Materialien 1972
Hörfunk und Fernsehen
… Der Veränderung der bayerischen Rundfunkgesetze, nun wirklich »durchgepeitscht« von der CSU, trotz massiven Protests aller demokratischen Kräfte, folgten mit geradezu eselhafter Konse-
quenz Zensurmaßnahmen, Pressionen. Aus der veränderten Zusammensetzung des Rundfunkrats, – Zahl der Räte von 41 auf 59 erhöht, statt 9 vom Landtag entsandter 21 Parteien-Vertreter, davon 13 gestellt von der CSU, hinzukommend ein Vertreter des Bayerischen Gemeindetags, einer vom Bayerischen Landessportverband, weitere Neuanteile: Bayerische Zeitungsverleger, Arbeitgeber-
verbände, Freie Berufe, Naturschutzbund, – nur Vertreter der abhängig Arbeitenden blieben erhal-
ten im Defizit: von 59 Räten zwei Vertreter der Gewerkschaften! – ergaben alsbald sich die Folgen. Zunächst: Protestrücktritt Rafael Kubeliks (Chefdirigent des Bayerischen Rundfunks); Rücktritt des Programmdirektors Hörfunk, Walter von Cube.
Folgte, in dem eh von der CSU regierten Haus (neuer Intendant: der CSU-Staatssekretär Reinhold Vöth; Programmdirektor: Helmut Oeller, CSU; Chefredakteur: CSU-Mitglied Rudolf Mühlfenzl) von dem nach der Gesetzesänderung CSU- und Establishment-überlagerten Rundfunkrat, die Zahl des neuen Rundfunkratsvorsitzenden: gewählt wurde – wie anders? – Strauß-Freund Wilhelm Fritz, dem Hause durch hanebüchene politische Einschüchterungsversuche auf Mitarbeiter hinrei-
chend bekannt. Abgewählt wurde als stellvertretender Vorsitzender der mutige Liberale, Ernst Müller-Meiningen jr., der schon vor Jahresfrist, als die Führungsposten CSU-lastig umbesetzt wur-
den, gewarnt hatte, eine solche politische Einseitigkeit, wie sie im BR »betoniert« werde, gäbe es sonst nirgends in der Bundesrepublik: »Sie bedeutet die totale Beseitigung der Ausgewogenheit auf Jahrzehnte hinaus«. (Immerhin beliefert der BR das ARD-Gemeinschaftsprogramm zu 17,8 Pro-
zent). Auf dem Marienplatz, als Tausende demonstrativ protestierten, forderte Müller-Meiningen jr. die Bevölkerung auf, den CSU-Plänen einen »kompromißlosen Kampf anzusagen«. Konsequen-
te Folge: die Abwahl.
Konsequente Ersttat des neuen Rundfunkratsvorsitzenden: »Doktor Fritz greift ein«. So über-
schrieben von der Süddeutschen Zeitung am 8.6.72 und wie folgt kommentiert: »Stil und Um-
gangsformen im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks haben sich lebhaft geändert. Da kann etwa ein Ausschußmitglied in schöner Unschuld einen neuen Vorsitzenden ,namens der CSU-Fraktion’ vorschlagen, da werden Ausschußsitzungen unterbrochen, auf daß Angehörige eben dieser ,Fraktion’ sich in Klausur, also ohne das lästige übrige Volk, beraten können, und was ähnliche Praktiken sind, die dem Geist des Rundfunkgesetzes … zuwiderlaufen. Auf der gleichen Linie liegt es, wenn der neugewählte Vorsitzende des Rundfunkrats, Dr. Fritz, in einem Beschwer-
debrief an den Intendanten Wallenreiter über einen für die griechischen Gastarbeiter bestimmten Hörfunkkommentar nicht nur an Binsenwahrheiten Anstoß nimmt wie etwa daran, daß Griechen-
land unter einer ,Diktatur’ lebe. Er fordert zugleich neben dem für die griechische Junta seit lan-
gem unbequemen Kommentator Bakojannis, dem Leiter der Sendungen, einen zweiten Mann und kündigt … an, er werde in der darauffolgenden Woche den Namen dieses neuen Mannes präsentie-
ren … Eine weitere Merkwürdigkeit … besteht darin, daß ein bisher hausintern gehaltener Vorgang im Bayerischen Rundfunk … aus einer Athener Zeitung zu erfahren ist, die der Regierung nahe-
steht. Wer war wohl der Informant?«
Nun wäre das schon schlimm genug. Nur: Wilhelm Fritz, Schatzmeister des Bayerischen Landes-
sportverbandes, ist auch Vorstandsmitglied des Versicherungskonzerns »Allianz«. Wie die »Inter-
essenvertretung«, laut Rundfunkgesetz verboten, in diesem Fall aussehen könnte, beschreibt Welt der Arbeit: »In Griechenland wird derzeit die Einführung der gesetzlichen Haftpflicht für Kraft-
fahrzeuge ernsthaft erwogen. Hauptinteressent an dieser Haftpflichtversicherung ist die griechi-
sche Versicherungsgesellschaft Phoenix, deren Inhaber der Regimefreund Andreadis ist. Andrea-
dis’ Unternehmen Phoenix will mit der deutschen Allianz, deren Vorstandsmitglied Dr. Fritz ist, zusammenarbeiten, um den griechischen Versicherungsmarkt zu beherrschen.«
Gedroht hat der CSU-Landtagsabgeordnete Roland Friedrich Messner dem Leiter der Altbayern-Redaktion Peter Kritzer, er werde ihn »aus dem Rundfunk entfernen lassen«, falls Kritzer seine Tätigkeit »einseitig« fortsetze. Die SPD befand daraufhin, die »Arbeitgeberpose« Messners sei »typisch für die Einstellung der CSU zu Rundfunkjournalisten«. Abgesetzt wurde im bayerischen Regionalprogramm eine Sendung über die Situation der SPD mit Jochen Vogel. Zensiert wurde von Chefredakteur Mühlfenzl und Programmdirektor Oeller »Report« München über die »Sozialen Demokraten 72«, – herausgenommen wurden Hinweise auf direkte wie indirekte Unterstützung des SPD-Rechts-Abweichlers Günter Müller durch die CSU. (Was tatsächlich vorgelegen hat, war erwiesenermaßen unlautere Wahlhilfe von CSU-Mitgliedern für den SPD-Spalter Müller.) Indes: der CSU-fügsame, furchtsame Helmut Oeller machte freiwillig auch gleich den bundesdeutschen Zoodirektoren noch ein Geschenk; die hatten sich aufgeregt über eine Satire, »Das letzte Paradies« (Regie: Eberhard Itzenplitz); die für den 18. Juli vorgesehene Sendung wurde abgesetzt …
Da hätten wir sie denn, die Verquickungen, aufs kompakteste beieinander. Satiren, allenfalls, kann der »freie Autor« darüber schreiben. Ändern, allein, kann er daran nichts. Der realen Gefährdung, wie sie fühlbar für Mitarbeiter und sichtbar geworden ist für die Öffentlichkeit am Beispiel des Bayerischen Rundfunks, gaben drei Unbekannte als Zensur-Signal das symbolische Äquivalent: während Tausende demonstrierten aus Protest gegen die Veränderung des bayerischen Rundfunk-
gesetzes durch die CSU, bestiegen sie den bayerischen Löwen vor der Feldherrnhalle, – den neben dem Fürsten Karl Wrede, – und verpaßten ihm einen Maulkorb.
Nur hatten für diesmal die CSU-Manager und die Herren des Großkapitals den Widerstandswillen politisch bewußt handelnder Bürger doch unterschätzt. Das überparteiliche »Bürgerkomitee Rund-
funkfreiheit« setzte mit 90.000 Stimmen den Antrag aufs Volksbegehren durch. Auch schikanöse Behinderungen änderten nichts am Erfolg: 1.007.637 Bürger, nämlich 13,9 Prozent der Wahlbe-
rechtigten Bayerns, machen den Volksentscheid möglich. Sie stimmten gegen die Einführung des privaten Rundfunks in Bayern. Sie stimmten gegen die Okkupation des Bayerischen Rundfunks durch die CSU. Sie stimmten gegen die politische Zensur, gegen den Proporz, – gegen den Kom-
merz und gegen die Konservativen. Feilgeboten werden Abhängigkeiten. Ins Wanken gebracht werden soll die Rundfunkfreiheit. Maulkörbe werden gehandelt. Doch läßt sich dagegen, wie das Exempel zeigt, durch die solidarische Entschlossenheit vieler, was tun. Wichtiges tun.
Anna Maass
{Pseudonym}
kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 4/1972, 631 ff.