzung fossiler Brennstoffe blockieren KlimaaktivistInnen vom Verein Letzte Generation den Mittleren Ring. Zwei Protestierende kleben sich am Montagmorgen, 23. Mai, auf der Fahrbahn fest. Der Verkehr staut sich vor dem Tunnel Heckenstallerstraße.
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München heizt fossil – fast komplett. Und das, obwohl wir in München eine geographisch ideale Ausgangssituation für klimaneutrale, sichere und kostengünstige Wärme haben, die uns noch dazu aus der Abhängigkeit autokratischer Regime befreien könnte: Geothermie. Die Politik der Stadt und der Stadtwerke (SWM) haben München in den letzten Jahren jedoch weiter an fossile Rohstof-
fe gefesselt: Viel zu lange wurde der Bau neuer Geothermie-Anlagen verschlafen und stattdessen mit ausweichenden Argumenten auf den Weiterbetrieb von Gaskraftwerken gesetzt. Dabei war München früher einmal eine Vorzeige-Stadt bei der Nutzung von Erdwärme. Das Netzwerk sau-
bere Energie – München fordert am Freitag, 27. Mai, um 17 Uhr auf dem Marienplatz eine klare Ausbaustrategie für Geothermie mit oberster Priorität, die Erschließung neuer Geothermie-Stand-
orte innerhalb und außerhalb Münchens, den für Geothermie notwendigen Umbau des Dampfnet-
zes auf ein Heißwassernetz wie ursprünglich geplant bis 2030 und einen Anschluss der Geother-
mieanlagen außerhalb der Münchner Stadtgrenzen an das Münchner Fernwärmenetz mittels Fernwärmetrassen.
Anlässlich des vom 26. bis 28. Juni auf Schloss Elmau stattfindenden G7-Treffens demonstriert Fridays for Future am 24. Juni in München. Die Demonstration startet um 17 Uhr am Odeons-
platz. Gemeinsam mit der internationalen Initiative Debt for Climate fordern die Klimaaktivistin-
nen und -aktivisten dabei eine finanzielle Kompensation der im Globalen Süden verursachten Schäden.
Samstag, 23. Juli: Von 10 bis 12 Uhr radeln weit über Hundert Engagierte 15 Kilometer vom Alt-
stadtring über die Ludwig-/Leopoldstraße zurück zum Altstadtring und von dort über die Lind-
wurmstraße zur Theresienwiese. Sie protestieren gegen die zögerliche Umsetzung des Radent-
scheids. Vor drei Jahren hat das Bündnis Radentscheid dem Stadtrat 160.000 Unterschriften übergeben.
Zwei Aktivisten der Bewegung „Letzte Generation“ kleben sich in der Alten Pinakothek am Freitag, 26. August, am Rahmen des Gemäldes „Der bethlehemitische Kindermord“, das Peter Paul Rubens im 17. Jahrhundert gemalt hat, fest. Dabei wird die originale Vergoldung des Régence-Rahmens aus der Zeit um 1725 beschädigt, ebenso die Wandbespannung. Die Restaurierung kostet einen fünfstelligen Betrag; die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen fordern von den Tätern Scha-
densersatz. „Es ist nicht legitim, einmalige kulturelle Menschheitszeugnisse zu beschädigen, um auf die faktisch gegebenen klimatischen Probleme hinzuweisen“, sagt der Generaldirektor der Staatsgemäldesammlungen, Bernhard Maaz. Die Frage drängt sich auf: Ob Rubens die Menschheit überleben wird?
Am Samstag, 27. August, stürmen während des Bundesligaspiels zwischen Bayern München und Borussia Mönchengladbach mehrere Personen auf den Rasen der Allianz-Arena. Sie laufen Rich-
tung Tore vermutlich, um sich dort anzukleben. Auf ihren Hemden steht „Stoppt den fossilen Wahnsinn“.
Erstmals seit März demonstrieren am 23. September um 12 Uhr KlimaaktivistInnen von Fridays for Future auf dem Königsplatz. Die Veranstalter sprechen von 10.000 Teilnehmern, der Polizei zufolge sind es 6.000. Rednerinnen und Redner kritisieren, dass die Berliner Ampelkoalition sich zu stark auf die Bewältigung der akuten Krisensituation konzentriere und sich nicht ausreichend der Bekämpfung einer drohenden Klimakatastrophe widme. „Die Ampelregierung lügt uns an. Entgegen ihren Versprechen ist ihre Klimapolitik nicht 1,5-Grad-Celsius-konform und ihre bisher beschlossenen Maßnahmen reichen nicht einmal aus, um ihre eigenen Klimaziele einzuhalten“, sagte Alicia Leupold von FFF.7
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Ecke Luisen-/Elisenstraße am 12. November
Im Polizeibericht heißt es: „Am Dienstag, 25.10.2022, gegen 12.05 Uhr, wurde die Münchner Po-
lizei darüber verständigt, dass mehrere Personen die Eingangstür eines Gebäudes mit einer zu-
nächst unbekannten klebrigen braunen Substanz beschmiert hatten. Vor Ort stellte sich heraus, dass es sich um eine politische Aktion von Klimaaktivisten handelt. Diese hatten sowohl eine seit-
liche Eingangstüre zu einem Gebäude am Lenbachplatz, als auch Teile des Innenbereichs mit die-
ser Substanz beschmiert. Zudem hatten 14 der insgesamt ca. 20 Aktivisten ihre Hände mittels Kle-
ber an Gebäudeteile im Außen- und Innenbereich geklebt. Die politische Aktion war gegen ein im Objekt ansässiges Unternehmen gerichtet. Ein Verantwortlicher sprach gegenüber den Aktivisten ein Hausverbot aus.“
Mittwoch, 26. Oktober: Über zwanzig KlimaktivistInnen von Scientist Rebellion blockieren gegen 12.15 Uhr den Kreuzungsbereich am Odeonsplatz; die meisten von ihnen haben ihre Hände auf dem Asphalt der Briennerstraße festgeklebt. Es dauert bis in den späten Nachmittag, bis die Lö-
sungsmittel wirken. Passanten begrüßen die Aktion. Fünfzehn Leute werden festgenommen und wegen Nötigung und wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht angezeigt.
Am Freitag, 28. Oktober, blockieren mehrere Personen gegen 12 Uhr den Stachus (Fahrspur in Richtung Sendlinger-Tor-Platz); zwei von ihnen haben ihre Hand auf der Straße festgeklebt. Samstag, 29. Oktober: Vierzehn Mitglieder von Scientist Rebellion, darunter dreizehn Wissen-
schaftlerInnen, werden, nachdem sie sich an Kraftfahrzeugen in den Ausstellungsräumen der BMW Welt gegen 11 Uhr angeklebt haben, in Polizeigewahrsam genommen.
Am Donnerstag, 3. November, blockieren gegen 10.40 Uhr siebzehn Personen den Verkehr im Kreuzungsbereich zwischen dem Karlsplatz und der Prielmayerstraße in beiden Fahrtrichtungen. Gegen 18.50 Uhr blockieren sie dort erneut den Verkehr. Im Polizeibericht heißt es: „Alle Ver-
sammlungsteilnehmer waren bereits an der gegen Mittag durchgeführten Aktion beteiligt. Zur Verhinderung weiterer angekündigter Blockadeaktionen und Straftaten wurden diese Personen in polizeilichen Gewahrsam genommen, welcher beim AG München für die Dauer bis zum 2.12.2022 beantragt wurde. Durch die zuständigen Richter am Amtsgericht München wurde der Gewahrsam bis zum 2.12.2022 bei zwölf Personen bestätigt. Zudem wurde entschieden, dass zwei Personen bis zum Ende des 4.11.2022 und eine Person bis zum Ende des 9.11.2022 in Gewahrsam bleiben. Diese Personen werden ausdrücklich auf entsprechende Folgemaßnahmen bei erneuten Straßenblocka-
den hingewiesen.“ Es ist kein Fall bekannt, in dem in der Geschichte der Bundesrepublik bereits so langer Sicherheitsgewahrsam angeordnet wurde. Jakob Beyer, Sprecher der Gruppe und selbst für 30 Tage in Polizeihaft, richtet sich vor der Fahrt in die JVA mit deutlichen Worten an die Öffent-
lichkeit: „Wir wollen nicht euer Mitleid. Wir wollen, dass ihr alle auf den Straßen Widerstand lei-
stet. Es werden mehr Menschen kommen. Und sie werden wissen, dass sie inhaftiert werden könn-
ten – so wie auch wir es wussten. Aber Recht und Unrecht sind hier klar verteilt. Es erfordert nun deinen Mut, dich jetzt auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen.”
Am Sonntag, 6. November, meint Söder: „Theoretisch könnte ich sagen ‚lasst sie klebe’. Wenn sich jemand vor der Staatskanzlei anklebt, soll er kleben bleiben. Wir essen was, trinken was, schauen uns das an, kein Problem.“ Montag, 7. November: Um 9.30 Uhr kleben sich drei Klima-Aktivisten auf die Straße am Stachus und blockieren damit den Verkehr für etwa eineinhalb Stunden. Aktivi-
stInnen der Letzten Generation versuchen am Nachmittag die Staatskanzlei mit Feuerlöschern zu besprühen.
Dienstag, 8. November: Das Antikapitalistische Klimatreffen demonstriert vor der Münchner SWM-Zentrale gegen deren „Greenwashing“. Sie sehen dahinter eher den Zwang, dass auch städtische Konzerne gewinn- anstatt bedürfnisorientiert wirtschaften müssen. Darum fordern sie langfristig eine Vergesellschaftung der SWM: „Wenn die Energie- und Wärmeversorgung in die Hände aller Münchner übergeht, kann wirklich sozial und klimagerecht produziert werden. Ohne, dass die Gewinninteressen des Konzerns im Weg stehen“, sagt Gruppen-Sprecher Jakob Dschinga. Wegen dieser habe die SWM auch den großflächigen Ausbau von Geothermie in der Region ver-
schlafen. Kurz- und mittelfristig wünschen sich die Aktivisten deswegen nicht nur, dass das Unter-
nehmen seine angekündigte Preiserhöhung für Fernwärme zurücknimmt, sondern auch deren Ausbau intensiviert.
Montag, 21. November: Um 8 Uhr in der Frühe blockieren neun AktivistInnen die Fahrbahn Luit-
poldbrücke/Ecke Widenmayerstraße. Am Nachmittag kleben sich fünf AktivistInnen am gleichen Ort fest.
30. November: Drei Klimaaktivisten stehen nach ihren Straßenblockaden vom 3. November vor Gericht. Ein Angeklagter meint: „ Menschen in 30 Jahren werden nicht verstehen, warum wir hier vor Gericht stehen und nicht die Bundesregierung … Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens und sind dabei, ihn zu verlieren.“ – ein Zitat von UN-Generalsekretär António Guterres. Das Hauptar-
gument des Aktivisten, mit dem sie die Blockaden rechtfertigen wollen: Die Bundesregierung hört nicht. Fridays for Future brachte Millionen Menschen auf die Straße, passiert sei nichts. Man müsse mehr tun, damit der Protest nicht mehr ignoriert werden könne. Er werde angebrüllt, be-
spuckt bei den Protesten, doch mit seinem Gewissen sei es nicht zu verantworten, weniger zu machen – und ignoriert zu werden. Er will ein 9-Euro-Ticket und Tempolimit, dafür protestiere er. Denn ein schlüssiges Argument dagegen habe er noch nicht gehört. Zwei der Angeklagten werden zu 25 Tagessätzen in Höhe von 15 Euro, einer zu 25 Tagessätzen in Höhe von 25 Euro verurteilt. Als der Richter das Urteil spricht, ruft einer der Mitstreiter der Klimaaktivisten von seinem Zu-
schauerplatz: „Schande!“ Und als der Richter die Angeklagten als „unbelehrbar“ bezeichnet, jubelt einer der Zuschauer ironisch.
„Eigentlich ist es ganz einfach“, meint Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender der GEW Bay-
ern am 1. Dezember. „Die Klimaproteste sind die Folge verfehlter Klimapolitik. Politik ignoriert seit Jahrzehnten wissenschaftliche Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen. Gesetzte Klimazie-
le werden nicht erreicht oder den Interessen verschiedener Lobby-Gruppen geopfert. Führende Po-
litiker*innen sollten sich schämen, wenn sie die Protestierenden als „Klima-RAF“ oder „Klima-Ter-
roristen“ diffamieren, damit Stimmung machen, die Gesellschaft weiter spalten und vom eigenen Versagen ablenken. Es geht um die Zerstörung von Lebensbedingungen weltweit, die Sorgen der jungen Menschen sind absolut ernst zu nehmen. Wären junge Menschen Autos, hätten sie eine ernstzunehmende Lobby. Angesichts des Fachkräftemangels in Kitas, Schulen, Kinderkrankenhäu-
sern, fehlender Therapieplätze und der derzeitigen Klimapolitik kann man aber durchaus zum Schluss kommen, dass der herrschenden Politik die Gegenwart und Zukunft junger Menschen egal zu sein scheint. Jetzt das BayPAG als Grundlage dafür zu nehmen, friedliche Klimaaktivist*innen ohne Prozess, überwiegend in Einzelhaft, festzusetzen, ist schlicht unverhältnismäßig und grund-
rechtswidrig. Man muss sich das vor Augen führen: Es wird ein 9-Euro-Ticket und eine Geschwin-
digkeitsbegrenzung auf Autobahnen gefordert. Es ist bezeichnend, dass Klimaproteste mit diesen Forderungen scheinbar mehr Bestürzung in Teilen der Politik hervorrufen als jahrelange Naziauf-
märsche.“
In der Nacht von Montag, 5. Dezember, auf Dienstag, 6. Dezember, wird in Haar aus diversen SUVs die Luft aus allen Reifen gelassen. An den Fahrzeugen findet sich jeweils ein Hinweiszettel, welcher Rückschluss auf die verursachende Gruppierung gibt. Der Polizeibericht: „Nach aktuellem Stand sind insgesamt elf Fälle hierzu bekannt. Der Sachschaden beläuft sich auf ca. 200 Euro pro Pkw. Es wird diesbezüglich von einem Delikt aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) – links ausgegangen.“
„Leitsätze: 1. Eine Sitzblockade von Klimaaktivistinnen stellt eine Versammlung dar, die den Schutzbereich des Art. 8 GG eröffnet … 2. Polizeigewahrsam stellt keine geeignete Maßnahme dar, Klimaaktivistinnen von der Durchführung weiterer Aktionen abzuhalten, so dass sich der Fall im Vergleich zu den üblichen Fällen der Anwendung von Art. 17 Abs. 1 PAG unterscheidet … 3. Bei der Ingewahrsamnahme von Aktivisten einer Sitzblockade steht das Übermaßgebot der Verhältnismä-
ßigkeit entgegen … 4. Es kann bezweifelt werden, dass das Festkleben auf der Fahrbahn als Nöti-
gung gem. § 240 StGB strafbar ist … 5. Freiheitsentzug im Polizeirecht ist die ultima ratio und im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat einer der tiefsten möglichen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger. Geringfügigen Straftaten mit diesem Mittel zu begegnen ist nicht verhältnismäßig … Die von den Sitzblockaden betroffenen Autofahrenden dürften in der Regel zum Großteil Fahrzeu-
ge mit Verbrennungsmotor benutzen. Autofahrende tragen maßgeblich durch den Verbrauch von Benzin zu den Emissionen in Deutschland bei. Gleichzeitig ist der Verkehrssektor einer der Berei-
che, in denen die festgesetzten Emissionsziele am deutlichsten verfehlt werden. Das Thema Ver-
kehr und Automobil ist in Deutschland aufgrund des Stellenwerts der Automobilindustrie zudem im öffentlichen Diskurs von überragender Bedeutung. Die Demonstrierenden fordern zudem auch mit der Einführung eines 9 Euro Tickets und der Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen konkret Maßnahmen im Verkehrssektor. Aufgrund des engen Zusammen-
hangs zwischen der Form des Protestes und dessen Forderungen bzw. Zielen dürfte die Verkehrs-
behinderung für die betroffenen Dritten hinzunehmen sein. Ob im Fall der gegenständlichen Sitz-
blockaden eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB vorliegt ist noch nicht abschließend oberge-
richtlich geklärt. Wäre dies nicht der Fall, so wäre bereits der Tatbestand von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG diesbezüglich nicht erfüllt. Ob dann eventuell verwirklichte Ordnungswidrigkeitstatbe-
stände Ordnungswidrigkeiten von „erheblicher Bedeutung“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG darstellen würden, darf bezweifelt werden. Für die gegenständliche Frage genügt die Feststellung, dass, wenn eine Strafbarkeit vorliegt, diese sich am unteren Rand der Strafbarkeit bewegt, was im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen ist.“9
Am 8. Dezember kleben sich vier Mitglieder der Letzten Generation auf dem nördlichen Rollfeld des Münchner Flughafens fest, was zu Umleitungen und Verspätungen führt. Sprecherin Aimée van Baalen: „In einer brennenden Welt gibt es keine Neutralität mehr. Wir können nicht länger schweigend mit ansehen, wie einige Reiche auf dem Rücken aller Menschen die Welt in den Ab-
grund treiben und unsere gemeinsame Lebensgrundlage verwüsten. Wir sind immer bereit für konstruktive Gespräche, so wie auch gestern mit dem bayrischen Innenminister. Aber was wir an-
gesichts der drohenden Klimahölle brauchen, sind Handlungen und nicht nur leere Worte.” Der 59-jährige Michael Winter saß für seinen friedlichen Widerstand bereits wochenlang in bayerischer Präventivhaft und begibt sich heute dennoch auf das Münchner Rollfeld. Er fordert seine Mitmen-
schen auf, Stellung zu beziehen: „Wie entscheidest du dich? Stehst du schweigend daneben, wäh-
rend die Regierung uns in eine todbringende Heißzeit steuert oder kommst du mit uns auf die Straße? Dringender denn je brauchen wir jetzt endlich die ersten einfachen und sozialgerechten Maßnahmen: ein 9-Euro Ticket, das Mobilität für alle Menschen ermöglicht, und Tempo 100 auf Autobahnen.” Die Lufthansa verlangt von den AktivistInnen Schadensersatz; die Bundespolizei verlangt für ihre Einsätze Gebühren. Die Aktivisten sollen je 722 Euro zahlen, bereits am Zaun gestoppte Personen nur 91 Euro.
Die Landeshauptstadt teilt am 9. Dezember mit: „Aufgrund der jüngsten Aktivitäten der Klimaakti-
vist*innen untersagt die Landeshauptstadt München per Allgemeinverfügung zur präventiven Ge-
fahrenabwehr im gesamten Stadtgebiet der Landeshauptstadt sämtliche Versammlungen in Zu-
sammenhang mit Klimaprotesten in Form von Straßenblockaden, bei denen sich Teilnehmende fest mit der Fahrbahn oder in anderer Weise fest verbinden, sofern die versammlungsrechtliche Anzeigepflicht nicht eingehalten ist. Die Allgemeinverfügung ist ab dem 10.12.2022, 0 Uhr wirk-
sam und bis vorerst zum Ablauf des 8.1.2023 gültig. Dieses Verbot erstreckt sich auf alle Straßen, die für Rettungseinsätze und Gefahrenabwehrmaßnahmen besonders kritisch sind, sowie alle Be-
reiche der Bundesautobahnen, inklusive Autobahnschilderbrücken. Die betroffenen Straßen erge-
ben sich aus der Auflistung, die der Allgemeinverfügung angehängt ist. Das bedeutet, dass sowohl das Veranstalten von als auch die Teilnahme an solchen Versammlungen und Protestaktionen ver-
boten ist. Der Aufruf zur Teilnahme an einer untersagten Versammlung ist strafbar. Das mit der Allgemeinverfügung ausgesprochene Verbot dient dazu, die Freihaltung der Hauptrouten der Ein-
satz- und Rettungsfahrzeuge im Stadtgebiet jederzeit zu gewährleisten und möglichen Schaden für Leib und Leben abzuwenden, der aufgrund von Verzögerungen bei Einsatzfahrten entstehen könn-
te. In Abstimmung mit dem Polizeipräsidium München erachtet das Kreisverwaltungsreferat die hiermit einhergehende Einschränkung des Versammlungsrechts aufgrund der Erfahrungen in den letzten Tagen als erforderlich. Die am Montagmorgen am Stachus stattgefundene Versammlung war bislang die einzige Protestaktion, die im Vorfeld medial angekündigt worden war. Die Ver-
sammlungsbehörde und das Polizeipräsidium München haben daraufhin versucht, dem hohen Gut der Versammlungs- und Meinungsfreiheit einen angemessenen Raum zu geben und dabei gleich-
zeitig durch entsprechende Auflagen die Erfordernisse der Gefahrenabwehr umzusetzen, wie dies stets bei allen anderen Versammlungen praktiziert wird. Diese Reglementierungen wurden von den Aktivist*innen gänzlich missachtet und jegliche Kommunikation mit den Behörden ausdrück-
lich abgelehnt.“
Auf der Von-der-Tann-Straße gegenüber der Königinstraße/Altstadtringtunnel versuchen am Mitt-
woch, 14. Dezember, um 10.30 Uhr ein 24-Jähriger mit Wohnsitz in Rheinland-Pfalz und eine 20-Jährige mit Wohnsitz in München den fließenden Straßenverkehr zu blockieren, indem sie sich und die Straße mit Kleister überschütten und auf die Fahrbahn setzen.
„BILD erfuhr. In Sicherheitskreisen wird davon ausgegangen, dass den rund 100 Klima-Aktivisten in München derzeit ca. 300.000 Euro an Geldmitteln zur Verfügung stehen, um Geldbußen und Gerichtskosten zu decken.“10
Wenn man(n) echte Waffen verkauft, kontrolliert man(n) die Armee. Wenn man(n) Lebensmittel kontrolliert, kontrolliert man(n) Gesellschaften. Wenn man(n) Saatgut kontrolliert, kontrolliert man(n) das Leben auf der Erde.11
1 Siehe https://extinctionrebellion.de/veranstaltungen/muenchen/stadtrat22jan19/6972/.
2 Siehe https://energienetzwerk-muc.de/25-februar-2022-kein-neues-erdgaskraftwerk-durch-die-hintertuer/.
3 Siehe https://fff-muc.de/.
4 Siehe https://fff-muc.de/#global_strike.
5 Foto: Franz Gans
6 Fotos: Richy Meyer. Siehe https://energienetzwerk-muc.de/27-05-2022-muenchens-fossile-fesseln-zerschlagen-volldampf-fuer-geothermie-jetzt/
7 Siehe die Bilder der Kundgebug „fridays for future“ von Cornelia Blomeyer.
8 Foto: Richy Meyer
9 Aus dem Beschluss des Amtsgerichts München vom 7. Dezember 2022 (Az. ERXXXI XIV 1281/22 L (PAG)). Siehe dazu auch https://projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=3.
10 BILD München 300/51 vom 23.12.2022, 9.