Materialien 2021

Beispiel: Türkei

Rede auf der Kundgebung – Stop G7/ No to Nato – am 12. Juni 2021 in München

Liebe Friedensfreundinnen und liebe Antikriegsfreunde,

wir haben uns heute hier versammelt, um gegen die G7 und die Nato zu demonstrieren, die den Anspruch erheben, über die Geschicke der gesamten Menschheit zu entscheiden. Im Bündnis-
aufruf schreiben wir, dass ihre Kriege unzählige Menschenleben kosten. Sie verwüsten ganze Re-
gionen und treiben Millionen Menschen in die Flucht. Und wenn sie dann versuchen hierher zu kommen – an die Grenzen der reichen Staaten – , werden sie mit Gewalt aufgehalten, im Mittel-
meer ertränkt oder in Lagern eingesperrt. Es ist eindeutig: Nato und G7 bedeuten Tod und Ver-
treibung!

Was das ganz konkret heißt, lässt sich sehr gut am Beispiel der Türkei zeigen. An ihr wird deutlich, dass das Gerede von der Verteidigung gemeinsamer Werte nur leeres Wort ist. Oder andersherum gefragt: ist das Einsperren von Oppositionellen, von KurdInnen und JournalistInnen, die das AKP-Regime und Erdogan kritisieren, ein elementarer Bestandteil des Werteverständnisses der Nato?

Wie sonst lässt sich erklären, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am vergangenen Diens-tag in der Vorbereitung des nun stattfindenden Nato-Kriegsgipfels Sturm gegen Russland und China bläst und erklärt, dass die Chinesische Regierung, Zitat, „unsere Werte“ nicht teile.

Wisst ihr, was Stoltenberg im Oktober 2019 gemacht hat? Als die türkische Armee gerade Rojava in einem brutalen Angriffskrieg bombardierte – Rojava dieses kleine Stück kurdische Land in Nord-
syrien, das für Gleichberechtigung, Demokratie und Feminismus steht – da ist Stoltenberg nach Ankara gefahren, hat Erdogan die Hand geschüttelt und Verständnis für die Zitat „legitimen Si-
cherheitsinteressen der Türkei“ geäußert.

Im Jahr zuvor, also 2018, als die Türkei damals schon völkerrechtswidrig Afrin, also einen anderen Teil Rojavas, angriff, hunderttausende KurdInnen vertrieb und wo heute eine islamistische Terror-
herrschaft besteht, sagte der selbe Nato-Chef: Die Aktionen der Türkei seien „angemessen und maßvoll“. Und wenige Wochen danach sagt er Zitat: "Die NATO steht an der Seite der Türkei in ihrem Kampf gegen den Terrorismus“.

Er legitimiert damit, dass die Türkei als Teil des sogenannten NATO-Wertebündnisses diejenigen bombardiert, die in Rojava für Frauenrechte, Rätedemokratie und eine ökologische und genossen-
schaftliche Wirtschaft eintreten.

Die Bundesregierung ist dabei stets an der Seite der Türkei. Als eine Art großer Bruder stellt sie sich bei jeder Kritik schützend vor das AKP-Regime. Sie empfängt den türkischen Außenminister Cavusoglu, Sigmar Gabriel serviert ihm Tee und sein Nachfolger Außenminister Heiko Maas schüttelt ihm freudestrahlend die Hand – und das während in der Türkei gerade das Verbot der zweitgrößten Oppositionspartei, der HDP, vorbereitet wird.

Und noch mehr: immer wenn ein türkischer Minister zu Besuch war, werden daraufhin kurdische AktivistInnen in Deutschland festgenommen. Erst kürzlich in Nürnberg, Heilbronn, Esslingen und hier bei uns in München. Das ist ein Skandal! Diese seit Jahrzehnten anhaltende deutsch-türkische Waffenbrüderschaft ist unerträglich! Als erstes müssen dringend die deutschen Waffenexporte an das Erdogan-Regime endlich gestoppt werden!

Denn: Liebe FreundInnen, während ich hier vor euch spreche, führt die Türkei gerade wieder Krieg. Das Nato-Land bombardiert seit einigen Wochen in Südkurdistan Stellungen der PKK. Sie setzt dabei Giftgas und andere chemische Waffen ein und verstößt gegen das Kriegs- und Völker-
recht. Tausende Menschen mussten fliehen und dutzende Dörfer wurden geräumt.

Ganz aktuell: Heute Friedensdelegation nach Südkurdistan aufgehalten u.a. mit der Hamburger Abgeordneten Cansu Özdemir, die die türkischen Angriffe untersuchen wollte. Die Türkei greift gerade übrigens diejenigen an, die die IS-Terrormiliz mit besiegt haben und die die Eziden 2014 vor einem noch größeren Genozid gerettet und unter Einsatz ihres Lebens einen Fluchtkorridor aus dem belagerten Gebirge im Irak nach Nordsyrien freikämpften. Gleichzeitig ging letzte Woche durch die Presse, dass ein früheres IS-Mitglied, dass 2014 an der Massenexekution von 1700 ira-
kischen Soldaten beteiligt gewesen war, in der Türkei zu sage und schreibe zwei Monaten Haus-
arrest verurteilt worden ist.

Auch hier stellt sich wieder die Frage, für welche Werte steht das Nato-Mitglied Türkei und damit auch die gesamte NATO?

Liebe FreundInnen, unsere Werte sind es auf jeden Fall nicht. Und wenn man ehrlich ist, geht es der NATO auch gar nicht wirklich um Werte.

Ihr einziger Existenzgrund ist die Verteidigung der westlichen Dominanz. Es geht um die Siche-
rung von Rohstoffrouten und die Profite der globalen Konzerne. Das ist Aufgabe und Ziel der Nato. Alles andere ist nur ideologisches Geschwurbel, dass vom Kriegscharakter dieses Bündnisses ab-
lenken soll.

Liebe FreundInnen, wir sind heute auch hier, um gegen die türkische Kriegspolitik gegen die KurdInnen zu protestieren, die von der NATO gedeckt und ermöglicht wird. Jede Unterstützung für NATO-Staaten, die das Völkerrecht missachten, muss umgehend gestoppt werden.

Wir sind hier, um für die Auflösung der NATO zu protestieren. Sie muss ersetzt werden, durch ein kollektives Sicherheitssystem, unter Beteiligung Russlands und Chinas.

Wir sind hier für das Leben auf der Straße – Weil wir es lieben und wollen, dass alle Menschen in Frieden, Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit leben können!

Kerem Schamberger


Manuskript bei der Kundgebung erhalten

Überraschung

Jahr: 2021
Bereich: Internationales